M. Schwengelbeck: Huldigungsfeiern

Titel
Die Politik des Zeremoniells. Huldigungsfeiern im langen 19. Jahrhundert


Autor(en)
Schwengelbeck, Matthias
Erschienen
Frankfurt am Main 2007: Campus Verlag
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Köhler, Leibniz-Projekt für Vormoderne Verfahren, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Im Rahmen einer erneuerten Politikgeschichte haben Historiker sich zuletzt intensiv der Erforschung symbolischen Handelns als zentralem Teil des politischen Feldes zugewandt. Besonders für die Frühe Neuzeit wurde dabei der konstitutive Charakter zeremonieller Akte für die politische und soziale Ordnung herausgearbeitet. Mittlerweile hat sich auch eine Reihe von Studien mit Entwicklung und Funktionswandel des Zeremoniells im „langen 19. Jahrhundert“ befasst, zuletzt allerdings in kritischer Abgrenzung von der bisherigen Forschung diejenige von Hubertus Büschel.1 Im Zusammenhang mit diesen Forschungen steht auch die Studie von Matthias Schwengelbeck: Sie nimmt mit der Huldigung das vielleicht einschlägigste Beispiel dafür in den Blick, wie in der Vormoderne die Ordnung des Gemeinwesens performativ hervorgebracht wurde und verfolgt ihre Entwicklung und die der an ihre Stelle tretenden Formen des Inthronisationszeremoniells.2 Ausgehend von der Konzeption des Bielefelder SFB „Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte“ begreift Schwengelbeck zeremonielle Akte des Herrschaftsantritts „ als politische Räume, [in denen] in symbolischer Form Botschaften übermittelt werden, die sich auf die Struktur politischer Ordnung bezogen.“ Er will untersuchen, wie dort Sinn ausgehandelt und sichtbar gemacht wurde und fragt damit auch nach dem Charakter von Monarchie und Nation im 19. Jahrhundert.

Schwengelbecks Quellen entstammen größtenteils aus der Organisation und Planung der Akte – nicht nur von offizieller Seite – und der Berichterstattung der Presse. Anders als in der Studie von Büschel spielen Ego-Dokumente keine zentrale Rolle. Aber auch Schwengelbecks Quellen erlauben Rückschlüsse auf die Bedeutung der Akte für die Beteiligten, sie zeigen auch die Grenzen Inszenierungs- und Deutungshoheit von Eliten auf, die sich in Konflikten über Ausführung und Interpretation der Akte manifestieren. Regional erstreckt sich die Untersuchung auf Preußen, Württemberg, Baden und das Fürstentum Lippe, um das Phänomen des Inthronisationszeremoniells unter unterschiedlichen Bedingungen beleuchten zu können.

Die Arbeit ist chronologisch strukturiert, aber von systematischen Fragestellungen geleitet. Schwengelbeck untersucht die Akte in Hinblick auf ihr Verhältnis zur Verfassung und zum Wandel der Öffentlichkeit, auf das Verhältnis von Monarchie, Verfassung und Nation und auf die zur Aufführung gebrachten Gesellschaftsbilder. Es gelingt ihm dabei, die Bedeutung des Konstitutionalismus als zentrales Moment für die Wandlung des Huldigungszeremoniells herauszuarbeiten, das die „Verfassung in actu“ (Holenstein) überflüssig und schließlich anstößig machte. So wurde bis ins 19. Jahrhundert hinein die Huldigung sowohl von Monarchen wie von Ständen und Untertanen für unabdingbar betrachtet und die Gewährung von Privilegien an Stände blieb selbst im „modernen“ Preußen Teil des Vorgangs. Der württembergische Monarch, den die ständisch-konservative Opposition gezwungen hatte, eine Huldigungsklausel in die Verfassung einzubauen, konnte dagegen auf deren Ausführung verzichten, mit dem Argument, die Huldigung sei rein fakultativ – die Herrschaftsbeziehungen seien in der Verfassung hinreichend geklärt.

Allerdings erscheint Schwengelbecks Kritik an der älteren Forschung die schon lange vor 1800 einen Wandel von der gegenseitig verpflichtenden „Verfassung in actu“ zum einseitigen „Zeremoniell der Potentaten“ ansetzte, zuweilen einseitig. Das zeigt sich etwa, wenn Schwengelbeck die individuelle strafrechtliche Verfolgung von Eidverweigerern (richtigerweise) als Beweis für die fortgesetzte Bedeutung der Huldigung für die badische Regierung zitiert – obwohl sie gleichzeitig die von Holenstein vertretene Auffassung bezeugt, die Huldigung sei von den herrschenden Eliten nur noch als einseitiger und einklagbarer Verpflichtungsakt der Untertanen begriffen worden (S. 94f.).3

Klassische Huldigungen verschwanden jedenfalls mit der Einführung von Verfassungen und wurden zunehmend nicht nur als überflüssig, sondern als untragbar empfunden (so zu Anlass der Krönung Wilhelms I. 1861). Zeremonien und Eide beim Herrschaftsantritt von Monarchen wurden allerdings weiterhin durchgeführt und dienten nun als legitimatorische Akte, stellten aber gleichzeitig Positionen im Konflikt um Monarch und Verfassung, monarchisches und parlamentarisches Prinzip dar, die im Akt und seiner anschließenden Interpretation ins Verhältnis gesetzt werden mussten. Während also die Rechtsverbindlichkeit der Akte ein Ende fand, funktionierten sie als Symbolisierung gesellschaftlicher Selbstdeutungen weiter. Im Anschluss an die bürgerliche Wertschätzung emotionaler Bindungen sollte besonders um 1800 ein emotionales Nahverhältnis zwischen Monarch und Untertanen inszeniert werden – ein Verhältnis, das durch die Möglichkeit des „Liebesentzugs“ auch kritisches Potential enthielt. Trotz Ansätzen zur Nationalisierung der Monarchie tauchte die Thematisierung der „monarchischen Nation“ (Hanisch) erst im Kaiserreich auf der Tagesordnung des Inthronisationszeremoniells auf, was dann zu Schwierigkeiten im Umgang mit habsburgischen Traditionen des Inthronisationszeremoniells führte.

Für einen grundlegenden Wandel der Akte sorgte unterdessen die zunehmende Presseberichterstattung. Die Presse war zunächst gezielt von den Obrigkeiten genutzt worden, um die Begrenzung der Huldigungsakte auf okkasionelle Teilöffentlichkeiten zu überwinden. Spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts machte sie allerdings die Existenz konfligierender Interpretationen des politisierten Zeremoniells offenbar. Die Amtseinführung des Reichsverwesers 1848 etwa konnte völlig gegensätzliche, nun aber um allgemeine Anerkennung konkurrierende Deutungen zeitigen. Die diskursive und unter Umständen oppositionelle Verarbeitung des Zeremoniells – schon im Vorhinein – beeinflusste wiederum die Planung und Ausführung der Akte und trug dazu bei, dass 1861 in Preußen keine Huldigung mehr stattfand, sondern eine Krönung in der Tradition von 1701 durchgeführt wurde. Unter Wilhelm II. wurde schließlich der gesamte Charakter der Inthronisationsfeierlichkeiten an ihre massenmediale Verbreitung angepasst. Die Teilnehmer des Aktes konnten auf Amtsträger reduziert werden, Reden traten in den Mittelpunkt. Mit der Anpassung an die diskursive Logik der Presse war jedoch die Produktion von Dissens statt der Inszenierung von Konsens beinahe zwangsläufiges Ergebnis.

Ob allerdings der beschriebene Wandel weiterhin als „Entauratisierung“ des Zeremoniells gefasst werden sollte, erscheint doch zumindest zweifelhaft. Der mit dieser Wortwahl zusammenhängende Topos der Überwältigung der Untertanen durch Pracht ist eng mit der von Schwengelbeck zu Recht abgelehnten Perspektive auf das Zeremoniell als Disziplinierungsinstrument verbunden, und religiöse Motive verbanden sich eher mit dem Eid, der für Schwengelbeck nicht der alleinige Kern der Akte ist. 4

In Bezug auf die Gesellschaftsbilder zeigt Schwengelbeck, dass das Huldigungszeremoniell zu Beginn des Untersuchungszeitraums noch klar in der ständischen Gesellschaft kontextualisiert war. Die Untertanen nahmen zunächst noch ständisch differenziert an den Akten teil, während die Orientierung der Inszenierung an ständischen Unterschieden im Übergang zum 19. Jahrhundert zurückging. Insbesondere im von den Städten organisierten Teil des Huldigungszeremoniells wurden Freiräume zur Inszenierung bürgerlicher Gleichheit genutzt. Gerade diese Teile des Zeremoniells verloren im letzten Drittel des 19. Jahrhundert an Bedeutung. Die Inthronisationsfeierlichkeiten des Kaiserreichs fanden ohne unmittelbare Anwesenheit der Bürger statt, die durch das Parlament als Institution vertreten wurden.

Nicht zuletzt der Aspekt des Verschwindens der Bürger aus der Inszenierung zu Gunsten ihrer politischen Repräsentanten legt die Frage nahe, ob die Arbeit nicht profitiert hätte, wenn man die Entwicklung unter dem Aspekt der Ausdifferenzierung des politischen Systems beleuchtet hätte. Dennoch bleibt insgesamt ein ausgesprochen positives Fazit. Die Arbeit profitiert gerade vom Blick über enge Epochengrenzen. Sie zeichnet sich durch eine stringente und problemorientierte Argumentation aus und ist flüssig erzählt. Schwengelbeck stellt die einzelnen Akte in eine systematische und tragfähige Entwicklungsperspektive. Er räumt aber auch zahlreichen Ungleichzeitigkeiten und gegenläufigen Entwicklungen gebührenden Raum ein, die hier aus Platzgründen unerwähnt bleiben, und berücksichtigt Brüche der Inszenierungen und Deutungskonflikte. Er verzichtet auf ein Übermaß an Theorie, was sich allerdings keineswegs im mangelnden Reflexionsgrad und Gehalt der Arbeit niederschlägt, bei der es sich insgesamt um einen aufschlussreichen Beitrag zur Geschichte des politischen Zeichengebrauchs und der Monarchie im „langen 19. Jahrhundert“ handelt.

Anmerkungen:
1 Paulmann, Johannes, Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg, Paderborn 2000; Andres, Jan, "Auf Poesie ist die Sicherheit der Throne gegründet". Huldigungsrituale und Gelegenheitslyrik im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main u.a., 2005; Büschel, Hubertus, Untertanenliebe. Der Kult um deutsche Monarchen 1770-1830, Göttingen 2006. Während das Buch von Andres im unmittelbaren Zusammenhang mit dem von Schwengelbeck entstand, kommt Büschel zu einer weitgehenden Kritik aller bisherigen Forschungen zum Zeremoniell, indem er eine Dichotomie zwischen Rezeptionsanalyse auf Basis von Ego-Dokumenten und der längst widerlegten These der Disziplinierungsfunktion des Zeremoniells aufbaut. Für Schwengelbecks Arbeit, nur soviel ist hier festzustellen, trägt diese Zuspitzung nicht. Wenn Kulturgeschichte nach dem Aushandeln von Bedeutungen fragt, kann sie sich nicht nur auf das kaprizieren, was in den Köpfen der Beteiligten vor sich geht und blickt zurecht auf Kommunikation öffentlichen Räumen.
2 Grundlegend zur Huldigung Holenstein, André, Die Huldigung der Untertanen. Rechtskultur und Herrschaftsordnung 800-1800, Stuttgart u.a.1991.
3 Holenstein differenziert seine Thesen zum Verschwinden des Zeremoniells etwa ebd., S. 481f., 486; vgl. dagegen die abweichende Interpretation desselben Zitats durch Schwengelbeck, S. 52.
4 Zum Gebrauch zeremonieller Zeichen in der Frühen Neuzeit und den Umbrüchen an der Epochenschwelle um 1800 vgl. zuletzt Füssel, Marian, Gelehrtenkultur als symbolische Praxis. Rang, Ritual und Konflikt an der Universität der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006; Krischer, André, Reichsstädte in der Fürstengesellschaft. Politischer Zeichengebrauch in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006; Weller, Thomas, Theatrum Praecedentiae. Zeremonieller Rang und gesellschaftliche Ordnung in der frühneuzeitlichen Stadt. Leipzig 1500-1800, Darmstadt 2006.