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Titel
Deutschlands Wiederkehr. Eine ungeteilte Nachkriegsgeschichte 1945-1990


Autor(en)
Bender, Peter
Erschienen
Stuttgart 2007: Klett-Cotta
Anzahl Seiten
333 S.
Preis
€ 23,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Konrad H. Jarausch, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, University of North Carolina, Chapel Hill

Peter Bender ist einer der interessantesten Kommentatoren der deutschen Zeitgeschichte. 1923 in Berlin geboren, promovierte er nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Alter Geschichte, arbeitete dann jahrzehntelang als Journalist beim Westdeutschen Rundfunk, schrieb unter anderem für die „ZEIT“ und war in den 1970er-Jahren Korrespondent in Warschau. In den scharfen publizistischen Auseinandersetzungen unterstützte er die Neue Ostpolitik der sozialliberalen Koalition, und in den späteren außenpolitischen Debatten avancierte er zu einer von allen Seiten respektierten Stimme der Vernunft und der Verständigung. Politisch eher linksliberal, war er ein deutscher Patriot auch dann, wenn diese Haltung dem Zeitgeist zuwiderlief. In einem „dritten Anlauf“1 hat er nun eine Bilanz seines politischen Lebens und Denkens, eine zusammenfassende Betrachtung der deutschen Teilungsgeschichte vorgelegt.

Ausgehend von einem Nationsverständnis, das Deutschland als eine selbstverständliche Einheit ansieht, fragt Bender nach den Ursachen der jahrzehntelangen Teilung sowie der überraschenden „Wiederkehr“ der gemeinsamen Staatlichkeit. Das flüssig geschriebene Buch beginnt mit dem Verschwinden der Nation durch die doppelte Staatsgründung, indem es eine Reihe von Grundvoraussetzungen deutscher Nachkriegsgeschichte wie Schuld, Gebietsverluste und Trennung ins Gedächtnis ruft. Darauf folgt, in vier große Abschnitte gegliedert, eine chronologische Reflexion über die weitere Entwicklung der beiden rivalisierenden Teilstaaten: „Die Nachkriegsgeschichte Deutschlands war daher […] nicht nur, wie es meist erscheint, eine Geschichte der Unterschiede und Gegensätze, sie war auch eine Geschichte der Parallelen und Ähnlichkeiten.“ (S. 6) Anders als die Mehrheit der auf den Westen fokussierten Darstellungen bietet Bender einen stringenten Ost-West-Vergleich, der bundesdeutsche Entwicklungen als weitgehend bekannt voraussetzt, um Ereignisse in der DDR eingehender darstellen zu können. „Jeder führte sein eigenes, von anderen grundverschiedenes Leben, man entfremdete sich und kam doch nicht voneinander los.“ (S. 7f.)

Ausgangspunkt der Darstellung sind die Folgen der militärischen, politischen und moralischen Niederlage im Jahre 1945, die den Deutschen „das Kreuz gebrochen“ hatte (S. 23). Die Teilung war daher selbstverschuldet, die Trennung vollzog sich allerdings „vielfach sogar [mit] Unterstützung deutscher Politiker“ (S. 37, S. 55). Der Kalte Krieg erlaubte eine erstaunlich schnelle doppelte Staatsgründung: „Es war nicht Deutschland, das wieder aufstieg, der Aufstieg war nur in Teilen möglich und im Gegeneinander.“ (S. 105) Die Kapitel über die schwierigen Anfänge, Kämpfe um die Durchsetzung und diplomatische Ausgestaltung der Neuen Ostpolitik sind die Besten des Buches, da sie in komprimierter Form „den Sprung über den Schatten“ (S. 151) nachvollziehbar machen. Die Jahre 1970 bis 1972 bildeten „den zweiten Wendepunkt der deutschen Nachkriegsgeschichte – die Frage war nur: Wende wohin?“ (S. 168). Die Schilderung, „wie die Deutschen nebeneinander lebten“ (S. 177ff.), bettet die Absurditäten des deutsch-deutschen Verhältnisses in europäische Entwicklungen ein, während Bender in seinem Überblick zum Kollaps des Kommunismus Sympathie für die östliche „Revolution des Volkes“ (S. 231) mit Kritik an westlicher Bevormundung verbindet (S. 256). Die abschließenden Bemerkungen über die Zeit nach 1990 sind nur eine knappe Skizze.

Das Buch ist gut lesbar, denn es ist in elegantem Stil geschrieben; die Argumentation stellt schwierige Probleme eingängig dar. Bender greift immer wieder zu paradoxen Formulierungen, die die Bedeutung bekannter Entwicklungen neu hinterfragen. Seine Prosa lebt von Bonmots und Zuspitzungen, um den Leser zu provozieren. Die Substanz seiner Argumentationen ist eine eigenartige Mischung aus zeitgenössischer Erinnerung, langjähriger Reflexion und einigem Quellenstudium – geradezu das Gegenteil des akademischen Genres einer theoretisch ambitionierten, wissenschaftlich distanzierten und empirisch gesättigten Monographie. Die Sprachspiele bieten oft interessante Einsichten, und Benders Porträts wichtiger Akteure wie etwa der beiden Unterhändler Egon Bahr und Michael Kohl sind überaus treffend. Im Gegensatz zu enzyklopädischen, aber trockenen Überblicksdarstellungen ist dieses Buch eine höchst anregende Synthese auf knappem Raum.

Ein solcher Ansatz hat leider auch eine Reihe von Schwächen, die die Überzeugungskraft der Thesen einschränken. So ist der schmale Literaturteil eigenwillig – die Forschungsdiskussion wird nur bruchstückhaft rezipiert, und wichtige Quellenpublikationen fehlen. Auch haben sich eine Reihe von unzulässigen Vereinfachungen eingeschlichen (die Zahl der Mauertoten ist übertrieben; die Mitteleuropa-Diskussion im Ostblock kam erst in den 1980er-Jahren in Gang; Genscher war auf die KSZE, nicht auf die NATO-Mitgliedschaft konzentriert usw.). Wichtiger ist indes ein anderer Kritikpunkt: Dies ist ein sehr politikbezogenes Buch, das alle anderen Bereiche (soziale wie kulturelle Dimensionen) der deutsch-deutschen Doppelgeschichte weitgehend ausspart. Die Darstellung ist entlang der Achse deutschlandpolitischer Auseinandersetzungen zwischen Ost und West geschrieben; dieser rote Faden zieht sich durch das gesamte Material. Entwicklungen, die über diese Schnittmenge hinausgehen, kommen nicht in den Blick. Als Darstellung des deutsch-deutschen Sonderkonflikts ist das Buch in weiten Passagen brillant, aber den Anspruch einer „ungeteilten Nachkriegsgeschichte“ kann es nicht erfüllen.

An einigen Stellen bietet „Deutschlands Wiederkehr“ selbst Anregungen zu einer alternativen Geschichte einer zerbrochenen Nation nach dem Hypernationalismus, die zu verfolgen sich lohnen würde. Wie kann man, ohne in die Falle nationalistischer Historiker des 19. Jahrhunderts zu tappen, über eine Nation nach einer doppelten Niederlage schreiben, die ihre moralische Existenzberechtigung in Frage gestellt hat, deren politische Organisation zerstört wurde und die ihr Staatsgebiet unter den Siegern aufteilen musste? Ansetzen könnte man bei den alltäglich gelebten Verbindungen, die über Freundschaft und Verwandtschaft ein soziales Netz geknüpft haben. Oder man könnte die grenzüberschreitenden kulturellen Diskussionen verfolgen, die einen gemeinsamen sprachlich-symbolischen Kommunikationsraum schufen. Auch könnte man eventuell die Erwartungen und Reaktionen der Nachbarn untersuchen, die weiterhin ein deutsches Volk konstituiert haben. Wäre ein solcher Ansatz für den Nachweis von gesamtdeutschen Bezügen in der Zeit der Teilung nicht aussagekräftiger als eine weitere Darstellung der Deutschlandpolitik?

Peter Benders neues Buch ist ein ausgedehnter, retrospektiver Essay über die Geschichte beider deutschen Staaten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sein Mut beim Aufwerfen von Interpretationsfragen ist bewundernswert, und seine Antworten sind meist anregend, auch wenn man sie nicht immer teilen kann. Manchmal sind auch seine Schlussfolgerungen verbal eleganter als inhaltlich überzeugend. Dennoch bieten Thesen wie die Betonung der Rückkehr Europas als Akteur im zweiten Kalten Krieg genug Denkanstöße zur empirischen Überprüfung. Für die Probleme der Wirtschaft hingegen zeigt der Autor kein Interesse, so dass die Problematik des Strukturwandels und der Globalisierung kaum auftaucht. Und weite Bereiche innenpolitischer oder soziokultureller Entwicklungen, die die deutsch-deutschen Beziehungen nicht berühren, werden überhaupt nicht angesprochen. Benders tour de force zeigt, dass man eine deutschlandpolitisch fokussierte gemeinsame Nachkriegsgeschichte der beiden Teilstaaten erfolgreich schreiben kann. Aber eine breiter ausgreifende, integrierte Geschichte der Deutschen zwischen 1945 und 1990 bleibt weiterhin eine uneingelöste Herausforderung.

Anmerkung:
1 So Hermann Rudolph in seiner Rezension (Nach unten offen, in: Tagesspiegel, 25.6.2007, S. 7), der auf zwei frühere Bücher Peter Benders zu diesem Themenkomplex verweist: Deutsche Parallelen. Anmerkungen zu einer gemeinsamen Geschichte zweier getrennter Staaten, Berlin 1989, und Episode oder Epoche? Zur Geschichte des geteilten Deutschland, München 1996.

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