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Titel
Klios Wandlungen. Die deutsche Althistorie vom Neuhumanismus bis zur Gegenwart


Autor(en)
Christ, Karl
Erschienen
München 2006: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katja Wannack, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Dem einst von Alexander Demandt geäußerten Verdacht, „daß Wissenschaftsgeschichte in unserer Disziplin (also der Alten Geschichte) nicht nur lockt, weil sie ein neues Arbeitsgebiet ist, sondern zugleich eine Möglichkeit vorspielt, ohne Kenntnis der Alten Sprachen und der Alten Geschichte über die Forschung zu schreiben“ 1, ist der hier anzuzeigende Band ganz gewiss nicht ausgesetzt, handelt es sich doch bei Karl Christ um einen der profiliertesten deutschen Althistoriker. Christ, dessen langjährige Beschäftigung mit der Geschichte des Faches in Monographien wie „Römische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft“ (1982) und „Hellas. Griechische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft“ (1999) mündete, beabsichtigt nun, „eine Skizze der Anfänge und Entwicklung, der Aufgaben, Formen und Problematik der Wissenschaftsgeschichte der deutschen Althistorie vorzulegen“ (S. 9).

In zehn Abschnitten, wovon drei auf „Definition und Aufgaben der Wissenschaftsgeschichte“, die „Epochen und Schwerpunkte“ (Kap. 1-2) sowie den Epilog (S. 10) entfallen, wird ausgehend von den „Klassikern des 19. Jahrhunderts“ (Barthold Georg Niebuhr, August Böckh, Karl Otfried Müller, Johann Gustav Droysen, Ernst Curtius, Theodor Mommsen, Jacob Burckhardt, A. Holm, Benedikt Niese und Georg Busolt) der Bogen bis in die Gegenwart gespannt. Die Reihung der Namen macht deutlich, dass es sich vor allem um eine „Wissenschaftlergeschichte“ handelt. Katalogartig werden Personen, deren biographische Hintergründe, ihre Werke und die zu ihnen vorliegende Literatur vorgestellt. Dabei folgt der Band im Ganzen gesehen einer Dreiteilung: Während für die Zeit bis zum Nationalsozialismus mehr Gewicht auf die Bestandsaufnahme der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung zu den Klassikern des 19. Jahrhunderts gelegt wird, dieser Abschnitt sich also gleichsam als eine Geschichte der Wissenschaftsgeschichte beschreiben lässt, handelt es sich bei dem 6. (und umfangreichsten) Kapitel über „Die Epoche des Nationalsozialismus“ um eine Analyse der zwischen Anpassung und Distanzierung variierenden Formen des Umgangs von Althistorikern mit nationalsozialistischem Gedankengut. Entgegen dem auch aus anderen Werken des Verfassers gewohnten deskriptiven Charakter (vergleiche Vorwort S. 9 „Methode der Verbindlichkeit der Deskription“) mit seiner Zurückhaltung vor dezidierten Bewertungen finden sich hier auch vergleichsweise klare Urteile, wie etwa über Helmut Berve (S. 63). 2

Die folgenden Kapitel sind der Entwicklung seit 1945 gewidmet, wobei den Anfängen der Althistorie in der DDR in einem eigenen (8.) Kapitel kurz nachgegangen und die Entwicklung in Österreich und der Schweiz in Exkursen miteinbezogen wird. Hierbei tritt nun ein Perspektivwechsel ein: Statt der Objekte der Wissenschaftsgeschichte des ersten Abschnitts werden jetzt deren Akteure mit ihren Arbeitsgebieten vorgestellt. Einerseits entlang einzelner Universitäten (Marburg, Innsbruck, Graz, Freie und Humboldt Universität Berlin) und andererseits unter Herausstellung verschiedener disziplingeschichtlich arbeitender Historiker (Arnaldo Momigliano, William M. Calder III, Volker Losemann, Stefan Rebenich, Alexander Demandt, Wilfried Nippel) wird die Darstellung bis in die unmittelbare Gegenwart fortgeführt. Die ausgewählten Historiker werden dabei nicht nur mit ihren wissenschaftsgeschichtlichen Arbeiten vorgestellt (wobei die gebotenen Informationen zumeist nicht über die jeweiligen Schriftenverzeichnisse hinausgehen), Christ betrachtet auch ihr übriges althistorisches Oeuvre. Gewiss ist es einfach, an der nun einmal notwendigerweise zu treffenden Auswahl an Historikern und Werken Kritik zu üben 3, dennoch fällt das Fehlen von Namen wie etwa Jochen Bleicken und Christian Meier (mehrfach kurz erwähnt, aber nicht explizit wie andere vorgestellt) auf, die die deutsche Althistorie nach 1945 nachhaltig geprägt haben. Als Beweis für die zunehmende Beschäftigung mit der Geschichte des Faches kann die im Anhang beigefügte Zeittafel mit der Literatur zur Wissenschaftsgeschichte (S. 257-283) dienen, deren chronologische Gliederung für die eigene Weiterarbeit jedoch nur bedingt sinnvoll ist.

In dem Wissen und Ermahnen, dass die „Wissenschaftlergeschichte“ (etwa in Form von Biographien und Editionen von Briefwechseln) nur ein Schritt hin zu einer umfassenden Gesamtdarstellung der Geschichte der Altertumswissenschaft sein kann (S. 13 u. 165), liefert Christ eine Synopse der bisherigen – und wie auch deutlich wird: von im selbst und seinen Schülern geprägten – Einzelforschung. Insgesamt betrachtet bietet das Werk für den Fachmann daher eher eine Bestandsaufnahme des bisher Erreichten (und Bekannten); aufgrund seiner sinnvoll gewählten bibliographischen Nachweise in den umfangreichen Endnoten (S. 173-256) kann es einerseits als Informationsmittel und andererseits auch als Kompass für die zukünftige Forschung dienen.

Anmerkungen:
1 Demandt, Alexander, Alte Geschichte an der Berliner Universität 1810–1960, in: Arenhövel, Willmuth; Schreiber, Christa (Hrsg.), Berlin und die Antike. Aufsätze, Berlin 1979, S. 69–97, hier S. 69.
2 Sonst lassen sich lediglich kurze Charakteristiken und Wertungen finden, so z.B.: „Pöhlmanns provozierendes Hauptwerk“, seine „Methode war zudem viel zu eigenwillig“ (beide S. 31), oder auch Demandts „eigenwillige“ Rede (S. 152), die nicht aber näher erläutert werden.
3 Ebenso wird Theodor Mommsens „Römisches Staatsrecht“ etwa nur ob seiner Vorbildfunktion für entsprechende Werke über den griechischen Staat von Busolt (S. 28) und Kahrstedt (S. 53) erwähnt. Hinweise auf eine durch ihn geprägte Generation von Historikern fehlen.

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