U. Leitner (Hrsg.): Alexander von Humboldt

Cover
Titel
Alexander von Humboldt. Von Mexiko-Stadt nach Veracruz. Tagebuch


Herausgeber
Leitner, Ulrike
Reihe
Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung 25
Erschienen
Berlin 2005: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
184 S.
Preis
€ 54,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Pause, Hannover

Alexander von Humboldt ist eine der beliebtesten Figuren der deutschen Wissenschaftsgeschichte. Seine Person ruft auch heute noch das Interesse von Wissenschaftlern und Laienpublikum hervor. Die Neuedition der Hauptwerke in der von Hans Magnus Enzensberger herausgegebenen „Anderen Bibliothek“ vor einigen Jahren hat noch einmal deutlich gemacht, wie sehr Humboldt die Leser fasziniert (und dass damit Geld zu verdienen ist, wie nicht zuletzt Daniel Kehlmann mit seinem Erfolgsroman belegt hat).1 Abseits dieser Publikumserfolge arbeitet die Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften seit Jahrzehnten daran, das Tagebuchwerk Humboldts zu edieren. Eine Herkulesaufgabe, wenn man bedenkt, dass dieses Werk tausende, in oft fast unleserlicher Schrift in mehreren Sprachen eng beschriebene Seiten umfasst, die nach Humboldts Rückkehr nach Berlin bis zu seinem Lebensende als Basis für die Abfassung seines so genannten Reisewerks dienten. Zu diesem Zweck hat Humboldt selbst die Tagebücher durch nachträgliche Notizen und Lektüre-Exzerpte ergänzt. Er hat die Schriften teilweise neu angeordnet und so die Tagebücher immer wieder neu gestaltet. Die vorliegende Edition eines Teils der Tagebücher, die Humboldt während seines rund einjährigen Aufenthalts in Neu-Spanien/Mexiko geführt hat, reiht sich ein in diese Folge von Tagebuch-Editionen, die die Alexander-von-Humboldt-Kommission, später Alexander-von-Humboldt-Forschungsstelle herausgegeben hat. Die Herausgeberin ordnet ihre Edition knapp, aber sehr präzise in die Geschichte der Herausgabe der Humboldt-Tagebücher ein.

Das Tagebuch „Von Mexiko-Stadt nach Veracruz“ umfasst die Aufzeichnungen Humboldts in den knapp sieben Wochen, die er benötigte, um von der Hauptstadt zum Hafen am Golf von Mexiko zu reisen. Eben weil es sich nur um wenige Wochen handelt und die Aufzeichnungen demnach nicht so umfangreich sind, sind die Eintragungen erstmals komplett ediert worden, das heißt mit allen wissenschaftlichen Beobachtungen und Messergebnissen, die Humboldt festgehalten hat. Bei den bisherigen Editionen war dies aus Zeit- und Kostengründen nicht möglich (S. 10).

Die vorliegende Tagebuch-Edition gibt einen eindrucksvollen Einblick in die Arbeitsweise des reisenden Gelehrten Humboldt: Er zeichnete fast alles auf, was ihm wichtig erschien, ohne erkennbare Systematik. Die Tagebücher dienen ihm offensichtlich einfach als Sammelstelle für alle Eindrücke und Reflexionen, für geologische, astronomische und geodätische Messungen, für Exzerpte und Zeichnungen. So nutzt Humboldt einen Aufenthalt in Cholula, um von dort die Höhe verschiedener Berge, etwa des Popocatépetl, zu bestimmen. Zudem gibt er die mythischen Erzählungen der Bevölkerung über die Entstehung der Pyramide von Cholula wieder, unterbrochen von Berechnungen zu Höhe und Umfang des Bauwerks. Eingefügt ist ein Zettel, der sich mit einer Rezension auseinandersetzt, die Jahre später in einer deutschen Zeitung über sein Buch „Vues des cordilleres“ erschienen ist (S. 57). Ein gutes Beispiel dafür, wie Humboldt über die Jahre mit seinen Aufzeichnungen gearbeitet hat, wie er sie für seine wissenschaftliche Tätigkeit in Berlin genutzt hat. Ergänzt werden diese Aufzeichnungen durch Randbemerkungen, die auf andere Seiten in seinem Tagebuch verweisen, die das Geschriebene zusammenfassen, mit Gelesenem in Beziehung setzen.

Die vorliegende Edition der Aufzeichnungen Humboldts vom 20. Januar bis zum 7. März 1804 ist ausgesprochen aufschlussreich, denn sie zeigt eindrucksvoll, wie Humboldt seine unterschiedlichen wissenschaftlichen Interessen befriedigt hat und wie er die verschiedenen Ergebnisse seiner Messungen und Beobachtungen versucht hat zusammenzuführen. Stärker als in den bislang veröffentlichten Tagebüchern seiner Reise verdeutlicht diese Edition, wie ausführlich und umfangreich Humboldt gemessen hat, um etwa die untere Schneegrenze in der mexikanischen Sierra zu ermitteln. Unmittelbar darauf folgen dann Überlegungen zur Geologie, anthropologisch-soziologische Betrachtungen der Einwohner der Gegend, die abgelöst werden von botanischen Beobachtungen: Humboldt praktiziert in seinen Tagebüchern in nuce, was er später als Hauptaufgabe seines Schreibens und Denkens bezeichnen wird – die physische Weltbeschreibung.

Der Herausgeberin ist mit dieser Edition ein großer Wurf gelungen. Ihre Bedeutung liegt nicht nur darin, die Lücke in der Gesamtedition von Humboldts Tagebüchern zu verkleinern. Entscheidender ist, dass sie alle Eintragungen vollständig wiedergibt und dem Leser somit ermöglicht, einen noch genaueren Blick als bislang in die Werk- und Denkstatt Alexander von Humboldts zu tun.

Anmerkung:
1 Humboldt, Alexander von, Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Ediert von Ottmar Ette und Oliver Lubrich, Frankfurt am Main 2004; Kehlmann, Daniel, Die Vermessung der Welt, Reinbek 2005.

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