Bernd Marquardt kleckert nicht; er klotzt. Die Habilitationsschrift des St. Gallener Rechtshistorikers beansprucht nicht mehr und nicht weniger, als „die Entwicklung des umweltbezogenen Rechts im deutschsprachigen Mitteleuropa während des vergangenen Jahrtausends umfassend zu erforschen, zu systematisieren und darzustellen“ (S. 1). Auf 711 dicht bedruckten Seiten mit 3425 (!) Fußnoten breitet er seinen „Versuch einer umwelthistorischen Gesamtdarstellung“ (S. 3) in drei Teilen aus. Im ersten Teil geht es um das Umweltrecht in der „solarenergetisch-agrarhochkulturellen Epoche Mitteleuropas“ (950-1800); im zweiten Teil wird das Umweltrecht im „langen Jahrhundert des fossilen Energiesystems der Steinkohle“ (1800-1950) behandelt; der dritte Teil widmet sich dem Umweltrecht in der „Epoche der zweiten Generation fossiler Energieträger“ (seit 1950). Die für Historikerinnen und Historiker ungewöhnliche Terminologie der Überschriften verweist auf das sozialökologische Theoriemodell, auf das sich der Autor stützt: den „Energiesystemansatz“ des Umwelthistorikers Rolf Peter Sieferle, der von den „physikalisch-energetischen Rahmenbedingungen der betrachteten und verglichenen Gesellschaften“ (S. 13) ausgeht. Danach lasse sich die Menschheitsgeschichte in vier Epochen einteilen: das unmodellierte Solarenergiesystem der Jäger- und Sammlerkulturen, das modellierte Solarenergiesystem der Agrarkulturen mit dem Primärenergieträger Holz, das erste fossilenergetische System der Industriegesellschaft mit dem Primärenergieträger Steinkohle sowie das zweite fossilenergetische System der Konsumgesellschaft mit dem Primärenergieträger Erdöl. Dieses evolutionistische Theoriemodell, das sich „in die Reihe der grossen universalhistorischen Konzepte“ (S. 13) einzureihen beginne, strukturiert – in Verbindung mit der vom Autor formulierten „segmentären Verfassungstheorie“, die für Mittelalter und Frühneuzeit ein „vertikal mehrstufiges Herrschaftssystem mit dem Primat der Lokalebene“ (S. 16) gegenüber der Länder- und Reichsebene annimmt – den weiteren Gang der voluminösen Darstellung.
Bernd Marquardt legt seine Großerzählung in drei Schritten an. Er schildert im ersten Teil die „nachholende Hochkulturalisierung“ (S. 23) des mitteleuropäischen Raumes seit dem 10. Jahrhundert, die Mitte des 14. Jahrhunderts an die Grenzen der „ökologischen Tragfähigkeit“ (S. 39) stieß und – wie das „große Dörfersterben“ vor Augen führt – diese sogar überschritt. Als Konsequenz aus dieser Grenzerfahrung, so der Autor, entstand ein langfristiges „umweltrechtliches Regelungssystem“ (S. 61), das die je aktuellen Nutzungsinteressen in ökologisch angepasste Bahnen lenkte und dem Prinzip der Nachhaltigkeit im Interesse künftiger Generationen verpflichtet war. Träger des Ressourcen schonenden Umweltrechts waren, neben den agrarkulturellen Städten, vor allem die „lokalen Herrschaften“, die in der Regulierung der Naturnutzung gegenüber der Länder- und Reichsebene den Ausschlag gaben. Die wechselseitige Abstimmung von flächendeckend-agrarischer und punktuell-industrieller Naturnutzung sowie einem dem Nachhaltigkeitsprinzip verpflichteten Umweltrecht prägte die Phase der „entwickelten agrarischen Hochkultur“ (S. 61) vom 14. bis zum 18. Jahrhundert. Erst die entstehenden Flächenstaaten des 18. und 19. Jahrhunderts setzten die „lokalen Herrschaften“ und das daran geknüpfte „Umweltschutzrecht“ außer Kraft. Mit der „Liquidierung“ des „alt-europäischen Umweltregimes“ (S. 285) war die Entwicklung am „Nullpunkt der Umweltrechtsgeschichte“ (S. 303) angelangt.
In der nun folgenden Phase des „fossilen Energiesystems der Steinkohle“, dem der zweite Teil des Bandes gewidmet ist, konnte die „herkömmliche Bevölkerungstragfähigkeit“ (S. 319) durch die globale Ausweitung der Stoff- und Energieströme Europas („Neu-Europa-System“) sowie das System der „fossilenergetischen Landwirtschaft“ (S. 331) – unter Vermeidung einer demographisch-ökologischen Katastrophe wie im 14. Jahrhundert – überschritten werden. An die Stelle des öffentlichen Umweltrechts traten die Kräfte der „privateigentümlichen Naturbeherrschung“ und der „selbstregulierenden Märkte“ (S. 315), die durch die „minimalistische Umweltgesetzgebung“ (S. 408) des 19. und frühen 20. Jahrhunderts kaum gebändigt werden konnten. Auch die Aufwertung des „Naturschutzes“ im nationalsozialistischen Deutschland – vor allem durch das Reichsnaturschutzgesetz 1935, der „erste[n] bedeutende[n] umweltrechtliche[n] Kodifikation der postagrarischen Epoche Mitteleuropas“ (S. 410) – sowie die daran anknüpfenden Naturschutzbestrebungen der Nachkriegszeit scheiterten an der Dominanz industrieller Nutzungsinteressen.
Im dritten Teil schließt der Autor den Kreis der Erzählung. Die fossilenergetische Revolution der 1950er-Jahre, der Übergang von Steinkohle zu Erdöl als wichtigstem Energieträger im Verbund mit revolutionären Änderungen der Distributions- und Konsummuster, leitete nicht nur die Epoche des „radikalisierten Naturzugriff[s]“, sondern auch die – von der Umweltbewegung getragene – „Renaissance“ der „Idee des öffentlichen Umweltschutzrechts“ (S. 451) ein. In der Bundesrepublik Deutschland traten seit den 1970er-Jahren umweltrechtliche Bestimmungen in Kraft, die sich, ausgehend von der Naturschutzidee, mehr und mehr dem Nachhaltigkeitsprinzip annäherten. Ähnliche Entwicklungen zeigten sich Österreich, das sich jedoch durch den frühen Ausstieg aus der Kernenergie 1978 abhob. Im Vergleich dazu brachte die Schweiz eine geringere Dichte an umweltbezogenen Rechtsnormen hervor. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts begann sich der „industriekulturelle Mensch“ der Möglichkeit seiner Vernichtung – über den Weg der Umweltzerstörung – bewusst zu werden; die „soziale“ wurde sukzessive durch die „ökologische Frage“ (S. 457) abgelöst. Dieser Reflexionsprozess, so der Autor, führte zur „Renaissance“ des „Nachhaltigkeitsprinzips“, in das die „alte Logik der agrarkulturellen Weistümer“ (S. 549) eingeschrieben ist.
Im Epilog nimmt der Autor nochmals auf eine am Buchanfang abgebildete, etwa 800-jährige Eiche Bezug: „Schließen wir an dieser Stelle den Kreis und kehren zu unserem Zeugenbaum von Seite III zurück. Er hat das Überwachstum des Hochmittelalters und die nachherige Regeneration, die Jahrhunderte der agrarkulturellen Nachhaltigkeit wie die Liquidation des agrarkulturellen Umweltrechts miterlebt. Und es besteht die Aussicht, dass er in einer nahen Zukunft – gemessen an seiner Lebensspanne in einem kurzen Moment – miterleben wird, ob die Menschheit ihre ökologische Schicksalsfrage zu lösen vermag oder ob sie aus Gründen, für die künftige Historiker nicht gerade die schmeichelhaftesten Worte finden dürften, daran versagt.“ (S. 632) Bemerkenswert an dieser Formulierung ist weniger das Pathos, das sie umgibt, als das Paradigma, das sie – freiwillig oder unfreiwillig – enthüllt: Bernd Marquardt erzählt eine simple Kreislaufgeschichte: Geburt – Tod – Wiedergeburt lautet die bestimmende Erzählfigur. Dies lässt die Erzählung, die in der sozialökologischen Terminologie, in der Kritik an der bisherigen Geschichtsschreibung und in ihrer unkonventionellen Periodisierung ein hohes Maß an Innovativität signalisiert, als zutiefst traditionell erscheinen.
Wie immer die Intentionen des Autors auch gelagert sein mögen: Funktional folgt die Erzählung jenen Geschichtsbildern national-konservativer Intellektueller der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die in den demokratisch-industriellen „Doppelrevolutionen“ des späten 18. und 19. Jahrhunderts die Liquidierung einer zum Ideal überhöhten „alteuropäischen“ Ordnung sahen – und deren Restauration durch die Überwindung des demokratischen Staates und des kapitalistischen Marktes propagierten. Legten wir etwa das erkenntnisleitende Paradigma von Otto Brunners „Land und Herrschaft“ auf die Umweltgeschichte um, kämen wir zu einem ähnlichen Ergebnis wie Bernd Marquardts „Umwelt und Recht“: von der „alteuropäischen“ Harmonie von Mensch und Natur über deren Trennung in der Moderne zur harmonischen Wiedervereinigung (die Otto Brunner, zumindest vor 1945, in der Einheit von „Volk“ und „Führung“ in der „Volksgemeinschaft“ sah). Damit soll dem Autor keinesfalls eine Nähe zu national-konservativen oder gar nationalsozialistischen Ideologien unterstellt werden, wohl aber jener „methodische Reduktionismus“ (S. 409), den er etwa – teilweise zu Recht – der Forschung zur Rechtsgeschichte des NS-Staates vorwirft. Die Zirkularität als Erzählform, auch und vor allem wenn sie öko-romantisch inspiriert ist, wird – ebenso wie eine simple Linearität – der Komplexität des Erzählinhalts, den Mensch-Natur-Beziehungen im zweiten Jahrtausend unserer Zeitrechnung, nicht gerecht. Die umweltpolitische Regulierung im ausgehenden 20. Jahrhundert als simple „Renaissance“ einer „alteuropäischen“ Regulierung zyklisch zu deuten, ist keine zwingende Alternative zur Huldigung eines linearen Fortschrittsmythos. Mit seinem – bewussten oder unbewussten – Rückgriff auf das „Alteuropa“-Modell gerät der Autor letztlich in Widerspruch zu seinem Postulat, die Umweltrechtsgeschichte vermeide einen „allzu weitreichende[n] Rückgriff auf vorgegebene Erklärungsmodelle“ und folge einer „theoriebildende[n] Tendenz“ (S. 13). Wenn auch der Band umwelt- und rechtshistorisch interessierten Leserinnen und Lesern einen materialreichen Überblick und Vergleichsmaßstab bietet: ‚Große Würfe’ sehen anders aus.