K. v. Greyerz u.a. (Hrsg.): Religion und Gewalt

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Titel
Religion und Gewalt. Konflikte, Rituale, Deutungen (1500-1800)


Herausgeber
Greyerz, Kaspar von; Siebenhüner, Kim
Reihe
Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 215
Erschienen
Göttingen 2006: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joachim Eibach, Historisches Institut, Universität Bern

Religion und Gewalt – ein aktuelles Thema mit einer sehr langen Geschichte! Kaspar von Greyerz und Kim Siebenhüner weisen im Vorwort des von ihnen herausgegebenen Sammelbandes auf die beinahe täglich hereinkommenden Nachrichten von „gewalttätig religiösen Konflikten“ (S. 7) hin, Konflikte außer- wie innerhalb Europas. Man hat es augenscheinlich nicht mit einem Phänomen zu tun, das sich isoliert in sicherer Ferne oder mit gewissermaßen ‚zivilisatorischem’ Abstand verorten lässt: etwa im Mittelalter der Kreuzzüge oder im Zeitalter der Konfessionskriege. Die bedrückende Gegenwart des Problems macht historische Analysen umso dringlicher. Der Band mit insgesamt 17 Beiträgen thematisiert vorwiegend die Frühe Neuzeit – eine Epoche, in der religiöse Konflikte verschiedenster Art auf den ersten Blick endemisch waren: Religionskriege und endlose konfessionelle Streitereien, Scheiterhaufen der Inquisition, Pogrome gegen Juden, christliche Mission mit dem Schwert in der Hand, um nur die bekannteren Beispiele zu nennen.
Das vorrangige Ziel des Sammelbandes ist ein besseres Verständnis der Formen religiöser Gewalt und ihrer Wahrnehmung durch zeitgenössische Akteurinnen und Akteure in der Frühen Neuzeit. Der Herausgeber und die Herausgeberin führen zwei Forschungsgebiete zusammen, die in den letzten Jahren intensiv betrieben wurden, deren Ergebnisse aber bis vor kurzem insgesamt relativ beziehungslos nebeneinander standen: auf der einen Seite das Thema Religion, Konfession bzw. Konfessionalisierung, auf der anderen Seite das Thema Gewalt, das kulturhistorisch vor allem in der Militärgeschichte und in der Kriminalitätsgeschichte, aber auch in Soziologie und Religionswissenschaft, Anlass zu Debatten gab und gibt. Warum es immer wieder und wie genau es in ganz unterschiedlichen Kontexten zu Gewalt kommt, das dürfte eine der großen kulturhistorischen Fragen sein. Sie war denn auch – wie die Herausgeber sehr wohl wissen – früh Gegenstand eines Klassikers der Kulturgeschichte: Natalie Zemon Davis’ Abhandlung über Riten der Gewalt während der religiösen Konflikte in Frankreich im 16. Jahrhundert.1

Nicht zufällig behandelt die Mehrzahl der Beiträge des Bandes das 16. und das 17. Jahrhundert. Charakteristisch für diese Zeit ist, wie von Greyerz und Siebenhüner in der Einleitung treffend bemerken: „Religion und Konfession stellten nicht nur Rechtfertigungsgründe für Kriege zur Verfügung, sondern gaben, grundlegender noch, Wahrnehmungs- und Deutungsmuster von Gewalt vor. Sie wirkten sinnstiftend und ordnend zugleich.“ (S. 13) Erst der Paradigmenwechsel der Aufklärung sollte für neue kollektive Deutungsangebote sorgen, ohne dabei die alten gleich zu verdrängen. Herausgeberin und Herausgeber plädieren überdies aus guten Gründen für einen weiten Gewaltbegriff: Würde sich die Leitkategorie auf die Zufügung physischer Gewalt beschränken, gerieten ganz wesentliche, dem Gewaltgeschehen der Frühen Neuzeit inhärente Aspekte aus dem Blick – die Entweihung sakraler Objekte, das polemische Kirchenlied, die Kontroverspredigt, die Zwangskonversion und nicht zuletzt schlicht das Wort, das viel intensiver als in unserer säkularen, rechtsorientierten Gegenwartskultur zu einer verletzenden Waffe werden konnte. Ob man derartige Formen ‚symbolischer Gewalt’ mit Pierre Bourdieu als verdeckte Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse oder als ‚verschleierte’, ‚sanfte’ Gewalt fassen will, ist diskutabel. Die meisten der in dem Band untersuchten Gewaltakte waren jedenfalls weder verdeckt noch sanft, sondern für die Beteiligten klar und deutlich als Aggression erkennbar, auch wenn es sich eben nicht um direkte, körperliche Gewaltzufügung handelte. Dies ist entscheidend, so dass von Greyerz und Siebenhüner formulieren können: „Man muß Bourdieu nicht strikt folgen, um von seinem Gewaltbegriff zu profitieren.“ (S. 18)

Die siebzehn Beiträge, die im Wesentlichen Mittel- und Westeuropa behandeln, lassen sich mehreren inhaltlichen Leitachsen zuordnen: Religion und Politik, Legitimierung von Gewaltausübung, Deutungen von Gewalt und Gewaltimaginationen, Kontexte und Medien des Konfliktaustrags, symbolische Gewalt. Mehrere Artikel zeigen, wie das Thema ‚Religion’ mit großer Politik und Staatsbildungsprozessen verknüpft war (Brady, Benedict, Canny und Goodale). Sowohl die Herausbildung neuer Konfessionen nach 1500 als auch Akte der Revokation einer bereits relativ stabilen Konfession oder auch der Konversion von Landesherren seit dem Ende des 16. Jahrhunderts führten zu Konflikten zwischen Obrigkeiten und Untertanen. Es zeigt sich, wie Religion und Politik in einer für diesen Zeitraum charakteristischen Weise untrennbar miteinander verknüpft waren.

Die Legitimität der Ausübung von Gewalt scheint in der christlich-jüdischen Tradition durch zahlreiche Passagen des Alten Testaments fundiert. Auf den zweiten Blick erweist sich diese Herleitung aber nicht als zwingend. Häufig sind es moderne Diskurse wie jener der Geschichtswissenschaft, die Gewaltausbrüche unter Hinweis auf religiöse Aspekte erklären oder legitimieren (Schaffner, Sabean). Auch im als besonders tolerant geltenden Hinduismus dienen historische Konstrukte seit einigen Jahren mitunter zur Rechtfertigung einer militanten Einstellung (Lal). Aber bereits die schreibenden Zeitgenossen der Frühen Neuzeit deuteten die Frage der Legitimität von Krieg und Massakern ganz unterschiedlich, jeweils in Abhängigkeit von der Religionszugehörigkeit der Akteure. Dies unterstreicht der (Reise-) Bericht des gebildeten Hauslehrers Michael Heberer von Bretten über extreme physische Gewalt während eines Hugenottenmassakers in Marseille 1585, über seine Zeit in Diensten des Malteserordens und besonders über seine dreijährige osmanische Gefangenschaft (Ulbrich). Von der Frage der Legitimität ist der Aspekt der Deutungen und Imaginationen von Gewalt kaum zu trennen. Frappierend erscheint besonders die Deutung des eigenen Leidens vor dem Hintergrund der Passion Christi und der christlichen Märtyrer: In Genf wurde das Martyrium um des rechten Glaubens willen Mitte des 16. Jahrhunderts zu einem vorbildlichen Tod stilisiert, das die Erlangung des Seelenheils versprach (Grosse). Das gemeinsame Leiden bis hin zum heilsgeschichtlich konfigurierten Tod schaffte kollektive Identität. Dies lässt sich in Märtyrerliedern der Täufer und in Theaterspielen bei Andreas Gryphius, aber auch bei den Jesuiten aufzeigen (Burschel).

Sieht man von der Anwendung von Waffengewalt ab, so fand die Auseinandersetzung mit dem konfessionellen oder religiösen Gegner, die immer auch die Stärkung kollektiver Identität im eigenen Lager zum Ziel hatte, mittels charakteristischer Medien statt. Theater- und Passionsspiele boten auch noch in der Moderne eine publikumswirksame Möglichkeit der Inszenierung des Anderen und des Selbst. So waren die berühmten Passionsspiele von Oberammergau ein Vehikel des katholischen Antisemitismus (Favret-Saada). Ein relativ wenig erforschtes Medium, dessen Bedeutung für die Frühe Neuzeit aber kaum unterschätzt werden darf, stellt das Kirchenlied dar. Am Beispiel des lutherischen Kirchenlieds und seiner Rezeption nach Luthers Tod lässt sich zeigen, wie der Gesang in der Kirche zum Instrument des verbalen Angriffs auf die Gegner der Reformation, dann aber auch auf Dissidenten innerhalb des Luthertums wurde (Veit). Der Kirchenraum als Ort von Predigt und Gesang wurde so zu einem spezifischen Kontext für die Ausübung von verbaler religiöser Gewalt. Einen zweiten Kontext bildete die Justiz als Ort der Verhandlung über die rechte Religion und über Abweichungen und blasphemische Angriffe auf die Religion (Siebenhüner, Loetz). Eine genaue Betrachtung des Umgangs mit dem Vergehen der Bigamie zeigt dabei, dass auch die römische Inquisition keineswegs nur mit grausamer Härte gegen Delinquenten vorging, sondern über bürokratische Prozeduren und subtilere Zwangsmechanismen wie die Beichte verfügte, um Konformität herzustellen (Siebenhüner).

Wendet man sich den verschiedenen Spielarten der ‚symbolischen Gewalt’ zu, so ist noch einmal zu betonen, dass es sich für die betroffenen Zeitgenossen sehr wohl um schwerwiegende Angriffe und Verstöße handelte. Eine Gotteslästerung bedeutete die Herausforderung der Rache Gottes und damit eine Gefahr für die ganze Gemeinde (Loetz). Standen keine anderen Mittel mehr zur Verfügung, so blieb wie im katholischen Eichsfeld immer noch die Möglichkeit verbalen Spotts gegen ungeliebte Pfarrer (Duhamelle). Charakteristisch für Regionen mit gemischter Konfessionslage wie die Ostschweiz oder die Kurpfalz waren Grenzziehungen mittels Sachbeschädigung und Schändung (Volkland). Mitten im Dreißigjährigen Krieg ließ der schwedische Reichskanzler Oxenstierna 1634 in Erfurt, einer Stadt mit mehreren katholischen Klöstern und Stiften, zwei hölzerne Heiligenfiguren öffentlich zersägen, um dem Publikum zu beweisen, dass es sich nicht um „leibhaftige Reliquien“ handelte (Medick, S. 368). Selbst für eine der intensivsten Formen der religiösen Gewalt, den Krieg, lässt sich so zeigen, dass neben der militärischen Gewalt auch der symbolischen Gewaltanwendung eine wichtige Funktion zukam – nämlich immer dann, wenn man den Gegner nicht völlig vernichten, wohl aber politische und religiöse Überlegenheit demonstrieren wollte.

Der Band vermittelt zahlreiche neue Einsichten in unterschiedliche, historisch wandelbare Praktiken und Wahrnehmungen religiöser Konflikte. Für die Beschäftigung mit dem Thema wird er in Zukunft unverzichtbar sein.

Anmerkung:
1 Davis, Natalie Zemon, Die Riten der Gewalt, in: dies., Humanismus, Narrenherrschaft und die Riten der Gewalt. Gesellschaft und Kultur im frühneuzeitlichen Frankreich, Frankfurt am Main 1987 (zuerst 1973), S. 171-209.

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