T. Maissen: Die Geburt der Republic

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Titel
Die Geburt der Republic. Staatsverständnis und Repräsentation in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft


Autor(en)
Maissen, Thomas
Reihe
Historische Semantik 4
Erschienen
Göttingen 2006: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
672 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Lau, Universität Freiburg/Schweiz, Lehrstuhl für Geschichte der Neuzeit

"Geburt der Republic" - schon der Titel der Habilitationsschrift von Thomas Maissen will provozieren. Frühneuzeitlicher Republikanismus, so der Autor, ist weder der "Superlativ von Kommunalismus" (Blickle) noch eine im Gefolge des so genannten italienischen Bürgerhumanismus entstandene Sprache der Virtus (Pocock). Er ist nicht das Produkt einer Bewusstwerdung, sondern vielmehr ein Programm, das bewusst gestaltete Veränderungen legitimieren und dabei zugleich orientierungsstiftend wirken soll. Maissen berichtet von einer schleichenden ‚Kulturrevolution' und deren Folgen. Sie findet im späten 17. Jahrhundert statt und ihr Zielpunkt ist - anders als der Leser zunächst erwarten dürfte - weder Volkssouveränität noch Gewaltenteilung, sondern die Genese einer zentralisierten, souveränen Polyarchie - einer Republic. Dem Heidelberger Historiker geht es um die Gründe und die überraschend tief greifenden Konsequenzen eines Prozesses, in dessen Verlauf aus einem Reichsstand ein Völkerrechtssubjekt wird.

Noch Ende des 16. Jahrhunderts gibt es wenige Zeichen, die darauf hindeuten, dass die Eidgenossen jemals auf den Kaiseradler in ihren Standeswappen verzichten würden. Die auf wechselseitige Privilegiengarantie ausgerichtete Nischengesellschaft des Alten Reiches gewährte dem eigenwilligen Bundesgeflecht weit reichenden Gestaltungs- und Bewegungsraum. Prozesse der politischen Entscheidungsbildung wurden auf dem Wege der horizontalen und vertikalen Konsensbildung vollzogen. Sie glichen damit jenen in den umliegenden Reichsständen. Dies nahmen auch die Eidgenossen selbst so wahr. Stimmen, die die Monarchie als strukturell minderwertig verdammten und das Ratsregiment als beste aller Regierungsformen priesen, wie Zwingli dies ebenso wortgewaltig wie inkonsequent tat, blieben zumindest nördlich der Alpen die Ausnahme. Man hasste die Tyrannei, nicht das väterliche Regiment einer von Gott gesetzten Obrigkeit. Auch die städtischen Räte, deren Amt auf dem Prinzip der Identitätsrepräsentation fußte, forderten mit derselben Entschiedenheit den Gehorsam ihrer Bürger ein wie dies die fürstlichen Nachbarn taten. Im Reich der Mischverfassungen suchte man, so Maissen, entschiedene Republikaner vergeblich.

Der Wandel entsprang dem Chaos der französischen Religionskriege - als die Möglichkeit konsensualer Lösungen immer mehr zur Utopie gerann, konstruierte Bodin das Bild der vollkommenen Souveränität. Die sich hier formierende Idee eines pluralen Europas, zusammengesetzt aus unabhängigen Staaten, die einzig ihrem Interesse verpflichtet waren, gewann angesichts der militärischen und diplomatischen Erfolge Frankreichs an Anhängerschaft und zwang zur Neupositionierung. Dies, so Maissen, versuchten zumindest niederländische und französische Gesandte dem eidgenössischen Emissär Wettstein auf dem westfälischen Friedenskongress aus wohlerwogenen Eigeninteressen klar zu machen. Der war gekommen, um weitere Privilegien zu erhalten, und ging als Vertreter einer souveränen Macht. Die Daheimgebliebenen reagierten geehrt und irritiert zugleich. Der neue Status eröffnete, das begriffen die eidgenössischen Eliten rasch, Handlungsoptionen, aber zwang auch dazu, eine neue Sprache der Politik zu erlernen. Machte man Fehler - wie 1663 bei der Bundeserneuerung mit Frankreich - so wurde der stolze Anspruch zum diplomatischen Bumerang. Zur vorsichtigen Konsensbildung gezwungen, konnten erforderliche Anpassungsprozesse nur langsam vollzogen werden. Maissen zeichnet sie akribisch für jeden einzelnen der 13 Orte nach, wobei Zürich - schon aufgrund seines internationalen Renommees im 18. Jahrhundert - im Zentrum der Betrachtungen steht. Im Sinne der neuen Ideengeschichte (Skinner) untersucht er ein breites Quellenspektrum auf die Veränderung von Wortfeldern. Maissen geht es um die Veränderung der politischen Sprache und die oft unbeabsichtigten Folgen, die dies hatte. Sein Paradebeispiel ist die Übernahme des Begriffs Republic in die deutsche Sprache und dessen allmähliche Bedeutungsfixierung. Um ihn gruppierte sich bald ein ganzer Reigen neuer Schlagwörter, wie Neutralität oder Interesse. Aber auch ikonographische Innovationen sind festzustellen, wie etwa die weibliche Personifikation des einheitlichen, unteilbaren, ewigen, eidgenössischen Staates. All dies geschah nicht von selbst. Die Republic war - anders als dies von Teilen der Forschung noch immer angenommen wird - keine genuin eidgenössische Schöpfung. Man war auf internationalen Ideologietransfer insbesondere von Seiten der Niederländer angewiesen. Diese halfen mit Freuden, waren sie doch daran interessiert, die Schweiz zum Rückzug ihrer Infanteristen aus französischen Diensten zu bewegen. Zudem teilten sie mit diesen das Problem, als Vertreter einer Republic auf internationalem Parkett als nachrangig behandelt zu werden - der Aufruf, man möge sich gemeinsam gegen die Ansprüche der Monarchien wehren, wie nun in zunehmender Frequenz geäußert, entbehrte damit nicht eines gewissen Realitätsgehaltes. Zur Fremd- trat die republikanische Selbsterziehung. Im Rahmen des Collegium Insulanum und seiner Nachfolgevereinigungen trifft sich die künftige Zürcher Elite und debattierte u.a. über das Völkerrecht und das Wesen der Republic - die Techniken des Auslands wurden aufgenommen und an eidgenössische Rahmenbedingungen angepasst.

Derlei Anstrengungen tragen, wie der Autor aufzuzeigen vermag, auf diplomatischer Bühne bemerkenswerte Früchte: Die Reichspublizistik erkannte mehrheitlich die eidgenössische Souveränität an, im Zeremoniell erfolgte eine klare Aufwertung ihrer Vertreter und die zugewandten Orte wurden Schritt für Schritt als Teil des eidgenössischen Corpus anerkannt. Doch nicht nur nach außen, auch im Inneren blieb die Adaption der Souveränitätstheorie nicht folgenlos. Der souveräne Staat bedurfte einer einheitlichen Staatsgewalt. Doch wo sollte die liegen? Zwischen den Orten, aber auch ortsintern entbrannte über diese Frage eine heftige Kontroverse. Sollte der Bund gestärkt werden, wie Zürich dies wollte, oder die Kantone, wie dies vom Schwyzer Johann Michael Bühler bevorzugt wurde? Waren die Räte oder Landsgemeinden Träger der Souveränität? Jeder der Orte wusste eine andere Antwort auf diese Fragen zu geben. Gemeinsam war allen, dass sie gestellt wurden. So bildete die neue politische Sprache zwar kaum die alleinige Ursache für den einsetzenden Wandlungsprozess, die Verdichtung der Staatsgewalt, die Professionalisierung des Staatsdienstes, die sich abzeichnende Trennung zwischen Gesellschaft und Staat - sie gab den einsetzenden Entwicklungen jedoch eine gemeinsame Richtung und beschleunigte sie. Dabei zeichneten sich schon früh Nebeneffekte ab, die eine unvorhersehbare Eigendynamik entwickelten. Die neue Staatselite konnte sich als Lenkerin einer rationalen Staatsmaschine kaum auf Gottes Hand bei der Ratswahl berufen. Die Diener des ewigen Zürich waren auch nach eigenem Verständnis graue Herren, die ihr Amt einzig ihrer Tugend zu verdanken hatten. Selbstentsagung - dies predigte auch die Bildsprache des neuen Rathauses - war das Leitbild dieser Republik. Wenn aber Tugend zur Schlüsselqualifikation wird, lässt sich die Frage kaum vermeiden, warum sie auf Patriziersöhne beschränkt bleiben sollte. So stand die Eidgenossenschaft Mitte des 18. Jahrhunderts bereits wieder vor der nächsten Sackgasse. Neben der Heterogenität der Republik war es vor allem die so genannte politische Oligarchisierung, die den Zorn mancher Aufklärer - wie etwa Iselins - erweckten. Die neuen Symbole der Republic galten ihnen als Inbegriffe einer alten maroden Ordnung, die der Zerstörung, zumindest aber der Reform bedurfte. So kündigte sich bereits der nächste Umbruch in einer Republic an, die dank eines intensiven Adaptions- und Konstruktionsprozesses deutlich früher als die Stände des Reiches an die westeuropäischen Staats- und Naturrechtsdebatten herangeführt wurde.

Mit diesem Ausblick auf die Helvetik endet das Buch Maissens, dessen Blick auf die Konstruktion der souveränen Republic und deren Spätfolgen der Forschung neue Horizonte erschließt. Elegant geschrieben, quellennah und nüchtern argumentierend darf man dieser meisterlichen Arbeit rege Aufnahme wünschen.

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