T. Lindner (Hrsg.): Das Ende des Siebenjährigen Krieges

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Titel
Eberhard Kessel: Das Ende des Siebenjährigen Krieges 1760-1763. Teil 1: Torgau und Bunzelwitz, Teil 2: Schweidnitz und Freiberg


Herausgeber
Lindner, Thomas
Reihe
Die Kriege Friedrichs d. Großen
Erschienen
Paderborn 2007: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
1020 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marcus von Salisch, Militärgeschichtliches Forschungsamt Potsdam

Militärgeschichtliche Darstellungen zum 18. Jahrhundert haben Konjunktur. Im Zentrum moderner Betrachtungen stehen – zumindest im deutschsprachigen Raum – überwiegend interdisziplinäre Fragestellungen. Desertion, Garnisonsalltag, soziale Lebenswelten in Frieden und Krieg, Heeresergänzungsmodi, das Agieren von „Kleingruppen“ und die Frage nach der „Motivation“ des Soldaten sollen hier nur als Beispiele dienen. Die „Neue Militärgeschichte“ boomt, kein Zweifel. Erst kürzlich machte jedoch Sönke Neitzel darauf aufmerksam, dass vor dem Hintergrund der an sich begrüßenswerten stetigen Öffnung der Militärgeschichtsschreibung für andere (historische) Teildisziplinen der „klassische Kern“ militärhistorischer Forschung, nämlich der Einsatz von Streitkräften im Krieg, in Vergessenheit zu geraten droht. 1 Eng mit dieser Entwicklung verbunden ist auch das Defizit operationsgeschichtlicher Betrachtungen in der modernen deutschen Militärhistoriographie. Dies liegt nicht nur an einer weit verbreiteten Skepsis gegenüber der klassischen „Kriegsgeschichte“, sondern auch – nach Jutta Nowosadtko – in den „hohen Zugangsschwellen“ der Operationsgeschichte für zivile Historiker, beispielsweise der angeblich schwer verständlichen militärischen Fachsprache „hermetischen Charakters“. 2

Ein „Klassiker“ unter den mit so viel Vorsicht behandelten Werken der applikatorischen „Kriegsgeschichte“ ist die vom Großen Generalstab herausgegebene Reihe „Die Kriege Friedrichs des Großen“, deren dritte Abteilung sich mit dem Siebenjährigen Krieg befasst. Der bis in das Kriegsjahr 1760 reichende 13. Band dieser Reihe wurde 1914 publiziert, aber nicht mehr in Vollauflage gedruckt. Der Mainzer Historiker Eberhard Kessel (1907-1986) hatte sich daher in den 1930er-Jahren das Ziel gesetzt, das „Generalstabswerk“ zu komplettieren. Waren die äußerst umfangreichen Arbeiten an den von ihm konzipierten zwei Bänden bis 1945 weitgehend abgeschlossen, vernichteten die Brände infolge alliierter Bombenangriffe auf Potsdam und Berlin im April 1945 nicht nur die Archivalien, auf denen Kessels Studien gründeten, sondern auch seine Manuskripte – so glaubte zumindest der Autor. Anfang der 1990er-Jahre wurden jedoch Kessels Arbeiten unter verloren geglaubten Beständen des Potsdamer Heeresarchivs, die 1945 als „Beutegut“ in die Sowjetunion abtransportiert und zwischenzeitlich an die DDR zurückgegeben worden waren, im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg wieder entdeckt. Thomas Lindner hat als profilierter Kenner der friderizianischen Kriegskunst im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes Potsdam die Manuskripte Kessels aufbereitet und um einen umfangreichen Kartenteil erweitert. Erscheint es bereits ungewöhnlich, etwa sechzig Jahre alte Forschungsergebnisse zu publizieren, so erhöhen die ungewöhnliche Geschichte des Buches und der augenfällige operationsgeschichtliche Ansatz die Spannung auf das umfangreiche Werk noch mehr.

Bereits ein Blick in das Inhaltsverzeichnis verrät, dass die Studie hinsichtlich ihres Aufbaus in der Tradition des so genannte „Generalstabswerkes“ steht. Dass die Darstellung etwas abrupt mit den Operationen vor der Schlacht bei Torgau einsetzt, zeigt zudem, dass Kessel sein Werk gewissermaßen als nahtlose Anknüpfung an die „Kriege Friedrichs des Großen“ verstanden hat. Dem an einer ganzheitlichen Darstellung des Kriegsgeschehens des Jahres 1760 interessierten Leser sei daher für den Zeitraum Januar bis Oktober 1760 das „vorbereitende“ Studium weiterer Literatur empfohlen. Beginnend mit dem Manövrieren beider Kriegsparteien in Sachsen Ende Oktober 1760 rekonstruiert Kessel das Kriegsgeschehen bis zum Frieden von Hubertusburg chronologisch-stringent, äußerst detailliert und umfassend. Im Teilband 1 (Torgau und Bunzelwitz) thematisiert er unter anderem mit Torgau eine bislang durchaus kontrovers beurteilte Schlacht. Waren bisher die Vorgänge – so Johannes Kunisch – „kaum noch zu rekonstruieren“ 3, so ermöglicht Kessel nun sehr ausführliche Einblicke in das Kampfgeschehen. So wie er die preußische Hauptarmee auf dem sächsisch-schlesischen Schauplatz des Siebenjährigen Krieges dann bis in die Winterquartiere hinein begleitet, widmet sich Kessel auch den Ereignissen in Pommern sowie den Operationen gegen die französische Armee im Westen des Reiches, also bis heute eher weniger berücksichtigten Kapiteln dieses Krieges. Obgleich deutlich wird, dass die Winterzeiten keineswegs ohne Operationen vergingen, nutzt Kessel die jeweiligen Jahreswechsel gleichsam zu einer Bilanz der Ereignisse und stellt die Rüstungsbemühungen und Feldzugspläne aller maßgeblichen Mächte ausführlich vor. Dem gleichen Muster folgt der Teilband 2, der mit der Belagerung von Schweidnitz sowie den Schlachten bei Burkersdorf und Freiberg wesentliche Ereignisse des Kriegsjahres 1762 berührt. Eine ausführliche Abhandlung der Friedensschlüsse von Paris und Hubertusburg rundet schließlich Kessels Werk ab. Ergänzt werden die Darstellungen durch umfangreiche Anhänge beispielsweise zum Zustand einzelner Korps, der jeweiligen Stärke und Verteilung der Truppen, Kontributionen, Angriffsplänen sowie zu den Quellen über einzelne Schlachten und Feldzüge. Insgesamt liegt der Schwerpunkt etwas mehr bei den Ereignissen der preußischen Armee(n), die Gegner Friedrichs II. werden dennoch keineswegs vernachlässigt. So findet beispielsweise selbst das in französischen Diensten kämpfende kursächsische Auxiliarkorps des Prinzen Xaver Berücksichtigung. Besonders hervorzuheben sind die zahlreichen Verweise auf den umfangreichen Kartenteil. Zehn Beilagen (Übersichten zur den Gliederungen der Heere) und 31 präzise Karten visualisieren das Geschehen auf allen thematisierten Kriegsschauplätzen hervorragend. Der Aufwand des Herausgebers bei der Überarbeitung dieses auf Vorarbeiten des Großen Generalstabes basierenden Kartenmaterials ist allenfalls zu erahnen. Da für die deutsche Historiographie ein eher zurückhaltender Umgang mit Karten zu verzeichnen ist, kann ein derart opulenter kartographischer Beitrag nur begrüßt werden. Es bleibt zu hoffen, dass er dazu beiträgt, die Berührungsängste der modernen deutschen Militärgeschichte mit dem Faktor „Raum“ in seiner essentialistischen Bedeutung, mit dem „Gelände“ als Ort des Gefechts, der intensivsten Interaktion von Streitkräften, abzubauen.

Insgesamt kann die Herausgabe von Eberhard Kessels Werk durch Thomas Lindner nicht hoch genug eingeschätzt werden. Für Interessenten des Siebenjährigen Krieges bietet sich mehr als eine überaus qualifizierte Fortsetzung des „Generalstabswerkes“, welches zumindest für die militärischen Operationen bis heute ohnehin unverzichtbar erscheint. Nicht nur die Operationsführung selbst, sondern auch ihre politischen Rahmenbedingungen und sonstigen Begleiterscheinungen, wie etwa Heeresersatz und Versorgung, werden thematisiert. Sprachlich klar und im Detail präzise zeigen Lindner und Kessel, dass Operationsgeschichte verständlich und fesselnd aufbereitet werden kann und führen damit Berührungsängste mit dieser Disziplin ad absurdum. Ein außergewöhnliches Buch mit einer bemerkenswerten eigenen Geschichte, welches zur Meßlatte künftiger operationsgeschichtlicher Untersuchungen werden könnte.

Anmerkungen:
1 Neitzel, Sönke, Militärgeschichte ohne Krieg? Eine Standortbestimmung der deutschen Militärgeschichtsschreibung über das Zeitalter der Weltkriege, in: HZ 44 (2007), S. 287-308.
2 Nowosadtko, Jutta, Krieg, Gewalt und Ordnung. Einführung in die Militärgeschichte, Tübingen 2002, S. 140.
3 Kunisch, Johannes, Friedrich der Große. Der König und seine Zeit, München 2004, S. 422.

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