: Nazi Cinema as Enchantment. The Politics of Entertainment in the Third Reich. Rochester 2003 : Camden House, ISBN 1-57113-283-X 294 S. $75.00

: Hitlerjunge Quex, Jud Süss und Kolberg. Die Propagandafilme des Dritten Reiches. Dokumente und Materialien zum NS-Film. Berlin 2005 : Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, ISBN 3-89602-471-X 501 S. € 49,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Stiasny, Berlin

Das Dritte Reich nimmt heute in der filmhistorischen Forschung einen festen Platz ein. Die politische Einflussnahme und Kontrolle sowie die Produktion und Rezeption von Spiel- und Dokumentarfilmen sind umfassend erforscht. Grob differenziert wird hier zwischen der riesigen, kaum überschaubaren Gruppe vermeintlich unpolitischer, leichter Unterhaltungsfilme aus den verschiedensten Genres und der vergleichsweise kleinen Gruppe staatlich geförderter Propagandafilme mit offen rassistischer, antisemitischer und militaristischer Aussage. Die Bücher „Nazi Cinema as Enchantment“ von Mary-Elizabeth O’Brien und „Hitlerjunge Quex, Jud Süss und Kolberg“ von Rolf Giesen und Manfred Hobsch rücken diese beiden Gruppen erneut in den Blick, allerdings mit sehr unterschiedlichem Anspruch. Unterhaltung und Propaganda bezeichnen dabei keinen grundsätzlichen Widerspruch, wie vor allem Eric Rentschler gezeigt hat. 1 Im Gegenteil bestätigen viele Unterhaltungsfilme in Bezug auf Inhalt und Ästhetik, Geschlechterrollen, Körperbilder und populäre Klischees gesellschaftliche Vorstellungen, Argumentations- und Handlungsweisen, die in Einklang mit der Ideologie und Praxis des Nationalsozialismus stehen. Woran es aber mangelt, ist eine breiter angelegte Analyse des kommerziell produzierten Genrekinos, dem sich zwischen 1933 und 1945 die meisten deutschen Filme zurechnen lassen, darunter Komödien, Melodramen und Revuefilme. In diese Lücke sticht Mary-Elizabeth O’Brien.

O’Brien beschreibt ein Genrekino, das im Dritten Reich die Sehgewohnheiten und Erwartungen weiter Publikumsteile prägte. Es zeichnete sich aus durch die Variation bekannter Themen und Motive, durch eingeübte Rollenmuster, konventionelle Konfliktlösungen und die Mitwirkung von Stars. Deutliche politisch-ideologische Aussagen vermieden die Filme zumeist, dem Kalkül gehorchend, dass eine politische und ideologische Selbstverpflichtung den Unterhaltungswert schmälern und die Zuschauer vergraulen könnten. Das Kino sollte den Anstrich eines weitgehend politikfreien Ortes haben, eines Ortes für Träume und kollektive Fantasien. Das Kino sollte, so O’Brien, dem Publikum eine Welt der Wunder, der starken Gefühle und quasi religiösen Erbauung bieten. Auf diese Weise reagierte der Nationalsozialismus auf Max Webers Diagnose von der Entzauberung der Welt in der Moderne und setzte dem ein ganzheitliches, vormodernes Weltbild entgegen. O’Briens im Buchtitel enthaltene These zielt demnach darauf, die Funktion des Kinos im Zusammenhang mit dem nationalsozialistischen Vorhaben einer (Wieder-) Verzauberung der Welt zu bestimmen.

Die Arbeit widmet sich fünf verschiedenen Genres des Unterhaltungsfilms, die O’Brien anhand von Fallstudien vorstellt. Ihrer Analyse von Inhalt und Ästhetik folgt dabei eine gründliche Rekonstruktion des Produktions- und Rezeptionskontextes. Die meisten Fallstudien gelten wenig bekannten Filmen; Ausnahmen sind „Wunschkonzert“ (1940), „Die große Liebe“ (1942) und „Opfergang“ (1944). Das erste Kapitel befasst sich mit parodistisch angelegten, historischen Musikfilmen, die im 19. Jahrhundert spielen, aber mit dem Thema Revolution und dem Kampf um eine nationale Identität analoge Ereignisse der Gegenwart aufrufen. Gleiches trifft zu für den Spott über jüdische Figuren in „Robert und Bertram“ (1939). Je nach Perspektive öffnet die Übertragung in die Gegenwart subversive oder affirmative Potentiale für den Rezipienten. O’Brien unterstreicht hier den nostalgischen Charakter der Musikfilme und deutet sie als Mittel der „sozialen Konstruktion von Freude“. Die Filme sollten an eine unbeschwerte Vergangenheit erinnern und das Publikum mit Liedern, Tanz und Überschwang in eine euphorische Stimmung versetzen. Der Spott und das Gelächter über die Juden zeigen aber, dass neben der Verzückung eine zweite Form von Freude beschworen wurde, die Schadenfreude.

Im zweiten Kapitel untersucht O’Brien Abenteuerfilme in exotischen Gefilden, deren männliche Helden fern der Heimat ihr persönliches Glück suchen. Auf dieser Suche lernen die Helden das Eigene und das Fremde zu bewerten; Deutschland erscheint als ein imaginärer Fixpunkt und als eine geistige und vor allem kulturelle Heimat, die den Figuren in der Not Halt gibt. Die Filme überwanden räumliche und zeitliche Begrenzungen, rückten nicht-konforme Lebensentwürfe in den Blick und suspendierten zumindest zeitweise die sozialen Tabus gegenüber homosexuellem, fremdenfreundlichem, die Rassenzugehörigkeit ignorierendem Begehren. Das Genre artikulierte den Wunsch nach verbotenen Genüssen und bewegte sich damit in einem Spannungsfeld: Auf der Ebene der Handlung appellierten die Filme an eine rassische und kulturelle Identität und Homogenität, zugleich inszenierten sie Differenz und Fremdheit als ein lustbesetztes Spektakel.

Die Berufung auf eine kulturelle Einheit stand auch im Zentrum der Heimatfrontfilme, die im dritten Kapitel untersucht werden. Diese Filme zielten darauf, ein enges Band zwischen den Soldaten und der deutschen Bevölkerung zu knüpfen. Obwohl die Kriegszerstörungen auch in der Heimat unmittelbar spürbar waren, errichteten die Filme eine Art von paralleler Wirklichkeit, in der Liebe, Treue, große Emotionen und festes Vertrauen die Probleme und Zweifel an den Rand drücken. Der Krieg, dessen filmische Darstellung ohnehin recht parfümiert wirkt, verwandelte sich in ein fiktionales Ereignis, das melodramatische Geschichten von Frauen und Männern anstieß.

Am Beispiel von Melodramen, die um scheinbar zeitlose Liebeskonflikte und das Leiden weiblicher Helden kreisen, analysiert das vierte Kapitel die Darstellung der Geschlechterverhältnisse und der idealen Familie. O’Brien zufolge bejahen die Filme die Eliminierung des weiblichen, sexuellen Körpers, verherrlichen das Opfertum der Frau, üben patriarchalische Rollenbilder ein und beteiligten sich so an der Erhaltung des Status quo. Das Aufbegehren der Heldinnen gegen gesellschaftliche Normen und ihr nicht-konformes Ringen um Emanzipation und die Erfüllung von Sehnsüchten endeten zumeist in der Selbstzerstörung. O’Brien sieht dahinter ein didaktisches Anliegen: „With its double-edged narrative, the melodrama celebrates and punishes transgressions against social norms.” (S. 194) Die Filme hätten ihren Zuschauern während des Krieges ein emotionales Ersatzleben geboten und sie gelehrt, die Ideologie des Nationalsozialismus in ihr Alltagsleben und ihre Traumwelt einzuverleiben.

Das abschließende Kapitel gilt einer Reihe so genannter Problemfilme, die sich den damals aktuellen sozialen Fragen zuwandten, beispielsweise der Wohnungsknappheit und den geringen Einkommen. Die von O’Brien ausgewählten Beispiele wurden zwar allesamt realisiert, aber vor dem Kinostart verboten, weil sie Widersprüche zwischen Theorie und Praxis, Propaganda und Realität des Dritten Reiches aufzeigten. Die Analyse dieser keineswegs oppositionellen Filme der Jahre 1938-1945 verdeutlicht damit, wo für die Kontrollorgane die Grenzen des Erlaubten lagen und wo der Defätismus begann. In einem Fall wurde etwa der Mangel an Mut und Männlichkeit des Helden kritisiert; das glückliche Ende wirkte vorgeschoben und die realen Glücksansprüche der Heldin blieben unerfüllt. Gewünscht wurde dagegen ein Hinausschieben solcher Glücksansprüche in die imaginäre Welt der schönen Erinnerungen und Träume, wie zum Beispiel in „Die Feuerzangenbowle“ (1944).

In ihrer gut lesbaren, gründlich recherchierten und klar strukturierten Studie unterstreicht O’Brien immer wieder, dass die Genrefilme verschiedene Lesarten zulassen: eine ideologisch opportune und eine davon abweichende, in der die individuelle Sehnsucht nach Erfüllung mit gesellschaftlichen Vorstellungen kollidierte und ein Rest blieb, der sich der Vereinnahmung entzog. Ob diese abweichende Lesart nun eine subversive Qualität besaß und jenseits hermeneutischer Erwägungen die vielfältigen historischen Rezeptionsweisen gelenkt hat, steht dahin. O’Brien selbst befindet sich hier offenbar in einem Zwiespalt. In ihren Kontextualisierungen verwendet sie große Anstrengungen darauf, die verborgenen, in den Bereich der Unterhaltung überführten ideologischen Aussagen vieler Genrefilme herauszuarbeiten. Ihre grundsätzliche Mehrdeutigkeit will sie aber nicht verneinen und kann deshalb der ideologisch motivierten „Verzauberung der Welt“ im Kino des Dritten Reichs im Fazit einen Erfolg nicht attestieren: „National Socialism’s attempts to re-enchant the world were not foolproof political strategies. Although the cinema in the Third Reich provided outlets for emotional needs, it could not transmit a uniformly acceptable political philosophy and forge a spiritual cohesion to construct and maintain a genuine national community.” (S. 263)

Für eine Geschichte des Genrekinos im Dritten Reich liefern O’Briens Fallanalysen wichtige Deutungsperspektiven und Kontextinformationen, und einige Kritikpunkte schmälern ihre Leistung nicht. So geraten bei der Fixierung auf die in genregeschichtlicher Beziehung kurze Dauer des Dritten Reichs längere Kontinuitäten außer Acht. Wie spezifisch für einen nationalsozialistischen Film ist zum Beispiel die Darstellung der Juden in „Robert und Bertram“ (1939) im Vergleich mit zwei früheren Adaptionen des gleichen Stoffes aus den Jahren 1915 und 1928, die O’Brien in einer Fußnote erwähnt? Wünschenswert wären eine noch stärkere Verknüpfung der Forschung zum deutschen Genrekino mit der Forschung zur populären Kultur im Allgemeinen und eine transnationale Ausrichtung, um nationale Eigenheiten nicht allein vor einem politischen Hintergrund zu beurteilen. Wünschenswert wäre zudem, die Analyse ästhetischer Produkte – hier speziell der Spielfilme – und die Analyse der Kinokultur und Rezeptionspraxis konsequenter als bisher zusammenzuführen. 2

Die Filme mit offenen propagandistischer Aussage, die bei O’Brien nur am Rande auftauchen, sind der Gegenstand des großformatigen Kompendiums „Hitlerjunge Quex, Jud Süss und Kolberg“ von Rolf Giesen und Manfred Hobsch, das sich an filmgeschichtlich interessierte Leser außerhalb des Wissenschaftsbetriebs wendet. Es versammelt all jene Spielfilme, die die Führerideologie verherrlichten, für den Kampf um „Blut und Boden“ und gegen „unwertes Leben“ eintraten, Filme, die an ihrer rassistischen, antisemitischen, militaristischen und oft antibolschewistischen und antienglischen Stoßrichtung keinen Zweifel ließen. Zwar handelt es sich nur zu einem kleinen Teil um so genannte Staatsauftragsfilme, doch beweist die häufig vorgenommene Auszeichnung mit dem Prädikat „staatspolitisch wertvoll“, wie sehr die Behörden die Herstellung dieser Filme wünschten und förderten. Die Nähe zwischen Propaganda und Unterhaltung ist dabei immer präsent, denn auch die offen propagandistischen Filme greifen auf die Muster des Genrekinos zurück. Sie setzten auf die Zugkraft populärer Stars und kleideten ihre Botschaft in das Gewand von Biographien berühmter Feldherrn und Wissenschaftler, von Historienfilmen, Melodramen, Agentengeschichten und Kriegsabenteuern. Auch auf mehrere von O’Brien ausführlich analysierte Filme gehen Giesen und Hobsch ein, neben „Robert und Bertram“ und „Wunschkonzert“ etwa auf den exotischen Abenteuerfilm „Kautschuk“(1938) und den Heimatfront-Film „Die Degenhardts“ (1944).

Nach einer knappen, nicht sehr tief schürfenden Einleitung präsentieren Giesen und Hobsch im Hauptteil ihres Buches lexikalische, nach Jahren geordnete Einträge zu den Filmen, die die Stabangaben, eine Inhaltsangabe, Zitate aus zeitgenössischen Besprechungen oder Produktionsunterlagen und einen filmhistorischen Kommentar liefern. Auch einige nichtfiktionale Filme in Spielfilmlänge wie „Triumph des Willens“ (1935), „Ewiger Wald“ (1936) und „Der ewige Jude“ (1940) sind aufgeführt. Im Anhang befindet sich zudem eine Liste nichtfiktionaler Kurzfilme mit Stichworten zum Inhalt. Zusätzlich finden sich dort 76 Kurzbiografien zu Regisseuren, Schauspielern, Kameraleuten und Drehbuchautoren. Die Einträge sind mit Fotografien aus den Filmen und zeitgenössischem Werbematerial reich bebildert, doch gleichen diese Bilder nicht das Fehlen genauer Beschreibungen und Analysen zur ästhetischen Machart der Filme aus. Über die Beziehung zwischen Ästhetik und Ideologie, die für die Erforschung des populären Films eine wesentliche Rolle spielt, ist daher aus den Kommentaren wenig zu erfahren.

Als Überblick über das Korpus der Propagandafilme tut das Buch von Giesen und Hobsch gute Dienste, zumal die Menge an Informationen vorliegende Arbeiten weit übertrifft. 3 Für den wissenschaftlichen Gebrauch eignet es sich allerdings nicht. Die Kriterien der Filmauswahl werden nicht erläutert, die zeitgenössischen Quellen nicht näher ausgewiesen und oft nicht einmal genau datiert. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur fehlt. Auch fehlt ein Register, was die Benutzbarkeit des Buches stark einschränkt.

Anmerkungen:
1 Siehe Rentschler, Eric, The Ministry of Illusion: Nazi Cinema and its Afterlife, Cambridge, Mass. 1996.
2 Siehe etwa die Vorarbeiten bei Hake, Sabine, Popular Cinema of the Third Reich, Austin 2002 und Stahr, Gerhard, Volksgemeinschaft vor der Leinwand? Der nationalsozialistische Film und sein Publikum, Berlin 2001 sowie die Hinweise zur Kinokultur in Zimmermann, Peter; Hoffmann, Kay (Hrsg.), Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland. Band 3: „Drittes Reich“ 1933-1945, Stuttgart 2005.
3 Siehe etwa Welch, David, Propaganda and the German Cinema 1933-1945, zweite überarb. Aufl., London 2001.

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