A. Malz u.a. (Hrsg.): Sport zwischen Ost und West

Malz, Arie; Rohdewald, Stefan; Wiederkehr, Stefan (Hrsg.): Sport zwischen Ost und West. Beiträge zur Sportgeschichte Osteuropas im 19. und 20. Jahrhundert. Osnabrück 2007 : fibre Verlag, ISBN 978-3-938400-15-9 377 S. € 35,00

Braun, Jutta; Teichler, Hans Joachim (Hrsg.): Sportstadt Berlin im Kalten Krieg. Prestigekämpfe und Systemwettstreit. Berlin 2006 : Christoph Links Verlag, ISBN 3-86153-399-5 400 S. € 29,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lu Seegers, Historisches Institut/SFB 434 Erinnerungskulturen, Justus-Liebig-Universität Gießen

Der Sport nimmt als Massenphänomen und Medienereignis - insbesondere bei Fußballweltmeisterschaften und Olympischen Spielen - einen festen Platz in der Alltagskultur ein. In jüngster Zeit hat er zunehmend auch in der Kultur- und Geschichtswissenschaft an Bedeutung gewonnen. Die Sportgeschichte in Osteuropa blieb jedoch bislang ebenso unterbelichtet wie das Verhältnis von Sport und Stadt. Die beiden Sammelbände versuchen diese Forschungslücken zu füllen.

Der interdisziplinär angelegte Sammelband von Malz, Rohdewald und Wiederkehr geht auf eine Tagung des Forums Ostmittel- und Südosteuropa (FOSE) aus dem Jahr 2005 zurück und will einen Ansatz bieten zu einer kulturwissenschaftlichen Betrachtung des Sports in Osteuropa. Sport wurde dort bislang vor allem im Kontext des Kalten Krieges untersucht, wobei die Sowjetunion zumeist im Mittelpunkt stand, während der Forschungsstand zu anderen osteuropäischen Ländern sehr unterschiedlich ausfällt. Eine intensivere Bearbeitung des Feldes sei dringlich, da der Sport in allen Ländern Bestandteil des ideologischen Konzepts war und schon früh als Katalysator für den Aufbau der kommunistischen Gesellschaften instrumentalisiert wurde. Den Herausgebern geht es dabei darum, dem Sport als autonomem Kulturelement einen "Eigensinn" zuzuweisen; als "leerer Signifikant" sei er zudem gesellschaftlich und politisch aufladbar, wobei auch und gerade die Medien eine besondere Rolle spielen (S. 15f.). Der Einleitung sind eine Auflistung der Überblicksdarstellungen zur Sportgeschichte Osteuropas sowie weiterführende Links angehängt, die auch für die Lehre verwendbar sind. Der Band ist in die Bereiche "Sport und Politik in internationalen Netzwerken", "Nation, Identität und Sport" und "Sport, Körper und Geschlecht" unterteilt und bietet eine eindrucksvolle Bandbreite an Themen und Sportarten, so dass hier nicht alle Aufsätze besprochen werden können.

Im ersten Teil "Sport und Politik in internationalen Netzwerken" zeigt André Gounot die Versuche der sowjetischen Führung auf, über die "Rote Sportinternationale" die internationale Arbeitersportbewegung unter Kontrolle zu bringen. Im Mittelpunkt steht die Rekonstruierung der Planungen zur Weltspartakiade 1934. Der Beitrag zeigt die organisatorischen Schwächen und Selbstüberschätzungen der sowjetischen Sportpolitik auf: So sollte Moskau in nur anderthalb Jahren Bauzeit sämtliche Metropolen des westlichen Auslands auf dem Gebiet der zentralen Sportanlagen übertrumpfen und die Überlegenheit der sozialistischen Planwirtschaft belegen - ein Projekt, das zum Scheitern verurteilt war. Die Weltspartakiade verschwand 1935 erst einmal von der Bildfläche.

In einem spannenden Beitrag analysiert Markku Jokisipilä, wie das Eishockeyspiel durch seine Kriegsmetaphorik und sein Gewaltpotential zum Schauplatz des symbolischen Kampfes zwischen Ost und West im Kalten Krieg wurde. In der Fremd- aber auch in der Selbstwahrnehmung wurden insbesondere die sowjetischen Spieler als Krieger gezeichnet. Hinzu kam, dass das Eishockey die einzige international erfolgreiche Mannschaftssportart der Sowjetunion war und die Eishockeymannschaft mit dem Nimbus der Unbesiegbarkeit auftrat. Umso stärker gingen unerwartete Niederlagen in das kommunikative Gedächtnis ein, wie Jokisipilä an den politisch aufgeladenen Niederlagen gegen die CSSR nach dem Prager Frühling bei der WM 1969 in Schweden sowie im so genannten "Miracle on Ice" gegen die USA 1980 in Lake Placid zeigt.

Einen Höhepunkt des Bandes stellt der Beitrag von Jörg Ganzenmüller dar. Er arbeitet anhand der Eishockeyspiele Sowjetunion - CSSR in den Jahren 1967 bis 1969 dezidiert den "Eigensinn" des Sports und - im Zusammenspiel mit den Stadionzuschauern und den Medien - seine Auswirkungen auf die Politik heraus. Damit wird deutlich, dass und wie der moderne Sport als Publikumsspektakel eine eigenständige Massenkommunikation und Öffentlichkeit generiert, die politischen Protest entfachen kann. So habe das Eishockey in der CSSR ein Vehikel für antikommunistische und antinationale Ressentiments bereits seit den 1950er-Jahren dargestellt. Insbesondere bei der WM 1969 kam es bei den Spielen zwischen der CSSR und der UdSSR - wie der Autor vielschichtig aufzeigt - zu einem nicht mehr kontrollierbaren Zusammenspiel zwischen Zuschauern und Spielgeschehen, das durch die Massenmedien nach außen getragen wurde. Ganzenmüller geht davon aus, dass die Sportarena aus methodisch-historischer Sicht als aussagekräftiges Barometer für die öffentliche Stimmung dienen kann, die ansonsten in gelenkten Einparteienöffentlichkeiten kaum greifbar sind. Hier nimmt Ganzenmüller - wenn auch implizit - neue Erkenntnisse einer kulturgeschichtlich angelegten Stadtgeschichtsforschung auf, die die Eigendynamik von Partizipationsöffentlichkeiten bei Stadtfesten auch und gerade in Diktaturen betonen.

Dass der Sport - jenseits der ideellen Motive - auch im Bereich des Kulturtransfers unberechenbar war, weil er lebensweltliche Kontakte auf internationaler Ebene ermöglichte, betont Barbara Keys in ihrem Beitrag über die sowjetischen Sportler bei den Olympischen Spielen 1956 in Melbourne. Sie geht von der weit reichenden, aber durchaus nachvollziehbaren These aus, dass der informelle Kulturaustausch zwischen Ost und West bei Olympischen Spielen die Identifikation mit der Sowjetunion für die Athleten ansatzweise unterhöhlt habe. Keys illustriert dies z.B. an der Affäre um Nina Ponomareva, einer Diskuswerferin, die im August 1956 an einem britisch-sowjetischen Wettkampf in London teilnahm und dort bei ihrer ersten Einkaufstour an westlichen Konsumgütern derart Gefallen fand, dass sie in einem Geschäft einige Hüte entwendete, wobei sie festgenommen wurde. Keys untersucht weiterhin das Olympische Dorf in Melbourne als Zentrum für systemübergreifende zwischenmenschliche Kontakte, die sogar in Eheschließungen zwischen amerikanischen Sportlern und Athletinnen des Ostblocks enden konnten.

Der Germanist und Slawist Andreas Nievergelt widmet sich der "Schachographie in Russland und der Sowjetunion - ein sportliches Randgebiet im Dienste der Geschichtsdarstellung und Bildpropaganda". Bei der Schachographie handelt es sich um die Verbildlichung von Schachproblemen in Zeitungen und Zeitschriften, und Nievergelt kann aufzeigen, wie die Zeichnungen auf der Symbolebene mit propagandistischen Darstellungen aufgeladen wurden. Man fragt sich jedoch, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, zunächst die politisch-ideologische Konnotationen des in der Sowjetunion besonders populären und prestigereichen Partieschachs zu untersuchen, zumal der Autor der Schachographie bereits im Titel nur eine periphere Bedeutung in der Öffentlichkeit zuschreibt.

Während in dem ersten Teil des Bandes vor allem die Sowjetunion im Mittelpunkt der Betrachtungen stand, werden im zweiten Abschnitt Beispiele von nation building in Rumänien, Jugoslawien und Bulgarien im ausgehenden 19. und 20. Jahrhundert untersucht. Herauszuheben ist der Aufsatz von Petâr Petrov, der sich aus volkskundlicher und soziologischer Perspektive den populären Ringkampfsport in Bulgarien in den Jahrzehnten vor und nach 1989 nähert. Bei dem Sport waren die Ringer traditionell mit Öl eingeschmiert, doch bereits kurz nach ihrer Machtetablierung bemühte sich die Bulgarische Kommunistische Partei ab 1944 im Einklang mit den neuen sportlichen Institutionen die Veranstaltungen zu kontrollieren und zu disziplinieren. So durften die Ringkämpfe zwar beibehalten werden, allerdings ohne die Einölung der Körper, die als primitiv galt, weil sie nicht den Forderungen nach sportlicher Körperhygiene und Reinheit der Nationalkultur zu entsprechen schien. Die Initiativen waren erfolgreich - in den 1950er-Jahren wandelte sich das Ölringen zum trockenen "Volksringen" und diente der Propagierung der Ziele von Partei und Regierung vor großem Publikum. Ab 1990 avancierte der Ringkampf dann zur Inszenierung des Konkurrenzverhältnisses der verschiedenen neuen Parteien mit einem überaus aktiven, weil kommentierenden, jubelnden oder missbilligenden Publikum. Einmal mehr verweist Petrov hier auf eine neue Perspektive der Sportgeschichte, nämlich die Auswirkungen des Sports auf die Politik, wenn sich Politiker den kulturellen Praktiken breiter Bevölkerungsschichten annähern, um kommunikative Erfolge zu erzielen.

Der Beitrag von Uta Andrea Balbier zeichnet auf diskursiver wie auf struktureller Ebene die selektive Übernahme von Elementen der DDR-Sportpolitik in der Bundesrepublik im Vorfeld der Olympischen Spiele 1972 vielschichtig nach, wäre allerdings im ersten Teil des Bandes besser aufgehoben gewesen.

Im dritten und letzten Teil des Buches stehen körper- und geschlechtergeschichtliche Perspektiven im Mittelpunkt. Genannt sei hier der Beitrag von Stefan Wiederkehr über die Geschlechtertest-Affäre des Jahres 1967 um die polnische Sprinterin Ewa Klobukowska. Nach jahrelangen Verdächtigungen im Westen, dass die sportlichen Erfolge des Ostblocks das Ergebnis von Betrug seien, begannen die internationalen Sportverbände ab Mitte der 1960er-Jahre Geschlechtertests durchzuführen. Eines der ersten Opfer war die genannte Sprinterin Ewa Klobukowska. Während die Affäre in den Medien der Schweiz, vor allem aber in Deutschland, auch von der seriösen Presse skandalisiert und sensationsheischend aufgemacht wurde, schwieg sich die polnische Presse zu den Geschlechtertests aus und entfachte indessen einen Ersatzdiskurs, in dem Dopingvergehen von Sportlern aus kapitalistischen Ländern angegriffen wurden. Insgesamt war das Verständnis für das Phänomen der Intersexualität im Allgemeinen und für Ewa Klobukowska als Betroffene im Speziellen in den drei Ländern sehr begrenzt. Es wäre sicherlich eine Bereicherung für den interessanten Beitrag gewesen, wenn Wiederkehr noch die visuelle Präsentation der Sportlerin in den westlichen und östlichen Medien untersucht hätte.

Eva Maurer zeigt, wie sich die sowjetischen Alpinisten in der Stalinzeit einen Zwischenraum begrenzter Autonomie zwischen individueller Selbstverwirklichung und parteistaatlicher Kontrolle schaffen konnten. Ebenso wie der Alpinismus der Inszenierung des sozialistischen Menschen im Kampf gegen eine unwirtliche Natur diente, ergaben sich aber aus dem "Eigensinn" des Sportes selbst - seiner Naturnähe und geographischen Abseitigkeit - neue Möglichkeiten zu einer privaten Freizeitgestaltung.

Maurers Aufsatz ebenso wie die von Malte Rolf, Stefan Wiederkehr und Nikolas Katzer beziehen sich wieder auf sowjetische Beispiele. Malte Rolf analysiert die sowjetischen Sportparaden der 1930er-Jahre als imperiale Selbstbeschreibungen des Regimes und als Kommunikationsmittel, um Identifikationsangebote des Kommunismus auch in die peripheren Räume der Sowjetunion zu tragen. Stefan Rohdewald untersucht das Verständnis von Körperkultur und Sport in universitären Lehrmitteln für Sportwissenschaftler in der Sowjetunion zwischen 1956 und 1975. Dem Sport wurde darin keinerlei Autonomie zugestanden, sondern er wurde gemäß des gesetzmäßigen gesellschaftlichen Fortschritts beschrieben - ein nicht allzu überraschendes Ergebnis.

Insgesamt liefert der Sammelband von Malz, Rohdewald und Wiederkehr zu einer osteuropäischen Kulturgeschichte des Sports ebenso neue wie interessante Anhaltspunkte und Ideen - allerdings bleibt auch er in Teilen der Sowjetunion verhaftet.

Von vornherein auf einen Ort bezogen ist der von Jutta Braun und Hans-Joachim Teichler von der Universität Potsdam herausgegebene Sammelband "Sportstadt Berlin": Ziel der Autoren ist es, die bisher vernachlässigte Perspektive des städtischen Raums am Beispiel von Berlin während des Kalten Krieges in den Blick zu nehmen. Berlin bietet sich besonders an, weil die Stadt das geographische und politische Zentrum der Systemkonkurrenz markierte und beide Seiten das Erbe und Etikett der Sportstadt gleichermaßen für sich zu vereinnahmen suchten.
Hans Joachim Teichler beleuchtet die wenig erforschte Geburtsphase des Sports Ende der 1940er- und Anfang der 1950er-Jahre auf Seiten der SBZ und der DDR, wobei er allerdings zumindest stellenweise in einer sportbezogenen Organisationsgeschichte verhaftet bleibt. Ost-Berlin wurde in den 1950er-Jahren nicht nur zur die Hauptstadt der DDR auch im Sport, von hier aus gingen auch die Agitationsversuche in den Westen aus.

Auf dieser Grundlage analysiert Kristin Rybicki die "Westarbeit" des Deutschen Sportausschusses. In deren Zentrum stand die schillernde Sportlerpersönlichkeit Manfred von Brauchitsch, der als erfolgreicher Rennfahrer der 1930er-Jahre und späterer DDR-Funktionär in Ost- wie in Westdeutschland für Furore sorgte. Über die Rolle von Manfred von Brauchitsch als Identifikationsfigur auch und gerade in Berlin hätte man aber gern noch mehr gewusst.

Erik Eggers beschreibt die Neuanfänge des Sportjournalismus nach 1945 in der geteilten Stadt und kann dazu auch Zeitzeugeninterviews auswerten. Eggers zeichnet das Bild einer deutlichen Symmetrie, die sich in erster Linie aus den unterschiedlichen Sichtweisen auf Berlin, nämlich als "Inselstadt" aus westdeutscher Perspektive und als "Hauptstadt der DDR" aus ostdeutscher Perspektive sowie aus der unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Wertschätzung des Sports ergab. Nach 1945 konnten vor allen Dingen linientreue, junge Sportjournalisten in Berlin reüssieren, weil prominente und belastete Journalisten keinen Platz finden konnten. Nach dem Mauerbau rissen die Kontakte zwischen Sportjournalisten in Ost und West nahezu vollständig ab. Einzig bei internationalen Veranstaltungen wie Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften boten sich Gelegenheiten für offene Gespräche. Gut arbeitet Eggers ein gewandeltes Selbstbewusstsein der Ost-Berliner Sportreporter in den 1980er-Jahren heraus. So habe sich die Berliner Redaktion des "Sportechos" offenkundige Eingriffe in die Redaktionsarbeit nicht mehr gefallen lassen.

Dass der Sportenthusiasmus zu überraschenden Annäherungen in Ost- und Westberlin führte, rekonstruiert René Wiese in zwei Beiträgen über den West Berliner Traditionsverein Hertha BSC und seiner Fankultur in Ost- und Westberlin. So unterstützte der Verein beispielsweise Fan-Treffen in Ostberlin. In den ersten Jahren nach dem Mauerbau versammelten sich Ost-Berliner Hertha-Fans auf den Straßen, weil sie dort die Spiele ihres Lieblingsvereins im nahe gelegenen Stadion wenigstens akustisch verfolgen konnten. Wiese zeigt anhand von Zeitzeugeninterviews, BStU-Unterlagen und Fankorrespondenzen aus dem Vereinsarchiv von Hertha BSC, wie ertragreich die Rekonstruktion der vielschichtigen sozialen Praxen der Fußballfans ist. Sie erweist sich nicht zuletzt als wirksame Sonde, um den mental maps der Menschen abseits des offiziellen Sportverkehrs nachzuspüren.

Die Beiträge von Ronald Huster über die konkurrierenden Radrennen in Ost- und Westberlin sowie von Lorenz Völker über den Handball bestätigen noch einmal die Bilder der sportlichen Insellage Westberlins und der Hauptstadt des Sports Ostberlin.

Während der Sammelband von Arié Malz, Stefan Rohdewald und Stefan Wiederkehr kulturgeschichtlich angelegt ist, folgt der Band von Braun und Teichler eher der konventionellen gleichwohl mit neueren Ansätzen der Stadtgeschichte angereicherten Sportgeschichtsschreibung. Beide Bände sind vor allem da stark, wo der "Eigensinn" des Sports, seine Aneignungspotenziale durch die Fans und Zuschauer und die daraus resultierenden Rückwirkungen auf die Politik herausgearbeitet werden.

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