S. T. Pollems: Der Bankplatz Berlin zur Nachkriegszeit

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Titel
Der Bankplatz Berlin zur Nachkriegszeit. Transformation und Rekonstruktion des Ost- und Westberliner Bankwesens zwischen 1945 und 1953


Autor(en)
Pollems, Sebastian T.
Reihe
Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 83
Erschienen
Anzahl Seiten
501 S.
Preis
€ 94,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ralf Ahrens, Historisches Institut, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Die Ordnung des Bankwesens gehört zu den zentralen Charakteristika von Wirtschaftssystemen. Die Berliner Bankengeschichte der Nachkriegszeit ist daher auch charakteristisch für die Spaltung der ehemaligen Reichshauptstadt und ihre Einbindung in zwei grundverschiedene Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen: Während die alliierte Schließung der bis 1945 bestehenden Banken im Ostteil in die Etablierung eines politisch gelenkten, der Zentralplanwirtschaft untergeordneten Bankensystems mündete, kehrte West-Berlin zu einem marktwirtschaftlichen, allerdings von einem starken öffentlichen Sektor geprägten Bankwesen zurück. Beides geschah keineswegs schlagartig, sondern in einer längeren, mindestens bis 1948 dauernden Übergangsphase. Nachdem die archivgestützte Forschung sich bislang auf die entsprechenden Passagen in Carl-Ludwig Holtfrerichs Nachkriegsgeschichte der Deutschen Bank 1 und einen eher skizzenhaften Überblick Frank Zschalers 2 beschränkt hatte, liegt mit Sebastian T. Pollems’ Dissertation nun eine umfassende, durch breites Aktenstudium fundierte Darstellung dazu vor, die keineswegs nur für Spezialisten interessant ist.

Es verwundert allerdings etwas, dass die Fragestellung der Arbeit zunächst auf die deutschlandpolitische Ebene und hier vor allem auf die Intentionen der östlichen Besatzungsmacht abhebt. Die Frage, ob „Stalin die Einheit Deutschlands wiederherstellen und dabei sowjetische Mitsprache- und Mitgestaltungsrechte in Bezug auf ganz Deutschland durchsetzen“ wollte (S. 20), ist, wie die Darstellung selbst zeigt, aus der bankenhistorischen Perspektive kaum zu beantworten. Zudem handelt es sich bei den „Quellen aus Archiven jenseits des Eisernen Vorhangs“, die es laut Verlagswerbung ermöglichen, „die Hintergründe alliierter Deutschlandpolitik neu zu interpretieren“, mitnichten um sowjetische Akten; deren Aufarbeitung konnte dem Autor einer solchen Dissertation angesichts der notorischen Zugangsprobleme auch kaum abverlangt werden. Vielmehr basiert die Studie insbesondere auf den einschlägigen Beständen im Landesarchiv und im Bundesarchiv Berlin, hinzu kommen Akten der Berliner Bank AG und der Landesbank Berlin sowie amerikanische und britische Quellen.

Zugleich beschreibt Pollems, und hier liegen die Stärken seiner Arbeit, die Berliner Bankengeschichte als Ergebnis der Interaktion zahlreicher Akteure mit unterschiedlichen Interessen und Einflussmöglichkeiten. Die Studie gliedert sich in fünf chronologisch abgegrenzte Kapitel: zur Phase der alleinigen sowjetischen Verwaltung, zur Viermächteverwaltung und zur Spaltung des Berliner Bankwesens im Zuge der Währungsreformen sowie zur endgültig getrennten Entwicklung in den Ost- und Westteilen der Stadt seit 1948. Diese einleuchtende Gliederung wird leider in wesentlichen Punkten wiederholt durchbrochen. Das Kapitel über die kritische Frühphase der Neuordnung unter alleiniger sowjetischer Verwaltung, als mit der vollständigen Schließung der alten Banken erste Maßnahmen getroffen wurden, die sich für den Ostteil der Stadt als sehr langlebig erweisen sollten, reicht des Öfteren bis 1948; einige Abschnitte setzen gar erst 1946 ein, also lange nach dem Beginn der gesamtalliierten Stadtverwaltung. So scheint es Pollems in einem Kapitel über die Lage des Bankgeschäfts 1945 „[i]nteressant, dass fast die gesamte Kreditgewährung“ der drei neu zugelassenen Institute Stadtkontor, Volksbank und Sparkasse „in den Ostsektor Berlins ging“ (S. 83f.). Den Leser erstaunt das auf den zweiten Blick kaum, stellt er doch in der folgenden Tabelle fest, dass sich diese Aussage auf den Oktober 1948, mithin auf die Zeit nach der währungspolitischen Spaltung Berlins bezieht.

Die Ausführungen zu den grundsätzlichen sowjetischen Intentionen bleiben notgedrungen Plausibilitätsüberlegungen: Ein Kapitel über „Strategische Ziele sowjetischer Maßnahmen im deutschen Bankwesen“ vermutet, dass die östliche Besatzungsmacht „vielleicht auch noch bis zum Scheitern der gemeinsamen Währungsreform“ mit den Westalliierten „keine abschließende Entscheidung über die Struktur des Berliner Kreditgewerbes" getroffen hatte; Pollems folgt schließlich mit der Annahme, die bis dahin ergriffenen Maßnahmen hätten nur eine „Zwischenlösung“ dargestellt (S. 94), einfach der nur auf veröffentlichte Quellen gestützten Arbeit von Josef Deckers aus dem Jahr 1974. 3 Auch scheint die Formulierung, dass mit den gerade einmal drei zugelassenen Kreditinstituten „ohne großen Bruch an das vor dem Krieg bestandene [sic!] Bankensystem“ angeknüpft wurde (S. 134f.), angesichts der bis Kriegsende unbestrittenen reichsweiten Dominanz des Bankplatzes Berlin und der radikalen Beschränkungen danach deutlich überzogen. Sehr sporadisch bleibt zudem die Verknüpfung mit der Bankengeschichte der Sowjetischen Besatzungszone, in deren Ländern die neuen Machthaber bereits im Sommer 1945 das historisch gewachsene Bankensystem konsequent durch ein Regime politisch gelenkter Landesbanken ersetzten. Die knappen, erst im Kapitel über die endgültige Transformation seit 1948 eingefügten und weitestgehend auf Sekundärliteratur basierenden Ausführungen dazu erlauben kaum das definitive Fazit, hier habe es sich um „keine erste Maßnahme [...] zur zielgerichteten Transformation des Wirtschaftssystems“ (S. 380) gehandelt.

Dennoch ist der Hinweis auf „Inkonsistenzen, Halbherzigkeiten und Konzeptionsdefizite in der sowjetischen Bankenpolitik“ (S. 93) einleuchtend und wichtig, korrigiert Pollems’ Studie doch schon durch die reine Darstellung der Abläufe allzu simple Vorstellungen von einer geradlinigen, strategisch durchdachten Sowjetisierung. Stattdessen entsteht das differenziertere Bild eines zeitlich und nach den Einflüssen verschiedener Akteursgruppen zu unterscheidenden, sukzessiven Umbaus des Ost-Berliner Bankwesens hin zum politisierten Kreditierungs- und Kontrollinstrument einer Zentralplanwirtschaft. Die Kritik an einigen Thesen schmälert deshalb auch nicht den eigentlichen Wert der Studie. Ihre Verdienste liegen in der gründlichen Rekonstruktion des Berliner Bankwesens selbst und seiner Rahmenbedingungen; und zwar in einer Phase, die durchaus nicht nur im Ostsektor langfristig die Entwicklungspfade bestimmte. Zu den interessanten Beobachtungen gehört, dass es auch im Westteil erhebliche politische Widerstände gegen eine umfassende Wiederzulassung privater Banken gab, weil diese die wenigen öffentlichen Kreditinstitute in der wirtschaftlich substanziell geschwächten Ex-Hauptstadt einem unangenehmen Wettbewerbsdruck aussetzte; anders als im Osten konnten hier aber die privaten Banken und die Wirtschaft insgesamt die Alliierten für eine Liberalisierung des Kreditwesens mobilisieren. In der Verbindung mit einem umfangreichen Datenanhang und einem Sachregister macht die dichte Schilderung der Geschäftspolitik und Geschäftsentwicklung der Banken sowie der einzelnen ordnungspolitischen Schritte und Akteurspositionen das Buch zu einer grundlegenden bankenhistorischen Quelle der Nachkriegsjahre, die zugleich erhellende Schlaglichter auf die Berliner Wirtschafts- und Stadtgeschichte wirft.

Anmerkungen:
1 Holtfrerich, Carl-Ludwig, Die Deutsche Bank vom Zweiten Weltkrieg über die Besatzungsherrschaft zur Rekonstruktion 1945-1957, in: Gall, Lothar u.a., Die Deutsche Bank 1870-1995, München 1995, S. 409-578.
2 Zschaler, Frank, Erzwungene Reorientierung im Zeichen der deutschen Teilung (1945-1990), in: Pohl, Hans (Hrsg.), Geschichte des Finanzplatzes Berlin, Frankfurt am Main 2002, S. 215-252.
3 Deckers, Josef, Die Transformation des Bankensystems in der Sowjetischen Besatzungszone/DDR von 1945 bis 1972, Berlin 1974.

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