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Titel
Kolonialkriege. Militärische Gewalt im Zeichen des Imperialismus


Herausgeber
Klein, Thoralf; Schumacher, Frank
Erschienen
Anzahl Seiten
369 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marc Frey, Helmut Schmidt Chair of International History, Jacobs University Bremen

Ein wenig beneiden kann man sie schon, die Erfurter Geschichtswissenschaft. Denn hier lehren und forschen Historikerinnen und Historiker zur europäischen, nordamerikanischen, lateinamerikanischen, ostasiatischen und westasiatischen Geschichte. Bedauerlich ist aber, dass es bisher offenbar kaum gelang, aus der räumlichen und thematischen Breite Synergien zu schöpfen, Kräfte zu bündeln, Impulse zu vermitteln. Mit dem vorliegenden Band, den die beiden Erfurter Historiker Thoralf Klein (chinesische Geschichte) und Frank Schumacher (amerikanische Geschichte) herausgegeben haben, deutet sich nun das Potenzial einer vernetzten, die Ressourcen des Standorts geschickt nutzenden Geschichtsschreibung an.

Unter dem griffigen, aber zunächst relativ unbestimmten Titel „Kolonialkriege“ geht es hier um militärische Konflikte, Krieg und Gewalt im Kontext verschiedener Imperialismen des 19. und 20. Jahrhunderts. Zur „Systematisierung des Phänomens“ (S. 12) legten die Herausgeber den einzelnen Beiträgen ein Fragenraster zugrunde, das die Autorinnen und Autoren im Wesentlichen beherzigt haben und das dem Band eine insgesamt geglückte Kohärenz verleiht. Zu untersuchen waren zunächst die Bedingungen und der Verlauf von Kriegen. Im Anschluss war nach dem „Gesicht“ von Kriegen zu fragen, also nach der Art und Weise, in der militärische Gewalt angewendet wurde, sowie nach den damit verknüpften Mitteln und Zielen. In einem dritten Teil sollte der „Diskurs“ über Krieg thematisiert werden. Schließlich ging es darum, die Erinnerung an Kriege zu beleuchten.

Michael Hochgeschwender untersucht die Indianerkriege im Westen Nordamerikas. Was in den 1840er-Jahren als „Zusammenstoß unterschiedlicher Kulturen“ begann (S. 45), mündete bald in einen erbarmungslosen Vernichtungskrieg, der auf Seiten der Aggressoren durch vermeintliche kulturelle Überlegenheit, Rassismus und religiös motivierte Auserwähltheit legitimiert wurde. Besonders dramatisch wurde die Kriegführung der Euroamerikaner für die Indianer auch deshalb, weil sie sich einer „systematischen Umweltkriegführung“ (S. 51) ausgesetzt sahen, für die es keine geeigneten Gegenmaßnahmen gab. Zwei strukturelle Merkmale sieht Hochgeschwender für die Kriege im amerikanischen Westen als konstitutiv an: die „generelle Asymmetrie“ und den „Kulturkonflikt“ (S. 73). Übersetzt ins Operative, lief das in der Konsequenz auf „Massaker“ an Zivilisten (beider Seiten) hinaus – ein Merkmal, das Hochgeschwender als typisch für den kolonialen Konflikt identifiziert. Er bietet nicht nur einen vorzüglich strukturierten Überblick, der sorgfältig in einer breiten Forschungslandschaft verortet ist. Auch methodisch und definitorisch setzt der Aufsatz Maßstäbe.

Die gelungene Einbeziehung des neuesten Forschungsstandes ist im Übrigen ein großes Verdienst aller Kapitel dieses Bandes. Das gilt etwa für die Beiträge von Thomas Morlang und Susanne Kuss, die sich mit der deutschen Aggression in Ost- und Südwestafrika zwischen 1890 und 1908 befassen. Auch hier mündeten militärische Aktionen bald in „Vernichtungskriege“, die (nach dem von Hochgeschwender eingeführten Begriff) ebenfalls mit „Umweltkriegführung“ einhergingen. Morlang und Kuss betonen beide die Rolle von Kollaborateuren und das Problem der Guerillakriegführung.

Was Kuss etwas konfus diskutiert – „Vernichtungskrieg“, „totaler Krieg“, „‚Rassenkrieg’“, „nicht notwendigerweise physische Tötung aller Menschen“ –, erscheint in Schumachers Beitrag über den amerikanischen Krieg auf den Philippinen (1899–1913) geradliniger: Amerikaner fühlten sich im Interesse von Modernisierung dazu berufen, die nationalistische Rebellion der Philippinos niederzuschlagen. Auch hier spielten „Massaker“ an der Zivilbevölkerung (S. 136) eine zentrale Rolle bei der „Pazifizierung“ der Inseln.

Drei Kapitel befassen sich mit militärischen Konflikten in Nord- und Ostafrika. Ulrich Mücke untersucht die spanische Aggression in Marokko (1921–1927) – ein Krieg, von dem man bislang kaum etwas wusste. Was für alle hier vorgestellten militärischen Konflikte in unterschiedlichem Maße gilt, war für die dortige Konstellation offenbar entscheidend: die Rekrutierung von Männern, die aus ethnischen, traditionellen oder auch aus materiellen Gründen bereit waren, als „Hilfstruppen“ (S. 261) der Spanier zu fungieren. Dass die Spanier trotz dieser Polarisierung der marokkanischen Gesellschaft ohne die Hilfe der Franzosen nicht gesiegt hätten, relativiert die für koloniale Kriege scheinbar selbstverständlich angenommene europäische Überlegenheit. Giulia Brogini Künzi lenkt den Blick auf die italienische Aggression in Äthiopien (1935/36), die sie als „Instrument zur forcierten Transformation der [italienischen] Gesellschaft“ (S. 278) interpretiert. Brogini Künzi gelingt dabei leider am Wenigsten, worum sich alle Autorinnen und Autoren mit unterschiedlichem Erfolg bemühen: die gleichgewichtige Darstellung von Angreifern und Angegriffenen, oder zumindest eine angemessene Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven. In ihrer Schilderung gibt es außer nackten Zahlen zu Opfern nichts, was auf eine äthiopische Kriegsbeteiligung schließen ließe. Ebenso niveauvoll wie Hochgeschwender befasst sich hingegen Daniel Mollenhauer mit dem längsten und blutigsten Dekolonisierungskonflikt der Nachkriegszeit, mit dem Algerienkrieg. Souverän auf die umfangreiche französische Forschung gestützt, verdichtet Mollenhauer unterschiedliche Perspektiven – Kriegführung, gesellschaftliche Debatten in Frankreich, Kriegsdiskurse in Algerien, Erinnerung – zu einer komprimierten Darstellung, die bei aller notwendigen Kürze nicht auf Differenziertheit verzichtet.

Versteht man mit Jürgen Osterhammel Kolonien als „ein durch Invasion in Anknüpfung an vorkoloniale Zustände neu geschaffenes politisches Gebilde, dessen landfremde Herrschaftsträger in dauerhaften Abhängigkeitsbeziehungen zu einem räumlich entfernten imperialen Zentrum stehen“, dann lassen sich alle bislang vorgestellten militärischen Konflikte als „Kolonialkriege“ bezeichnen.1 Problematischer erscheint mir dies im Fall der – deshalb nicht minder gehaltvollen – Beiträge von Cord Eberspächer über den Burenkrieg (1899–1902), von Thoralf Klein über den Boxerkrieg (1900/01) und von Reinhard Zöllner über die japanische Aggression in China (1931–1945). Zweifellos gibt es strukturelle Gemeinsamkeiten zu den oben vorgestellten Konflikten: ein Bewusstsein kultureller Überlegenheit, Rassismus, Massaker, Umweltkriegführung. Sind es daher diese Merkmale, die den Begriff „Kolonialkrieg“ zu einer analytischen Kategorie machen können?

Eine konkrete Antwort vermag Dierk Walter in einem einleitenden Kapitel zur Frage „Warum Kolonialkrieg?“ auch nicht zu geben. Aber es lohnt sich, beim Lesen der Fallbeispiele immer mal wieder zurückzublättern. Denn Walter bietet eine Arbeitsdefinition („Kolonialkrieg ist die in den Formen des kleinen oder asymmetrischen Krieges ausgeübte Gewalt an der kolonialen Peripherie“, S. 20) und kluge Gedanken zum Charakter militärischer Auseinandersetzungen. Definitorisch überzeugt haben sie mich aber doch nicht ganz: Wenn Kolonialkrieg, wie Walter schreibt, „kleiner Krieg, Guerillakrieg, asymmetrischer Krieg“ und somit der „Krieg der Zukunft“ ist (S. 33), dann scheint mir die Verwendung dieses Begriffs nicht nötig, ja vielleicht sogar kontraproduktiv zu sein. Zugespitzt formuliert, schreibt der Terminus „Kolonialkrieg“ die allenthalben thematisierten Hierarchien fort: „Kolonial“ waren die Kontexte für die Aggressoren, nicht jedoch für die Angegriffenen. Frei von tradierten Stereotypen, inhaltlich neutraler und damit hilfreicher dürfte der Begriff „asymmetrischer Krieg“ sein, wobei sich die hier vorgestellten Konflikte problemlos in die von Herfried Münkler vorgeschlagenen Kategorien „Ressourcenkriege“, „Pazifizierungskriege“ oder „Verwüstungskriege“ einordnen lassen.2

Thoralf Klein, Frank Schumacher und das Team der Autorinnen und Autoren haben einen inhaltlich dichten, über weite Strecken auf hohem Niveau argumentierenden Band vorgelegt, der die Debatte um die Rolle von Gewalt und Krieg in kolonialen und metropolitanen Kontexten ebenso befruchten wird wie die allgemeine Diskussion um den Stellenwert – und die Notwendigkeit – außereuropäischer Geschichte und die Chancen interdisziplinärer Kooperation.

Anmerkungen:
1 Osterhammel, Jürgen, Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, 2. Aufl. München 1997, S. 16.
2 Münkler, Herfried, Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie, Weilerswist 2006, S. 151.

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