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Titel
Schwarz werden. "Afroamerikanophilie" in den 1960er und 1970er Jahren


Autor(en)
Ege, Moritz
Anzahl Seiten
180 S.
Preis
€ 18,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nina Mackert, Hamburg

Soviel auch und gerade in Deutschland über die Zeit um 1968 geschrieben wurde – körpergeschichtliche Zugänge sind rar. Noch seltener wurde bisher die Kategorie des Weißseins im Kontext von „sexueller Revolution“, Black-Panther-Solidarität und Sixties-Kultur problematisiert. Moritz Ege befragt mit Schwarz werden. „Afroamerikanophilie“ in den 1960er und 1970er Jahren die Art und Weise, wie Weiße sich auf als afroamerikanisch konstruierte Körperpraxen bezogen und sie sich zu eigen machten. Er situiert sich im Forschungsfeld von Whiteness Studies, Rassismusforschung und Kulturtheorie und bearbeitet zum Teil Felder, die vormals eher Autorinnen aus popkulturellen Zusammenhängen, z.B. MusikjournalistInnen, vorbehalten waren.

Mit „Afroamerikanophilie“ bezeichnet Moritz Ege vielfältige Formen der positiven Wahrnehmung und Aneignung von afroamerikanisch codierten kulturellen Formen. Er arbeitet anhand zahlreicher Quellen (von Werbeplakaten bis zur konkret) afroamerikanophiles Verhalten in einem spezifischen historischen Moment, nämlich um 1968 herum, heraus: die Darstellung schwarzer Frauen in der bluna-Kampagne, Soul-Musik und ihre Affirmation in der Bundesrepublik, den Diskurs um sexuelle Beziehungen zwischen Schwarzen und Weißen, subkulturelle Ästhetiken, Männlichkeitsvorstellungen und anderes.

In einer umfangreichen Einleitung umreißt Ege nicht nur das Feld seiner Untersuchungen, sondern touchiert auch Instrumentarium und theoretische Hintergründe. Die genauere Auseinandersetzung mit letzteren möchte er aber am Ende seiner Arbeit wissen, um den „nahe liegende[n] Verdinglichungsfehler“ zu vermeiden, „der darin bestünde, den zunächst einmal heuristischen Begriff der ‚Afroamerikanophilie‘ zur Erklärung der so bezeichneten Phänomene heranzuziehen“ (S. 12f.). Moritz Ege begreift Afroamerikanophilie als „kulturelles Thema“ (S. 11), das bedeutet, als grundlegendes, nicht explizit benanntes Motiv, das bestimmten Diskursen und Milieus einer Gesellschaft gemein ist. Besonderen Wert legt er in seiner Untersuchung nicht nur auf die Frage, wie Blackness imaginiert oder imaginär angeeignet wurde, eine ebenso zentrale Kategorie ist für ihn das „verkörperte Handeln“ (S. 21), also die Beteiligung des Körpers an afroamerikanophilen Handlungen, bzw. wie diese im Körper ihre kulturelle Lesbarkeit erlangten (z. B. durch das Tragen von Afrofrisuren).

Ege beginnt seine Untersuchung mit einer Analyse der afri-Cola und Bluna-Kampagne des weißen Werbers Charles Wilp, auf denen meist schwarze weibliche Models zu sehen sind. Er charakterisiert die auf den Plakaten dargestellte „sexualisierte, glamouröse ‚blackness‘“ (S. 28, Anm. 4) im Anschluss an Anne McClintocks Begriff des „Warenrassismus“ 1 als „postkoloniale[n] Warenrassismus“ (S. 34), also als warenförmige Zelebrierung weißer Hegemonie der postkolonialen Eigentums- und Repräsentationsverhältnisse. Dieser werde jedoch gleichzeitig durch veränderte „Blickstrukturen“ (S. 33) gebrochen: Das Auge der Betrachtenden träfe nicht auf den „unterwürfigen, nach oben gerichteten Blick eines dienenden schwarzen Menschen“ (S. 33), sondern auf den „stolze[n] Blick der schwarzen Models“, der „insofern auch ein entkolonisierender Blick“ (ebd.) sei. Moritz Ege skizziert – vor allem hinsichtlich der afri-Cola-Plakate – in Anlehnung an Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, wie die Anzeigenmotive als „Äquivalenzketten“ 2 funktionieren, die glamouröses Schwarzsein als Abgrenzung zu weißer Spießigkeit und als Teil der Gegenkultur inszenieren und imaginäre Identifikationen Weißer ermöglichen.

Nach einem Kapitel, das sich mit der Wahrnehmung von Soul-Musik, ihrer Konstruktion als ‚schwarze Musik‘ und den damit beförderten „Zugangsphantasien“ (S. 23) Weißer beschäftigt, wendet sich Moritz Ege dem Diskurs um Sex zwischen Schwarzen und Weißen zu. Als Quellen dienen ihm hier Eldridge Cleavers „Soul on Ice“ und vor allem dessen Rezeption bzw. dessen Rezeptionskontext in der Zeitschrift konkret. Ege arbeitet punktuell heraus, auf welchen historischen Stereotypisierungen die intensive Debatte über schwarz-weißen Sex in Jugendmagazinen und subkulturellen, linkspolitischen Zusammenhängen aufbaute; Motive der ‚Emanzipation‘ schwarzer Männlichkeit z.B. verliehen dem Sex zwischen Schwarzen und Weißen den Anstrich einer antirassistischen Praxis. Gleichzeitig betont er die „Kontinuität ‚negrophoben‘ Rassismus‘ in Deutschland“ (S. 83), die eine „strukturierende Bedingung der lokalen Afroamerikanophilie“ sei und sich wesentlich in sexualisierten Bildern schwarzer Männlichkeit zeige. Der Rezeptionskontext von Cleavers „Soul on Ice“ in der konkret zeigt die rassistische Exotisierung schwarzer Sexualität in der Linken besonders deutlich: Ein Artikel über „Sexualität und Rassismus“, der im Mai 1969 in der Zeitschrift erschien, wurde illustriert mit einer Fotoserie, die eine tanzende schwarze Frau mit nacktem Oberkörper, Totenschädel und Fackel zeigte. Antirassismus erscheine hier, so Ege, „als rassistische Sexfantasie“ (S. 89).

Im folgenden Kapitel findet Ege in der Untersuchung von z.B. Solidaritätsaktionen und ästhetischen Praxen subkulturell-politischer Gruppen dieses Motiv wieder: Er kritisiert die weiße Aneignung afroamerikanischer Männlichkeitspostulate und, noch übergreifender, die Selbstinszenierung Weißer als ‚weiße Schwarze’. Vor dem Hintergrund von Kobena Mercers Unterscheidung von nachahmender Kontrolle und Identifikationen im Sinne politischer Solidarität 3 problematisiert Moritz Ege die politischen Konsequenzen der Afroamerikanophilie in der westdeutschen Linken und gegenkulturellen Bewegung.

Der Charakter der Afroamerikanophilie wird im letzten Kapitel vor dem Resümee durch Rückgriff auf zeitgenössische theoretische Debatten konzeptualisiert. In Bezug auf die (Nicht)Positionierung westdeutscher Linker als Weiße (ein Thema, das im vorangegangen Kapitel angerissen wird) schreibt Ege: „Der ‚feldübergreifende Effekt’ liegt gerade nicht im Bekenntnis zu einer kollektiven weißen Schuld, sondern vielmehr in ‚mythischen’ Äquivalenzbehauptungen und im Bestreben, in einer minoritären Erfahrung von Körper, Gemeinschaft und Rebellion aufzugehen.“ (S. 147) Mit der Begrifflichkeit des „Minoritär-Werdens“ von Gilles Deleuze und Felix Guattari 4 konzipiert Ege „Schwarz-Werden“ als „heuristische[n] Analysebegriff und phantasmatische[n] Fluchtpunkt afroamerikanophile[r] Diskurse und Praktiken“ (S. 12).

Moritz Eges Schwarz werden ist eine detailreiche, sehr quellenorientierte Arbeit, die fruchtbare Ansatzpunkte für die Untersuchung von Aneigungspraktiken und weißen Körperinszenierungen bietet. Ege analysiert seine Quellen mit einer großen Sensibilität für Widersprüche und diskursive Leerstellen, auch wenn an einigen Stellen ein ausgeprägterer historischer Bezug (wie etwa zum Mythos des schwarzen Vergewaltigers) wünschenswert gewesen wäre. Er umreißt das Spannungsfeld der weißen Linken, die mit afroamerikanisch codierten „Identitätsbausteinen“ spielen, aber den sicheren Hafen der Whiteness dabei – zumeist unreflektiert – nicht verlassen müssen. Auch wenn eingewendet werden muss, dass der von Ege benutzte Begriff des „positiven Rassismus“ (S. 20) zumindest missverständlich sein kann, ist eine Stärke seines Buches, dass er immer wieder auch auf „traditionelle“ (ebd.) Rassismen hinweist. In seinen Untersuchungen gelingt es ihm dabei, die enge Verquickung von Rassismus und Geschlechterbildern deutlich zu machen. Das Zurückstellen ausführlicherer theoretischer Überlegungen erweist sich an vielen Stellen als Chance, aber auch als Problem: In knappen Absätzen, bisweilen auch nur in Fußnoten, flicht Ege ein dichtes Netz theoretischer Bezüge von Butler bis Žižek, das jedoch in seiner Kürze bisweilen nicht ganz verständlich wird. Ohne Zweifel gewinnt Eges Arbeit sehr durch das an den Schluss gestellte Kapitel zu Subjekt- und Identifikationstheorien, aber: Nicht nur ‚theoriephile’ Lesende könnten sich eine breitere Reflexion der theoretischen Bezüge wünschen.

1 McClintock, Anne, Imperial Leather. Race, Gender and Sexuality in the Colonial Contest, New York/London 1995, S. 207-231.
2 Laclau, Ernesto; Mouffe, Chantal, Hegemony and Socialist Strategy. Towards a Radical Democratic Politics, London/New York 2001 [1985], S. 127.
3 Mercer, Kobena, Welcome to the Jungle. New Positions in Black Cultural Studies, London/New York 1994, S. 304.
4 Deleuze, Gilles; Guattari, Félix, Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie, Berlin 1992, S. 146.

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