K. Ruchniewicz: Polskie zabiegi o odszkodowania niemieckie

Titel
Polskie zabiegi o odszkodowania niemieckie w latach 1944/45-1975 (Polnische Bemühungen um deutsche Entschädigungen in den Jahren 1944/45-1975).


Autor(en)
Ruchniewicz, Krzysztof
Anzahl Seiten
341 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katarzyna Stoklosa, Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, Technische Universität Dresden

Die Frage, ob Deutschland Kriegsentschädigungen an Polen zu zahlen habe oder nicht, hat die Beziehungen beider Länder über viele Jahrzehnte belastet. Bis Mitte 2000 wurden zwischen Deutschland und Polen Verhandlungen darüber geführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war dieses Problem lange Zeit ungelöst geblieben. Ende der 1950er-Jahre übten die USA einigen Druck auf die Bundesrepublik Deutschland aus, um ihren Verbündeten zu Konzessionen zu bewegen. Vor allem die Ostpolitik der Bundesrepublik in den 1960er und 1970er-Jahren und das Engagement Willy Brandts brachten dann bedeutende Fortschritte. Diesem bislang nur wenig erforschten Gebiet der deutsch-polnischen Beziehungen widmet sich Krzysztof Ruchniewicz, nachdem er unlängst bereits in einer deutschen Publikation als Experte hervorgetreten war.1

Das Ziel seines Buches besteht darin, „die polnische Position in den Angelegenheiten der Entschädigungen in der letzten Phase des Zweiten Weltkrieges und den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg (bis zum Jahr 1975)“ darzustellen. „Es handelt sich hier sowohl um konzeptionelle, archivarische als auch politische Tätigkeiten.“ (S. 15) Um das Handeln beider Seiten zu beleuchten, hat der Verfasser zahlreiche Dokumente aus deutschen und polnischen Archiven analysiert. Zusätzlich hat er Quellen aus dem „Polnischen Sikorski-Institut und -Museum“ in London verwendet. Beeindruckend ist auch das Verzeichnis der ebenfalls herangezogenen gedruckten Quellen: Presseartikel, Erinnerungen, Reden und Dokumente.

Das Buch besteht aus fünf Kapiteln. Im ersten Kapitel schildert Ruchniewicz die Frage der Entschädigungen nach den Plänen der polnischen Regierungen (der im Exil wie der in Polen) und der Anti-Hitler-Koalition. Während des ganzen Zweiten Weltkrieges diskutierten verschiedene politische Gruppierungen immer wieder über diese Frage. Im Januar 1945 gründete die polnische kommunistische Regierung das Warschauer „Büro für Angelegenheiten der Rückforderungen und Kriegsentschädigungen“. Dessen Aufgabe bestand in der Koordinierung der Tätigkeit der Zentralämter, Ministerien, Selbstverwaltungsorgane und anderer Institutionen, die sich mit der Verlustproblematik beschäftigten. Das Büro berechnete die Kriegsschäden – sowohl den angefallenen Sach- als auch den Personenschaden. Außerdem war das Büro für die Auszahlungen an die Geschädigten zuständig, sowie für die Übernahme und Bewirtschaftung der neuen Nord- und Westgebiete Polens. Bei seiner Arbeit konnte es sich auf eine ganze Forschungsgruppe stützen, zu der Ökonomen, Statistiker, Geographen, Demographen und Soziologen gehörten.

In weiteren Abschnitten geht Ruchniewicz auf die Haltung der Alliierten ein, von der die Realisierung der polnischen Entschädigungspläne abhing. Bis 1943, so der Verfasser, habe die Anti-Hitler-Koalition die Frage der Kriegsentschädigungen durch Deutschland nicht in Betracht gezogen. Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1944 habe sich Großbritannien zur Frage der Kriegsentschädigungen geäußert. Vom 09. bis 21. Dezember 1945 fand dann, auf Einladung der französischen, britischen und amerikanischen Regierungen, in Paris eine Konferenz über die Frage der Kriegsentschädigungen statt. Außer den 14 verbündeten westlichen Staaten nahmen an ihr – neben Polen – auch die Tschechoslowakei, Jugoslawien und Albanien teil. Zu einem entscheidenden Durchbruch kam es hier nicht.

Im zweiten Kapitel erörtert Ruchniewicz jene Rechtsgrundlagen, auf denen die Entschädigungs-Politik der Bundesrepublik Deutschland bis Ende der 1960er-Jahre basierte. „Die Position der Bundesrepublik Deutschland in der Frage der Entschädigung der Opfer des Dritten Reiches war in den 1950er und 1960er-Jahren einerseits durch internationale Abkommen und andererseits durch nationale Gesetze bestimmt, die seitens der bundesrepublikanischen Regierungen erlassen wurden.“ (S. 41) Der Verfasser beschreibt Abkommen und Gesetze, die für die Frage der Entschädigungen von Bedeutung waren. Die Abkommen von Paris (1945), Bonn (1952) und London (1953) bildeten die internationale Rechtsgrundlage für die Frage der Entschädigungen. (S. 44) Am 18. September 1953 verabschiedete das westdeutsche Parlament das erste „Gesetz über die Entschädigungen für die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung“. (S. 45) Der Text, so Ruchniewicz, sei jedoch auf heftige Kritik seitens der Westmächte gestoßen, vor allem auf die Frankreichs und Großbritanniens. Darüber sei Bundeskanzler Konrad Adenauer außerordentlich enttäuscht gewesen. Doch der deutsche Weststaat nahm sich die Kritik zu Herzen. „Drei Jahre später, am 29. Juni 1956, wurde ein neues Gesetz über die Entschädigungen erlassen.“ (S. 46) Ruchniewicz zeigt am Beispiel von fünf Entschädigungsgruppen – den displaced persons, der polnischen politischen Emigration, Pfarrern, polnischen Zwangsarbeitern und Opfern der medizinischen Experimente – wie unterschiedlich die Bundesrepublik die Frage der Entschädigungen regelte. Auf die letztgenannte Gruppe geht Ruchniewicz besonders ausführlich ein, weil sie bis Anfang der 1970er-Jahre das einzige Beispiel einer positiven Entschädigungspolitik seitens der Bundesrepublik gewesen sei. (S. 97-131)

Ein bisher ganz unerforschtes Thema, dem sich Ruchniewicz widmet, sind Bemühungen um Entschädigungen seitens der polnischen Emigration im Westen, die entweder eigene Organisationen bildete oder in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen um Verwirklichung ihrer Ziele kämpfte. Ihre Bemühungen endeten mit einem Erfolg: Am 05. Oktober 1960 wurde der Entschädigungsfonds gegründet. Die Bundesrepublik verpflichtete sich, Personen, die aufgrund ihrer nationalen Zugehörigkeit durch das Nazisystem gesundheitlich und körperlich geschädigt worden waren, genauso zu entschädigen wie diejenigen, die aufgrund ihrer Rasse, Religion, Weltanschauung oder des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus gekämpft hatten.

Das dritte Kapitel geht in einem kurzen Exkurs auf die Haltung der DDR ein. Die Darstellung stützt sich auf Ereignisse, die anhand der polnisch-westdeutschen Berichte rekonstruiert wurden. Seine nur knappe Darstellung begründet der Autor mit dem Sachverhalt, dass in den Beziehungen zur DDR das Problem der Entschädigungen nicht existiert habe. (S. 18) Denn schon im August 1953 hatte die Regierung der Volksrepublik Polen (VRP) im Unterschied zur UdSSR auf Kriegsentschädigungen seitens der DDR verzichtet – ein Umstand, der im SED-Staat zu regen Diskussionen geführt hatte. Da die Studie dieses Thema nur am Rande streift, wären weitere Forschungsarbeiten hierzu wünschenswert.

Im vierten Kapitel beschäftigt sich Ruchniewicz mit den Kriegsentschädigungen seit Ende der 1960er-Jahre bis zur Helsinki-Schlussakte von 1975. Die neue Ostpolitik der SPD/FDP-Koalitionen unter Willy Brandt und Helmut Schmidt habe nicht nur zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der VRP sowie zur Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze geführt, sondern auch zur Entstehung neuer Rahmenbedingungen für die Entschädigungsfragen. (S. 148) In einem Unterkapitel stellt Ruchniewicz die Tätigkeit verschiedener polnischer Gremien dar, die eine Dokumentation über die Entschädigungsansprüche zusammenstellten, die der polnische Staat und seine Bürger in den 1960er und 1970er-Jahren gegenüber der Bundesrepublik erhoben. Der Verfasser schildert ausführlich den Zusammenhang zwischen der Ostpolitik und der Aufnahme der Verhandlungen über die Entschädigungen für Polen. Die polnische Seite befürchtete, dass das Problem der Entschädigungen, würde es zu früh angesprochen werden, die Verhandlungen über die Grenzanerkennung beeinträchtigen könnte.

Im Zusammenhang mit dem Besuch Willy Brandts in Polen Anfang Dezember 1970 habe das Außenministerium der Bundesrepublik Deutschland zahlreiche Dokumente vorbereitet, die das Problem der Entschädigungen betrafen. Man hatte damit gerechnet, dass im Rahmen des ersten offiziellen Besuchs des Bundeskanzlers in Polen auch dieses Thema angesprochen würde. Für Brandt sei das keine einfache Aufgabe gewesen, weil er „einerseits die Interessen des eigenen Landes habe vertreten und andererseits ein neues Kapitel in der Nachkriegsgeschichte der deutsch-polnischen Beziehungen aufschlagen wollen.“ (S. 185-186) In Warschau war dieses Treffen lange vorbereitet worden, weil es die erste Möglichkeit für offene Gespräche über die deutsch-polnischen Angelegenheiten gewesen sei. Dennoch wurden während des Besuchs Willy Brandts in Warschau vom 06. bis 08. Dezember 1970 keine offiziellen Gespräche über die Entschädigungsfragen aufgenommen. Nur bei einer Vier-Augen-Unterredung zwischen dem ersten Sekretär der PVAP, Wladyslaw Gomulka, und Bundeskanzler Brandt habe der polnische Politiker dieses Problem angesprochen. Nach dem Abschluss des deutsch-polnischen Normalisierungsvertrages hat Polen dann die Frage der Entschädigungen zunächst nicht auf die Agenda gesetzt. Gleichwohl war die Arbeit der Mitte 1970 berufenen Kommission für Fragen deutscher Entschädigungen nicht unterbrochen worden. Am 16. November 1972 wurde schließlich zwischen dem Ministerium für Gesundheit und Sozialleistung der VRP und dem Ministerium für Wirtschaft und Finanzen der Bundesrepublik Deutschland in Genf das Abkommen über die finanzielle Hilfe für polnische Opfer medizinischer Experimente unterzeichnet.

Viel schwieriger gestaltete sich das Problem der Entschädigungen für andere Opfergruppen, wie für Häftlinge der Konzentrationslager oder Zwangsarbeiter, die in den besetzten Gebieten Polens und im Dritten Reich zur Arbeit gezwungen worden waren. Da sich die Verhandlungen über die Entschädigungen lange hinzogen, begann Warschau, sich nach weiterer diplomatischer Unterstützung umzuschauen. Dabei handelte es sich nicht um Verbündete aus dem sozialistischen Lager – dies hätte nicht viel gebracht – sondern um solche aus dem Westen, z. B. den Vatikan. Die USA haben ihr Interesse für diese Frage immer wieder zum Ausdruck gebracht, unter anderem während des Besuchs von Bundeskanzlers Schmidt in den Vereinigten Staaten im Dezember 1974.

Erst Mitte 1975, nach langwierigen Verhandlungen, sei in Form der Schlussakte von Helsinki eine Einigung erzielt worden. Die polnische Delegation kehrte ausgesprochen zufrieden aus Helsinki zurück. Ruchniewicz erörtert die Frage, ob die einschlägigen Beschlüsse von Helsinki als erfolgreich gelten könnten, und wenn ja, für welche Seite. Der Autor urteilt, dass angesichts jahrelanger Verhandlungen und den damit in Polen hervorgerufenen hohen gesellschaftlichen Erwartungen das Ergebnis zu Enttäuschungen hätte führen können. In keinem der damals unterzeichneten Dokumente sei über Entschädigungen für Naziopfer gesprochen worden, obwohl ein Teil der im Rentenabkommen enthaltenen Summe gerade für sie bestimmt gewesen war. Die langsame, über Jahrzehnte hinweg andauernde Erledigung der Entschädigungszahlungen an die betroffenen Personen habe dann in der Tat Enttäuschungen in Polen hervorgerufen. Die schleppende Behandlung dieser Angelegenheit wurde so interpretiert, die Bundesrepublik habe auf eine „natürliche“ Verringerung der Entschädigungsanträge infolge des Todes vieler Antragsteller spekuliert. Zahlreiche Betroffene unter den Zwangsarbeitern mussten über zwanzig Jahre lang auf die Berücksichtigung ihrer Forderungen warten.

Im letzten Kapitel beschreibt Ruchniewicz auf knapp sechs Seiten das Engagement deutscher Nichtregierungsorganisationen – namentlich des „Maximilian-Kolbe-Werkes“ und der „Zeichen der Hoffnung“ – zugunsten von Entschädigungsauszahlungen an Polen. Beide Organisationen waren aus Protest gegen die offizielle Politik der Bundesrepublik auf diesem Gebiet gegründet worden. Ihr Ziel sei es gewesen, den betroffenen Polen zu helfen, vor allem den ehemaligen Häftlingen der Konzentrationslager. Die Beweggründe dieser katholischen bzw. protestantischen Organisationen waren vor allem religiöser Art. In der Bundesrepublik hat ein nur kleiner Personenkreis von ihrer Arbeit etwas gewusst.

Die wichtigsten Ergebnisse seines Buches fasst Ruchniewicz so zusammen: „Die über dreißigjährigen Bemühungen Polens um die Erlangung deutscher Entschädigungen haben gezeigt, dass die Lösung dieses Problems nicht nur von den Beziehungen zwischen Polen und den beiden deutschen Staaten abhing, sondern auch von der Politik der Siegermächte und schließlich später von der internationalen Lage.“ (S. 270) Ganz am Schluss gibt er einen Ausblick auf die Entwicklung der Entschädigungsfrage in den 1980er und 1990er-Jahren denn nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989/90 seien zwischen Deutschland und Polen noch einige ungelöste Fragen übrig geblieben. 1991 wurde die „Stiftung Deutsch-Polnische Versöhnung“ gegründet. In den darauf folgenden zehn Jahren konnten 1,06 Millionen Personen entschädigt werden – ehemalige Häftlinge der Konzentrationslager, Ghetto-Häftlinge, Häftlinge spezieller Arbeitslager für Polen in Schlesien, Zwangsarbeiter und Kinder, die deportiert, verhaftet oder in ihren Wohnorten zur Arbeit gezwungen worden waren. Wegen der zahlreichen Kategorien konnten die ausgezahlten Summen nicht erheblich sein. Ruchniewicz weist darauf hin, dass die schwierige Lage polnischer Opfer des Nationalsozialismus in Ostmitteleuropa keine Ausnahme gewesen sei. Anfang Juli 2000 schließlich verabschiedete der Bundestag das Gesetz über die Gründung der „Stiftung ‚Erinnerung, Verantwortung und Zukunft’“, aus deren Fonds man Personen entschädigte, die als Zwangsarbeiter Opfer von Verfolgungen gewesen waren. „Damit ging dieses schmerzliche Kapitel deutsch-polnischer Beziehungen zu Ende. Man darf jedoch nicht vergessen, dass sogar in dieser letzten Phase der Außenfaktor – nämlich die USA – notwendig war, um die Bundesrepublik zu bewegen, sich für den endgültigen Abschluss dieses Problems durch die Auszahlung des Geldes für die Betroffenen zu entschließen.“ (S. 277) Mit dieser etwas bitteren Feststellung endet die Studie, deren Wert hoch einzuschätzen ist, da die unaufgeregte, durchweg sachliche Darstellung helfen könnte, die schwierige Vergangenheit einvernehmlich zu verarbeiten und damit das gegenseitige Verständnis zwischen beiden Völkern zu fördern.

Anmerkung:
1 Ruchniewicz, Krzysztof, Deutschland und das Problem der Nachkriegsentschädigungen für Polen, in: Hockerts, Hans Günter; Moisel, Claudia; Winstel, Tobias (Hrsg.), Grenzen der Wiedergutmachung. Die Entschädigung für NS-Verfolgte in West- und Osteuropa 1945-2000, Göttingen 2006, S. 666-739.

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