C. Hauswedell (Hrsg.): Deeskalation von Gewaltkonflikten seit 1945

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Titel
Deeskalation von Gewaltkonflikten seit 1945.


Herausgeber
Hauswedell, Corinna
Reihe
Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung 7
Erschienen
Anzahl Seiten
266 S.
Preis
€ 19,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thorsten Bonacker, Zentrum für Konfliktforschung, Philipps-Universität Marburg

„Zonen stabilen Friedens“ nannte der amerikanische Politikwissenschaftler Kenneth Boulding Gesellschaften, deren Mitglieder dauerhaft auf die Ausübung und Androhung von Gewalt verzichten.1 Doch wie entstehen solche Zonen? Wie gelingt es Gesellschaften – und vor allem gewalterfahrenen Gesellschaften –, Frieden nachhaltig zu sichern? Diese Frage steht im Zentrum der Friedens- und Konfliktforschung im Allgemeinen und der Historischen Friedensforschung im Besonderen. Vor allem zu Beginn der Friedens- und Konfliktforschung wurde die Leitfrage mit dem Hinweis auf gesellschaftliche Strukturen beantwortet: Es sind in erster Linie die makroökonomischen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen, die dafür sorgen, dass das staatliche Gewaltmonopol gesichert und demokratisch kontrolliert ist, so dass Interessen- und Identitätskonflikte in einer Gesellschaft gewaltfrei ausgetragen, die Spielregeln der Konfliktaustragung also von allen Gruppen eingehalten werden. So richtig diese Antwort zweifellos nicht nur für die OECD-Welt ist, wirft sie doch ein Problem auf: Wenn man von einer gewaltsamen in eine gewaltfreie Konfliktaustragung übergehen möchte, wie kann man dies anders erreichen als über jene Modernisierungsprozesse, die im Erfolgsfall zwar zu Zonen des Friedens führen, deren Durchsetzung aber in der Regel äußerst konfliktträchtig ist? Mit anderen Worten: Wie lassen sich Konflikte so transformieren, dass sie auch unter prekären strukturellen Bedingungen gewaltfrei ausgetragen werden, und inwiefern initiiert dieser Transformationsprozess dann selbst einen Wandel gesellschaftlicher Strukturen?

Vor diesem Hintergrund haben prozessorientierte Konzepte und Analysemethoden der Friedens- und Konfliktforschung in den letzten Jahren deutlich an Attraktivität gewonnen. Solche Ansätze gehen im Kern erstens davon aus, dass Konflikte umkehrbare soziale Prozesse seien, die aus sich selbst heraus Logiken der Destruktion oder der Konstruktion entfalten könnten. Besonders prominent sind prozessorientierte Sichtweisen in der Diskussion um den Friedensbegriff geworden. So hat Lothar Brock vorgeschlagen, Frieden nicht im Sinne umfassender Gerechtigkeit als „Zustand eines sozialen Systems zu begreifen“, sondern als einen Prozess, in dessen Verlauf Konflikte „unter Verzicht auf die Anwendung oder Androhung kollektiver Gewalt geregelt würden“.2 Das in letzter Zeit viel diskutierte Konzept der „zivilen Konfliktbearbeitung“ zielt in die gleiche Richtung: Dabei geht es darum, Methoden und Ansätze zu entwickeln, die es erlauben, in eskalationsgefährdete oder bereits gewaltsam ausgetragene Konflikte ohne Gewalt zu intervenieren.3

Solche prozessorientierten Ansätze haben nicht zuletzt deshalb Konjunktur, weil sie politische Handlungsräume jenseits der Alternative von zumeist scheiternder militärischer Intervention und der Forderung nach Systemwandel eröffnen. Dass sie analytisch sinnvoll sind und auch für die Geschichtswissenschaft neue Forschungsperspektiven eröffnen, zeigt der vorliegende, von Corinna Hauswedell herausgegebene Band, der aus der Jahrestagung des Arbeitskreises Historische Friedensforschung von 2004 hervorgegangen ist. Der zentrale Begriff der Deeskalation beschreibt einen Prozess, „kollektive Gewaltanwendung zu begrenzen. Eine erfolgreich zu Ende geführte Deeskalation führt zu Versöhnung und dauerhaftem Frieden. Der Begriff der Deeskalation beschreibt aber auch den Vorgang der Rückführung kollektiver Gewalt auf ein niedrigeres Maß bzw. die Etablierung einer gewissen Gewaltkontrolle.“4

Folgt man der Herausgeberin, sind zivilgesellschaftliche Akteure für einen solchen Prozess von besonderer Bedeutung, weil die „Binnenkonsolidierung von Gewaltkonflikten [...] nicht ohne Zivilgesellschaften“ funktioniere (S. 28) – auch wenn, wie verschiedene Beiträge des Bandes zeigen, externe, staatliche Akteure und weltpolitische Strukturen für Eskalations- und Deeskalationsvorgänge ebenfalls zentral sind. Auf die Notwendigkeit einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen internen und externen Akteuren weist auch Tobias Debiel in seiner Darstellung des Peacebuilding-Konzepts für Friedenskonsolidierung in Nachkriegsgesellschaften hin und unterstreicht dabei, dass der Prozess der Transformation zu nachhaltigem Frieden zwar von außen angestoßen werden könne, dass letztlich aber lokale Gruppen und staatliche Institutionen dafür Sorge tragen müssten, dass es nicht zu einem Rückfall in kollektive Gewaltanwendung komme. Ein Beispiel für eine nicht gelungene Deeskalation in der Beziehung zwischen internen und externen Akteuren geben Richard M. Trivelli und Francesco Zappatelli mit ihrer Analyse des eritreisch-äthiopischen Konflikts (1941-2004).

Hauswedell ist es gelungen, die verschiedenen Beiträge des Bandes, die sich unterschiedlichen Konflikten bzw. Ansätzen ihrer Bearbeitung widmen, auf die übergreifende prozessorientierte Perspektive einzustimmen. Man bekommt nach der instruktiven Einleitung im Durchgang der einzelnen Beiträge also demonstriert, worin der Mehrwert einer Friedensforschung besteht, die nicht dichotomisch zwischen Krieg und Frieden unterscheidet, sondern die sich für Übergangsphänomene, für Wege von Krieg zu Frieden, aber auch von Frieden zu Krieg interessiert. Die Grundannahme lautet, dass diese Wege zum einen nicht vollständig durch Strukturen und Pfade determiniert seien, und es zum anderen Momente gebe, in denen eine einmal eingeschlagene Richtung – der Eskalation oder der Deeskalation – geändert werden könne. I. William Zartman hat auf solche Momente seine „ripeness theory“ gegründet und nennt in seinem Beitrag zwei Bedingungen dafür, dass Konfliktparteien den Weg der Eskalation verlassen: Erstens müssten sie das Gefühl haben, dass sie eine Eskalation nicht gewinnen könnten; zweitens müssten sie anstelle der Eskalation einen alternativen Weg erkennen. Daran anschließend macht Margret Johannsen – in einem äußerst informativen und differenzierten Beitrag – mit Blick auf den einstweilen gescheiterten israelisch-palästinensischen Friedensprozess deutlich, dass bei extrem asymmetrischen Konflikten die Chancen für ein Gelingen der Deeskalation in dem Maße steigen, wie Dritte eingebunden werden und diese nicht nur als Boten, sondern auch als „Manipulator“ und „Formulator“ agieren (S. 202).

Eine Reihe von Beiträgen legt eine deeskalationstheoretische Perspektive auf den Ost-West-Gegensatz als großen Strukturkonflikt des 20. Jahrhunderts an. Während sich Gottfried Niedhart, Peter Schlotter und Wilfried Loth auf die Deeskalation des Ost-West-Konflikts konzentrieren, stellt Jost Dülffer fest, dass der Grundkonflikt in einer Reihe Kalter Kriege und kleinerer „heißer“ Kriege immer wieder eskaliert sei, wobei der Großkonflikt ein erstaunlich stabiler „self-sustained conflict“ geblieben sei (S. 51).5 Vor allem der Beitrag von Schlotter zeigt am Beispiel des KSZE-Prozesses sehr überzeugend, wie nicht unmittelbar intendierte Effekte der Konfliktaustragung zur Deeskalation und schließlich zur Auflösung eines Konflikts beitragen können. In seiner Analyse der US-amerikanischen Vietnampolitik wendet sich Bernd Greiner hingegen der Frage zu, wie es trotz aller Warnungen und möglicher Alternativen dazu kommen konnte, dass sich eine Regierung auf den Weg der Eskalation begab. Die Antwort lautet prägnant zusammengefasst: weil es in der Vergangenheit mit einer Eskalation schon einmal geklappt hat, eigene Interessen durchzusetzen – eine Erklärung, die umso mehr dazu drängt, Eskalationen politisch und gesellschaftlich so teuer zu machen, dass sie sich für niemanden lohnen.

Fasst man die verschiedenen Beiträge des Bandes zusammen, so lassen sich, grob gesagt, vier Elemente identifizieren, die für Eskalations- und Deeskalationsprozesse zentral sind: die Selbst- und Fremdwahrnehmung der beteiligten Akteure inklusive der Perzeptionen des Konfliktgeschehens selbst; die Kommunikationsprozesse zwischen den Akteuren, die Konfrontationen verschärfen, aber – wie etwa die Entspannungspolitik im Ost-West-Konflikt zeigt – auch abbauen und transformieren können; die eingespielten Handlungsroutinen, die häufig Lernprozesse behindern, die aber auch wechselseitiges Vertrauen stabilisieren können; und das Destruktionspotenzial des jeweiligen Konflikts, dessen Abbau eine wichtige Voraussetzung für dauerhafte Deeskalation ist. Insgesamt zeigt der Band, dass es sich lohnt, die Erforschung der jüngeren Zeitgeschichte als Analyse von Eskalations- und Deeskalationsprozessen zu betreiben – wobei sich historiographische und sozialwissenschaftliche Methoden sinnvoll ergänzen können.

Anmerkungen:
1 Boulding, Kenneth, Stable Peace, Austin 1978.
2 Brock, Lothar, „Frieden“. Überlegungen zur Theoriebildung, in: Rittberger, Volker (Hrsg.), Theorien der Internationalen Beziehungen. Bestandsaufnahme und Forschungsperspektiven, Opladen 1990, S. 71-89, hier S. 72.
3 Vgl. Weller, Christoph (Hrsg.), Zivile Konfliktbearbeitung. Aktuelle Forschungsergebnisse, INEF-Report 85, Duisburg 2007; online unter URL: <http://inef.uni-due.de/page/documents/Report85.pdf>.
4 Elwert, Georg; Feuchtwang, Stephan; Neubert, Dieter (Hrsg.), Dynamics of Violence. Processes of Escalation and De-escalation in Violent Group Conflicts, Berlin 1999; zit. nach Hauswedell, Deeskalation als Paradigma historischer Friedensforschung, im vorliegenden Band, S. 14.
5 Siehe dazu aus etwas anderer Perspektive auch: Greiner, Bernd; Müller, Christian Th.; Walter, Dierk (Hrsg.): Heiße Kriege im Kalten Krieg, Hamburg 2006.

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