M. L. Allemeyer u.a. (Hrsg.): Von der Gottesgabe zur Ressource

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Titel
Von der Gottesgabe zur Ressource. Konflikte um Wald, Wasser und Land in Spanien und Deutschland seit der frühen Neuzeit - De la Conservación a la Ecologiá. Estudios históricos sobre el uso de los recursos naturales y la sostenibilidad


Herausgeber
Allemeyer, Marie Luisa; Jakubowski-Tiessen, Manfred; Rus Rufino, Salvador
Erschienen
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mathias Mutz, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Göttingen

Auch wenn im Juni 2007 auf der Tagung der European Society for Environmental History in Amsterdam mit dem Thema „Environmental Connections“ international-vergleichende Aspekte im Mittelpunkt standen, ist Umweltgeschichte bisher überwiegend aus einer nationalen oder regionalen Perspektive betrieben worden; der Blick über den Tellerrand blieb in Deutschland meist auf den angloamerikanischen Raum begrenzt. Hier will der aus einer Tagung des (ehemaligen) Max-Planck-Instituts für Geschichte und der Representación Histórica Española en Alemania hervorgegangene Sammelband dazu beitragen, den Dialog auszuweiten und zu vertiefen. Dies kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass die Beiträge sowohl in Deutsch als auch in Spanisch abgedruckt wurden.

Sechs Aufsätze können nur einen Bruchteil dessen in den Blick nehmen, was unter dem Schlagwort „Konflikte um naturale Ressourcen“ von Interesse wäre. Insofern geht der Titel des Sammelbandes zu weit, zumal nur Konflikte in einem ländlich-agrarischen Kontext thematisiert werden, während städtische oder gewerblich-industrielle Ressourcennutzungen außen vor bleiben. Die Fallstudien, die zeitlich vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart und geographisch von der Nordseeküste bis in den Bayrischen Wald und von Galicien bis Andalusien reichen, können jedoch als beispielhaft für Auseinandersetzungen gelten, in denen soziale, politische, ökonomische und kulturelle Faktoren gleichermaßen auf die historische Nutzung und Wahrnehmung der Umwelt einwirken.

Marie Luisa Allemeyer und Manfred Jakubowski-Tiessen thematisieren in ihren Texten die politischen und kulturellen Implikationen der Landnutzung an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste. Während Jakubowski-Tiessen die bis in die 1960er-Jahre zurückreichende (Vor-)Geschichte des 1985 eingerichteten Nationalparks „Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer“ nachzeichnet, beschreibt Allemeyer den Deich als zentrales Element der frühneuzeitlichen Küstengesellschaft. Seine gemeinschaftliche Unterhaltung als Voraussetzung für die Besiedlung der Marschregion prägte durch die so genannte Deichsolidarität das Zusammenleben, führte aber auch zu zahllosen Auseinandersetzungen. In Konflikten über die Verpflichtung zur Nachbarschaftshilfe oder das Recht zum Befahren der Deiche wird die Natur zum symbolischen und realen Austragungsort moralisch-religiöser und politischer Aushandlungsprozesse unter den Küstenbewohnern und mit der Obrigkeit. Zweihundert Jahre später steht wiederum der Deich im Mittelpunkt der Auseinandersetzung um den Nationalpark und die damit verbundene Neudefinition des Verhältnisses von Küstenschutz und Naturschutz. Die alte Frage „Wem gehört das Wattenmeer?“ wurde nun zum Thema eines lokalen, ländlichen Widerstands gegen die Aufweichung der durch Deiche geschlossenen Küstenlinie. Dem sich seit den 1970er-Jahren entwickelnden neuen gesellschaftlichen Natur(schutz)verständnis wurde dabei – bewusst historisch argumentierend – eine lokale friesische Identität gegenübergestellt. Damit bringt auch hier – wie es Allemeyer formuliert – „der Streit um den Deich die Küstenbewohner gewissermaßen zum Sprechen“ (S. 31f.), ermöglicht der Nutzungskonflikt Aussagen über grundlegende Einstellungen der Menschen, deren Wandel und die darin durchscheinenden Weltbilder. Beide Studien verdeutlichen gleichzeitig, dass gerade die Rolle der Natur als Medium politischen Handelns und kultureller Sinndeutung mitgedacht werden muss.

Eine herrschaftspolitische Instrumentalisierung der Umwelt lässt sich auch aus den Beiträgen von Richard Hölzl und Ana Cabana Iglesia zur Ressource Wald herauslesen. Hölzl analysiert den bürgerlichen Gelehrtendiskurs über den Wald und dessen alltagsgeschichtliche Wirkung zu Beginn des 19. Jahrhunderts am Beispiel des Bayrischen Waldes. Ausgehend von aufklärerischen Reformbestrebungen erfolgte mit der Etablierung der modernen Forstwirtschaft eine Neudefinition der Nutzungsrechte. Wie Hölzl zeigt, dienten dabei „ökologische Erzählungen“ (S. 120) – Aussagen über die ökologischen Auswirkungen bestimmter Nutzungspraktiken – als zentrale Legitimationsstrategie der Zentralisierung und Vereinheitlichung. Ökologisch kodierte Narrative wie die Schädlichkeit der so genannten Waldnebennutzungen trugen wesentlich zur Durchsetzungsfähigkeit der Verwaltung bei, wurden jedoch von der lokalen Bevölkerung, deren Nutzungsverständnis auf Tradition und Gewohnheit beruhte, nicht akzeptiert. Zum Ausdruck kam dies in Verstößen gegen die neuen Forstbestimmungen (so genannte Forstfrevel) und Nachbarschaftskonflikten mit Neusiedlern. Eine ähnlich gelagerte Konfliktlinie zwischen den Vertretern traditioneller Bewirtschaftungsformen und Ideen der Forstwirtschaft findet auch Cabana Iglesia im Fall der Auflösung der Gemeinwaldungen in Galicien seit dem 19. Jahrhundert; auch spielten vergleichbare Narrative und ein ähnliches Repertoire an Widerstandsformen eine Rolle. Hier waren es die galicischen „montes“ – große, mit Heidekraut und Gestrüpp bewachsene Flächen –, die als ein wichtiger Bestandteil der lokalen bäuerlichen Ökonomie von der am deutschen Ideal orientierten Forstwirtschaft als ungenutzter „Forst ohne Wald“ definiert wurden. Die resultierende Umgestaltung der Besitzverhältnisse von einer nachbarschaftlichen Nutzung zu einer staatlichen Verwaltung wie auch der Widerstand gegen diese „Entkommunalisierung“ erlebten ihren Höhepunkt mit den wirtschaftspolitisch motivierten Aufforstungsbestrebungen der Franco-Diktatur.

Die von Cabana Iglesia betonte Bedeutung der gemeinschaftlichen Ressourcennutzung als sozialem Schutzraum und Form effizienter Nachhaltigkeit, also die Verknüpfung sozialer und ökologischer Aspekte, ist auch für die letzten beiden Beiträge des Bandes zentral. Dabei entwickeln David Soto Fernandez, Antonio Herrera Gonzales de Molina, Manuel Gonzales de Molina und Antonio Ortega Santos ein sozialwissenschaftlich orientiertes Schema für die Kategorisierung bäuerlichen Widerstands als sozio-ökologischen Protest, das Antonio Ortega Santos in einem zweiten Artikel mit Beispielen aus Ost-Andalusien weiter vertieft. In der entworfenen Typologie soll jeder Umweltkonflikt danach beurteilt werden, „inwiefern er zu einer größeren Nachhaltigkeit beigetragen hat“ (S. 188). Hierzu wird zwischen intramodalen Konflikten als reinen Verteilungskonflikten und intermodalen Konflikten als Reproduktionskonflikten unterschieden, bei denen grundlegend über das Nutzungssystem debattiert wird. Zweite Analysekategorie ist der Grad der Bäuerlichkeit bzw. der Kommerzialisierung der Nutzungen. Letztlich unterscheiden die Autoren Umweltkonflikte innerhalb eines bäuerlich-agrarischen bzw. kommerziell-industriellen Nutzungssystems auf der einen Seite und am Übergang vom bäuerlichen zum industriellen System auf der anderen Seite. Der analytische Gewinn dieser Typologisierung scheint jedoch dadurch begrenzt, dass mit ihr eine pauschale Deutung der Konflikte als die Natur schützender (bäuerlicher) „Kampf gegen die Oktroyierung einer kommerziellen Bewirtschaftungsform“ (S. 245) nahegelegt wird. Es entsteht teilweise der Eindruck einer unnötigen Komplexität des Modells, das wenig Raum für Akzentuierung oder Ausdifferenzierung lässt. Während die Typologie anhand globaler Beispiele aus dem Kontext der „Environmental Justice“-Bewegung erläutert wird, konzentriert sich Ortega Santos auf Forstkonflikte im Andalusien des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Die große Zahl an Forstrechtsverstößen, etwa illegales Weiden, nach der Privatisierung von Nutzungsrechten werden als Protest gegen staatliche Intervention interpretiert, während ihr Rückgang im Laufe der Zeit als Indiz für gesellschaftliche Akzeptanz verstanden wird. Gleichzeitig betont Ortega Santos die soziale Zugehörigkeit der Delinquenten, vorwiegend Tagelöhner, und die Bedeutung des Nutzungsdrucks durch Bevölkerungsdichte für die Konflikthäufigkeit, geht also von ökonomisch-ökologischen Grundschwierigkeiten aus.

Während die strukturellen Ähnlichkeiten der Fallbeispiele aus Andalusien und dem Bayrischen Wald ins Auge fallen, zeigt sich gerade zwischen Ortega Santos und Hölzl auch die unterschiedliche Herangehensweise der Autoren. Dies beschränkt sich nicht auf den Gegensatz zwischen einer eher qualitativen und einer eher quantitativen Analyse, vielmehr steht einem Eingehen auf die Selbst- und Weltdeutung einzelner Gruppen die Betonung der Klassendimension und der materiellen Konsequenzen für die lokale Bevölkerung gegenüber. Werden einerseits aus einer kulturgeschichtlichen Perspektive Auseinandersetzungen um die Umwelt auf die Dimensionen Macht und Legitimität hin gedeutet, werden andererseits im Sinne einer materialistisch argumentierenden Sozialgeschichte Herrschaftskonflikte als Grundsatzentscheidungen für oder gegen eine nachhaltige Umweltnutzung interpretiert. Dass dieser Gegensatz vor allem zwischen den deutschen und den spanischen Beiträgen aufbricht, könnte stärker auf institutionelle, denn auf nationale Kontexte zurückzuführen sein. Es ist aber sicher kein Zufall, dass der spanische Titel die „Gottesgabe“ unterschlägt, während im Deutschen die „sostenibilidad“ nicht vorkommt.

Freilich handelt es sich beim Gegensatz von Konstruktivität und Materialität naturaler Umwelt um eine Sollbruchstelle der Umweltgeschichte. Es scheint schwierig, aus Umweltkonflikten Aussagen über die Umwelt und eine spezifische Umweltwahrnehmung abzuleiten, wenn diese als lediglich ökologisch kodiert gedeutet werden. Problematisch ist es auch, kulturell stark aufgeladene und an sich ahistorische Begriffe wie Nachhaltigkeit als Bewertungskategorien zu verwenden. Trotz zahlreicher inhaltlicher Querverbindungen, die das Erkenntnispotential international vergleichenden Arbeitens andeuten, bleibt am Ende die Frage, wie die Verknüpfungen zwischen Deutungsmacht, Ökonomie und Umwelt konzeptionell besser gefasst werden könnten. Möglicherweise stellt hier das Konzept der „Property Rights“, das in mehreren Beiträgen anklingt, eine integrationsfähige Basis dar, wenn der Begriff entsprechend sozial und kulturell eingebettet wird; die Zuschreibung von Eigentumsrechten erscheint jedenfalls als grundlegendes Organisationsprinzip des gesellschaftlichen Umgangs mit Umwelt. Dass sich die Herausgeber für zwei Einleitungen (in Deutsch bzw. Spanisch) entschieden haben und damit auf eine intensivere Zusammenführung verzichteten, kann man dementsprechend als konzeptionelle Schwäche auslegen. Als Stärke muss man dem entgegenhalten, dass der Band insgesamt verdeutlicht, dass die Umwelt als Konfliktfeld essentiell mit unterschiedlichsten Entwicklungssträngen der Moderne verknüpft ist und deshalb zu Unrecht in der Geschichtswissenschaft lange wenig Beachtung gefunden hat.