H. Segeberg (Hrsg.): Mediale Mobilmachung

Cover
Titel
Mediale Mobilmachung II. Hollywood, Exil und Nachkrieg


Herausgeber
Segeberg, Harro
Reihe
Mediengeschichte des Films, Band 5
Erschienen
München 2006: Wilhelm Fink Verlag
Anzahl Seiten
361 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Malte Hagener, Bereich Medienwissenschaft, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Schon im Titel nimmt Herausgeber Harro Segeberg auf ein Diskursfeld Bezug, das derzeit Konjunktur zu haben scheint, nämlich die Analogien und Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen gouvernementalen Systemen der 1930er- und 1940er-Jahre. Damit knüpft der vorliegende Band an eine Debatte an, die sich um die Frage dreht, ob sich – im Zeitalter der Medien – Demokratien von totalitären Systemen unterscheiden oder, zumindest in Krisenzeiten, dazu gezwungen sind, mit ähnlichen Mitteln der Kontrolle, Steuerung und Manipulation zu operieren. Die Vergleichsobjekte wie auch die Antworten fallen unterschiedlich aus: In seiner Studie „Entfernte Verwandtschaft“ will Wolfgang Schivelbusch eine strukturelle Nähe von deutschem Nationalsozialismus, italienischem Faschismus und US-amerikanischem New Deal nachweisen, während eine vielbesprochene Ausstellung im Deutschen Historischen Museum unter dem Titel „Kunst und Propaganda“ die persuasiven Medienstrategien Deutschlands, der Sowjetunion und der USA (1930-45) kontrastiert und parallelisiert. 1 Unter dem Motto der Mobilmachung werden nun in der vorliegenden Publikation die medienpolitischen Fundamente des Hollywoodkinos, des Exilfilms und des deutschen Nachkriegskinos untersucht. Der Begriff der Mobilmachung im Titel knüpft zugleich auch an den vierten Teil der großangelegten Hamburger Mediengeschichte des Films an, in dem es um die Ästhetik und Politik des Films im „Dritten Reich“ ging. 2

Neben der ausführlichen Einführung des Herausgebers widmen sich vier Beiträge dem Kriegsfilm Hollywoods, zwei dem so genannten Exilfilm und fünf dem deutschen Nachkriegsfilm. Zudem erleichtert ein Film- und Personenregister die Arbeit mit dem Band. Die einzelnen Beiträge sind durchgehend fachlich und inhaltlich auf Höhe des Forschungsstandes, bieten zum Teil neue Thesen, zum Teil nützliche Transferleistungen und Zusammenfassungen. Die Gruppierung um drei Themenschwerpunkte scheint eher pragmatischen als wirklich inhaltlichen Gesichtspunkten geschuldet. So hätte man durchaus Jan Distelmeyers Beitrag zu Michael Curtiz’ „Casablanca“, wie auch Lutz Koepnicks Text zu Ernst Lubitschs „To Be or not To Be“ und Charlie Chaplins „Der große Diktator“, unter dem Stichwort des Exilfilms einordnen können. Damit ist auch die ausnehmend europäische Perspektive auf Hollywood angedeutet, denn auch Johann N. Schmidts Untersuchung zu Hitchcocks „Nazi-Thrillern“ bezieht sich auf das Werk eines Europäers in Hollywood, womit nur Jennifer M. Kapczynskis Untersuchung der „training camp films“ sich dem genuin US-amerikanischen Mainstream widmet. Somit erscheint der Anspruch, dem Hollywood der Kriegsjahre gerecht zu werden, als überhöht. Noch grundlegender als dieses Sortierungsproblem erscheint mir aber die Frage, ob es sinnvoll ist, den US-amerikanische Film der Kriegszeit ebenso wie den Exilfilm und den deutschen Nachkriegsfilm unter dem Stichwort der Mobilmachung zu behandeln, weil damit die Spannkraft des Konzeptes doch arg strapaziert wird.

Das kümmert allerdings die meisten Beiträger wenig, da sie sich nicht mit diesem Begriff auseinandersetzen: Als einziger versucht noch Jan Distelmeyer an Segebergs Einführung anzuknüpfen, wenn er die Originalfassung von „Casablanca“ (US 1942, Michael Curtiz), die deutsche Erstaufführungsversion von 1953, in der alle Spuren der politischen Dimension getilgt sind, wie auch „Die Feuerzangenbowle“ (D 1943, Helmut Weißen) unter den Aspekten von Propaganda und Aneignung diskutiert. Zwar gehen in der Kürze einer üblichen Artikellänge einige notwendige Differenzierungen verloren – so wird etwa der Rühmann-Film nicht im Kontrast zum Bogart-Film auf ideologische Strategien hin untersucht, sondern lediglich im Hinblick auf „Kultpotenzial“ und spätere Aneignungen – aber immerhin gibt es hier so etwas wie einen Versuch, sich einer solch weitgespannten Fragestellung anzunehmen.

Gerade in Bezug auf den dritten Teil, in dem es um die unmittelbaren Nachkriegsjahre in Deutschland geht, scheint der Begriff der Mobilmachung problematisch, ging es doch in der „re-education“ zuvorderst darum, eine Bevölkerung, die sich praktisch seit 1933 im permanenten Zustand der außengeleiteten diktatorischen Mobilisierung befunden hatte, in innengeleitete Demokraten zu verwandeln. In Gabriele Clemens’ Studie zur britischen und US-amerikanischen Umerziehungspolitik wird deutlich, dass dieses Ziel der Überzeugung von demokratischen Werten oft nationalstaatlichen Zielen geopfert wurde, also der „Durchsetzung sicherheitspolitischer, wirtschaftspolitischer und machtpolitischer Interessen“ (S. 271). Auch in Annette Brauerhochs Analyse der textuellen Widersprüchlichkeit von Samuel Fullers „Verboten!“ (USA 1958) kommt eine ähnliche Ambivalenz und Mehrschichtigkeit zum Ausdruck. Anders als typische Filme des klassischen Hollywoodkinos bemüht sich der Film nicht um eine einheitliche stilistische Oberfläche, sondern mischt Bildmaterial aus unterschiedlichen Quellen, und glättet auch darüber hinaus narrative Konflikte nicht derartig, dass etwa die Zwangslage der „Fräuleins“ im Nachkriegsdeutschland moralisch beurteilt wird. Auch wenn Brauerhoch dies nicht explizit ausführt, eröffnen diese Strategien multiple Zugänge und unterschiedliche Lesarten für national, kulturell, politisch oder geschlechtsspezifisch unterschiedliche Zuschauer. Einen solch tendenziell eher offenen Text noch unter das Stichwort der Mobilmachung einzuordnen, erscheint doch problematisch. Ähnliches ließe sich auch über Detlev Kannapins kontextuell fundierte, narrative Untersuchung der Nachkriegsfilme zu Themen der NS-Zeit sagen: Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des „Dritten Reichs“ wurde recht bald im Dienste des jeweiligen politischen Systems instrumentalisiert.

Gelungen ergänzen sich die beiden Beiträge zum Exilfilm: Gerd Gemünden folgt der Tradition, Filme als Allegorien ihrer eigenen Herstellungsverhältnisse zu verstehen, indem er „Double Imdemnity“ (USA 1943, Billy Wilder, „Frau ohne Gewissen“) als Thematisierung der Disposition deutschsprachiger Exilanten begreift. Dies äußerst sich allerdings nicht in der generellen Verwerfung einer amerikanischen Unkultur aus der Perspektive einer europäischen Hochkultur, sondern hat etwas mit der Enttäuschung über die Schattenseiten eines Liberalismus zu tun, dem man doch die Zuflucht vor dem Faschismus zu verdanken hat (S. 175). Die komplexen Aneignungs- und Übersetzungsleistungen der europäischen Exilanten kommen also produktiv, wenn auch verschlüsselt, in den Filmen selber zum Ausdruck. Sinnfällig ergänzt wird Gemündens (kon)textuell-kulturwissenschaftliche Analyse durch Lutz Bachers industriell-ökonomische Studie, die sich mit den unabhängigen Produzenten in Hollywood auseinandersetzt, die in den 40er-Jahren Anti-Nazi-Filme herstellten. Nimmt man beide Texte zusammen, so entsteht ein Zusammenhang zwischen Politik, Wirtschaft und Kultur, der durchaus eine Blaupause für ein Studium des Exilfilms zu bieten vermag.

Abschließend bleibt ein etwas zwiespältiger Eindruck, weil die einzelnen Beiträge das in Titel und Einführung gegebene Versprechen nicht vollständig einlösen können. Auch bleibt offen, was an dieser Zusammenstellung eigentlich den Reihentitel der „Mediengeschichte des Films“ qualifizieren soll, handelt es sich doch eher um eine der „new film history“ verpflichtete Anthologie. Andererseits sind es gerade die Querverbindungen, Überschneidungen und auch Widersprüchlichkeiten, die die Lektüre immer wieder produktiv anregend machen. In der Reibung also, die der Band hervorruft, liegt eine nicht zu unterschätzende Qualität.

1 Schivelbusch, Wolfgang, Entfernte Verwandtschaft. Faschismus, Nationalsozialismus, New Deal 1933-1939, München 2005; http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=48&type=rezausstellungenngen
2http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-1-104

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