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Titel
Die Pfarreien der Insel Rügen. Von der Christianisierung bis zur Reformation


Autor(en)
Büttner, Bengt
Reihe
Forschungen zur Pommerschen Geschichte 42
Erschienen
Köln 2007: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
594 S.
Preis
€ 54,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Fred Ruchhöft, Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern

Das Buch von Bengt Büttner entführt auf die verkehrsgeografisch zentral gelegene Ostseeinsel Rügen am Rande Deutschlands, welche nicht zuletzt aufgrund ihrer Lage zum Schmelztiegel verschiedener kultureller, ethnischer und politischer Einflüsse wurde. 1168 fielen hier die letzten heidnischen Heiligtümer Mitteleuropas durch dänische Äxte. Folgerichtig kam die slawisch besiedelte Insel unter dänische Herrschaft und zum dänischen Bistum Roskilde, welches auch die ersten kirchlichen Strukturen schuf. Politisch verblieb die Insel als dänisches Lehen beim einheimischen Fürstenhaus, deren Fürstentum sich seit Ende des 12. Jahrhunderts auch über festländisches Gebiet ausdehnte, welches kirchlich zum Bistum Schwerin kam. Als das rügensche Fürstenhaus 1325 ausstarb, traten die Herzöge von Pommern ihr Erbe an. Pommern wiederum gehörte zum größten Teil zum exemten Bistum Cammin. Wirtschaftlich wurde Rügen sehr schnell von der 1234 auf dem gegenüberliegenden Festland gegründeten Hansestadt Stralsund dominiert. Unter diesen Rahmenbedingungen entwickelten sich die Pfarreien der Insel Rügen. Bengt Büttner untersucht in seinem Buch, 2003/04 als Dissertation in Göttingen angenommen, wie die dänischen, pommerschen und anderen Einflüsse die Pfarreien prägten und stellt die Sonderstellung der Insel im südlichen Ostseeraum heraus. Nach einem einführenden Kapitel über die frühesten Missionsversuche und Ansprüche verschiedener Bistümer auf die Insel bis 1168 folgen die drei zentralen Abschnitte über Entstehung und Ausbau der kirchlichen Organisation (1168 bis circa 1380), über die um 1380 entstandenen Benefizienverzeichnisse im Roskilder Urbar als einmalige und grandiose Quelle für kirchliche Strukturen im mittelalterlichen Nordosten Deutschlands sowie als drittes über die kirchliche Organisation von etwa 1380 bis zur Einführung der Reformation im Jahr 1534. Büttner schließt mit kurzen Ausführungen über die folgenden Jahrzehnte und fügt seinem Buch umfangreiche Tabellen über Pfarren, Vikareien sowie Altar- und Messpfründen an, wobei er es an einer bemerkenswerten Zusammenstellung der belegbaren Geistlichen mit biographischen Angaben nicht fehlen lässt. Büttner sucht in den Quellen nach dänischen, pommerschen und autochthonen Einflüssen, welche die Struktur und Verfassung der Pfarreien auf Rügen prägten. Er untersucht die Spuren der dänischen Kirchengründungen und die ökonomischen und kirchenpolitischen Standbeine des Bischofs von Roskilde auf der Insel, erforscht die Auswirkungen der wirtschaftlichen Dominanz der Stadt Stralsund auf die Gestaltung und Nutzung der Pfründen, für welche die Bistumsgrenze am Strelasund kein Hindernis war, und schließlich auch die gesetzgeberischen Eingriffe des Landesherren, die von festländischen Verhältnissen entlehnt waren. Man erfährt dabei viele Details über den Gebrauch und Missbrauch von Pfründen, lernt nebenbei eine ganze Reihe bedeutender Stralsunder und Rügener Familien kennen.

Das schwierigste Kapitel rügenscher Kirchengeschichte ist zweifellos die Frühzeit. Zu den nicht gerade untendenziösen literarischen Quellen des 12. und 13. Jahrhunderts gesellt sich eine nur dürftige Zahl von Urkunden. Auch wenn Büttner sich in vorbildlicher Weise auch anderer als historischer Quellen, nämlich der Ergebnisse archäologischer, bauforscherischer und kunsthistorischer Forschungen bedient, bleiben die Kenntnisse lückenhaft. Dabei wurde auch das neueste publizierte Wissen für die Druckfassung eingearbeitet; bisher nicht veröffentlichte Studien und Untersuchungen werden in absehbarer Zeit einige neue Aspekte hinzufügen, ohne aber das von Büttner gezeichnete Bild nachhaltig zu verändern. So soll es an dieser Stelle bei einzelnen Ergänzungen und Hinweisen bleiben. Wenn eine gefälschte Urkunde angeblich aus dem Jahr 1249 nach Büttner einen echten Kern besitzt (S. 62), so kann sie zwar die Existenz der Pfarre in Vilmnitz nachweisen (was man in der Tat auch annehmen kann), nicht aber den backsteinernen Kirchenbau, genauer den Chor, der zweifellos erst im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts erbaut worden ist. Nachgewiesen ist jedoch ein hölzernes Kirchenschiff, wie auch sonst daran zu erinnern ist, dass wohl fast alle rügenschen Kirchen hölzerne Vorgängerbauten besaßen. Interessant ist die Vermutung Büttners, dass die Kirchspiele Rappin (S. 81) und Gustow (S. 83, 86) jüngere Gründungen sind. Dann aber müssen sie noch im 13. Jahrhundert entstanden sein, denn die Chorbauten beider Kirchen wurden noch vor 1300 begonnen. In Frage zu stellen ist die Aussage, dass die Kirche von Wiek auf Wittow erst um 1300 von Altenkirchen gelöst und eine selbständige Pfarrei geworden ist (S. 63, 81). Dagegen sprechen sowohl der spätromanische Taufstein als auch die von T. Schöfbeck jüngst dendrochronologisch deutlich älter datierten zweitverwendeten Hölzer einer Vorgängerkirche. Zweifellos richtig dagegen ist die Gleichsetzung der 1322 erwähnten Pfarre Ralow mit der Pfarre Landow (S. 82). Der im heutigen Backsteinbau erhaltene hölzerne Ständerbau der Kirche in Landow wurde auf das Jahr 1312/13 datiert.1 Nicht unbedeutend ist die Bemerkung Büttners, dass aufgrund der auffallenden Anzahl slawischer Namen unter den Klerikern im 14. Jahrhundert die slawische Sprache und Kultur noch lebendig gewesen sein muss. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam C. Willich im Rahmen der in Kürze zu publizierenden Forschungen am GWZO in Leipzig aufgrund der Ortsnamenbildung.2

Wünschenswert wäre eine über beiläufige Anmerkungen hinausgehende Auseinandersetzung mit der neuen These gewesen, nach der Karenz, Ort der Kapitulation der Rügenfürsten vor dem dänischen König im Jahr 1168 und Ausstellungsort der Stralsunder Gründungsurkunde von 1234, nicht wie seit mehr als 300 Jahren angenommen, mit dem Städtchen Garz auf Rügen gleichzusetzen ist, sondern mit dem heute entlegenen slawischen Burgwall bei Venz identisch sein muss.3 Auch wenn die These erst nach Fertigstellung der Dissertation erschien und sicher nicht ohne größeren Aufwand einzuarbeiten gewesen wäre, die daraus abzuleitenden Konsequenzen für die frühe kirchliche Entwicklung hätten dies durchaus gerechtfertigt.

Doch alles in allem betrachtet sind diese und andere kleine Unzulänglichkeiten Erbsenzählerei gegenüber dem, was Bengt Büttner dem umfangreichen und weit verstreuten Quellenmaterial entlockt hat, ohne sich in langweiligen Aufzählungen zu verfangen. Mit über 400 Seiten Text verfasste er die umfangreichste Forschungsarbeit zur Geschichte der Insel Rügen der letzten Jahrzehnte. Allein diese Aussage zeigt, welche Lücke dieses Buch schließt. So ist es zwar ein kirchengeschichtliches Werk, aber es enthält unzählige Episoden und Anmerkungen zur allgemeinen Geschichte der Insel im Mittelalter. Ein Blick in die Anmerkungen beweist die Akribie und Sorgfalt, mit der die ungeahnt zahlreichen Quellen, welche für die Zeit nach 1300 vorliegen, ausgewertet wurden und dabei auch die Arbeiten der Nachbardisziplinen umfassend berücksichtigt wurden. Die in den gut drei Jahren zwischen Abschluss der Dissertation bis zur Drucklegung erschienene Literatur wurde bei der Überarbeitung fast immer gebührend berücksichtigt; das vorliegende Buch bietet also den aktuellen Forschungsstand und wird auf Jahre ein wichtiges Standardwerk zur Geschichte der Insel Rügen sein.

Anmerkungen:
1 Kratzke, Christine, Älteste Fachwerkkirche Deutschlands entdeckt. Spektakulärer Analyse-Befund auf Rügen, in: Journal Universität Leipzig, Heft 6 (2005), S. 10-11.
2 Reimann, Heike; Ruchhöft, Fred; Willich, Cornelia, Garz, Schaprode und Jasmund. Eine Geschichte der mittelalterlichen Siedlung auf Rügen an ausgewählten Beispielen, in: Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa (im Druck).
3 Kratzke, Christine; Reimann, Heike; Ruchhöft, Fred, Garz und Rugendahl auf Rügen im Mittelalter, in: Baltische Studien, Neue Folge 90 (2004), S. 25-52.

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