Titel
All you need is beat. Jugendsubkultur in Leipzig 1957-1968


Autor(en)
Liebing, Yvonne
Erschienen
Anzahl Seiten
152 S.
Preis
€ 12,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heiner Stahl, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Yvonne Liebing hat mit „All you need is beat. Jugendsubkultur in Leipzig 1957-1968“ eine detaillierte städtische Subkulturgeschichte vorgelegt.1 Sie ist gleichzeitig auch der Katalog zu einer Ausstellung, erhältlich über das Archiv Bürgerbewegung Leipzig.

Den Kern der Untersuchung bildet die Geschichte der Leipziger Beatdemonstration (S. 61-94). Dabei vertieft Liebing die bislang vorliegenden Darstellungen2 deutlich, da sie den MfS- und Volkspolizeiüberlieferungen auch die subkulturellen Praxen, Räume und Veranstaltungsorte beistellt. Mit dem im September 1963 veröffentlichten Jugendkommuniqué tat sich eine „Kontrollücke“ (S. 66) auf, welche die abweichende Leipziger Jugendkultur auszunutzen verstand. Dieser innere „Gegner“, der Rowdy, der chuligan, war mühsam konstruiert, aber letztlich erfolgreich als „Problem“ benannt worden.3 „Rowdykarteien“ konnten Ende der 1950er-Jahre angelegt werden. Dabei erwies sich die Leipziger Volkspolizei als erfindungsreich und kreativ. Allerdings, und das dürfte die Normdurchsetzung erschwert haben, blockierte die Frühlings- und die Herbstmesse die polizeiliche Unterbindung jugendlicher Inszenierung im öffentlichen Raum. Die Verfolgungsagenturen mussten diese dann jeweils nachholen.

Die Capitol-Meute, die Lindenfels-Meute, die Auensee- und Wahrener Meute bezeichneten sich nach Trefforten (Kinos) oder Stadtvierteln. Liebing kartografiert Leipzig nach Gangs, Banden, Clubs, würdigt Hang-Around-Szenerien wie den Clara-Zetkin-Park. Die dort herumstehenden Gruppen devianter und im Zweifelsfall als delinquent und arbeitsverweigernd eingestufter Jugendlicher waren Humanobjekte polizeilicher und überwachungsdienstlicher Problemlösung. Die Cliquen stellten subkulturelle Räume in den öffentlichen sozialistischen Herrschaftsräumen her, die nicht zwangsläufig als Verdrängungs- und Verfolgungsgeschichte gelesen werden müssten.

Mit dem Mythos 'Waldbühne', dem abgebrochenen Rolling-Stones-Konzert vom 14. September 1965 in der Charlottenburger Freilichtbühne und den überhitzten Reaktionen der bürgerlichen Zeitungen und des Boulevards inklusive des Westberliner Abgeordnetenhauses, verbindet Liebing den Mythos „Leuschner-Platz“ von der Beat-Demonstration am 31. Oktober 1965. Für die Leipziger Szenen und Jugendkulturen der folgenden DDR-Jahrzehnte wurde der Platz zur Erzählung sub- und popkultureller Dissidenz, erinnerte an die Möglichkeit von Distinktion im Realsozialismus, auch wenn junge Männer dafür „Arbeit durch Erziehung“ in den Braunkohle-Abbaugebieten des Leipziger Südens und Südwestens (S. 83-84) erfahren und junge Frauen andere vergleichbare Herrschaftsmaßnahmen ertragen mussten. Die subkulturelle Sphäre der Stadt sah sich verschiedenen Werbungs-, Unterwanderungs- und Zersetzungsmaßnahmen des MfS gegenüber (S. 117-121).

Das Ausweichen auf die Vororte wie Kleinzschocher (Gaststätte 'Immergrün'), Holzhausen (Sächsisches Haus), Gaschwitz (Zentral-Halle), Jugendklubhaus Leipzig-Nord (Anker) war eine Technik. Eine andere bezog sich auf ein mediales Verfahren, Popmusik verfügbar zu machen, so etwa der Tonbandmitschnitt und dessen Aufführung im „Sender Freies Paunsdorf“ (S. 114). Der Magnetband-Underground stellte den Vorläufer der Vertriebsnetzwerke für die New Wave- und Punk-Musik in den 1980er-Jahren dar.4 Yvonne Liebing hat eine kenntnisreiche Stadtgeschichte einer transnationalen Jugendkultur in der DDR geschrieben. In Halle, Dresden, Berlin oder Magdeburg, könnte man einwenden, sei die Einarbeitung westlicher Stile „ganz anders“ verlaufen. Das hat aber bislang noch niemand gezeigt. Auf Erklärungsansätze wie Widerstand durch Rituale und die Technik der Zusammenfügung verschiedener Symbole, bricolage, verweist die Autorin, ohne auf sie in ihrer Darstellung näher einzugehen. Das jedoch ist nachholbar. Insgesamt liefert die Analyse aus der Blickrichtung Liebigs zahlreiche Impulse.

Zwei kritische Anmerkungen müssen aber noch sein: Mark Fenemores Dissertation über die Subkulturen in Leipzig zwischen 1949 und 1965 spielt bei Liebing gar keine Rolle.5 Ferner, und das überrascht ebenfalls, ist diese Beat-Geschichte Leipzigs eine 'Jungs'-Geschichte, die auf die Körperpolitiken von Jungmännern eingeht. Junge Frauen sind hier nur vorzeigbare Accessoires männlicher Distinktionen. Das funktionierte in subkulturellen Öffentlichkeiten auch nur wenig anders als im „Mainstream“.

Anmerkungen:
1 Für den Bezirk Suhl legte Peter Wurschi kürzlich seine bislang unveröffentlichte Dissertation in Leipzig vor: Jugendliche Subkulturen in Thüringen im Spannungsfeld parteistaatlicher Jugendpolitik und Herrschaftssicherung, unter besonderer Berücksichtigung des ehemaligen Bezirkes Suhl, Leipzig 2006.
2 Leitner, Olaf, Rockszene DDR. Aspekte einer Massenkultur im Sozialismus, Hamburg 1983; Rauhut, Michael, Beat in der Grauzone. DDR-Rock 1964 bis 1972, Berlin 1993; Rembold, Elfie u.a. (Hrsg.), Inszenierte Einheit. Herrschaftsrepräsentation in DDR-Städten, Stuttgart 2003
3 Lindenberger, Thomas, Volkspolizei. Herrschaftspraxis und öffentliche Ordnung im SED-Staat 1952-1968, Köln 2003. Kapitel 9, Rowdytum, S. 397-448.
4 Svede, Mark Allen, All You Need is Lovebeads. Latvia's Hippies Undress for Success, in: Reid, Susan E.; Crowley, David (Hrsg.), Style and Socialism. Modernity and Material Culture in Post-War Eastern Europe, Oxford, 2000, S. 189-208. Für die DDR: Binas, Susanne, Die 'anderen Bands' und ihre Kassettenproduktionen. Zwischen organisiertem Kulturbetrieb und selbstorganisierten Kulturformen , in: Wicke, Peter; Müller, Lothar (Hrsg.), Rockmusik und Politik. Analysen. Interviews und Dokumente, (=Forschungen zur DDR-Geschichte, 7) Berlin 1996, S. 48-60. Pehlemann, Alexander; Galenza, Ronald (Hrsg.), Spannung. Leistung. Widerstand. - Magnetbanduntergrund DDR 1979-1990, Berlin 2006.
5 Fenemore, Mark, Nonconformity on the borders of dictatorship. Youth subcultures in the GDR (1949-1965), London 2002.

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