P. Eich: Zur Metamorphose des politischen Systems

Cover
Titel
Zur Metamorphose des politischen Systems in der römischen Kaiserzeit. Die Entstehung einer "personalen Bürokratie" im langen dritten Jahrhundert


Autor(en)
Eich, Peter
Reihe
Klio-Beihefte, Neue Folge 9
Erschienen
Berlin 2005: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
467 S.
Preis
€ 69,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus-Peter Johne, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Das umfangreiche, ungeheuer materialreiche und zugleich theoretisch anspruchsvolle Buch von Eich ist die, wie eingangs versichert, „stark gekürzte“ Fassung einer von Werner Eck betreuten Kölner Dissertation aus dem Jahre 2002. Ihr Ausgangspunkt ist die Frage, wie ein Reich von der Größe des Imperium Romanum ohne moderne bürokratische Struktur regiert werden konnte. Verbunden damit ist diejenige nach den Hierarchien in der Administration und nach dem Funktionieren von Herrschaftsausübung. Dabei geht es sowohl um das vielbehandelte 3. nachchristliche Jahrhundert wie auch um den Aufstieg der Ritter im Reichsdienst während der gesamten Prinzipatszeit.

Die Arbeit ist in zehn Kapitel gegliedert. Das erste ist einer eingehenden methodischen Grundlegung gewidmet (S. 20-47). Im engen Anschluss an die Forschungen von Max Weber konstruiert Eich den Idealtyp „personale Bürokratie“ als heuristisches Instrument. Darunter versteht er eine „Form von herrscherlichem Zwangsstab, der schon partiell an bürokratischen Organisationsprinzipien orientiert war, dessen wesentliche Aufgabe aber die Kontrolle und Allokation der vorhandenen Ressourcen für den Herrscher war und in dem die Sinnorientierung der eingesetzten Funktionsträger nur oder jedenfalls primär in der Unterstützung der Person des Herrschers und nicht in der Aufrechterhaltung einer transpersonal verstandenen Staatsordnung bestand“ (S. 33). Bei diesem Idealtyp existiert ein enger Zusammenhang zwischen der Etablierung stehender Heere sowie den damit verbundenen steigenden Militärkosten und der Einführung vormoderner bürokratischer Strukturen; prägnante Beispiel dafür sind Staaten der frühen Neuzeit.

Im Kapitel 2 geht es um die Grundlagen der späteren Entwicklung (S. 48-66). Das spätrepublikanische Rom wird als ein aristokratisch dominierter Stadtstaat mit demokratischen Legitimationselementen definiert. Sein administratives Instrumentarium blieb unterentwickelt und stets der Idee verpflichtet, dass eine traditionelle Elite als Kollektiv herrschte. Auch an ihrem Ende verfügte die Republik noch nicht über einen nennenswerten Verwaltungsapparat. Das änderte sich in der Kaiserzeit, der das dritte Kapitel gewidmet ist (S. 67-84). Die Schaffung des stehenden Heeres unter Augustus und die für die Steuererhebung und Heeresversorgung erforderliche Finanzadministration waren die entscheidenden Impulse für die Anfänge einer „personalen Bürokratie“, wenn auch die Patron-Klienten-Beziehungen weiterhin dominierend waren. Die allgemeinen Ausführungen dieses Abschnitts werden in den folgenden Kapiteln spezifiziert.

Das procuratorische System wird im Kapitel 4 erörtert (S. 85-158). Schon im letzten Jahrhundert der Republik griffen Senatoren auf eigene Sklaven, Freigelassene und private Procuratoren zur Wahrnehmung staatlicher Aufgaben zurück. Neue Dimensionen erreichte die Verwendung dieser Personengruppen beim Kaiser. Seine Procuratoren waren nicht nur für seinen Besitz, sondern auch für die Steuereinnahmen in den kaiserlichen Provinzen verantwortlich. Damit bildeten sich allmählich zwei getrennt operierende administrative Systeme heraus. Neben die traditionellen Magistrate traten Funktionsträger des kaiserlichen Stabs, die nicht mehr aus der bisherigen Elite rekrutiert wurden, neben die Senatoren traten die Ritter. Ausführlich wird das in der Forschung seit langem kontrovers beurteilte Verhältnis zwischen Statthaltern und Procuratoren behandelt. Eich spricht sich für ein unabhängiges Operieren der Fiskalagenten des Herrschers aus. Im Mittelpunkt des fünften Kapitels steht der procurator a rationibus (S. 159-188). Er stand an der Spitze der kaiserlichen Hausverwaltung und war ebenso für die Einkünfte aus dem Privatvermögen wie die ihm zur Verwaltung überlassenen öffentlichen Gelder verantwortlich. Höheres Prestige und höhere Besoldung im Vergleich zu anderen Procuratoren implizierten jedoch nicht automatisch auch Weisungsbefugnisse. Für eine hierarchische Struktur in der kaiserlichen Finanzverwaltung scheinen Indizien erst für die Severerzeit vorzuliegen.

Das Kapitel 6 behandelt den praefectus annonae (S. 189-210). Ihm unterstand die Lebensmittelversorgung Roms, deren Sicherstellung für die Loyalität der hauptstädtischen Bevölkerung gegenüber dem Kaiser von eminenter Bedeutung war. Ein dem Ritterstand entnommener und für einen längeren Zeitraum dienender Funktionär erschien unter mehreren Aspekten dafür geeigneter als die jährlich wechselnden senatorischen Ädilen, denen in der Republik diese Aufgabe zugefallen war. Der Prätorianerpräfektur als der wichtigsten im Kaiserreich neu geschaffenen Funktion widmet sich das siebente Kapitel (S. 211-257). Anfangs nur der Kommandeur der Leibwache und bei Bedarf größerer militärischer Verbände, zog der Präfekt seit dem 2. Jahrhundert auch jurisdiktionelle Kompetenzen an sich. In der Severerzeit bekleideten schließlich prominente Juristen dieses Amt, womit es noch stärker in die zivile Administration einbezogen wurde. Eich charakterisiert diesen Vorgang als ein Paradigma für „schleichende Institutionalisierung“. Zum unbestritten höchsten Amt mit Weisungsbefugnis gegenüber ritterlichen Statthaltern wurde die Präfektur erst unter den Soldatenkaisern und in der Tetrarchie, als die noch republikanisch geprägte, magistratische Administration weitgehend durch eine kaiserliche ersetzt worden ist.

Um den Ritterstand im Allgemeinen und die Ritter im kaiserlichen Dienst geht es im Kapitel 8 (S. 258-287). Diese werden als „eine funktional definierte Zweitelite“ charakterisiert. Der Schwerpunkt ihrer Aktivitäten lag in den Bereichen Finanzen und Kommunikation, während die senatorischen Magistrate vor allem Richter und Feldherren waren. Eichs Beweisführung impliziert unausgesprochen auch eine gewichtigere Stellung der senatorischen Amtsträger zumindest bis in die Antoninenzeit, als dies in der Forschung oft angenommen wird. Das neunte Kapitel untersucht die interne Struktur des procuratorischen Systems (S. 288-337). Im Detail behandelt werden die Verwaltung der kaiserlichen Güter vor allem in Nordafrika und Kleinasien sowie die der Bergwerke und Steinbrüche und dabei auch die Rolle der Freigelassenen in diesem Bereich.

Der Krise des dritten Jahrhunderts widmet sich das abschließende 10. Kapitel (S. 338-390). Als ein „langes“ wird dies bereits im Untertitel des Buches ausgewiesen. Bei den häufig gezogenen Vergleichen mit der Neuzeit dürfte das „lange 19. Jahrhundert“ von der Französischen Revolution bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs das Vorbild gewesen sein. Maßlos überdehnt ist dieser Zeitraum jedoch, wenn man ihn „von den Markomannenkriegen und der Etablierung der Alleinherrschaft Constantins eingerahmt“ sein lässt (S. 339), also von den Eckpunkten 166 und 324, und damit dieses „Jahrhundert“ zu 158 Jahren rechnet. Ausführlich erörtert wird die für das Thema wichtige Frage der Verdrängung der Senatoren durch Ritter aus den militärisch relevanten Positionen. Der Verfasser sieht darin die Schaffung einer sinnvollen Kompetenzhierarchie „Kaiser-Zentralämter-Provinzialadministration“ und damit die endgültige Ersetzung des noch aus der Republik stammenden strukturellen Rahmens. Die ritterlichen Statthalter konnten nicht mehr in dem Maße wie ihre senatorischen Vorgänger auf Freunde, Klienten, Sklaven und private Angestellte zurückgreifen und sie befanden sich in größerer Abhängigkeit und in größerer Distanz zu dem inzwischen sakral überhöhten Kaiser. Das auf die Stadt Rom ausgerichtete Beziehungsgeflecht wurde durch die Konstellation ersetzt, dass eine mobile Zentrale der Herrscher die Funktion der Hauptstadt wahrnahm. Ritter, Provinziale und Soldaten waren wichtiger geworden als die Senatoren und die stadtrömische Plebs. So ist in der Krise des 3. Jahrhunderts eine neue Art der Verwaltung entstanden, Eich spricht dem Zeitalter eine „Transformation der Institutionenkultur“ zu (S. 287). Der Bedarf nach größeren Ressourcen führte zu einer strafferen Administration und zu einer „personalen Bürokratie“. Rom wandelte sich endgültig von einer Stadtgemeinde mit einem gewaltigen Kolonialreich zu einem imperialen politischen System.

Das Buch stellt keine leichte Lektüre dar. Dazu tragen langatmige und ausufernde Erörterungen, zahlreiche Wiederholungen und Rückverweise sowie lange Zitate aus der modernen Literatur bei. Der Verfasser liebt gesuchte und ungewöhnliche Ausdrücke. Lassen sich die Wörter Proprium (für: Identität), affiziert (für: verändert), Permeabilität (für: Durchlässigkeit) und ubiquitär (für: überall verbreitet) allenfalls noch aus dem Lateinischen ableiten, so bleibt der Ausdruck „in dem sehr opaken Fall“ (S. 155) schlichtweg unverständlich. Gemeint ist offenbar „unklar, undurchsichtig“, der Duden verzeichnet das Wort als einen fachspezifischen Ausdruck für „lichtundurchlässig“.

Ungeachtet dieser Monita bietet Eichs Studie eine neuartige und sehr anregende Analyse der Verwaltung des Römischen Reichs der Kaiserzeit. Auch wenn man nicht allen Hypothesen zustimmt, ist hier für die administrative Struktur des Prinzipats und nicht nur für das 3. Jahrhundert vor allem in methodischer Hinsicht viel geleistet worden.

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