Th. Lindenberger (Hrsg.): Massenmedien im Kalten Krieg

Cover
Titel
Massenmedien im Kalten Krieg. Akteure, Bilder, Resonanzen


Herausgeber
Lindenberger, Thomas
Erschienen
Köln 2006: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
286 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Edgar Lersch, Südwestrundfunk Historisches Archiv

Der Titel des Buches „Massenmedien im Kalten Krieg” wird bei vielen Lesern Assoziationen an Propagandafeldzüge in den jeweils feindlichen Lagern der Ost-West-Konfrontation nach dem II. Weltkrieg wecken. Die „Ätherkriege” zwischen Ost und West werden in dem von Thomas Lindenberger herausgegebenen Band durchaus angesprochen, ebenso die „weiche Flanke“ des ungehinderten Einströmens von Informationen jeder Art in die ansonsten abgeschotteten Mediensysteme der Ostblockstaaten. Doch geht es dem Herausgeber der Publikation, die einen 2003 stattgefundenen Workshops dokumentiert, um mehr. Nicht die wechselseitigen Strategien der medialen, in ihrer Wirkung schwer einzuschätzenden „Überrumpelung“ stehen im Vordergrund, sondern der Versuch einer kulturgeschichtlichen Fundierung der jeweils inneren Medienentwicklung, von Presse, Kino und Rundfunk unter den besonderen Bedingungen der Systemauseinandersetzung nach 1945. Die breitere kulturgeschichtliche Einbettung mediengeschichtlicher Befunde soll dazu beitragen, für teils vertraute, teils unbekannte Bereiche der Mediengeschichte in der Hochzeit des Kalten Krieges neue Einsichten und Begründungszusammenhänge zu vermitteln.

Die angesprochene kulturgeschichtliche Fundierung bedient sich Erklärungsmustern, die unterhalb der „harten“ politischen Systemkonfrontation angesiedelt sind. Insbesondere greift der Herausgeber in seiner Einführung auf die für die Verhältnisse in den USA entwickelte These einer „cold war culture“ zurück. Deren Plausibilität beziehungsweise Reichweite will er an den westeuropäischen Zuständen überprüfen, allerdings werden in der Explikation im Sammelband ausschließlich deutsche Themen behandelt. Ausgangspunkt ist der auf der westlichen Seite alle Lebensbereiche durchdringende „american way of life”. Zu den auf Basis des Massenwohlstands sich entwickelnden konsumorientierten Verhaltensmustern gehöre, so Lindenberger, auch eine entsprechende Ausstattung mit Rundfunkempfangsgeräten und ein unterhaltungsorientierter Medienkonsum als zentraler Bestandteil der Freizeitkultur. Dieser soziokulturelle Zusammenhang sei eher kompatibel gewesen mit dem im Pluralismus westlicher Verfassungsstaaten angelegten liberalen Öffentlichkeitsverständnis. Dem gegenüber seien in den Jahren des Kalten Krieges in den Medien der autoritären und totalitären Staaten des Ostblocks die Wahrheits- und Bevormundungsansprüche der Staatsführung in Kraft geblieben. Doch habe es, wenngleich mit Verspätung und anderen Ausprägungen, zunehmend auch in den Ostblockstaaten den Zusammenhang zwischen Konsumentwicklung und dem Bedürfnis nach einem weniger restriktiven Medienangebot gegeben. Auf die Dauer habe gerade dieser Zwiespalt zu einer Delegitimierung des in den Medien des Ostblocks aufrecht erhaltenen Deutungsanspruchs geführt und damit die Glaubhaftigkeit des Systems bis hin zur Selbstaufgabe nachhaltig erschüttert. Insofern trugen – so lässt sich Lindenberger interpretieren – die Medien maßgeblich zum Ende des Sozialismus bei, aber eben nicht als Ergebnis des „Ätherkriegs“.

Einige der Feststellungen und Schlussfolgerungen in der Einleitung Lindenbergers gehen über den Ertrag einzelner Studien durchaus hinaus, ja es ist – das sei an dieser Stelle bereits festgestellt – eine Schwäche des Bandes, dass in den meisten Einzelbeiträgen ein Zusammenhang mit diesen Überlegungen nicht explizit hergestellt wird, manchmal gar nicht erkennbar ist. Unterschiedlich ambitioniert in der Konzeptualisierung bewegen sich die Beiträge über Medien in der DDR in einem Zeitfenster, das die 1950er- und die frühen 1960er-Jahre umfasst. In dieser Zeit bahnen sich die vom Herausgeber angesprochenen spezifischen Konfliktlagen erst an. So gewinnt man insgesamt den Eindruck, dass die meisten Autoren ihre Arbeitspapiere aus einigermaßen heterogenen Forschungszusammenhängen vorstellen.

In der ersten Einzelstudie beschreibt Ulrike Weckel den Filmregisseur Wolfgang Staudte, eine unkonventionelle Persönlichkeit, die sich weder von der DDR noch vom vorherrschenden Nachkriegsmilieu der Bundesrepublik vereinnahmen lassen wollte. Sich selbst als freischwebenden Intellektuellen verstehend, verharrte er nicht in den für beide Seiten typischen Klischees beziehungsweise Verdrängungen. Angesichts der jeweils alles überwölbenden „cold war cultures“ in Ost und West sah er sich heute kaum noch nachvollziehbaren Verdächtigungen, Anfeindungen und Ausgrenzungen ausgesetzt und konnte seinen künstlerischen Anspruch demzufolge nicht systemübergreifend durchsetzen.

Etwas schlicht geraten sind die Beiträge von Bernd Stöver und Lars Karl. Stöver analysiert DEFA-Produktionen, die sich – von höchster Stelle gefördert – mit dem Thema „Liberation policy” befassen, mit Filmen also über aus dem Westen drohende Unterwanderungsszenarien unterhalb der Schwelle des bewaffneten Konflikts. Mit der Feststellung, dass besonders spannend aufbereitete Filme („For eyes only”) in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre große Resonanz (gemessen an den Zuschauerzahlen in den Kinos) fanden, fangen jedoch die Probleme einer vermutlich „eigensinnigen“ Rezeption beim DDR-Publikum erst an. Wenig überraschend ist auch der Befund von Lars Karl, dass die Kinogänger in der DDR zu Stalins Lebzeiten die sowjetischen kinematografischen Schlachtengemälde über den II. Weltkrieg und Stalinapotheosen ablehnten, vorhandene Spannungen mit den sowjetischen Filmvertrieb hingegen zurückgingen, als die Produktionen der so genannten Tauwetterperiode (bekanntestes Beispiel: „Wenn die Kraniche ziehen...”) größeren Zuspruch beim Publikum fanden und sich unproblematischer in Kampagnen für die deutsch-sowjetische Freundschaft einbeziehen ließen.

Die ultrakonservativen Publizisten William S. Schlamm und Winfried Martini – deren transnationale Verflechtungen zu untersuchen, Markus M. Payk emphatisch einfordert – fügten sich erst einmal gut in das antikommunistisch geprägte Meinungsklima der Bundesrepublik der späten 1950er-Jahre ein und stießen zeitweilig auf große Resonanz, wie der Autor im einzelnen belegt. Jedoch entwickelte sich der vielfältigen Erwartungen und neuen Bedürfnissen ausgesetzte Medienmarkt bald in eine andere Richtung, und auch der zunehmende Einfluss aufgeklärt-liberaler Konzepte in der westdeutschen Öffentlichkeit führte dazu, dass die ideologische Aufrüstung und Abwehr einfordernden Publizisten bereits in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre an den Rand gedrängt wurden.

Die wöchentlichen Radioansprachen über den Sender RIAS des Westberliner Prälaten Walter Adolph waren zuallererst an die Katholiken des zwischen Ost und West geteilten Bistums Berlin gerichtet. Aus dem Beitrag von Christine Bartlitz spricht viel für die nicht ganz klar ausgesprochene Schlussfolgerung, dass die in den Ansprachen zum Ausdruck gebrachten christlichen Wertvorstellungen mehr und mehr mit den gegen die DDR-Machthaber vorgebrachten Klagen über die in der DDR verschmolzen: Eingefordert wurden die im Osten verweigerten, vom liberalen Verfassungsstaat im Westen hingegen garantierten Freiheitsrechte. Dass dadurch möglicherweise indirekt noch vorhandene Vorbehalte des katholischen Milieus gegenüber der Bundesrepublik abgebaut worden sind, ist die Schlussthese dieses Beitrags.

Die Studien von Uta C. Schmidt und Uta Schwarz handeln von den durch die Ost-West-Konfrontation hervorgerufenen geschlechterpolitischen Verwerfungen. Schmidt beschreibt ausführlich, wie im breiten publizistischen Diskurs über die „Schlüsselkinder” und damit über die in der Bundesrepublik umstrittene Berufstätigkeit der Frauen mal versteckt, mal offen der Widerspruch gegen das in der SBZ/DDR favorisierte Modell der Einbeziehung von Frauen und Müttern in den Arbeitprozess thematisiert wurde. Zum Teil überraschende Befunde im Hinblick auf Parallelen, Unterschiede und Tabus, erarbeitet Uta Schwarz in ihrer auch bildanalytisch sorgfältig angelegten Untersuchung von Wochenschauen der beiden deutschen Staaten. Interessanter als manifeste, manipulative Eingriffe der Staatsführung der DDR in das Angebot des ostdeutschen „Augenzeugen“ und in die von der Bundesregierung geförderten westdeutschen Wochenschauen sind subtile Abstufungen und Nuancierungen.

Thomas Heimanns zu breit geratenes, aus dem Forschungszusammenhang des DFG-Forscherverbundes „Geschichte des DDR-Fernsehens” entnommenes Panorama des innerdeutschen und internationalen Programmaustauschs des Fernsehens der DDR plausibilisiert schließlich an Hand statistischen Materials die sich auch in der DDR entfaltende Eigendynamik des Fernsehprogramms in Richtung Unterhaltung und Sport, also in die medienkulturell geprägte Freizeitgesellschaft.

Insgesamt hinterlässt der Band einen zwiespältigen Eindruck. Dass die Autoren mit Fragestellungen die mediale Überlieferung bearbeiten, die sie aus den zeitgenössisch virulenten Themen gesellschaftlicher Kommunikation entwickeln, ist positiv zu werten. Insofern wird eine auf organisations- und/oder kommunikationsgeschichtliche Details beschränkte Mediengeschichte vermieden, werden die durch die Medien transportierten mentalen Dispositionen zur Sprache gebracht und analysiert. Wünschenswert wäre bei mehreren Beiträgen jedoch gewesen, wenn sie sauberer zwischen diesen mentalen Dispositionen und dem öffentlichen medialen Diskurs eine Grenze gezogen beziehungsweise sich intensiver mit dem Wechselspiel der beiden auseinandergesetzt hätten. Insofern hat der in der Einleitung propagierte medienwissenschaftliche Minimalismus auch seine Schattenseiten. Auf die inhaltliche Dissonanz der Beiträge wurde bereits verwiesen: Das Buch lässt einen einigermaßen verwirrten Leser zurück, der sich – jenseits der Einleitung – nur mühsam zusammenreimen kann, was Medien im Kalten Krieg ausmachte.

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