L. M. Koldau: Frauen - Musik - Kultur

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Titel
Frauen - Musik - Kultur. Ein Handbuch zum deutschen Sprachgebiet der Frühen Neuzeit


Autor(en)
Koldau, Linda M.
Erschienen
Köln 2005: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
1188 S.
Preis
€ 110,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Patrice Veit, Centre de recherches interdisciplinaires sur l’Allemagne (CRIA), Paris

Das Thema „Frau und Musik“ erfährt in jüngster Zeit ein reges Interesse insbesondere in der Musikwissenschaft1, zum Teil aber auch in der Geschichtswissenschaft. 2 Zahlreiche Veröffentlichungen, Buchreihen und Forschungsprojekte bezeugen dies. Die Arbeiten, die unter anderem nach den Musik praktizierenden Frauen – sowohl den Musik Ausübenden als auch den Komponistinnen – fragen, sind allerdings hauptsächlich auf das späte 18., das 19. und das 20. Jahrhundert fokussiert. Insofern füllt Linda Maria Koldaus Buch eine Lücke und betritt ein von der Forschung bisher kaum behandeltes Feld: Frauen in der Musikpraxis und -kultur des deutschsprachigen Raums der Frühen Neuzeit. Dies ist ein umso schwierigeres Unterfangen, als die damalige Musikpflege als reine „Männersache“ erscheint, wenn man die „großen“ Musiker und die unterschiedlichen Musikinstitutionen betrachtet und sich dabei auf die Archive der Hof-, Kirchen- oder Stadtverwaltungen stützt. Ein solches Bild ist denn auch bisher von der Musikgeschichtsschreibung tradiert worden. Linda Maria Koldau jedoch ist akribisch auf Spurensuche gegangen, hat direkte oder indirekte Belege in einer Vielzahl von musikwissenschaftlichen wie nichtmusikwissenschaftlichen Einzelveröffentlichungen gefunden und ist auf unerschlossene Quellen gestoßen, die in viel größerer Zahl existieren, als man zuerst vermuten könnte. Die Ergebnisse dieser vielfältigen Spurensuche liegen in einem schon von seinem Umfang her beeindruckenden Handbuch vor, welches überdies mit einem bemerkenswerten Anmerkungsapparat versehen ist. Es geht in umfassender Weise der Frage nach, wie und auf welche Weise Frauen Anteil an der Musikpflege in der Frühen Neuzeit hatten.

Der Band ist nach Kulturräumen und Lebensbereichen gegliedert: Im Vordergrund stehen die Adelshöfe, die städtisch-bürgerliche Welt sowie Klöster und religiöse Gemeinschaften. Die weibliche Musikpraxis an den Adelshöfen wird am Beispiel der Habsburger – am Kaiserhof und in Innsbruck – dargestellt, gefolgt von den Höfen der Landgrafen von Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt, dem kurpfälzischen Hof, den Höfen der Hohenzollern, der Welfen von Braunschweig-Lüneburg, der Wettiner, der Wittelsbacher, der Württemberger, bis hin zu den Adelsitzen des niederen Adels. Dabei wird die musikalische Ausbildung der Fürstenfrauen und -töchter beschrieben, die zunehmend zur „Grundausbildung“ einer höfischen Dame gehörte und bisweilen bis zu instrumentaler Virtuosität führte – wie bei der Herzogin Sybilla von Württemberg – oder auch zum Komponieren, wie im Falle Sophie Elisabeths von Braunschweig-Lüneburg. Zudem wird die Rolle der Mäzeninnen beleuchtet, deren Engagement von der Förderung und Vermittlung bestimmter musikalischer Genres, etwa der Oper, bis zu eigener Verantwortung für die Hofkapelle und deren Besetzung reichte.

Im einen zweiten Teil wird die Musikpraxis der Frauen im städtisch-bürgerlichen Bereich beleuchtet: die musikalische Ausbildung der Frauen und Töchter der Patrizierfamilien, die schulische Gesang- und Musikerziehung, das Entstehen einer weiblichen Kultur des Gesangs, insbesondere in protestantischen Städten und Territorien. Hier sind die Frauen nicht nur als Sängerinnen, sondern auch als Lieddichterinnen aktiv, wie durch die Auflistung der dichtenden Frauen aus den bürgerlichen und adeligen Kreisen belegt wird. Interessant ist auch das Kapitel über Frauen im Musikgewerbe: Hier werden insbesondere einige Fälle von professionellen Musikerinnen beschrieben, die selbst aus Musikerfamilien stammten, oft an den Höfen angestellt wurden und aus diesem Grund auch in den Quellen fassbar sind.

Der dritte Teil, der vom Umfang her die beiden ersten Teile noch übertrifft, versucht die Musikpraxis in den deutschsprachigen Frauenklöstern und den religiösen Gemeinschaften bis hin zu den Damenstiften zu rekonstruieren. Dabei liefern die verschiedenen Unterkapitel wichtige Einblicke in das klösterliche Leben der einzelnen Orden und ihrer Häuser und damit in ihre Musikpflege, die weit mehr war als der liturgische Choralgesang des Stundengebets. Manche Frauenklöster des 17. Jahrhunderts wiesen umfangreiche Bestände an Musikalien und Musikinstrumenten auf, darunter für Frauenklöster typische Instrumente wie die „Tromba marina“ (auch Nonnengeige genannt) – ein einsaitiges Instrument, das wegen seines Klanges oft als Trompetenersatz verwendet wurde. Die Frauenklöster standen im Hinblick auf ihr reiches Musikleben den Männerklöstern in Nichts nach. Es wird insbesondere gezeigt, wie die wachsenden musikalischen Ansprüche, die sich aus der Einführung der mehrstimmigen Musik und des konzertierenden Stils in den Gottesdiensten im Verlauf des 17. Jahrhunderts ergaben, immer besser ausgebildete Sängerinnen und Instrumentalistinnen verlangten. Diese mussten wegen der auch zu dieser Zeit entstehenden strengeren Klausurvorschriften in manchen Orden aus den Reihen der Klosterfrauen selbst rekrutiert werden. Deswegen wurde großer Wert auf die musikalische Ausbildung der Anwärterinnen gelegt: Töchter von Musikern wurden wegen ihrer musikalischen Kenntnisse im 17. Jahrhundert sogar in jene Klöstern aufgenommen, die eigentlich nur adeligen Frauen vorbehalten waren.

Die wenigen hier herausgegriffenen Aspekte reichen bereits, um das höchst vielfältige Musikleben von Frauen im Zeitraum zwischen dem 15. und dem Ende des 17. Jahrhundert zu bezeugen. Dieses Musikleben wird von Linda Maria Koldau durch eine Fülle von Einzelbeispielen eindrucksvoll veranschaulicht. Dabei macht sie auch auf Quellenmaterial aufmerksam, das nicht unbedingt zum eigentlichen Quellenkorpus der traditionellen Musikwissenschaft gehört, wie Tagebücher, Andachtsbücher, Chroniken, Leichenpredigten oder Kirchenordnungen.

Die Fülle des gesammelten Materials ist beeindruckend, doch gibt es auch einige Schwächen, die an der Konzeption des Werkes als „Handbuch“ und an seiner konkreten Ausführung liegen: Da das Material eher räumlich als chronologisch geordnet ist, fehlt ein zeitlicher Rahmen, was sich bei der Lektüre manchmal als störend erweist, etwa wenn innerhalb eines Kapitels (S. 719-766) die Beispiele vom 15. ins 17. und 18. Jahrhundert und dann wieder zurück ins 15. Jahrhundert führen. Zahlreiche Exkurse reichen tief in das Mittelalter hinein, wohingegen etwa das 18. Jahrhundert mit seinem entstehenden Konzertleben und dessen Auswirkungen auf weibliche Musikpraktiken keine Erwähnung findet. 3 Problematisch und störend beim Lesen sind überdies die zahlreichen Wiederholungen in den verschiedenen Buchteilen, die aus der Art der Darstellung resultieren. Dies ist besonders auffällig im Fall des Kirchenliedes, das nicht nur in einem eigenen Teilkapitel (S. 446-504), sondern auch in verschiedenen Kapiteln des ersten und des dritten Teils im Zusammenhang mit seiner Bedeutung bei Gottesdiensten und Hausandachten behandelt wird.

Der Historiker wünschte sich auch ab und zu einen kritischeren Umgang mit den Quellen, die meist aus der Sekundärliteratur zitiert und bezüglich ihres Stellenwertes und ihrer Aussagekraft nicht genügend hinterfragt werden. Das gilt etwa für evangelische Kirchenordnungen in Bezug auf die musikalische Schulerziehung, aber auch für Leichenpredigten, die häufig eher modellhaften Charakter trugen, da sie in der Person der Verstorbenen das Idealbild einer evangelischen Christin zu vermitteln suchten. Zudem hätten historisch-anthropologische Forschungen über weibliche protestantische Frömmigkeitspraktiken, wie etwa jene von Ulrike Gleixner 4, über geschlechtsspezifische Unterschiede im Umgang mit religiösen Büchern (Hans Medick) 5 oder schließlich über Frauen und Frauenklöster zur Zeit der Reformation (Lyndal Roper) 6 über die hymnologischen und kirchengeschichtlich-theologischen Arbeiten hinaus die Ausführungen in diesem Kontext sicherlich bereichern und die geschlechtergeschichtliche Perspektive des Buches erweitern können.

Trotzdem bietet dieses Handbuch eine verdienstvolle und bisher einmalige Dokumentation, die unser Wissen über höfische, bürgerlich-städtische und religiöse weibliche Musikpraktiken erheblich erweitert. Viele Fragen, die sich bei der Lektüre eröffnen, müssen beim derzeitigen Forschungsstand noch offen bleiben. In dieser Hinsicht ist Linda Maria Koldaus Opus auch eine Einladung zu weiteren Forschungen.

Anmerkungen:
1 Siehe u.a. das Projekt „Musik und Gender im Internet“ an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg (Prof. Dr. Beatrix Borchard) (http://mugi.hfmt-hamburg.de), das Forschungszentrum Musik und Gender an der Hochschule für Musik und Theater Hannover (Prof. Dr. Susanne Rode-Breymann) (www.fmg.hmt-hannover.de), das Sophie-Drinker-Institut für musikwissenschaftliche Frauen- und Geschlechterforschung, Bremen (Prof. Dr. Freia Hoffmann) (www.sophie-drinker-institut.de) oder „MuWiGender“: Mailing-Liste (e-group) der Fachgruppe Frauen- und Genderstudien der Gesellschaft für Musikforschung (Koordinatorin: Prof. Dr. Rebecca Grotjahn) (http://de.groups.yahoo.com/group/Muwigender/); sowie die Schriftenreihe des Sophie-Drinker-Instituts (Bis-Verlag Oldenburg) oder die Buchreihe „Musik-Kultur-Gender“ (Böhlau Verlag Köln).
2 Z.B. Budde, Gunilla, „Musik in Bürgerhäusern“, in: Bödeker, Hans Erich; Veit, Patrice; Werner, Michael (Hrsg.), Le concert et son public. Mutations de la vie musicale en Europe de 1780 à 1914 (France, Allemagne, Angleterre), Paris 2002, S. 427-457.
3 Siehe neuerdings: Escoffier, Georges, „De la tentation à la civilisation. La place des femmes au Concert en France au XVIIIe siècle“, in: Bödeker, Hans Erich; Veit, Patrice (Hrsg.), Les sociétés de musique en Europe 1700-1920. Structures, pratiques musicales, sociabilités, Berlin 2007, S. 101-128.
4 Gleixner, Ulrike, Pietismus und Bürgertum. Eine historische Anthropologie der Frömmigkeit. Württemberg 17.-19. Jahrhundert, Göttingen 2005.
5 Medick, Hans, Weben und Überleben in Laichingen 1650 1900. Lokalgeschichte als Allgemeine Geschichte, Göttingen 1996, insbesondere S. 480-498.
6 Roper, Lyndal, Das fromme Haus. Frauen und Moral in der Reformation, Frankfurt/New York 1995.

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