M. Llanque u.a. (Hrsg.): Politische Theorie und Ideengeschichte

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Titel
Politische Theorie und Ideengeschichte. Lehr- und Textbuch


Herausgeber
Llanque, Marcus; Münkler, Herfried
Erschienen
Berlin 2007: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
480 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mario Müller, Internationales Graduiertenkolleg „Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20. Jahrhundert“, Universität Innsbruck

Was können Leser von einem Lehr- und Textbuch zu politischer Theorie und Ideengeschichte erwarten? Das in Zusammenarbeit von Marcus Llanque, derzeit Research Scholar am Department of Government der London School of Economics and Political Science, Herfried Münkler, Professor für Theorie der Politik am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin, und Harald Bluhm, Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte am Institut für Politikwissenschaft und Japanologie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, entstandene Lehr- und Textbuch möchte sich der anspruchsvollen Aufgabe widmen, durch das Bereitstellen von Auszügen älterer und moderner Texte Handlungsorientierung in einer Phase politischer Verunsicherung zu geben. Diese Verunsicherung sei auf die „Traumzeit des überwundenen Kalten Krieges“ zurückzuführen, „als das Ende der Geschichte ausgerufen wurde“ (S. 8). In diesem Sinn dürfte der Band an ein Publikum gerichtet sein, das sich nicht auf den universitären Bereich beschränkt, sondern allgemein den politisch Interessierten anspricht. Wohl aus diesem Grund verzichteten die Herausgeber auf eine einführende Forschungsdiskussion, die den Lesern politische Theorie und Ideengeschichte als ein Forschungsfeld vorstellt, das in vielen wissenschaftlichen Disziplinen zu Hause ist. Immerhin erfahren wir in der von Llanque und Münkler geschriebenen Einleitung etwas über den Gegenstand der politischen Theorie in der Politikwissenschaft; die Ideengeschichte wird nur am Rande ohne weitere Erläuterung eingeführt (S. 7ff.).

Das Lehr- und Textbuch folgt einer logischen und übersichtlichen Gliederung, die versucht, Vergleichbarkeit und Zusammenhang der Beiträge nach Kernproblemen der politischen Theorie anzuordnen. Vier Kapitel zu den Themen ‚Das Politische’ (Llanque), ‚Politisches Agieren und Akteure der Politik’ (Llanque und Münkler), ‚Politische Institutionen’ (Llanque) und ‚Politische Normen’ (Llanque und Bluhm) bilden den Rahmen. Diese Gliederung folgt der Annahme, dass Politik „sich in einem Spannungsfeld von Normen, Institutionen und Aktionen“ bewege (S. 9). Jedes Kapitel verfügt über eine allgemeine Einleitung und über mehrere Unterkapitel, in denen wichtige Begriffe der politischen Theorie wie Krieg und Frieden, Staat, Demokratie, Eigentum etc. kurz angerissen werden. Dort werden die jedem Unterkapitel nachgeordneten Textauszüge kurz vorgestellt und kommentiert; am Ende jedes Unterkapitels werden knappe Literaturangaben vor allem aus deutsch- und englischsprachiger Politikforschung angeboten. Literatur anderer Disziplinen ist rar, selten aktuell und nicht immer einschlägig. Die Kommentare verzichten weitgehend auf historische Hintergrundinformationen, auf eine zeitliche Einordnung der Texte und deren Rezeptionsgeschichte. Auch die Textsammlungen selbst werden ohne Entstehungsdatum angeboten. Es wird dem Leser überlassen, ob er in den knappen biografischen Darstellungen der Textautoren im Anhang (S. 445ff.) danach sucht oder nicht. Spätestens hier wird dem historisch Interessierten klar, dass Erkenntnisinteresse und Textkritik der Politik- und Geschichtswissenschaft weit auseinander liegen können.

Die Auswahl der Texte orientiert sich gemäß der Zielstellung vor allem an republikanischen und demokratischen Denkern, beginnend in der griechischen Antike mit klassischen Autoren wie Platon oder Aristoteles. Römische Autoren sind weit weniger vertreten, aber doch in deutlicher Überzahl zu den wenigen mittelalterlichen, die mit Dante Alighieri, Niccolò Machiavelli und Martin Luther abgetan werden – eine fast schon klassische Schwäche solcher politischer Theoriekanons, die dem „genossenschaftlichen“ Prinzip der mittelalterlichen Gesellschaft keine Bedeutung zumessen – trotz intensiver historischer Forschung darüber.1 Deutlich im Übergewicht treten die Vordenker der Französischen Revolution auf, Vertreter der Sozialdemokratie und des Kommunismus sowie bedeutende Philosophen und Soziologen des 20. Jahrhunderts wie Max Weber, Theodor W. Adorno oder Jürgen Habermas. Unter den ausgewählten Autoren befinden sich Politikwissenschaftler, Philosophen, Ökonomen, Psychoanalytiker, Journalisten, Juristen, aber auch bedeutende politische Entscheidungsträger wie Marc Aurel oder Erich Ludendorff. Im Wesentlichen stammen die Autoren aus Europa und Nordamerika, nur wenige aus Afrika oder China. Llanque und Münkler folgen also dem „westlichen“ politischen Denken. Die Autoren dürften einem fachkundigen Publikum bekannt sein, in vielen Fällen mögen sie klassisch wirken. So breit gefächert die Palette der Autoren auch ist, so beliebig und manchmal nicht einleuchtend erscheint deren Auswahl. Zum Beispiel finden wir im ersten Kapitel nicht einen maßgeblichen Politiker als Autor, der Aufschluss über sein Politikverständnis geben würde. Fast völlig fehlen Texte von Autorinnen; allein Rosa Luxemburg und die Politologin Hannah Arendt verdienten es in den Augen der Herausgeber, in den Kanon wichtiger Texte zur politischen Theorie aufgenommen zu werden. Leider wurden im biografischen Nachweis Papst Urban II. und Albert Camus vergessen.

Am Ende bleibt die Frage offen, an welchen Leser sich der Band von Llanque und Münkler richtet und somit fehlen die Kriterien, die Qualität des Lehr- und Textbuchs zu bemessen. Lesern, die nicht oder nicht mehr in die universitäre Forschung eingebunden sind, werden die einzelnen Kapitel teilweise schwer zugänglich sein. Es fehlt größtenteils an historischer Einordnung und an Hinweisen, in welche Diskussionen die Texte eingebunden waren. Das von Harald Bluhm erarbeitete Kapitel zu Freiheit und Gleichheit (S. 372ff.) zeigt allerdings auf, wie gewinnbringend die ausführliche Diskussion der Textbeispiele sein kann, wenn deren Historizität und Rezeption schlüssig interpretiert werden. In dieser Art hätte man sich sämtliche Kapitel gewünscht. Die angesprochenen Unzulänglichkeiten, die vor allem aus der stark reduzierten Kommentierung der Texte hervorgehen, weisen den Band nicht als empfehlenswert für das Studium aus, da die Nacharbeiten für die Nutzer des Lehr- und Textbuchs doch erheblich sind und solider kommentierte Textsammlungen zur Verfügung stehen.2 Beschränkt man die Erwartungen an den Band von Llanque und Münkler allein auf die Zielsetzung, Handlungsorientierung in einer Phase der Verunsicherung zu geben, dann wäre es wohl vonnöten gewesen, die Vorbilder und gelegentlichen praktischen Umsetzungen der vorgestellten Theorien und Ideen näher zu beleuchten, um die Möglichkeit zu geben, deren Vor- und Nachteile besser einschätzen zu können. Um das einzulösen, sind aber zu wenige Reflexionen von Politikern ganz besonders der jüngeren Vergangenheit aufgenommen worden.

Anmerkungen:
1 Von einschlägiger Bedeutung für die aktuelle Forschung zu mittelalterlichen „Genossenschaften“ sind die Arbeiten von Otto Gerhard Oexle und Gerhard Dilcher sowie aus etwas anderer Perspektive von Gerd Althoff.
2 Zum Beispiel: Brocker, Manfred (Hrsg.), Geschichte des politischen Denkens. Ein Handbuch. Frankfurt am Main 2006 oder Stammen, Theo; Riescher, Gisela, Hofmann, Wilhelm (Hrsg.), Hauptwerke der politischen Theorie, 2. aktualisierte und erweiterte Auflage, Stuttgart 2007.

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