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Titel
Der Anschlag auf Olympia '72. Die politischen Reaktionen auf den internationalen Terrorismus in Deutschland


Autor(en)
Dahlke, Matthias
Erschienen
München 2006: Martin Meidenbauer
Anzahl Seiten
128 S.
Preis
€ 22,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Annette Vowinckel, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Die Olympischen Spiele von München 1972 sollten als „heitere Spiele“ in die Geschichte eingehen. Ihre Organisatoren verzichteten bewusst auf nationalen Pomp und auf politische Emblematik, doch wurde die Weltpolitik gegen ihren Willen in die Spiele hineingetragen, als am 5. September palästinensische Terroristen der Organisation „Schwarzer September“ in das Olympische Dorf eindrangen, die Sportler der israelischen Mannschaft in ihrem Quartier als Geiseln nahmen und deren Austausch gegen 200 Gefangene aus israelischen Gefängnissen forderten. Die Bundesregierung gab nach unentschlossenen Verhandlungen vor, auf die Forderungen einzugehen, und brachte die Geiselnehmer mit den gefangenen Sportlern zum Militärflughafen in Fürstenfeldbruck, wo eine Lufthansamaschine zum Abflug bereitstand. Auf dem Flughafen eröffneten Scharfschützen das Feuer auf die Terroristen. In dem darauf folgenden, über eine Stunde dauernden Feuergefecht kamen fünf Terroristen ums Leben. Die Geiseln verbrannten in einem Hubschrauber, nachdem einer der Terroristen diesen mit einer Granate in Brand gesetzt hatte, so dass der Befreiungsversuch in einem großen Fiasko endete. Steven Spielberg hat die Ereignisse mit seinem Film „München“ (2005) unlängst zu einem Politthriller verdichtet.1

Ende Oktober 1972 wurden die drei überlebenden palästinensischen Terroristen, die in Bayern in Untersuchungshaft saßen, durch eine Flugzeugentführung freigepresst. Die Übergabe der Terroristen erfolgte auf dem Flughafen von Zagreb ohne nennenswerten Verhandlungseinsatz seitens der Bundesregierung. Hatte das Versagen der bayerischen Polizei in Fürstenfeldbruck schon für Unmut bei der israelischen Regierung gesorgt, so erntete die Brandt-Regierung nun offene harsche Kritik von Ministerpräsidentin Golda Meir und auch von der israelischen Öffentlichkeit.

In seinem Buch über den Anschlag auf Olympia ’72 rekonstruiert Matthias Dahlke die Ereignisse von München und Zagreb unter besonderer Berücksichtigung des staatlichen Handelns in der Bundesrepublik. Er zeigt eindrücklich, dass das Versagen der Behörden bei der Geiselbefreiung überwiegend auf ungeklärte Kompetenzen im Bund-Länder-Gefüge bzw. auf einen ausgeprägten Dilettantismus in den Reihen der bayerischen Landespolizei zurückzuführen war. Allein die Gründung der GSG 9, die noch 1972 in Angriff genommen wurde und die einige Jahre später die spektakuläre Befreiung der nach Mogadischu entführten Lufthansa-Maschine „Landshut“ ermöglichte, sei als angemessene langfristige Reaktion auf die Ereignisse von München zu werten. Ansonsten sei der „Lerneffekt“ für alle staatlichen Instanzen eher gering gewesen. Die Dimensionen der terroristischen Bedrohung für die Sicherheit der Bundesrepublik seien von der Bundesregierung unter Willy Brandt nachhaltig unterschätzt worden. Anders als seine US-amerikanischen Amtskollegen habe Brandt es infolgedessen auch versäumt, adäquate Maßnahmen in der Innen- und Außenpolitik zu ergreifen.

Neben den Reaktionen der Bundesregierung analysiert Dahlke auch einzelne Maßnahmen im Bereich der inneren Sicherheit auf Landesebene, die Folgen für die Außenpolitik der Bundesregierung sowie die Wahrnehmung der Ereignisse in der Öffentlichkeit. Er schließt mit der Einschätzung, dass die Tragweite des Anschlags aufgrund verschiedener Umstände massiv unterschätzt und eine entscheidende Weiche auf dem Weg der Terrorismusbekämpfung gerade nicht gestellt worden sei. Insgesamt habe man eine „nahezu bedingungslose Kompromissbereitschaft gegenüber den Terroristen und eine geradezu forcierte Haltung des Aussitzens“ (S. 106) an den Tag gelegt, was zu den genannten Konflikten zwischen der Bundesrepublik und Israel geführt habe.

Zu den überraschenden Ergebnissen der Arbeit zählt die Einsicht, dass die Effizienz der Terrorbekämpfung schon dadurch beeinträchtigt wurde, dass es in den frühen 1970er-Jahren noch keine einheitliche Sprachregelung gab, mit der man sich über die Bedrohung des internationalen Terrorismus hätte verständigen können: „Selbst die Bezeichnung der Terroristen als solche war zögerlich, meistens wurden sie als Revolutionäre, Desperados, Fedajin oder einfach als Palästinenser oder Araber bezeichnet. Dies belegt eindrucksvoll die Rundfunkmeldung vom 6. September 1972 um 0:00 Uhr, die bei knapp drei Minuten Länge nicht einmal das Wort ‚Terrorist’ erwähnt.“ (S. 107)

Im Rahmen seiner Arbeit, die als Magisterarbeit vom Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin angenommen und dort mit dem Droysen-Preis ausgezeichnet wurde, hat Dahlke zahlreiche Akten aus verschiedenen Archiven ausgewertet und somit einen ersten Beitrag zur Erforschung der Ereignisse geleistet, über die es bislang frappierend wenige historische Arbeiten gibt. Bezüglich der Ereignisse selbst bleiben keine Fragen offen, und auch die Analyse und Deutung des Gesamtgeschehens ist solide und überzeugend, so dass künftige Forschungen stets auf Dahlkes Buch zurückgreifen können.

Kritisch anzumerken ist allenfalls, dass sich der Autor sehr stark auf eine klassische politische Geschichte sowie das Handeln staatlicher Akteure beschränkt und beispielsweise die sehr prägnante Bildsprache des Anschlags von München keiner weiteren Analyse unterzieht. Ebenso wenig beschäftigt er sich mit der medialen Rezeption, die als Baustein einer Mediengeschichte des Terrorismus der 1970er-Jahre von großem Interesse wäre.2 Andererseits hätte eine solche Erweiterung vermutlich den Rahmen einer Magisterarbeit gesprengt bzw. eine ganz andere methodische Herangehensweise erfordert. In jedem Fall ist Dahlkes Buch eine Bereicherung für die Terrorismusforschung und auch für die historische Forschung zur Bundesrepublik der Ära Brandt, in der nach den Erkenntnissen des Autors eine tiefe Verunsicherung um sich griff – eine Verunsicherung, zu der nicht zuletzt der „Olympia-Schock“ (S. 114) das Seine beitrug.

Anmerkungen:
1 Siehe dazu meinen Beitrag: Eine historische Fiktion, keine fiktive Historie. Spielberg stellt in „München“ Fragen, die keiner beantworten kann, online unter URL: <http://www.zeitgeschichte-online.de/portals/_rainbow/documents/pdf/vowinckel_muenchen.pdf>, und die Presseschau unter: <http://www.zeitgeschichte-online.de/Portals/_rainbow/documents/pdf/presse_muenchen.pdf>.
2 Zur medialen Dimension finden sich jetzt etliche Aufsätze bei: Kraushaar, Wolfgang (Hrsg.), Die RAF und der linke Terrorismus, Bd. 2, Hamburg 2006, und bei: Weinhauer, Klaus; Requate, Jörg; Haupt, Heinz-Gerhard (Hrsg.), Terrorismus in der Bundesrepublik. Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren, Frankfurt am Main 2006.

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