P. Jacoby: Kollektivierung der Phantasie?

Cover
Titel
Kollektivierung der Phantasie?. Künstlergruppen in der DDR zwischen Vereinnahmung und Erfindungsgabe


Autor(en)
Jacoby, Petra
Anzahl Seiten
276 S.
Preis
€ 27,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jeannette van Laak, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

In ihrer Dissertation beschreibt Petra Jacoby die Entstehung und Entwicklung von Künstlergruppen der SBZ/DDR. In einem Prolog, einer Einleitung und vier anschließenden Kapiteln untersucht die Autorin folgende Aspekte: 1. Kultur und Wandel: Kann Kunst sozial wirksam sein?; 2. Soziale Phantasien der Künstlergruppen-Generation; 3. Künstlergruppen im Prozess der Transformation und Kollektivierung des künstlerisches Feldes. Jedes Kapitel weist zusätzlich einen Exkurs auf.

Dabei zeichnet die Autorin vor allem Kontinuitäten im Denken und Arbeiten von Künstlergruppen im 20. Jahrhundert, unabhängig von gesellschaftlichen Umbrüchen, nach. Ihr Augenmerk konzentriert sich auf sächsische Künstler, die schon in den 1920er- und 1930er-Jahren in Gruppen zusammengefunden hatten. Jacoby beschreibt die Anliegen und Visionen dieser Maler und Grafiker, die sich meist in mehr oder weniger starker Nähe zu den kommunistischen Ideen der Zwischenkriegszeit befanden. Für den Leser werden so die Ambitionen der Künstler verständlich, ihre Vorstellungen aus der Zwischenkriegszeit nach Kriegsende in die SBZ/DDR einzubringen. Denn zwischen den Visionen der Künstler und denjenigen der Kommunisten gab es Korrespondenzen: Beide antizipierten die Erziehbarkeit der Massen, und beiden ging es um die Verbesserung der Lebensverhältnisse. Dass die Künstler vor allem unter Letzterem etwas Anderes verstanden als die in der SBZ tätigen Kommunisten, zeigte sich schon wenige Jahre nach Kriegsende, als die Mitglieder der Künstlergruppen eher „an einer Ausgestaltung des eigenen Lebensstils interessiert“ (S. 110) waren und damit Individualität einforderten. Die parteipolitischen Vorstellungen in der SBZ hoben dagegen vornehmlich auf materielle Aspekte wie Arbeit, bezahlbare Mieten, medizinische Grundversorgung, Bildungsmöglichkeiten etc. ab. Doch unmittelbar nach Kriegsende konnten viele der Künstler mit dieser Prioritätenliste leben: „Die staatlich vorgestellten Inhalte waren gemeinhin von der Künstlerschaft akzeptiert, im Vordergrund stand nun deren Umsetzung durch soziales Engagement.“ (S. 115)

Einmal mehr wird hier deutlich, dass nach dem Kriegsende im Mai 1945 auch in der Kunst von keiner „Stunde Null“ gesprochen werden kann. Jacoby beschreibt die unmittelbar nach Kriegsende einsetzenden Bestrebungen der Künstler, frühere Weggefährten zusammenzuführen, das kulturelle Leben aufzubauen und gemeinschaftliche Wirkungsmöglichkeiten zu etablieren. Die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft wollten die Künstler mit künstlerischen Mitteln unterstützen, weshalb sie sich bereitwillig in den entstehenden Kulturbetrieb der SBZ/DDR integrierten. Vor allem die Interregnums-Phase unmittelbar nach Kriegsende wurde von den Künstlern ebenso hoffnungsvoll wie kreativ gestaltet. Erste nachhaltige Ernüchterungen über die kommunistische Kulturpolitik im anderen deutschen Teil und damit verbundene Spannungen wurden erst ab 1948 bzw. verstärkt ab 1951 deutlich. Die Formalismus-Debatte wurde nicht nur in der Literatur geführt, sondern auch in den Bereichen der bildenden Kunst.

Indem Jacoby das Engagement der Künstler über fünfzig Jahre hinweg nachzeichnet, bestätigt sich das Bild des ausgeprägten Individualismus, den Künstler häufig nähren. Daher lassen sie sich in aller Regel, so groß ihr Wille zur Partizipation und Mitgestaltung zunächst auch sein mag, nur schwer in Systeme pressen. Dennoch gerieten Intellektuelle im 20. Jahrhundert nicht selten in die Versuchung, sich „für eine Sache“ vereinnahmen zu lassen, bevor sie früher oder später eben doch merkten, dass „die Sache“ gar nicht die ihre war. In den Geschichten Jacobys wird aber deutlich, wie stark künstlerische Ausdrucksformen und Ansichten fortlaufend in Bewegung waren.

Im vierten Kapitel wird schließlich die „Kollektivierung des künstlerisches Feldes“ beschrieben. Für die Autorin sind dies die alle vier Jahre stattfindenden Kunstausstellungen in Dresden, das staatliche Auftragswesen, die „Künstlerbrigaden“ und lokalen Kunstvereine, die für die Künstler notwendig werdende Mitgliedschaft im „Verein Bildender Künstler“, um mit Aufträgen bedacht und später auch ausgestellt zu werden. Hierbei kommt die Autorin nicht umhin festzustellen, dass einige der „kulturinstitutionellen Ordnungsvorstellungen“ der SED dem 19. Jahrhundert entstammten (S. 194). Dies ist ein sehr interessanter Befund, da er zum einen die Prägung der Kulturfunktionäre deutlich werden lässt und zum anderen zeigt, dass in der SBZ/DDR das Rad nicht grundsätzlich neu erfunden wurde. Ob der Besuch von Funktionären nun immer gleich als Kollektivierungsbemühung gesehen werden kann, soll an dieser Stelle nicht weiter hinterfragt werden. Vielleicht sollte aber berücksichtigt werden, dass die Künstler auf diese Weise nicht nur kontrolliert wurden. Ihnen wurde mit den Besuchen auch eine Aufmerksamkeit zuteil, die sie möglicherweise auch schätzen lernten, wenn sich daraus beispielsweise Werkstattgespräche ergaben.

Sehr anerkennenswert ist der interdisziplinäre Ansatz der Darstellung. Wenn die Autorin die Geschichte der Künstlergruppen in der DDR ausnahmslos aus deren eigener Perspektive nachzeichnet, verbindet sie die Bereiche Kunst, Literatur und Soziologie in ungewohnter Weise. Allerdings finden mit Ausnahme des Kapitels über die „Kollektivierung des künstlerisches Feldes“ politische Ereignisse und Entscheidungen nur am Rande Erwähnung. Manchmal will es gar scheinen, als seien sie vom Himmel gefallen.

Der Titel der Untersuchung: „Kollektivierung der Phantasie?“ weckt zweifellos Neugier, zumal er als Frage formuliert ist. Kann Phantasie überhaupt „vergesellschaftet“ werden? Ist Phantasie nicht etwas sehr Freies, kaum Kontrollierbares? Man könnte im Hinblick auf die DDR auch fragen: Inwieweit kann man, bei allem guten Willen und mit welchem Aufwand, Phantasie vereinheitlichen? Doch waren diese Fragen für die Autorin offenbar keine Gegenstände der Betrachtung.

Das Hinüberwechseln der sächsischen Künstlergruppen in die staatlich vorgegebenen Strukturen basierte auf den Vorstellungen der in Moskau sozialisierten kommunistischen Führungsriege. Die KPD/SED versuchte, erstens sich vom Nationalsozialismus abzuheben, was vermutlich am wenigsten gelang, zweitens gesellschaftliche Entwicklungen aufzufangen, um sie politisch zu kanalisieren und drittens tradierte kommunistische Antipathien abzubauen, die sich mit dem Kriegsende noch verstärkt hatten. Vor diesem Hintergrund loteten die Künstlergruppen ihre Spielräume aus, mussten aber immer wieder die Erfahrung machen, dass die Partei ihre Muskeln spielen ließ. Während einige Künstler, etwa der Maler Edmund Kestling, sich daraufhin resigniert zurückzogen oder in den anderen Teil Deutschlands übersiedelten, arrangierte sich beispielsweise die Künstlergruppe „Das Ufer“ „mit den Verhältnissen, ohne ihre eigenen Vorstellungen aus den Augen zu verlieren“ (S. 173). Letztlich gingen vor allem die in den 1980er-Jahren nachwachsenden Künstlergenerationen ähnlich unkonventionelle Wege wie ihre Vorfahren um die Jahrhundertwende oder in den frühen 1920er- und 1930er-Jahren.

Eine nicht unwesentliche Rolle spielten auch im Kunstbetrieb der DDR stets die Liebhaber und Mäzene, die sich aus privaten oder beruflichen Gründen der Förderung von Kunst verschrieben hatten. Sie saßen nicht selten an einflussreichen Schnittstellen, die verschiedene gesellschaftliche Bereiche miteinander verbanden oder künstlerische Produktivität managten. Die Autorin verwendet hierfür den von Rolf Schwendter geprägten Begriff der „Drehpunktperson“. Ob diese Begrifflichkeit angesichts eines so sinnlichen Themas wie der Malerei und Grafik passend ist, sei dahingestellt. Vielleicht wird gerade an dieser Stelle die Interdisziplinarität des Ansatzes etwas überstrapaziert.

Leider werden trotz zahlreicher Wiederholungen eingangs aufgestellte Thesen in den späteren Abschnitten der Untersuchung nicht wieder aufgegriffen. Auch nach einer Zusammenfassung, in der die einzelnen Stränge der Deskription konzentriert werden, sucht man vergeblich. Stattdessen wird abschließend ein weiteres interdisziplinäres Feld, das der „Erinnerungsgesellschaft“, aufgemacht. Sollte die Bilanz einem kritischen Lektorat zum Opfer gefallen sein? Kaum denkbar, denn das hat – vermutlich aufgrund zu geringer Druckkostenzuschüsse – der Verlag der Autorin selbst überlassen. So rächt sich einmal mehr, dass ein dringend benötigter Berufsstand zunehmend den Sparzwängen der Verlage zum Opfer fällt.

Insgesamt bleibt der Leser etwas ratlos zurück: Der Titel scheint griffig, der Gegenstand ebenfalls. Und trotzdem muss sich jeder selbst ein Bild darüber machen, ob er die Geschichte der Künstlergruppen in der DDR als Kollektivierungsgeschichte verstehen will oder als eine Geschichte von Integrationsangeboten, die von den Künstlern einmal angenommen und einmal nicht angenommen, von den Kulturfunktionären einmal offensiv und einmal defensiv durchgesetzt wurden. Damit wird unterstrichen, dass die Autorin insgesamt nicht nur einen interdisziplinären Ansatz, sondern gar einen besonders interaktiven wählte. Eines vermeidet sie damit auf jeden Fall: Die Kollektivierung der Geschichte der Denkansätze.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension