Titel
Among the Righteous. Lost Stories from the Holocaust's Long Reach into Arab Lands


Autor(en)
Satloff, Robert
Erschienen
New York 2006: Public Affairs
Anzahl Seiten
251 S.
Preis
€ 19,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sophie Wagenhofer, Freie Universität Berlin Email:

„If I could tell the story of a single Arab who saved a single Jew during the Holocaust then perhaps I could make Arabs see the Holocaust as a source of pride, worthy of remembering, not just something to avoid or deny.“ (S. 6) Mag die Motivation des Nahost-Historikers Robert Satloff vielleicht ein wenig idealistisch wirken, sein Ansatz ist zweifellos wichtig. Trotz einer wachsenden Auseinandersetzung mit dem Holocaust an Schulen, Universitäten und in den Medien gibt es in vielen arabischen Ländern immer noch Stimmen, die den Genozid an den europäischen Juden leugnen oder zumindest relativieren.1 Eine wissenschaftliche Untersuchung, die auch die Verwicklung von Arabern in diese Geschichte aufzeigt, kann dem Diskurs eine neue Richtung, neue Argumente geben. Satloffs Ziel ist es zu zeigen, dass die arabische Gesellschaft nicht nur von der rassenpolitischen Verfolgung durch die Nationalsozialisten betroffen war, sondern vor allem dass Araber verfolgten Juden auch aktiv geholfen haben. Bisher wurde jedoch kein einziger Araber von der Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. Diesen Umstand versucht Satloff zu ändern und den „arabischen Raoul Wallenberg“ zu finden. Er hat sich in Nordafrika auf die Suche nach vergessenen und verlorenen Geschichten, nach Zeitzeugen gemacht, um so letztlich eine offizielle Anerkennung arabischer „Retter“ zu erreichen.

Seine Arbeit beginnt Satloff mit einer Beschreibung der historischen und politischen Rahmenbedingungen im Maghreb der vierziger Jahre. Er versucht damit eine Grundlage zu schaffen, um – im zweiten Teil – die konkreten Fallbeispiele besser verorten zu können. Ein Blick auf die heterogene und komplexe nordafrikanische Gesellschaft ist unerlässlich, um das Verhältnis von Muslimen und Juden, von „Rettern“ und „Geretteten“, zu verstehen. Dies ist auch Satloff bewusst, dennoch entscheidet er sich für eine Simplifizierung und spricht im gesamten Buch ausschließlich von „Juden“ und „Arabern“, womit er alle Muslime – also auch Berber – im Kontext seiner Untersuchung meint. Dass sich Juden und Christen in der arabischen Welt unter Umständen auch als Araber sehen, wird dabei ebenso wenig berücksichtigt wie die Tatsache, dass Berber eben keine Araber sind. Durch diesen Sprachgebrauch schafft er eine Polarität zwischen Arabern und Juden, die das gesamte Buch durchzieht. Auf diese Weise konstruiert er scheinbar klare Kategorien, die den gesellschaftlichen Strukturen und Identitäten dieser Zeit jedoch nicht gerecht werden, sondern eher heutigen Vorstellungen vom Verhältnis zwischen Juden und Muslimen entsprechen. Um jedoch zu verstehen, was es in dieser Gesellschaft für Muslime bedeutet hat, Juden zu helfen, oder diese Hilfe auch bewusst zu unterlassen, wäre es notwendig gewesen, soziale, politische und wirtschaftliche Strukturen und Interaktionen der Zeit genau zu beleuchten.2 Stattdessen schreibt Satloff Juden und Muslimen von Anfang an vermeintlich klare und plakative Rollen zu: “Wherever torture occurred, Arabs played a role“ (S. 80). Den pauschal als judenfeindlich charakterisierten Arabern steht die scheinbar homogene Gruppe der nordafrikanischen Juden gegenüber, die Satloff auf die Erfahrung der Verfolgung reduziert: „Virtually no Jew in North Africa was left untouched“ (S. 19) oder „Jews suffered more then Non-Jews“ (S. 99f.).

Die Grundlage seiner Arbeit bildet eine Vielzahl von Interviews und Gesprächen. Was dabei allerdings fehlt, sind methodische Ausführungen zu Oral History im Allgemeinen und Angaben zur Auswertung seiner Interviews. Sein Umgang mit diesen Aussagen wirkt sehr selektiv, da er einige als gegeben und „wahr“ annimmt, während er andere hinterfragt oder gar als falsch einstuft. Dies betrifft insbesondere positive Erinnerungen nordafrikanischer Juden an das Zusammenleben mit den Muslimen zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Sie bewertet Satloff als „strange phenomenon“ (S. 174) und erklärt „[…] honesty would be too painful, too embarrassing“ (S. 179). Die Gewalt und Verfolgung sind nach Satloffs Meinung ein Kapitel der Geschichte, das die meisten Juden in Nordafrika einfach verdrängten. Es scheint, als messe der Historiker mit zweierlei Maß, denn Aussagen von Interviewpartnern, die über die Beteiligung muslimischer Araber an der Verfolgung der Juden berichten, werden weit weniger in Frage gestellt. Eine Differenzierung und Kontextualisierung der Aussagen wird hier nicht vorgenommen.

Zur zentralen Fragestellung seiner Arbeit, der „Rettung“, kommt Satloff in der zweiten Hälfte des Buches, wobei eine theoretische Auseinandersetzung mit der aktuellen und umfangreichen Forschung zum Phänomen der „Rettung“ völlig fehlt.3 Auch hier fällt wieder die starke Vereinfachung auf: Die Gruppe der Araber wird in Kollaborateure und „true heroes“ (S. 99) unterteilt – klare Kategorien, die der komplexen Realität nicht entsprechen dürften. Einen wichtigen Aspekt erwähnt Satloff leider nur einmal am Rande, nämlich dass die Position der muslimischen Araber und Berber in Nordafrika teilweise nicht besser war als die der Juden (S. 74). Er weist zwar darauf hin, dass es Arabern auf Grund ihrer eigenen schwierigen Situation oft nicht möglich war, anderen zu helfen, berücksichtigt diesen Umstand im Laufe seiner Untersuchung jedoch kaum. Ein genauer Blick auf die Auswirkungen des Kriegsgeschehens und nationalsozialistischer Rassepolitik auf die Zivilbevölkerung Nordafrikas im Allgemeinen wäre die Basis für eine Einordnung und Bewertung von Verfolgung und Rettung gewesen.4

Unter den vielen anonymen Berichten, die Satloff über Hilfsaktionen arabischer Muslime zusammengetragen hat, beeindruckt eine Geschichte besonders. Es ist diejenige von Anny Boukris, einer Jüdin aus Tunesien, die als Mädchen mit ihrer Familie länger als einen Monat vom Khaled Abdelwahab versteckt wurde. In ihm hat Satloff seinen „Gerechten unter den Völkern“ gefunden. Allerdings konnte er im Laufe seiner Recherche nur wenig andere konkrete Geschichten aufspüren. Als Ursache dafür vermutet er die Scham zuzugeben, damals Juden, dem heute „größten Feind“, geholfen zu haben. Eine gewagte These, gerade angesichts der Tatsache, dass in Marokko noch heute ganz offen und auch nicht ohne Stolz darauf verwiesen wird, der Sultan habe die Juden unter seinen Schutz gestellt und ihre Auslieferung an Vichy-Frankreich verweigert.

Sehr offen gehen auch die Erben seines zweiten wichtigen Beispiels mit ihrer „ehrenvollen“ Vergangenheit als Retter um. Satloff begibt sich nach Paris, um mit Dalil Boubakeur, dem Leiter der Großen Moschee, über Hilfsaktivitäten der muslimischen Gemeinde unter deutscher Besatzung zu sprechen. Damals wurden nordafrikanischen Juden falsche Papiere ausgestellt, die sie als Muslime auswiesen und so vor der Deportation schützten. Die Geschichte ist bekannt, ebenso wie ihr „Held“ Kaddour Benghabrit, unter dessen Verantwortung zahlreiche Juden gerettet wurden. Die Moschee geriet sogar auf Grund ihrer Tätigkeiten ins Visier der deutschen Behörden in Paris, setzte ihre Hilfsaktionen aber dennoch fort. Von Scham über die damaligen Aktivitäten keine Spur. Boubakeur äußert sich stolz über die Rolle der Moschee und ihres Vorstandes Benghabrit. Eine Ehrung in Yad Vashem wurde jedoch zurückgewiesen, da nur Einzelpersonen, nicht aber Institutionen als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt werden.

Anders verhält es sich im Fall Khaled Abdelwahab. Er wurde auf der Grundlage von Satloffs Recherche als erster Araber in Yad Vashem für den Ehrentitel nominiert. Hat Satloff damit letztlich das Ziel seiner Arbeit erreicht? Eine Denk- und Diskussionsanregung hat er mit seinem Buch sicherlich geschaffen. Ob der Holocaust für Araber durch diesen Beitrag wirklich zu einem Teil ihrer „eigenen“ Geschichte wird – wie es Satloffs Hoffnung war –, bleibt allerdings fraglich.

Anmerkungen:
1 Zur Debatte über den Holocaust in arabischen Ländern siehe Zimmer-Winkel, Rainer [Hrsg.], Die Araber und die Shoa. Über die Schwierigkeiten dieser Konjunktion, Trier 2000; Nordbruch, Götz, Geschichte im Konflikt. Der Nationalsozialismus als Thema aktueller Debatten in der ägyptischen Öffentlichkeit, in: Höpp, Gerhard u. a. (Hrsg.), Blind für Geschichte? Arabische Begegnungen mit dem Nationalsozialismus, Berlin 2004, S. 269-294.
2 Zum Verhältnis zwischen Juden und Muslimen im Maghreb: Abitbol, Michel (Ed.), Relations judéo-musulmanes. Perceptions et réalités au Maroc, Rabat 1997; Levy, Simon, Essais d’histoire de civilisation judéo-marocaines, Rabat 2001.
3 Zu dieser Frage u. a. Benz, Wolfgang (Hrsg.), Rettung im Holocaust. Bedingungen und Erfahrungen des Überlebens, Berlin 2001.
4 Zum Einsatz nordafrikanischer Soldaten im Zweiten Weltkrieg und zu arabischen Opfern zur Zeit des Nationalsozialismus vgl. die Beiträge von Moshe Gershovic und Gerhard Höpp in Höpp u.a. (Hrsg.), Blind für Geschichte? Arabische Begegnungen mit dem Nationalsozialismus, Berlin 2004.

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