Cover
Titel
Kino im Aufbruch. New Hollywood 1967-1976


Autor(en)
Damman, Lars
Reihe
Schriften zum Film. Band 11
Erschienen
Marburg 2006: Schüren Verlag
Anzahl Seiten
384 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andrea Nolte, Institut für Medienwissenschaften, Universität Paderborn

Hollywood-Filme gelten gemeinhin als massentaugliche Produkte einer gut geölten Unterhaltungsmaschinerie und tragen in ihrer Machart häufig eher Merkmale industrieller Konsumgüter als kultureller Artefakte. Im geschützten Raum des Kinos taucht der Zuschauer durch sie in eine andere Welt ein und flieht so für eine Weile aus seinem grauen Alltag. Betrachtet man die Geschichte der amerikanischen Traumfabrik allerdings genauer, zeigt sich, dass es immer wieder Phasen und Bewegungen gab, die sich in ihrer Form und Intention vom filmischen Mainstream lösten und abseits der manifesten populärkulturellen Konventionen nach alternativen Wegen filmischen Ausdrucks suchten. In seiner Monografie „Kino im Aufbruch: New Hollywood 1967 – 1976“ widmet sich der Filmkritiker und freie Autor Lars Dammann eingehend einem dieser Abschnitte der amerikanischen Filmgeschichte, in dem junge Regisseure das klassische Hollywood-Kino der großen Studios mit ästhetisch fremdartigen und gesellschaftskritisch aufgeladenen Gegenentwürfen konfrontierten.

In den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren experimentierten Filmemacher wie Mike Nichols, Arthur Penn, Robert Altmann, Francis Ford Coppola, Roman Polanski, Sam Peckinpah oder Martin Scorsese auf ganz unterschiedliche Weise mit neuen filmischen Ausdrucksformen, irritierenden Narrationsmustern und den unbequemen Themen einer erstarkenden Gegenkultur. Sie realisierten Filme, die bereits bei ihrem Erscheinen Aufsehen erregten und keine passive Rezeption sondern kritische Reflexion von ihren Zuschauern forderten. Einige von ihnen gelten heute als moderne Klassiker und Kultfilme, die in Fernseh-Retrospektiven oder im Programmkino ihren Platz gefunden haben und dort generationenübergreifend rezipiert werden.

Dammanns ambitioniertes Projekt ist es, die vielfältigen Ausformungen des Phänomens New Hollywood anhand zahlreicher Beispiele aufzufächern und diese im Kontext der amerikanischen Film-, aber auch der Sozial- und Politikgeschichte zu positionieren. Um zu verdeutlichen, wie sich sein Ansatz von den bisherigen filmwissenschaftlichen Arbeiten zum Thema unterscheidet, erläutert er in der kurzen Einleitung – nach einem Überblick zum aktuellen Forschungsstand – seine eigene Vorgehensweise. Anders als in bislang vorliegenden Studien geht es ihm nicht darum, einzelne Aspekte des Gegenstands zu beleuchten. Sein Ziel ist es, anhand konkreter Analysen eine Gesamtschau der damaligen Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Film zu dokumentieren.

Im zweiten Kapitel beschäftigt er sich mit den ökonomischen, sozialen und technischen Voraussetzungen, die dem New Hollywood-Kino seinen Weg ebneten. In der ersten Hälfte der 1960er-Jahre verloren das bis dahin dominierende Studiosystem Hollywoods und dessen auf maximalen Profit fokussierte Verwertungsketten an Bedeutung. In der Folge kam es zu einer Stärkung der Independent- und Low-Budget-Produktionen. Gleichzeitig änderten sich aufgrund gesellschaftlicher und kultureller Umbrüche insbesondere die Erwartungen der jugendlichen Rezipienten an das Kino als Unterhaltungsmedium. Darüber hinaus eröffneten technische Neuerungen in den Bereichen Kamera und Ton eine Vielzahl neuer filmsprachlicher Möglichkeiten. Die daraus entstehenden Produktionen wären ohne sie nicht realisierbar gewesen.

Das dritte Kapitel widmet sich der ersten Phase des New Hollywood-Kinos, die Mitte der 1960er-Jahre begann und deren Filme tief greifende Einschnitte in die US-amerikanische Zeitgeschichte künstlerisch transformierten. Einen Themenkomplex bildete die Hippiekultur mit ihrem von Timothy Leary geprägten Drogen-Credo „Turn on, tune in, drop out“ und der Idee der freien Liebe. Gesellschaftskritische Ansätze boten die Bürgerrechtsbewegungen und Studentenproteste sowie der wachsende Widerstand gegen den Vietnamkrieg. New Hollywood wurde zum kreativen Sprachrohr eines Zeitgeistes, der in seinen Facetten ähnlich disparat war wie die Filme, die sich mit ihm auseinandersetzten.

Zu Beginn der 1970er-Jahre kam es zu einer Verschiebung der thematischen Schwerpunkte und auch die Positionierung des New Hollywood in der amerikanischen Kinolandschaft änderte sich, wie das vierte Kapitel zeigt. Erste ökonomische Erfolge und eine Neustrukturierung der Filmindustrie gaben den alternativen Produktionen mehr Raum und verliehen ihnen größere Bedeutung in der öffentlichen Wahrnehmung. Der Vietnamkrieg, seine Sinnlosigkeit und die sich aus ihm ergebenden Traumata blieben virulente Themen und brachten eine Reihe ästhetisch eindrücklicher und emotional erschütternder (Anti-)Kriegsfilme hervor. Politische Ereignisse wie die Watergate-Affäre und eine zunehmende gesellschaftliche Verunsicherung, die zum Teil paranoide Züge trug, führten zu einer Art „Genre-Revival“. Während die Regisseure des New Hollywood dabei mit Versatzstücken von Detektivfilmen und Politthrillern experimentierten, reagierte das Mainstream-Kino mit Polizei-, Selbstjustiz- und Katastrophenfilmen.

Das fünfte Kapitel greift noch einmal die vielschichtigen Verknüpfungen zwischen der gesellschaftlichen Realität jener Jahre und den Filmen des New Hollywood auf und dokumentiert, wie sich diese Richtung durch ihren kritischen Impetus in künstlerischer Hinsicht vom klassischen Hollywood-Kino unterschied. Im Fokus stehen dabei die technikbedingten neuen Möglichkeiten der Kameraführung, welche die Ästhetik der Montage und die Struktur der Narration grundlegend änderten.

Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass die Filme des New Hollywood das amerikanische Kino zwischen 1967 und 1976 entscheidend prägten. Doch so einfach die zeitliche Eingrenzung scheint, so schwierig gestaltet sich der Versuch einer allgemeingültigen Definition. Das alternative Kino dieser Jahre war ein disparates Phänomen mit unterschiedlichen künstlerischen Ansätzen und ästhetischen Vorlieben. Seine Protagonisten definierten sich nicht als Vertreter eines einheitlichen Stils oder gemeinsamen Dogmas. Verbunden waren sie vielmehr durch das an der Zeitgeschichte orientierte Vorhaben, einer sich ändernden Gesellschaft mit einem neuen Kino zu begegnen. Dabei entfernten sie sich in ihrer Experimentierfreudigkeit manchmal sehr deutlich, manchmal nur in Ansätzen von den Motiven, narrativen Strategien und ästhetischen Konventionen des klassischen Hollywood-Kinos. Zu einem tatsächlichen Bruch zwischen Altem und Neuem ist es letztlich jedoch nie gekommen.

Hervorzuheben ist, dass Dammann seine film- und sozialgeschichtlichen Rahmungen in jedem Kapitel anhand von Beispielen konkretisiert, wie zum Beispiel Analysen von The Graduate (1967), Bonnie and Clyde (1967), The Wild Bunch (1968), Easy Rider (1969), Alice’s Restaurant (1969), M.A.S.H. (1969), Chinatown (1974), Taxi Driver (1975) oder Apocalypse Now (1976-79) zeigen. Erwähnung sollen an dieser Stelle auch sein unprätentiöser Schreibstil und die eingängige Präsentation der Ergebnisse finden, durch die er den Interessen von Cineasten und Wissenschaftlern gleichermaßen gerecht wird. „Kino im Aufbruch“ ist ein lesenswertes Buch über eine einzigartige Phase amerikanischer Filmgeschichte, die – obgleich sie lediglich eine knappe Dekade umfasst – bis heute in der Sprache und Ästhetik vieler Hollywood-Produktionen nachklingt.

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