Titel
Wallowing in Sex. The New Sexual Culture of 1970s American Television


Autor(en)
Levine, Elana
Reihe
Console-Ing Passions: Television and Cultural Power
Erschienen
Durham, NC 2007: Duke University Press
Anzahl Seiten
336 S.
Preis
€ 18,62
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felix Krämer, Hamburg

Wallowing – sich suhlen, wälzen, schwelgen in. Das US-Fernsehen der 1970er-Jahre habe sich im Sex gesuhlt, zitiert die Medienwissenschaftlerin Elana Levine im Titel ihres Buches einen anonymen Fernsehmacher aus jener Zeit (S. 2). Hinter dem reißerischen Titel verbirgt sich eine ausgesprochen lesenswerte Studie, in der Levine geschickt Kultur- und Medientheorie verbindet sowie Ansätze aus Gender und Queer Studies heranzieht, ohne sich dabei im theoretischen Geflecht zu verfangen. Vielmehr zeigt sie auf, wie das Fernsehen in den 1970er-Jahren die so genannte sexuelle Revolution der späten 1960er-Jahre aufnahm und diese in wohldosierten Teilen in den Mainstream der Gesellschaft transportierte.

Die Fernsehprodukte der 1970er-Jahre werden von Levine auf ihre gesellschaftspolitische Wirkung befragt und eingeordnet vor dem zeithistorischen Hintergrund von Frauen-, Jugend-, Schwulen- und Lesbenbewegung sowie auch der Bürgerrechtsbewegung, die bereits in den frühen 1960er-Jahren in breiterer Front begonnen hatte, rassistische Stereotype um ‚schwarze Sexualität’ zu attackieren (S. 9). Die Analyse fördert eine bemerkenswerte Ambivalenz zu Tage, die kennzeichnend ist für die Übertragung einiger Impulse der neuen sexuellen Kultur in die Wohnzimmer der US-AmerikanerInnen. Die drei großen Fernsehanstalten ABC, NBC und CBS bewirkten mit ihrer Kommerzialisierung des Sexes via TV zweierlei: Einerseits verankerten sie eine breitere Palette von möglichen Rollenzuschreibungen in der US-Kultur, andererseits wurden in den unzähligen TV-Produktionen, die im weiteren Sinne sexuell aufgeladene Körper präsentierten, systematisch radikalere Tendenzen aus der Subkultur der sexuellen Revolution gekappt. So subsumiert Levine in der Schlussfolgerung: „The new sexual culture of 1970s television changed Americans’ relationship to the sexual revolution, securing some of its most significant gains while minimizing some of its more radical impulses.” (S. 253)

Levine behandelt die sexualisierten Film- und Fernsehwelten in sechs Kapiteln. Das Buch ist nach thematischen Gesichtspunkten untergliedert und orientiert sich nur gelegentlich an der Chronologie der 1970er-Jahre. Unter dem Titel „Kiddie Porn Versus Adult Porn“ fokussiert Levine im ersten Kapitel die medienökonomischen Verhältnisse des Untersuchungszeitraums und führt den Wettbewerb der drei großen Medienkonzerne im Fernsehgewerbe untereinander vor Augen. Erstens ist in diesem Zusammenhang auffällig, dass das Aufkommen der neuen Thematik ‚Sex’ maßgeblich dazu beitrug, die Quotenanteile im Fernsehgeschäft neu zu verteilen. So konnte beispielsweise ABC, ein bis dato recht mäßig erfolgreiches Network, das aber in den 1970er-Jahren besonders zielstrebig auf Sex gesetzt hatte, von dem neuen Rückenwind profitieren. Zweitens hebt Levine hervor, dass zur Mitte der 1970er-Jahre hin deutlich wurde, dass die Fernsehanstalten selbst eine ‚sexy’ Identität brauchten und diese im Zuschnitt ihrer jeweiligen Formate kreierten (S. 20).

Die beiden folgenden Kapitel befassen sich mit der Begrenzung von Sexualitätsdarstellungen im TV-Medium. „Not in my Living Room” heißt das zweite Kapitel, in dem Levine Tabus und Versuche der Eindämmung des ‚Sexes’ in der Fernsehlandschaft der 1970er-Jahre beschreibt. Neben Selbstregulierungsmechanismen innerhalb der TV-Industrie – hauptsächlich durch die Vereinigung NAB (National Association of Broadcasters) (S. 60ff.) – führt Levine das religiös-moralisierende Werk der Journalistin Mary Lewis Coakley „Rated X: The Moral Case Against TV“ von 1977 an – eine erbitterte Anklage, die im Kern die moralischen Abgründe der neuen Fernsehformate anprangerte. Das Buch reihte sich ein in eine breitere Bewegung der christlichen Rechten, die gegen Ende der 1970er-Jahre begann, auf verschiedenen politischen Ebenen gegen den angeblichen ‚Sittenverfall’ in der US-Gesellschaft zu mobilisieren. Coakley beschwor in ihrem Traktat die Gefahren expliziter Darstellung verschiedener Sexualitätspraktiken im Fernsehen und der Titel ihres Buches gab den Zensurbestrebungen einen Namen: X-Rate (S. 48). Allerdings erläutert Levine, dass sie, trotz aller möglichen Versuche (auch seitens der Regierung) auf die Inhalte des medial verbreiteten Materials einzuwirken, in ihrer Studie von ‚Regulation’ und eben nicht von ‚Zensur’ sprechen will. (S. 266f., Anm. 2.2.) Hintergrund für den Vorbehalt gegenüber dem Zensurbegriff ist Levines Verwendung eines Machtbegriffs im Sinne Michel Foucaults, der in seinen Untersuchungen zur modernen Sexualitätsgeschichte nicht davon ausgeht, dass Macht lediglich repressiv und ‚von oben’ auf die Darstellungen und Realitäten einwirken kann, sondern bereits produktiver Teil des Konstruktionsprozesses von Figuren und Zuschreibungen sexualisierter Körper ist.1 Das bedeutet auch für Elana Levines Analyse, dass für die Sexualisierung der Fernsehlandschaften vielschichtige Mechanismen in den Blick geraten, die das Bild einer an die Oberfläche drängenden Subkultur, die offensiv für ‚die wahrhafte Befreiung der Sexualität’ stritt und gegen eine prüde und unterdrückende Herrschafts-Kultur ankämpfte, fraglich erscheinen lassen.

Dies zeigt Levine bereits im dritten Kapitel, wobei dieses unter dem Titel „The Sex Threat“ noch zwischen Begrenzungsforderungen und der Faszination an der beginnenden ‚sex-panic’ hin und her changiert. Bei der Lektüre des Kapitels offenbart sich aber überzeugend die (produktive) Repräsentation einer von Sexualität geradezu gefährdeten Jugend im Fernsehmedium der 1970er-Jahre. Die in diesem Kontext aufgeworfenen Bedrohungsszenarien sind eng verknüpft mit der Furcht vor sich verflüchtigenden Familienwerten, wie sie auch in anderen Medien (beispielsweise Zeitschriften oder Ratgeberliteratur) jener Zeit Verhandlungsgegenstand waren. Besonders die Bedrohung jugendlicher Konsumenten durch die Sexualitätsdarstellungen schien sich im Verlauf des Jahrzehnts stetig zu erhöhen, betrachtet man die sich steigernde Beschäftigungsintensität mit dem Thema allein im Fernsehen. Das Fernsehen selbst perpetuierte in Filmen über Runaways, minderjährige Mädchen, die in die Prostitution gerieten oder Vergewaltigungen zum Opfer fielen, die paranoide Angst vor einer neuen sexuellen Freiheit und ihrem Mündungsdelta in Chaos und Gewalt (z.B. Born Innocent, NBC 1974). Levine stellt dazu fest: „Television movies often represented the fears expressed in regulatory discourse while instigating much regulatory angst about their own effects on young viewers.” (S. 13)

Im vierten Kapitel wendet sich das Blatt endgültig von der Regulation zur Produktion sexueller Darstellungen. Levine zeigt auf, wie trotz Begrenzungsbegehrlichkeiten und ‚sex-panic’ in den 1970er-Jahren neue Modi sexueller Rollenzuschreibungen im Fernsehprogramm auszumachen sind. „Symbols of Sex – Television’s Women and Sexual Difference“ lautet der Titel des Kapitels, in dem Levine unter anderem nachzeichnet, wie Mitte der 1970er-Jahre eine Wonder Woman (ABC, 1974) geboren wurde und als Leitbild einer aktiven Weiblichkeit neue Sphären im Bewegungsraum ‚der Frau’ erkämpfte. Auch Charlie’s Angels begannen bereits zu dieser Zeit Verbrecher zu jagen (ABC, 1976). Allerdings weist Levine darauf hin, dass diese selbstbewussten weiblichen Sexsymbole der 1970er-Fernsehwelt jung, attraktiv (in der Regel weiß) und bis zu einem gewissen Grad auch Objekt heterosexuell-männlicher Begehrensprojektion zu sein hatten. Somit standen diese Figuren gewissermaßen im Gegensatz zu den Forderungen der Frauenbewegung. Zwar absorbierten solche Frauenkörper einen Teil der sexuellen Kultur und eines neuen Typus Frau, repräsentierten die grundlegenden Emanzipationsforderungen des Feminismus jener Zeit aber in keiner Weise (S. 125ff.).

Im fünften Kapitel richtet Levine den Blick auf unterschwellige, implizite Formen des Sexes im Fernsehen. „Sex with a Laugh Track” ist es betitelt und legt dar, wie in Comedy-Sendungen wie z.B. The Sonny and Cher Comedy Hour (CBS, 1971-74), Sitcoms wie Happy Days (ABC, ab 1974) oder Game Shows, beispielsweise Match Game (CBS, 1973-79) sexuelle Praktiken in Anspielungen thematisiert wurden, die in expliziter Darstellung weitestgehend nicht zum Spektrum möglicher Äußerungen gehört hätten. So konnten durch die ironisierende Distanz – teilweise auch durch homophobe Untertöne – ‚Normabweichungen’ benannt werden, ohne dass auf der symbolischen Ebene der Fernsehunterhaltung grundsätzlich die heteronormative und an kleinfamiliären Strukturen orientierte Verfasstheit der US-Gesellschaft in Zweifel gezogen werden musste bzw. sollte (S. 207). In den späten 1970er-Jahren war zum Beispiel die von ABC gesendete Serie The Love Boat eine äußerst populäre Produktion. Auf dem Love Boat verbanden sich sexuelle Beziehungen und humoreske Anspielungen auf Sex mit moralischen Abfederungen (S. 182). So konnten Geschichten um Promiskuität, schwule Beziehungen, lesbische Sexualität etc. in einer Weise präsentiert werden, dass sie den Konsumenten erreichten, ohne jedoch die gesellschaftspolitischen und -kritischen Dimensionen zu transportieren. Levine beschreibt darüber hinaus einen bemerkenswerten Disput zwischen ABC und den Produzenten des Love Boats. ABC hatte 1979 gefordert, dass mehr schwarze Schauspieler in der „overwhelmingly white show“, wie Levine The Love Boat bezeichnet, eingesetzt werden sollten. Daraufhin wurden afroamerikanische Akteure in einigen Episoden in die Story eingeflochten. Es wurden aber im Plot jener Episoden sexuelle Anspielungen oder gar Beziehungen mit den weißen Figuren ausgeschlossen. Dieses Beispiel zeigt, wie (auch) auf der symbolischen Ebene der Fernsehunterhaltung die rassistische ‚colorline’ inszeniert und festgeschrieben wurde (S. 185f.).

Ein Thema, das in den 1970er-Jahren wie kein zweites polarisierte, greift Levine im sechsten und letzten Kapitel unter der Überschrift „From Romance to Rape“ auf. Die mediale Rezeption des Themas ‚Vergewaltigung’ war gezeichnet durch ein von Widersprüchen bevölkertes Deutungsspektrum. Dieses reichte beispielsweise vom Kampf der feministischen Bewegung für die konsequente Verfolgung von Vergewaltigungen an Frauen als Straftatbestand bis hin zur Verharmlosung der Gewaltakte oder zu deren Romantisierung. Bereits zu Beginn der 1970er-Jahre hatte ein Abgeordneter des Staates New York, den Levine eingangs des Kapitels zitiert, die Vermutung geäußert: „The difference between rape and romance is a very thin line.“ (S. 208) Die obsessive Beschäftigung in verschiedenen Fernsehformaten mit Geschichten, die von Vergewaltigungen erzählten, steigerte sich während des Jahrzehnts und erreichte einen Höhepunkt in der populären ABC Soap Opera General Hospital. An dieser Stelle wurden die über zehn Millionen ZuschauerInnen der Serie 1979 Zeugen der Vergewaltigung einer jungen Frau durch den männlichen Protagonisten. Zwei Jahre darauf konnte das Publikum 1981 der Hochzeit jener beiden Fernsehfiguren beiwohnen. Levine beschreibt ihre Analyse der Vergewaltigungsgeschichten im Fernsehen des fraglichen Jahrzehnts folgendermaßen: „Scarce to nonexistent before the 1970s, rape stories became standard fare in daytime serials during the decade, steadily building to the virtual explosion of rape plots at decade’s end.” (S. 209)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die 1970er-Jahre – und dabei kann durchaus ein übermäßig langes Jahrzehnt von 1968 bis 1981 gemeint sein – sich geradezu anbieten für eine kritische Medienanalyse im Kontext der Sexualisierung des Symbolischen. Warum? – Die Dekade der 1970er-Jahre erscheint beim ersten Hinsehen wie eine Schaltstelle zwischen verschlepptem Aufbruch emanzipativer Kräfte und einer bereits beginnenden Restauration seitens der Bewahrer von Tradition und Moral in den USA. Das Fernsehen war zu dieser Zeit das Massenmedium schlechthin. Es ist demzufolge eine drängende Aufgabe der Kultur- und Geschichtswissenschaften, die medialen Diskurse um die neue Frau, den angeblich kriselnden Mann sowie die Stränge um die Sexualisierung der öffentlichen Sphäre körpergeschichtlich genau unter die Lupe zu nehmen – wie Elana Levine es in ihrer Betrachtung der Fernsehwelten tut. Dies ist nämlich ein wesentlicher Teil einer Geschichte der Nach-1960er-Jahre, der gegenwärtig in den Fokus von körpertheoretisch fundierten Geschlechter-, Sexualitäts- und somit Gesellschaftsanalyse gerückt werden sollte.

In jedem Fall beleuchtet Elana Levines Studie eine wichtige sowie raumgreifende Schnittstelle zwischen Sexualitätsgeschichte und Medienkultur. Spannend wäre darüber hinaus zu untersuchen, wie die angeführten TV-Produktionen auch als Exporteure einer sexualisierten und vergeschlechtlichten US-Kultur verstanden werden können – nämlich vor dem Hintergrund einer sich bereits in den 1970er-Jahren globalisierenden Film- und Fernsehwelt. Dies würde den Blick für kulturtransferierende Mechanismen weiten und könnte den weltweiten Erfolg von US-Serien und Filmformaten in einen machttheoretischen Kontext stellen. Aus historiographischer Sicht wäre es außerdem vielversprechend, wenn künftige Arbeiten ausgehend von solch einer fruchtbaren Untersuchung der geschlechtlich geprägten Medienkultur in den USA der 1970er-Jahre die politische Bedeutung medial transportierter Diskurse noch stärker historisch verorten würden. Auf diese Weise können Sexualitäts- und Geschlechtergeschichten zu einer umfassenden politischen Kulturgeschichte werden. Jüngste Debatten aus dem Feld der Geschichtstheorie eröffnen solche Perspektiven im hochaktuellen Spannungsfeld zwischen Kultur, Medien, Körper und Geschichte.2

Anmerkungen:
1 Foucault, Michel, Sexualität und Wahrheit. Der Wille zum Wissen, Bd.1, Frankfurt am Main 1983, S. 17ff.
2 Frevert, Ute; Braungart, Wolfgang (Hrsg.), Sprachen des Politischen. Medien und Medialität in der Geschichte, Göttingen 2004.

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