M. Rox-Helmer: Jugendbücher im Geschichtsunterricht

Cover
Titel
Jugendbücher im Geschichtsunterricht.


Autor(en)
Rox-Helmer, Monika
Reihe
Methoden Historischen Lernens
Erschienen
Schwalbach/TS 2006: Wochenschau-Verlag
Anzahl Seiten
220 S.
Preis
€ 14,30
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raimund Schulz, Hildesheim

Die gegenwärtige Geschichtskultur ist durch eine Fülle von Medien geprägt, welche auf unterschiedlichen Perzeptionsebenen häufig viel intensivere Geschichtsbilder erzeugen, als es die schulische Geschichtsvermittlung vermag. Die Frage, wie Lehrerinnen und Lehrer mit diesem suggestiven Imaginationspotenzial umgehen sollen und es für den Unterricht nutzen können, liegt auf der Hand und fordert immer wieder zu gründlichen Analysen heraus. Historische Romane für Jugendliche (gemeinhin als "historische Jugendliteratur" bezeichnet) erscheinen als Untersuchungsobjekt zumal angesichts der "Renaissance des Narrativen" in der Geschichtsdidaktik besonders attraktiv; sie kommen dem jugendlichen Bedürfnis nach atmosphärischer Konkretheit entgegen und schaffen Identifikationsangebote, welche dem (ab einem bestimmten Alter nachlassenden) Geschichtsinteresse der Schülerinnen und Schüler neue Impulse verleihen können.1 Das stetig wachsende Angebot ist freilich nicht leicht zu überblicken, und der Einsatz im Unterricht birgt manche didaktische und methodische Tücken. Schon deshalb ist es zu begrüßen, dass sich Monika Rox-Helmer des Themas in Form einer umfassenden Monographie aus der bewährten Reihe "Methoden Historischen Lernens" angenommen hat.2

Das Buch gliedert sich in einen konzeptionellen Teil, der die didaktischen, methodischen und historischen Voraussetzungen des Einsatzes von Jugendbüchern darstellt, und einen umfangreichen zweiten Abschnitt, in dem konkrete Praxisbeispiele vorgestellt werden. Dazwischen geschaltete Listen empfohlener Bücher ermöglichen einen schnellen Zugriff auf das jeweils geeignete Medium. Sämtliche im Text erwähnten Titel werden noch einmal gesondert am Ende aufgelistet (mit Preisangaben; S. 210-213).

Zu Beginn grenzt Monika Rox-Helmer ihren Untersuchungsgegenstand von ähnlichen Medien ab (S. 12-15): Es geht um Jugendbücher, "in denen geschichtliche Themen speziell für Jugendliche verarbeitet sind" (S. 12). Damit wird z.B. der gesamte Bereich historischer Sachbücher für Jugendliche ausgespart (er bedürfte längst einer eigenen Monographie!). Das folgende wichtige Kapitel fragt nach der Funktion des Einsatzes von Jugendbüchern. Ihr besonderer Wert besteht zunächst in der motivierenden Veranschaulichung und Personifizierung von historischen Ereignissen und Phänomenen. Dabei kann der Umfang des narrativen Panoramas - so Rox-Helmer - vor allem aus alltags- und mentalitätsgeschichtlicher Perspektive häufig Lücken schließen, welche die Quellenarbeit (zwangsläufig) hinterlassen muss; auf das nicht unproblematische Verhältnis beider Textsorten zueinander wird allerdings nicht näher eingegangen.

Nach einem konzisen Überblick über die historische Entwicklung des Jugendbuches erläutert ein Kernkapitel des theoretischen Teils noch einmal dezidiert die didaktischen Ziele des Jugendbucheinsatzes unter den Kategorien "Geschichtsbewusstsein", "Imagination", "Alltagsgeschichte", "Personifizierung", "Schulformdifferenzierung" und "Schülerinteresse". Im Prinzip - so Rox-Helmer - spricht die Beschäftigung mit Jugendbüchern alle Dimensionen des Geschichtsbewusstseins an; wesentlich ist jedoch die Entwicklung der Fähigkeit, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden (S. 28f.) sowie historische Phänomene im Sinne eines problemorientierten Gegenwartsbezuges unter anthropologischen Kategorien wie Ängste, Liebe und Trauer vergegenwärtigen zu können. Diese Vergegenwärtigung bietet Identifikationsmöglichkeiten, aber auch Distanzerfahrungen gegenüber (fiktiven) Personen der Vergangenheit und fördert die (historische) Imaginationsfähigkeit. Die Möglichkeit zur Personifizierung und Konkretisierung kommt ferner den Schülerinnen und Schüler-Interessen entgegen und wirkt deshalb motivierend auf das historische Lernen insgesamt. Der Einsatz von Jugendbüchern bahnt schließlich eine Lesekultur an mit dem Ziel "zwischen dem Schullesen und dem Freizeitlesen eine Brücke zu schlagen" (S. 44).

Es folgen sorgfältig elaborierte Kriterien für die Auswahl und Analyse geeigneter Jugendbücher, die sich zum Teil an den genannten didaktischen Kriterien (Multiperspektivität, Personifizierung, Motivation) orientieren, zum Teil bereits vorhandene Kriterienkataloge miteinbeziehen und/oder ergänzen.3 Hier werden dann auch dezidiert die "fachliche Qualität" sowie das Verhältnis zwischen vorhandenem bzw. vermitteltem Fachwissen und Jugendbuchlektüre angesprochen. Getreu der Bedeutung, die Monika Rox-Helmer der motivierenden Funktion der Lektüre beimisst, soll den Schülerinnen und Schüler nur soviel Wissen zugemutet werden, wie es für "ein genussvolles Lesen und damit das Eintauchen in die fiktiv-historische Welt möglich ist" (S. 53).

Der Praxisteil stellt elf Methoden vor, progressiv nach Komplexität und Anspruchsniveau geordnet. Am Beginn steht die handlungsorientierte Bearbeitung eines Textausschnittes (S. 67-71); es schließen sich Vorschläge an, die über den 45-Minutentakt des Unterricht hinausgehen, wie die Organisation einer Lesenacht (bzw. eines "Lesenachmittags") und die Ausstattung und Einrichtung einer Bücher- bzw. Lesekiste (S. 80-97). Stärker Text bezogen sind die Erstellung eines Lexikons zum Buch (S. 98-105) und einer Zeitleiste, die historische Ereignisse und Romanhandlung synoptisch verknüpft (S. 116-130), ferner das lektürebegleitende Verfassen eines Tagebuchs (S. 130-149) sowie das Schreiben von Rezensionen (S. 170-176). Originell ist der Gedanke, Schülerinnen und Schüler durch den Umgang mit dem Jugendbuch für Zeitzeugeninterviews zu sensibilisieren (S. 106-116). Ein eher konventioneller, gleichwohl anspruchsvoller Vorschlag besteht darin, ein Jugendbuch (als Beispiel dienen die Romane Else Urys) als historische Quelle auszuwerten (S. 141-152). Für Klassen- oder Kursfahrten eignet sich der Versuch, Orte eines Romans in Form eines "historisch-literarischen" Spaziergangs durch Autopsie nachzuspüren und so am Ort des (historischen) Geschehens in die Atmosphäre der Geschichte einzutauchen (S. 152-170). All dies wird mit einfühlsamer Liebe zum Detail und Sachkenntnis beschrieben. Monika Rox-Helmer präsentiert dabei jeweils nicht nur das methodische Konzept, sondern kombiniert das praktische Vorgehen mit Vorschlägen zur Lektüreauswahl, listet dazu eine Fülle von meist handlungsorientierten Arbeits- und Gestaltungsaufträgen auf und spielt das gesamte Konzept an einem konkreten Fallbeispiel mit Mustertext ("Leseprobe") durch.

Gerade das Praxiskapitel dokumentiert so sehr anschaulich die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Jugendbüchern; es deutet aber auch auf eine grundlegende Problematik: Die Lektüre von Jugendbüchern soll begleitend oder vorbereitend zum Geschichtsunterricht erfolgen (S. 48). Gerade vor diesem Hintergrund hätte man sich an der einen oder anderen Stelle etwas eingehendere Hinweise zu den Fragen gewünscht, in welchem Verhältnis der Roman bzw. der im Unterricht zu behandelnde Romanausschnitt zu anderen Textsorten (Verfassertext eines Lehrbuches - historische Quelle) stehen soll und wie den Schülerinnen und Schüler entsprechende Differenzierungs- und Deutungskompetenzen verschiedener Wirklichkeitsebenen und ihrer Darstellungsmodi zu vermitteln sind.4 Wie wird angesichts dieser Schwierigkeit überhaupt die Romanlektüre mit der Erarbeitung objektiver historischer Sachverhalte verknüpft, wann dient sie eher als Einstieg in die Erschließung historischer Phänomene oder umgekehrt als konkretisierende bzw. weiterführende Ergänzung? Hier sind Gestaltungskompetenz sowie erhebliche didaktische und methodische Erfahrung gefragt, welche Monika Rox-Helmer in hohem Maße besitzt, aber wohl etwas zu optimistisch auch bei ihren Leserinnen und Lesern voraussetzt.

Diese Überlegungen zeigen jedoch nur, dass die Autorin ein wichtiges Thema vorstellt, das zum Weiterdenken anregt. Das Buch zeugt von profunder Sachkenntnis, methodischer Umsicht sowie dem leidenschaftlichen Bemühen, das historische Lernen durch die Etablierung einer echten Lesekultur attraktiver zu machen. Diese Bemühungen werden mit praktischen Tipps und übersichtlichen Listen von Institutionen und E-Mailadressen verbunden, welche über den aktuellen Stand des Jugendbuchmarktes informieren. Deshalb gehört das auch sprachlich durchweg ansprechend gestaltete Werk in die Hände all jener, die Geschichte vermitteln wollen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Waldemar Grosch, Schriftliche Quellen und Darstellungen, in: Hilke Günther-Arndt (Hrsg.), Geschichtsdidaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, Berlin 2003, S. 76.
2 Einführende Aufsätze und Einzelbeiträge zum Thema mit exemplarischen Unterrichtsbeispielen bieten die gängigen Handbücher und praxisorientierten Zeitschriften; vgl. z.B. Michael Sauer, Historische Kinder- und Jugendliteratur, in: Geschichte Lernen 71 (1999), S. 18-26; Dietmar von Reeken, Jugendbücher, in: Lernbox Geschichte. Das Methodenbuch, Seelze-Velber 2000, S. 48-51, sowie ders., Das historische Jugendbuch, in: Hans-Jürgen Pandel; Gerhard Schneider (Hrsg.), Handbuch Medien im Geschichtsunterricht, 2. Aufl. Schwalbach/Ts. 2002, S. 69-83.
3 Vgl. etwa von Reeken, Jugendbuch, S. 78f., in: Michael Sauer, Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik, 4. Aufl. Seelze-Velber 2005, S. 238f.
4 Diese grundlegenden Probleme potenzieren sich angesichts des notorisch knappen Zeitbudgets und inhaltlich überlasteten Standardcurriculum; vgl. Horst Gies, Geschichtsunterricht. Ein Handbuch zur Unterrichtsplanung, Köln u.a. 2004, S. 233.

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