Titel
Historians in Public. The Practice of American History, 1890-1970


Autor(en)
Tyrrell, Ian
Erschienen
Anzahl Seiten
312 S.
Preis
€ 19,29
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katja Naumann, Zentrum für Höhere Studien, Universität Leipzig

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des eigenen Faches rückt nicht allzu oft in das Zentrum des Forschungsinteresses von Historikern, obwohl sie sich längst professionalisiert hat und jüngst von der Konjunktur erinnerungskultureller wie imperiengeschichtlicher Fragestellungen profitierte. Dies gilt auch für die US-amerikanische Fachgeschichte, unabhängig davon, ob dabei von innen oder außen geschaut wird. Um so größere Aufmerksamkeit sollte der Studie von Ian Tyrrell über „Historians in Public“ zuteil werden, zumal Tyrrell, Professor für amerikanische Geschichte an der University of New South Wales in Sydney, schon mehrfach kenntnisreich zur Disziplinengeschichte in den USA publiziert hat. In seinem jüngsten Beitrag wendet er sich in einem bislang kaum beachteten Aspekt der Historiographiegeschichte zu: den Beziehungen professioneller, das heißt universitär angebundener Historiker, zu jenen, die außerhalb von Universitäten Geschichte betrieben haben, sowie zu ihrem Publikum jenseits der eigenen Fachöffentlichkeit.

Als Ausgangspunkt nimmt er die gegenwärtig in den USA innerhalb des Faches erhobene Klage über den Relevanzverlust wissenschaftlicher Vergangenheitsdeutung in der öffentlich-politischen Aushandlung von Geschichtsbildern und hält ihr entgegen: „I will argue, that the threat to history is a recurrent, exaggerated, and often misunderstood one and that history has adapted to and influenced its changing publics more than the profession is given credit for.“ (S. 2) US-amerikanische Historiker haben vielmehr eine traditionsreiche Praxis der Intervention in öffentliche Debatten entwickelt (S. 4). Die vielschichtige Geschichte dieses Eingreifens in gesellschaftliche Herausforderungen, die sich wandelnde Position wissenschaftlicher Geschichtsschreibung ebenso wie die fachinternen Auseinandersetzungen um Politisierung versus Wissenschaftlichkeit präsentiert Tyrrell auf etwas mehr als 300 Seiten in dichter empirischer Beschreibung.

Seine Ausführungen beginnt der Autor in den 1890er-Jahren und führt sie bis in die 1960er-Jahre. Denn erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts sei es zu einer Distanzierung zwischen Öffentlichkeit und Geschichtswissenschaft gekommen, während die Professionalisierung der Geschichtsschreibung ab dem Ende des 19. Jahrhunderts keineswegs mit dem Rückzug aus dem öffentlichen Raum und dem Zurückweisen von gesellschaftlicher Verantwortlichkeit verbunden war. Nach dem Zweiten Weltkrieg hingegen erhielten nichtakademische Leserkreise zunehmend weniger Beachtung, verschwand öffentliches Engagement aus dem professionellen Selbstverständnis, und zwar mit Verweis auf Kriterien der Wissenschaftlichkeit, und geriet die Arbeit in Regierungsbehörden in Verruf. In dieser Zeit entstand auch die heute so vertraute Polarisierung zwischen spezialisiertem Experten und öffentlichem Kritiker, wobei Tyrrell den entscheidenden Grund in dem schwindenden Einfluss der „progressive historians“ innerhalb der eigenen Disziplin ausmacht, die für eine „democratization of learning“ und die „utility of history for civic responsibility“ eingetreten waren (S. 6). Jene Teile der akademischen Historikerschaft, die gegenüber dem Anliegen der „progressive historians“ skeptisch geblieben waren („conservatives“), verschrieben sich unter dem Druck einer „New Left“, die sich in den sechziger Jahren formierte, nun umso mehr den Kriterien von Objektivität sowie politischer Neutralität und leiteten einen „consolidated cult of detachment“ (ebd.) ein. Zwar konnte sich ‚public history’ am Rande des Faches zu einer Subdisziplin verfestigen (S. 249), die vielfältigen Traditionen des Einbringens historischen Wissens in zeitgenössische Konstellationen gerieten jedoch in Vergessenheit.

In einem einführenden ersten Teil setzt sich Tyrrell mit jenen Diskussionen seit den 1990er-Jahren auseinander, die um Fragen der „political correctness“ historischer Deutungen geführt werden. Drei Aspekte seien dabei verhandelt worden, nämlich „the dangers of multiculturalism and cultural fragmentation, the problem of academic specialization, and the professionalization of history and a concomitant academic distance from the public“(S. 12). Für jeden dieser Debattenstränge werden beispielhaft Wortführer, Positionen und Konfliktpunkte skizziert, so dass sich eine gute Einführung in jüngste erinnerungskulturelle Debatten ergibt.

Daran anschließend führt Tyrrell in die Auseinandersetzung um die zunehmende Spezialisierung ein und verweist auf zweierlei: Erstens sei die Rede über Spezialisierung schnell zu einer Chiffre geworden, mit der verschiedene Aspekte historiographischen Schaffens – wie die Spannung zwischen Fachsprache und Lesbarkeit oder der Grad narrativer Kohärenz – thematisiert werden konnten. Zudem ließen sich mit ihr auch eine Reihe ganz anderer Ziele verfolgen, “such as the popularization of history, attacks on the nature of training for university research and attempts to incorporate new themes in the discourse of history“ (S. 26).

Zweitens durchliefen die Auseinandersetzungen über Spezialisierung und öffentliche Präsenz des Faches unterschiedliche Phasen: Während zunächst die Vereinbarkeit von Detailforschung und „general history“ keineswegs bezweifelt worden war, sei seit den 1930er-Jahren eine deutliche Tendenz der Profession hin zu Spezialisierung und Konzentration auf Einzelstudien festzustellen. Darauf reagierte eine immer stärkere Kritik, die für eine historisch interessierte Leserschaft außerhalb der Universitäten Partei ergriff, da man besorgt war über „the lack of influence over public policy, civic debate, and popular culture“ (S. 39).

Zudem lagen dieser Konfrontation zwei weitere Entwicklungen zugrunde: Die Große Depression hatte auch unter Historikern zu hoher Arbeitslosigkeit geführt. Daher versuchten einige die Promotionsausbildung hin zu mehr Allgemeinwissen zu reformieren, um die Arbeitsmarktchancen zu erhöhen (S. 33). Ferner stand die Geschichtswissenschaft in einem Konkurrenzverhältnis mit den neuen Sozialwissenschaften. Auch hierfür versprach ein breiteres Verständnis Vorteile: „history had the potential to explain the other social sciences and to situate human development more intelligibly by its commitment to including all of the human past in its stories.“ (S. 39)

Für die drei an diese Einführung anschließenden historischen Teile des Buches, die sich jeweils anderen Sphären öffentlichen Engagements und verschiedenen Adressatenkreisen zuwenden, hat der Autor umfangreiche Bestände aus institutionellen Überlieferungen und individuellen Nachlässe ausgewertet und dabei von vornherein zwei Eingrenzungen vorgenommen: Erstens betrachtete er nur jene Historiker, die sich mit US-amerikanischer Geschichte befassten und ließ demnach die Historiographie zu anderen Weltregionen, einschließlich Europas, außen vor. Zweitens beschränkte er sich auf nationale Bedingungsfaktoren, wenngleich er eingangs darauf hinweist, dass Wissenstransfer und internationale Entwicklungen in der Historiographie Einfluss ausgeübt hätten.

Der zweite Abschnitt des Buches („Historians and the Masses, 1890-1960“) widmet sich dem Verhältnis akademischer Geschichtsschreibung zu einem Massenpublikum, also den „general readers“, Kinogängern, Fernsehkonsumenten sowie Radiohörern. Grundsätzlich hält Tyrrell fest, dass trotz fortschreitender Professionalisierung und Spezialisierung historischer Forschung ein beachtlicher Teil der Historikerschaft beständig ein breites Publikum zu erreichen bemüht war. Obwohl unter anderem 1938 innerhalb des Historikerverbandes, der American Historical Association (AHA), eine Initiative zur Herausgabe einer populärwissenschaftlichen Zeitschrift gescheitert war, kooperierten seit den 1920er-Jahren Journalisten, Intellektuelle, Fachhistoriker und Verlagshäuser in vielfältigen Projekten. Sie reagierten damit auf ein gesellschaftliches Interesse an US-amerikanischer Geschichte in der Folge des Ersten Weltkrieges sowie auf den Bedarf an einer Vergewisserung der eigenen Traditionen im Zuge der Reformen des New Deals. Allerdings erwies sich diese Zusammenarbeit im Verlauf der 1940er-Jahre als immer schwieriger und kam in der folgenden Dekade ganz zum Erliegen. Tyrrell sieht dies im Wesentlichen in einer veränderten Erwartungshaltung gegenüber Vergangenem begründet: „Rather than history as explanation for the present, people in the age of the bomb and American world power sought the less critical terrain of ‘heritage’.“ (S. 71) Das Aufkommen neuer Medien änderte zwangsläufig die Formen und Wege des Ansprechens und Erreichens eines breiten Publikums. Im Umgang mit neuen Medien wie Radio und Fernsehen fiel es offensichtlich um einiges leichter, historisch-wissenschaftliche Inhalte über Hörfunksendungen zu vermitteln, als Einfluss auf kommerzielle Spielfilme zu nehmen oder gar eigenständige Fernsehsendungen zu produzieren. Die Aktivitäten reichten vom Betreiben universitätseigener Rundfunkstationen über die Ausstrahlung von Vorlesungen und ganzen Kursen auf kommerziellen Radiowellen bis hin zu einem Hörprogramm der AHA, welches ab 1937 zehn Jahre lang gestaltete wurde.

Dem Einfluss akademischer Geschichtswissenschaft auf Schulen und Colleges wendet sich Tyrrell im nächsten Teil („The Problem of Schools“) zu. Tyrrell macht zum einen auf vielfältige Initiativen der AHA hinsichtlich der Gestaltung des Geschichtsunterrichtes seit den 1890er-Jahren aufmerksam und interpretiert sie überzeugend als Reaktion auf die andauernde öffentliche Forderung nach einer verbesserten Geschichtsvermittlung, die von ganz unterschiedlichen Akteuren mit noch unterschiedlicheren Interessen artikuliert wurde: „From the 1910s onward politicians, newpaper editors, and interest groups lobbied to boost U.S. history [...] and force American school history to conform with patriotic ideals. This drive began during the hypernationalist phase of World War I. In the 1920s it took a new twist as Irish Americans and Catholics strove to defeat what they saw as Anglo bias in university-authored history texts [...]. In the mid 1930s the focus sharpened into anti-Communist pressure to explore Marxist influence on textbooks.“ (S. 115)

Die Haltung von Fachhistorikern gegenüber diesen Erwartungen wandelte sich mit dem Beginn des zweiten Weltkrieges auffallend: Hatte man bis dahin professionelle Distanz zu politisch motivierten Forderungen zu wahren gesucht, verschrieb sich nun die Mehrzahl bereitwillig dem Plädoyer für die Konzentration auf die Nationalgeschichte in Dienste des Vaterlandes. Zwar wurde anfangs noch überlegt, ob amerikanische Geschichte „in terms of a broader international context“ (S. 136) gelehrt werden sollte, doch verloren sich solche Ansätze je länger der Krieg andauerte. Die Einschätzung Tyrrells, dass die Geschichte anderer Länder zunehmend aus dem disziplinären Kanon verdrängt wurde, bedarf allerdings weiterer Begründung: Denn weder zeigt er quantitativ auf, dass die Geschichte anderer Länder in den Lehrplänen und Textbüchern tatsächlich abgenommen hätte, noch geht er dem Aufschwung der „area studies“ und deren Integration in die historische Lehre (zumindest) am College nach. Überzeugend beschreibt er hingegen die Herausforderung, die das in den 1920er-Jahren entstehende Fach der „social studies“ bedeutet haben musste, aus der sich schließlich auch das – bislang in der Forschung unbeachtet gebliebene – Ringen der AHA mit neuen bildungspolitischen Institutionen, wie der “National Education Association”, dem “National Council for the Social Studies” oder der “Progressive Education Association”, ergab. Wichtig ist ferner der Hinweis, das Verhältnis universitär angebundener Historiker zum Unterricht an den Schulen erkläre sich wesentlich aus zwei strukturellen Bedingungen des US-amerikanischen Bildungssystem: Als ein „product of cultural diversity und mass education“ (S. 142) ohne landesweite Lehrplanvorgaben seien Reformen nur schrittweise und mühsam durchzusetzen. Erschwerend sei zudem die fehlende Basis institutioneller Kooperation zwischen Geschichtslehrern und Fachhistorikern.

Im letzten Teil des Buches („Public Historians“) untersucht Tyrrell die Integration von professionellen Historikern in Arbeiten für die Regierung und staatliche Behörden. Auch hier widerspricht er der fachinternen Wahrnehmung und unterstreicht, „they did intervene in the production of public knowledge and allied their efforts closely to those of the nation-state“ (S. 153). Diese Interventionen seien am nachhaltigsten zwischen den 1930er- und 1950er-Jahren gewesen. Der Schlüssel zum Verständnis dieses Verhältnisses läge in der Rolle des Staates: „All aspects of the state’s history-making functions were fragmented and ineffective“ (S. 155), und daher bedurfte es besonderer Formen des Zusammengehens, anderer zumindest als der europäischen Anbindung an den Nationalstaat, worauf Tyrrell explizit hinweist. Während zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts akademische Historiker zunächst vereinzelt in „local historical societies, city administrations and state governments“ arbeiteten, setzte in den 1930er-Jahren eine viel intensiveres Einbindung in staatliche Strukturen ein (unter anderem dem „U.S. Departmet of Agriculture“, dem „National Park Service“ oder den „National Archives“). Die geschichtspolitischen Aktivitäten der Regierung nahmen vor allem während des Zweiten Weltkriegs zu und banden immer mehr Fachhistoriker ein: „by 1945, at least 50% of professional historians aged twenty-five to forty had engaged in some type of war-history activity“ (S. 187). Schließlich wird noch ein weiterer Bereich der Kooperation mit staatlicher historischer Forschung aufgezeigt: das „state und local history movement“. Dabei wird deutlich, wie sich diese ‚grass-root’-Bewegung zunehmend nach Standards der akademischen Historiographie professionalisierte und damit in Konkurrenz zu ihr trat sowie zugleich ‚amateur historians’ aus dem professionellen Feld verdrängte. Dieser Prozess war zudem von einer stetigen Nationalisierung der Lokal- und Regionalgeschichtsschreibung begleitet.

Mit dieser Studie liegt ein eindrucksvolles Buch vor, das nicht nur eine Leerstelle in der Forschungslandschaft füllt, sondern auch mit Hilfe einer konsequenten Historisierung gegenwärtige Selbstbeschreibungen des Faches hinterfragt. Dass der Vergleich mit Großbritannien und Frankreich am Ende einiger Kapitel unbefriedigend bleibt, ist dabei zu verschmerzen. Dieser Verortung der Historiographiegeschichte in ihrem gesellschaftlichen und politischen Kontext, und zwar als Handlungsraum und nicht nur Bedingungsgefüge, kann man nur viele Leser/innen zu wünschen, auch weil das Buch über die engere Problemstellung hinaus gleichsam ein Gesamtbild der Profession in den USA entwirft.

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