J. Hösler: Von Krain zu Slowenien

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Titel
Von Krain zu Slowenien. Die Anfänge der nationalen Differenzierungsprozesse in Krain und der Untersteiermark von der Aufklärung bis zur Revolution, 1768 bis 1848


Autor(en)
Hösler, Joachim
Reihe
Südosteuropäische Arbeiten 126
Erschienen
München 2006: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
414 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Kessler, Martin-Opitz-Bibliothek Herne

Wie die Geschichte Sloweniens ist die slowenische Nationalbewegung bislang weitgehend ein Thema der slowenischen Nationalhistoriographie gewesen, die frühe Phase im – so Hösler zu Recht – „Widerhall der Aufklärung“ mit dem Kreis um Sigmund Freiherr von Zois vor allem wegen Bartholomäus Kopitar, eines der Gründungsväter der modernen Slavistik, immerhin von der Fachgeschichte der Slavistik beachtet worden. Die Arbeiten zur slowenischen „nationalen Wiedergeburt“ gehen von einer nationalen Entelechie der Akteure aus, die meist am Einsatz für die nationale „Muttersprache“ gemessen wird: „Sie behaupten, die Akteure hätten in nationsbildender und identitätsstiftender Absicht agiert, und die Aktivität habe objektiv nationalen Stolz sowie nationales Selbstbewusstsein bei immer mehr Menschen bewirkt.“ (S. 339)

Hösler zeigt nach einer gründlichen Analyse der sozialen, ökonomischen und Sprachverhältnisse, dass die unterschiedlichen philologischen, theologischen und historischen Interessen des Zois-Umfelds nicht durch nationale, „slowenische“ Ziele (der Begriff des Slowenischen wird erst 1848/49 durchgesetzt) geprägt und motiviert waren, sondern ihren Ausgangspunkt in einem aufgeklärten krainischen, also auf das Land Krain mit der Hauptstadt Laibach (Ljubljana) bezogenen, Landespatriotismus hatte, der bis 1848 das tragende Element des sozialen und kulturellen Lebens bleiben sollte. Dieser im 19. Jahrhundert vom Bürgertum getragene Landespatriotismus bediente sich der slawischen wie der deutschen Landessprache, und ähnliches galt – wenn auch mit stärkeren deutschnationalen Stimmen – ebenso, wie Hösler überzeugend herausarbeitet, für das andere überwiegend slowenischsprachige, im städtischen Bereich aber deutschsprachige Gebiet, die Untersteiermark mit den Zentren Pettau (Ptuj) und Marburg (Maribor).

Detailliert verfolgt Hösler dann, indem er die Zusammensetzung der bürgerlichen Vereine und – erstmals mit einer solchen Intensität – die Inhalte und die Verbreitung der deutsch- und der slowenischsprachigen Periodika untersucht, den „Verschlungenen Weg zum Programm des Vereinten Slowenien im Vormärz“. Er zeigt die Konflikte und Differenzen zum Beispiel um die Orthographie der slawischen Landessprache, weist hin auf die Isoliertheit heute nationaler Größen wie des Dichters France Prešeren zu ihrer Lebenszeit. Er beschreibt, wie sich die konservativen nationalen Vorstellungen des Tierarztes und Herausgebers der slowenische „Novice“ Janez Bleiweis vor 1848 durchsetzen. Ausschlusselement war nicht die Sprache (es gab, wie Hösler nachweist, mehr ‚Slowenen’ in der städtischen Oberschicht Laibachs, als bisher angenommen wurde), „exkludiert wurden Bauern, Arbeiter und andere Untertanen, weil sie nicht den oberen Ständen angehörten“; das Bewusstsein war landes-, nicht national bezogen. Die Konflikte waren nicht ethnisch-national, sondern wesentlich sozial bestimmt. Dass Bauernkinder nur slowenisch unterrichtet wurden und nicht auch, wie viele Eltern es wünschten, deutsch in der Schule lernten, lag am Interesse der „slowenischen“ Oberschicht an der Beibehaltung der Sozialstruktur.

Und dieses konservative Interesse dominiert auch die Ereignisse in Krain und in der Untersteiermark in der Zeit der Revolution in Wien und Graz. Zwar werden erstmals Programme eines „Vereinigten Slowenien“ auf national-sprachlicher Grundlage artikuliert, fehlen auch nicht weiter gefasste südslawische Akzente, doch verfochten Besitzbürgertum, Intelligenz und Geistlichkeit wesentlich ihre sozialen und Besitzinteressen gegen die Forderung nach Bauernbefreiung. Gerade weil führende Slowenen wie der Tiermediziner und Zeitungsherausgeber Bleiweis oder der Bischof Slomšek „volksnah“ waren, hielten sie Informationen für das Volk zurück. Sie suchten das Bündnis mit den Standesgenossen im deutschen Österreich auch aus Furcht vor der Dynamik der bäuerlichen Protestbewegung und unterstützten die Politik der österreichischen Regierung. „Dies zu Kenntnis zu nehmen“, schließt Hösler seine Marburger Habilitationsschrift, „ist eine wesentliche Voraussetzung für eine Analyse des Konservatismus der slowenischen Nationalbewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und seiner Wirkung auf den Nationalismus in Slowenien bis in die Gegenwart“ (S. 355).

Auf der Grundlage einer gründlichen Darstellung der sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen, politischen und institutionellen Voraussetzungen in Krain und der Untersteiermark entwirft Hösler durch eine detaillierte Quellen- und Diskursanalyse auch unter Einbezug literarischer Texte ein völlig neues, differenziertes Bild der Anfänge der nationalen Differenzierungsprozesse im Raum des heutigen Slowenien. Die nationale Agitation (die Phase B nach Hroch) begann im Mai 1848 durch Anstoß der Wiener „Slovenija“, also von außen, war aber im Lande bei Weitem nicht so erfolgreich, wie es die nationale Geschichtserzählung gerne hätte. Hösler hat eine methodisch überlegt konzipierte, grundlegende Arbeit verfasst, deren Ansatz und Ergebnis nicht nur die Geschichte der slowenischen Gebiete zwischen Aufklärung und Revolution 1848/49 in sehr vielen Aspekten revidiert, sondern auch viele Fragen an die Forschungen zu den Anfängen der modernen Nationsbildung und an die Revolutionsforschung zu 1848/49 außerhalb Sloweniens stellt.

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