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Titel
Kein Burgfrieden. Der deutsch-slowenische Nationalitätenkonflikt in der Steiermark 1900-1918


Autor(en)
Martin, Moll
Erschienen
Innsbruck 2007: StudienVerlag
Anzahl Seiten
596 S.
Preis
€ 65,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rolf Wörsdörfer, Institut für Geschichte, Technische Universität Darmstadt

Der weitere Alpen-Adria-Raum mit Städten, Ländern und Regionen wie Triest oder Istrien, Südtirol oder Kärnten, eignet sich noch immer gut zur Beobachtung von Minderheitenproblemen, Volkstumskämpfen und Nationalitätenkonflikten. Die im Nordosten des Raumes gelegene Steiermark hat, was das Interesse der Forschung betrifft, bislang eher einen der hinteren Ränge eingenommen. Das mag damit zusammenhängen, dass sie weder einen umfassenden „Exodus“ einer nach Hunderttausenden zählenden Bevölkerung noch Plebiszite über ihre territoriale Zugehörigkeit oder anhaltende Ortstafelstreits vorweisen kann.

Leicht gerät so in Vergessenheit, dass das habsburgische Herzogtum Jahrhunderte lang in eine nördliche, fast ausschließlich deutsch geprägte und in eine südliche, überwiegend von Slowenen bewohnte Hälfte zerfiel. Die Hauptstadt Graz lag als wirtschaftliches, kulturelles und administratives Zentrum etwa in der Mitte, gehörte aber zum „deutschen“ Teil der Steiermark, während eine Reihe anderer Städte – vor allem Marburg an der Drau, Cilli und Pettau – zwar überwiegend von deutschsprachigen Österreichern bewohnt waren, insgesamt aber zur „slowenischen“ Untersteiermark (Štajerska) gerechnet und von der slowenischen Nationalbewegung als Teil eines „Vereinigten Slowenien“ beansprucht wurden.

Es wäre übertrieben zu behaupten, diese Gemengelage habe das Entstehen von Konflikten bereits vorprogrammiert. Denn lange Zeit konnte an der Loyalität der deutschen und der slowenischen Steirer zur Monarchie kein Zweifel bestehen. Landesbewusstsein und patriotisch-dynastische Ergebenheit ergänzten sich in einem Maße, dass es der neuen Idee der Nation schwer fiel, auf Kosten beider einen wachsenden Konsens zu finden. Einmal abgesehen von der nationalen Mobilisierung im „Völkerfrühling“ von 1848 trugen vor allem Ereignisse in weit entfernten Ländern dazu bei, aus „deutschen“ und „slowenischen“ Steirern verfeindete Nachbarn werden zu lassen: Die Reichsgründung von 1871, die Annexion Bosniens und der Herzegowina durch die Donaumonarchie 1908, schließlich die beiden Balkankonflikte am Vorabend des Ersten Weltkriegs.

Martin Molls Buch, hervorgegangen aus einer Grazer Habilitationsschrift, handelt nur bis zu einem gewissen Punkt von den Ursprüngen des deutsch-slowenischen Nationalitätenstreits. Rekonstruiert werden vielmehr wichtige Aspekte des Konflikts in einer besonders virulenten Phase, die von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Ersten Weltkrieges reicht. Das Schwergewicht der Quellenrecherche, die sich überwiegend im Landesarchiv in Graz abgespielt hat, liegt eindeutig auf den Wochen nach dem Attentat von Sarajevo und auf dem ersten Weltkriegsjahr. Moll gelingt es, eine immer fataler werdende Konstellation nachzuzeichnen und zu erklären, die aus dem Herzogtum alsbald eines der am heftigsten umkämpften habsburgischen Kronländer werden ließ.

Auf der einen Seite der Barrikade stand der vielfach unterschätzte großdeutsche Nationalismus. Deutschsprachige Bewohner der Grenzgebiete zu Südosteuropa, die sich von den „Slawen“ bedroht wähnten, zählten zu seinen konsequentesten Verfechtern. Er fand seine Ausdrucksformen in der Festkultur (Sedanstag, Geburtstage der preußisch-deutschen Monarchen), in einem für österreichische Verhältnisse unglaublichen Bismarck-Kult, in der Germanen-Verehrung und in der gegen den Ultramontanismus gerichteten „Los von Rom“-Bewegung, die eigentlich eine „Los-von-Wien“-Bewegung war. Anders als der ebenfalls slawenfeindliche italienische Liberalnationalimus in Triest, zu dessen Wortführern einige assimilierte Juden gehörten, war der österreichische Deutschnationalismus antikatholisch und antisemitisch eingestellt.

Wenig studiert wurden nach Molls Ansicht bislang die engen Beziehungen zwischen den Deutschnationalen der Donaumonarchie und den Alldeutschen oder Konservativen im wilhelminischen Reich. Was die Slowenen in der Steiermark betrifft, so waren sie rein demographisch gesehen in der Minderheit – sie bildeten etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung – und erlitten aufgrund der Migration in die USA und ins Deutsche Reich weitere Verluste. Im steirischen Unterland befanden sie sich punktuell in der Offensive, was ihre Fähigkeit angeht, Breschen in das nationale Verteidigungswerk des deutschen „Festungsdreiecks“ von Maribor, Celje und Ptuj zu schlagen – letzteres sind die slowenischen Namen der weiter oben schon genannten Städte. Dies alles mündete in einen zeittypischen, aber mit regionalen Besonderheiten versetzten Konflikt zwischen Schul- und Schutzvereinen, Aufsichts- und Polizeibehörden, Lehrern und Klerikern, einen Konflikt, in dem das Wiener Zentrum als Schutzmacht der Slowenen ebenso auftreten konnte wie als Verbündeter der vielfach in sich gespaltenen Deutschnationalen.

Der Streit hatte propagandistische Aspekte und war zugleich ein Verteilungskampf um die vorhandenen Ressourcen. Die Erbitterung, mit der er geführt wurde, erklärt sich zum Teil aus dem Rückhalt, den die beiden involvierten Parteien außerhalb Österreichs suchten: beim Deutschen Reich die einen, beim Jugoslawismus und beim Königreich Serbien die anderen. Zuverlässig rekonstruiert Moll die Bedrohungsszenarien: Vom imaginierten deutschen Vorstoß nach Triest – Realität wurde er unter ganz anderen Voraussetzungen erst 1943 – bis zur befürchteten Slawisierung der Hauptstadt Graz ist so gut wie alles vertreten, was sich in zeitgenössischen Artikeln, Reden, Broschüren und anderem zu diesem Thema findet. Letztlich lag es aber in der besonderen internationalen Situation begründet, dass die punktuell durchaus in die Offensive gelangenden Slowenen, die insgesamt eine „nicht-dominante ethnische Gruppe“ blieben, am Ende zu Verfolgten wurden: Das Bündnis der Mittelmächte und der Rückhalt, den Berlin den Habsburgern im Konflikt mit Serbien gab, waren 1914 wirkungsmächtiger als die südslawischen Sympathien mancher Slowenen, die sich vor allem in Festen des Turnerbundes Sokol oder in der Errichtung von Nationalheimen manifestiert hatten.

Moll analysiert all dies mit viel Freude an der Recherche und an der Narration. Anders als von manchen Büchern, die in anderen Gegenden Europas zum Thema „Nationalitätenkonflikte“ erschienen sind, kann man von Molls Buch nicht behaupten, es sei eine Art Fortsetzung dieser Konflikte mit anderen Mitteln. Denn er vermeidet es keineswegs, die Motivationslage der Angreifer und Verfolger – das sind für ihn eindeutig die Deutschnationalen – zu durchleuchten. Er lässt dem Parteienspektrum, das im Konflikt mit den ultramontanen Slowenen vielfach Aspekte der Moderne artikulierte und sich mit den schwarz-rot-gelben Fahnen von 1848 schmückte, Gerechtigkeit widerfahren. Zugleich aber gehören alle seine Sympathien den zu Unrecht verleumdeten, verfolgten und verurteilten Südslawen, die man im Verlauf der Balkankriege und vor allem während des Ersten Weltkriegs in durchaus an totalitäre Praktiken erinnernder Weise für alles schon eingetretene und noch bevorstehende Unheil verantwortlich machte.

Dass die slowenischen Steirer jahrzehntelang die treuesten Untertanen der Monarchie gewesen waren, zählte in dieser Konstellation weit weniger als dass manche von ihnen die serbisch-bulgarischen Siege gegen das Osmanische Reich feierten. Hauptprotagonisten des Bandes sind im Übrigen nicht die einander bekämpfenden nationalen Parteien. Im Zentrum des Interesses stehen vielmehr die Denunzianten und ihre unschuldig angeklagten und eingekerkerten Opfer, darunter allein 18 slowenische Kleriker. An zweiter Stelle folgen die involvierten Ämter und Behörden, vom Innenministerium über die Statthalterschaft und die Militärrichter bis zum Gendarmen. Der Nationalitätenkonflikt wird bis auf die Ebene des „Dorftratschs“ herunterdekliniert, was einerseits ungemein plastisch und erhellend ist, andererseits zur Schilderung einer ermüdenden Fülle an Fallbeispielen führt. Negativ zu Buche schlägt leider auch das fehlende Ortsverzeichnis bzw. – bei mehrsprachigen Regionen von besonderer Bedeutung – die fehlende Ortsnamenskonkordanz. Auch ließe sich die Wirkung des Bandes mit ein wenig Kartenmaterial leicht erhöhen.

Insgesamt handelt es sich gleichwohl um eine Arbeit, die den Forschungsstand auf mindestens vier Feldern beträchtlich erweitert. Dies betrifft:
1. die engere Alpen-Adria-Region als supranationalen, deutsch-, slowenisch- und italienischsprachige Länder umfassenden Raum.
2. das Ende der Habsburgermonarchie – hier ausnahmsweise einmal nicht vom Zentrum Wien/Budapest sondern von der steirischen Peripherie her betrachtet.
3. die Nationalismus-Problematik im Grenzbereich zwischen Mittel- und Südosteuropa, aber auch grenzübergreifend zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn.
4. die slowenische Nationswerdung im Spannungsfeld zwischen Österreich und der südlichen Slavia, das Königreich Serbien eingeschlossen.

Trotz mancher sprachlicher Schwächen sollte man diesen Band sehr ernst nehmen und gründlich lesen. Er darf in keiner öffentlichen oder privaten Bibliothek fehlen, die einen Anspruch auf Qualität und Vollständigkeit in einem der vier genannten Forschungsbereiche erhebt.

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