H. Pohl (Hrsg.): Geschichte des Finanzplatzes München

Cover
Titel
Geschichte des Finanzplatzes München.


Herausgeber
Pohl, Hans
Erschienen
München 2007: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
297 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Wixforth, Ruhr-Universität Bochum

Bedeutende Finanzplätze bilden fraglos das Herz einer modernen Industriegesellschaft. Hier konzentrieren sich verschiedene Formen von Börsen, die wichtigsten Banken und die herausragenden Finanziers eines Landes. Finanzplätze üben einen Sog auf reiche Anleger und verwegene Hasardeure aus, auf Spieler und auf kühl kalkulierende Investoren. Finanzplätze mit ihren unterschiedlichen Finanzinstitutionen sind auch Experimentierfelder für finanztechnische Innovationen und damit Wegbereiter für Neuerungen in der Wirtschaft. Finanzplätze erleben im Laufe der Zeit aber auch Auf- und Abschwünge, die in Abhängigkeit von veränderten politischen Rahmenbedingungen, aber auch von finanztechnischen Innovationen im Bank- und Börsenwesen geschehen. Auch im Zeitalter eines globalisierten Kapitalismus mit immer stärker vernetzten Börsenplätzen prägen sich an einigen Finanzzentren bestimmte Eigenarten stärker aus als an anderen.

Diese Charakteristika einzelner Finanzplätze in historischer Perspektive zu untersuchen ist das Anliegen des Instituts für Bankhistorische Forschung, in dessen Auftrag Hans Pohl den vorliegenden Band herausgegeben hat. Den Anfang machte das Institut 2002 mit einer Geschichte des Finanzplatzes Berlin, nun folgt München. Ist diese Auswahl aus aktuellem Blickwinkel leicht nachzuvollziehen, da sich München heute zum zweitwichtigsten Standort für Finanzdienstleistungen in Deutschland nach Frankfurt entwickelt hat, so mag sie doch für manchen Bank- und Finanzhistoriker fragwürdig sein, spielte die bayerische Landeshauptstadt bis weit in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein als Finanzplatz doch eher eine untergeordnete Rolle. Selbst in Bayern musste sie bis dahin Städten wie Augsburg oder Nürnberg den Rang eines führenden Finanzzentrum überlassen. Die Geschichte des Finanzplatzes München erscheint uns daher heute bis zur „verspäteten“ Industrialisierung in Bayern während der 1870er- und 1880er-Jahre, die für München zumindest den Durchbruch als regionales Finanzzentrum brachten, eher als weniger spektakulär wie etwa eine historische Analyse von Finanzplätzen wie Köln, Hamburg, Leipzig oder gar Bremen, wo seit dem Mittelalter jeweils spezifische Akteure mit bestimmten Interaktionsformen Finanzdienstleistungen anboten und diesen Städten dadurch den Rang eines wichtigen Finanzplatzes sicherten.

Die Autoren der ersten beiden Kapitel des vorliegenden Bandes können daher keineswegs die Geschichte eines Finanzplatzes in der Vormoderne vorlegen. Markus A. Denzel präsentiert in seinem Beitrag über Münchens Geld- und Kreditwesen in vormoderner Zeit eher eine Münz- und Geldgeschichte, während Margarete Wagner-Braun in ihrem Abschnitt über Münchens Finanzgewerbe zwischen Staatswirtschaft und Industrialisierung vor allem den Fragen des wirtschaftlichen Strukturwandels in Bayern während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sowie der Finanzierung von Handel und Gewerbe in dieser Zeit nachgeht. Die Geschichte von einzelnen Finanzinstitutionen und ihren Gründern nimmt demgegenüber eine untergeordnete Bedeutung ein. Erst Rainer Gömmel mit seinem Kapitel über den Aufstieg Münchens zum führenden bayrischen Finanzplatz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kann in der Tat eine – wenn auch manchmal nur skizzenhafte – Untersuchung über die Entwicklung verschiedener Finanzintermediäre und ihrer Bedeutung vorlegen. Dabei verweist er zurecht auf die besondere Rolle der sich in dieser Zeit etablierenden großen bayerischen Regionalinstitute, die dafür sorgten, dass die Berliner Großbanken ihre Expansion nach Bayern nicht in dem Ausmaß wie in anderen deutschen Gewerberegionen starten konnten. Zudem betont er ein anderes Charakteristikum des Finanzplatzes München, das sich gerade heute als ein Garant für dessen wachsende Bedeutung in der internationalen Finanzwelt entpuppt: die enge Verbindung zwischen Kreditwesen und Versicherungswirtschaft, die sich wohl in dieser Intensität an keinem anderen deutschen Finanzplatz beobachten lässt.

Albert Fischer betont in seinem Abriss über die Entwicklung des Finanzplatzes München vom Ersten bis zum Zweiten Weltkrieg einen anderen Faktor, der sich vor allem in der Zeit der jungen Bundesrepublik als wichtiges „Aktivum“ für die Münchener Finanzwirtschaft herausstellte: Die in München domizilierenden bayerischen Regionalbanken konnten allesamt die Bankenkrise von 1931 mit ihren Folgen gut überstehen und waren daher nicht wie einige der Berliner Großbanken Gegenstand staatlicher Einflussnahme. Umgekehrt konzentrierten sich die Regionalinstitute während der NS-Diktatur auf ihr Kerngeschäft in Bayern und partizipierten nur moderat an der sonst vielfach im Kreditwesen nach 1938 zu beobachtenden räumlichen Expansion. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs ersparte ihnen dies langwierige Reorganisations- und Umstrukturierungsprozesse, so dass sie vor dem Hintergrund des „Wirtschaftswunders“ und der engen Beziehungen zur Versicherungswirtschaft eine dynamische Geschäftsentwicklung sowohl in Bayern als auch in anderen Teilen Deutschlands vorweisen konnten. Erst auf dieser Grundlage wurde München wirklich zu einem Finanzplatz von überregionaler Bedeutung.

Es ist ein Kennzeichen des vorliegenden Bandes, dass die eigentlichen Konturen des Finanzplatzes München erst in den Abschnitten deutlicher hervortreten, die sich weniger mit dessen Geschichte, sondern eher mit dessen Gegenwart und der Zukunft auseinandersetzen. Im ersten der von ihm verfassten Kapitel thematisiert Franz-Christoph Zeitler zunächst den Beitrag des Münchner Finanzdienstleistungsgewerbes für den wirtschaftlichen Strukturwandel in Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg, wobei er noch der genuin bayerischen Perspektive verhaftet bleibt. Erst in seinem Kapitel über die Zukunft des Finanzstandorts München kommt Zeitler zu der Schlussfolgerung, dass München seinen Platz unter den internationalen Drehscheiben des Finanzkapitals gefunden habe, wobei er die Versicherungsdienstleistungen und die Vermögensverwaltung als besondere „assets“ von München ausmacht, während Frankfurt die wichtigste Rolle im internationalen Börsenverkehr und im Investment Banking übernommen hat. Zeitler kommt daher zu der Schlussfolgerung, dass München aus dieser Arbeitsteilung auch in Zukunft ausreichend Potenzial für eine weitere positive Entwicklung schöpfen könne.

München ist fraglos ein Finanzplatz mit historischen Wurzeln und einer spezifischen historischen Entwicklung. Aufgrund seiner Entwicklungsdynamik während der letzten Jahrzehnte ist er als Untersuchungsobjekt jedoch vielleicht eher für Forscher interessant, die sich mit den aktuellen Entwicklungen in der Finanzwirtschaft beschäftigen. Man darf gespannt sein, welchen Finanzplatz mit einer wirklich langfristigen Tradition das Institut für Bankhistorische Forschung als nächstes Untersuchungsobjekt auswählt, um seine Darstellungen zu den wichtigsten Finanzzentren im deutschsprachigen Raum fortzusetzen – so wie im Vorwort des vorliegenden Bandes angekündigt.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension