J. Braden u.a. (Hrsg.): Juden - Christen - Christen-Juden

Cover
Titel
Juden - Christen - Christen-Juden. Konversionen in der Frühen Neuzeit


Herausgeber
Braden, Jutta; Ries, Rotraut
Reihe
Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 15, H. 2
Erschienen
Tübingen 2006: Max Niemeyer Verlag
Anzahl Seiten
346 S.
Preis
€ 47,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gesine Carl, Historisches Seminar der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Der vorliegende Band verfolgt das Ziel, neue Konzepte zur Erforschung von Konversionen zwischen Judentum und Christentum vorzuschlagen und anhand von Beispielen vorzustellen, wobei sowohl die neuere Forschung zu innerchristlichen Konversionen (Deventer) wie auch die Forschungen zum jüdisch-christlichen Konversionsgeschehen in ganz Europa (Ries) einbezogen werden. Die ersten drei Beiträge (Deventer, Ries, Braden) sind Konzepten und Methoden gewidmet und verstehen sich zugleich als Einleitung in die Thematik. Die Einleitung in den Band im engeren Sinne mit einer Vorstellung aller Beiträge findet sich in dem Aufsatz von Rotraud Ries. Die Mehrzahl der hier präsentierten Aufsätze geht auf die Tagung des Interdisziplinären Forums „Jüdische Geschichte und Kultur in der Frühen Neuzeit“ zurück, die im Februar 2004 im Film-Funk-Fernseh-Zentrum der Evangelischen Kirche im Rheinland in Düsseldorf stattfand. Jutta Braden und Christine D. Schmidt haben ihre Beiträge eigens für das Themenheft verfasst. 1

Jörg Deventer eröffnet den Themenschwerpunkt mit einem Überblick über „Stand und Perspektiven der Forschung“ zu Konversionen im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung (S. 257), in dem er konstatiert, dass die „Alltagsgeschichte der unmittelbaren sozialen Voraussetzungen und Auswirkungen von Konversionen“ bis heute „ungeschrieben“ sei (S. 265). Man befinde sich gegenwärtig „erst in der Phase der Entdeckung des Phänomens Konversion“, das im Schnittpunkt von drei „Gegenstandsbereichen bzw. Methodentrends der aktuellen Frühneuzeitforschung“ liege: der „neueren Konfessionalisierungsforschung“, der „sozialgeschichtlichen, historisch-anthropologisch ausgerichteten Kulturgeschichte“ und der „Autobiographie- und Selbstzeugnisseforschung“ (S. 269). Abschließend entwirft er einige Leitfragen und -linien einer zukünftigen historischen Konversionsforschung, deren Hauptanliegen er darin sieht, Konversion „als ein alltags- und sozialgeschichtliches Phänomen“ in den Blick zu nehmen und die Interaktionen aller am Konversionsprozess beteiligten Akteure zu untersuchen, anstatt sich auf die ohnehin nicht lösbare Frage nach den „wirklichen“, „wahren“ Konversionsmotiven zu konzentrieren (S. 269f.). Dabei seien außer den sozialen, politischen und kulturellen Kontexten auch die kommunikativen Dimensionen von Konfessionswechseln und Missionierungen sowie die visuellen und rhetorischen Strategien von Bildern und literarischen Texten zu berücksichtigen, die Konversionen und Bekehrungen darstellen (S. 270).

Unter dem Titel „Missionsgeschichte und was dann?“ referiert und problematisiert Rotraud Ries die bisherige Forschung zu Konversionen vom Judentum zum Christentum, die bis weit ins 20. Jahrhundert hinein aus einer dezidiert „christlich-protestantischen Perspektive und als Missionsgeschichte“ geschrieben worden sei (S. 278). Erst seit den 1980er-Jahren seien neue Zugänge erkennbar, wie z.B. die Einführung der Kategorie Geschlecht, die Untersuchung von Bedeutung und Folgen einer Konversion für die Familie und die Integration der Konversions- in eine vergleichende Gesellschaftsgeschichte (S. 282). Ries’ „Plädoyer für eine Ablösung des kirchlichen Blicks“ (S. 271) zielt darauf ab, „Konvertiten nicht länger als ‚Marionetten’ theologischer Projektionen, kirchlichen Agierens, obrigkeitlicher Politik und ökonomischen Drucks wahrzunehmen, sondern sie als Angehörige der jüdischen Gesellschaft und als handelnde Personen in den Fokus zu rücken“ (S. 301). Durch diese Herangehensweise werde es möglich, familiäre, gesellschaftliche, kulturelle und ökonomische Kontexte sowie Handlungsbedingungen, -optionen und -entscheidungen einzubeziehen und Konversionen als ein hoch differenziertes soziales Geschehen im Grenzbereich zwischen jüdischer und christlicher Gesellschaft zu befragen (S. 298, 301).

Jutta Braden expliziert am Beispiel ihres aktuellen Forschungsprojekts über Hamburger Konversionen von Juden zum Christentum zwischen 1600 und 1850, in dessen Mittelpunkt das Wirken der 1667 gegründeten „Edzardischen Jüdischen Proselytenanstalt“ steht, einen Ansatz, der über den der traditionellen historischen Konversions- und Missionsforschung hinausgeht: Braden versteht Konversion als einen „ganzheitlichen Umorientierungsprozess“ (S. 307), der nicht ausschließlich religiös gedeutet werden könne, sondern „nur kontextualisiert zu erfassen“ sei (S. 308). Sie fragt zunächst nach der Anzahl von Konversionen und ihrem Wandel im Verlauf des Untersuchungszeitraums, wobei diese quantitativen Analysen differenziert nach Geschlecht, Alter, Schichtzugehörigkeit und räumlicher Herkunft der Konvertiten/innen, eingebettet in den jeweiligen historischen Zusammenhang, erfolgen (S. 318). Darüber hinaus werden die einzelnen Konversionsfälle analysiert, das heißt es geht um die Persönlichkeit der Konvertiten/innen, ihr soziales Handeln und dessen mögliche Spielräume im Kontext des Glaubenswechsels. Hier sind neben dem „Wendepunkt“ der Konversion selbst auch das „Vorher“, also die Ausgangslage in der jüdischen Gemeinschaft, sowie das „Nachher“, das heißt die Situation und die Lebensbedingungen in der neuen christlichen Umgebung, zu berücksichtigen (S. 319).

Im Zentrum des Beitrags von Cilli Kasper-Holtkotte steht der Religionswechsel von Moses Goldschmidt im Jahre 1646, den die Autorin zu weiteren Frankfurter Konversionsfällen in Beziehung setzt. Sie fragt unter anderem nach den Konsequenzen der Konversion für die Familie und die Gemeinde Goldschmidts, nach den Reaktionen auf das Taufbegehren von jüdischer und christlicher Seite, nach dem Einfluss der Schichtzugehörigkeit auf den Konversionsverlauf und nach der Rolle von „Konversionsvorbildern“ innerhalb der Gemeinde (S. 338). Diesen zur Gemeindegeschichte gehörenden Konversionsgeschichten weist Kasper-Holtkotte eine große Bedeutung zu, da sie nicht nur Teil des historischen Wissens der Täuflinge gewesen seien und ihnen – im positiven oder negativen Sinne – Handlungsorientierung geboten, sondern auch das Verhalten der Familienangehörigen und der Gemeinde überhaupt gesteuert hätten (S. 363).

Christine D. Schmidt untersucht die Lebenserinnerungen Paulus Georgis (1745-1826), der 1773 im Münsterland zum Katholizismus konvertierte. Dabei geht es ihr vor allem um eine kritische Analyse der vom Autor genannten Motive, die ihn zur Konversion und später zur Aufzeichnung seiner Erinnerungen veranlassten (S. 372). Georgi stellt den Verlauf seines Konversionsprozesses und die Integration in die christliche Gesellschaft auffallend reibungslos dar, was nach Ansicht von Schmidt jedoch nicht auf eine nachträgliche Verklärung zurückzuführen ist (S. 369f.). Als zentrales Schreibmotiv nennt sie das Bedürfnis des Autors, seinen Kindern durch seinen Lebenslauf zu „beweisen“, dass man „durch einen starken Glauben sein Leben erfolgreich meistern“ könne (S. 395). Meines Erachtens wäre es wünschenswert gewesen, bei der Kontextualisierung dieser Quelle auch andere Konversionserzählungen zum Vergleich heranzuziehen, da sich auf diese Weise z.B. gezeigt hätte, dass Georgis leitmotivische Berufung auf die göttliche Lenkung in hohem Maße gattungstypisch ist.

Maria Diemling setzt sich mit der Frage auseinander, ob die Konversion zum Christentum in der Frühen Neuzeit auch eine Änderung des Körperbildes mit sich gebracht habe. Sie gelangt zu dem Ergebnis, dass eine eindeutige Antwort nicht möglich sei, da im Untersuchungszeitraum zwei konkurrierende Denkmodelle existierten: Einerseits war weiterhin das auf mittelalterlichen Diskursen basierende Modell gültig, wonach die Taufe die „körperlichen Übel“ abwaschen konnte, die den Juden aufgrund ihrer angeblichen Schuld am Tod Jesu zugeschrieben wurden. Andererseits begann sich ab dem 16. Jahrhundert die Überzeugung zu verbreiten, dass das „Jüdische“ eines Menschen mehr als seine Religion umfasse und daher auch durch die Taufe nicht wirklich verändert werden könne (S. 418).

Wolfgang Treue befasst sich mit Konversionen von Christen zum Judentum und betont, dass es sich dabei um „vereinzelte Fälle“ gehandelt habe, „deren Protagonisten aus einer zum Teil selbst herbeigeführten oder zumindest mitverschuldeten gesellschaftlichen Isolation heraus agiert“ hätten (S. 431). Symptomatisch für diese Konvertiten sei zudem „eine Art religiöser Entwurzelung“ gewesen, die sich vor der Hinwendung zum Judentum bereits in innerchristlichen Konfessionswechseln manifestiert habe (ebenda). Treue bezeichnet den Entschluss zur Konversion als „eine einsam getroffene Entscheidung zur Abkehr von den Werten der christlichen Umgebung“, was ihn dazu veranlasst, die Konvertiten zum Judentum mit „Selbstmördern“ zu vergleichen, die seiner Ansicht nach ebenfalls eine „Verweigerungshaltung gegenüber der sie umgebenden Gesellschaft zum Ausdruck bringen“ (S. 432). Eine Konversion und einen Suizid auf den Aspekt der Verweigerung und des Protests zu reduzieren, wird jedoch der Komplexität und den individuell ganz unterschiedlichen Motivationen beider Handlungen kaum gerecht.

Insgesamt handelt es sich bei diesem Themenschwerpunkt trotz einiger kleinerer Kritikpunkte um einen ebenso informativen wie vielseitigen Beitrag zur aktuellen Konversionsforschung, der nicht nur lohnende Ansätze zum Weiterdenken und Weiterforschen liefert, sondern auch den Austausch zwischen den Vertreter/innen unterschiedlicher Forschungsrichtungen fördern dürfte.

Anmerkung:
1 Da nicht alle Beiträge der Tagung zum Druck gelangten, sei hier ergänzend auf den Tagungsbericht von Ries verwiesen: Ries, Rotraud, Konversion als Handlungsoption zwischen Judentum und Christentum: Modelle und Folgen, Konstruktionen und Perzeptionen. Zusammenfassung der Vorträge des „Interdisziplinären Forums Jüdische Geschichte und Kultur in der Frühen Neuzeit und im Übergang zur Moderne“, 5. Arbeitstagung, Film-Funk-Fernseh-Zentrum der Evangelischen Kirche im Rheinland, Düsseldorf, 13.-15. Februar 2004, in: <http://www.uni-trier.de/uni/fb3/geschichte/cluse/forum/>.

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