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Titel
Wege zur Erinnerung. Gedenkstätten und -orte für die Opfer des Nationalsozialismus in Berlin und Brandenburg


Autor(en)
Endlich, Stefanie
Erschienen
Berlin 2006: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
597 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexandra Klei, Berlin

In den letzten Jahren standen vor allem einzelne Gedenkstätten oder Denkmäler im Zentrum wissenschaftlicher Diskussionen und Publikationen, besonders das Berliner „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“.1 Stefanie Endlichs neue Veröffentlichung dokumentiert hingegen alle vorhandenen Berliner und eine kleine Auswahl Brandenburger Erinnerungsstätten für Opfer des Nationalsozialismus. Dies ist weiter gefasst, als es die Bezeichnung zunächst vermuten lässt: Gemeint ist die Erinnerung sowohl an verfolgte und ermordete Personen(gruppen) als auch an diejenigen, die Widerstand leisteten oder NS-Verfolgten halfen. Einbezogen sind darüber hinaus „Orte und Institutionen, in denen NS-Verbrechen geplant und bürokratisch abgewickelt wurden“ (S. 9). Die Grundlagen des Buches bildeten eine zuerst 1995 veröffentlichte Dokumentation von Gedenkzeichen2 sowie die von Stefanie Endlich verfassten Kapitel zu Berlin und Brandenburg des von der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Bands „Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus“.3 Die erneute Überarbeitung erscheint schon deshalb sinnvoll, weil besonders im Kontext der Gedenkjahre 2000 und 2005 zahlreiche weitere Erinnerungszeichen eingeweiht wurden. Mit dem neuen Buch ist zumindest für die Stadt Berlin eine „nahezu vollständige“ (S. 10) und aktuelle Übersicht entstanden – eine akribische Recherche, die wohl nur Stefanie Endlich dank ihrer langjährigen Erfahrungen und Kontakte so zu leisten vermochte.

Das Buch, das auch bei der Berliner Landeszentrale für politische Bildungsarbeit erhältlich ist, gliedert sich in vier inhaltliche Schwerpunkte. Dem Hauptteil vorangestellt ist eine Einführung, die sich – ausgehend von Überlegungen zur Kennzeichnung, Bedeutung und Lesbarkeit des historischen oder „Ereignis-Orts“ (S. 15) – Berlin in der Zeit des Nationalsozialismus sowie den wesentlichen Entwicklungen und Schlagworten der Erinnerungskulturen in Ost und West nach 1945 widmet. Das Einbeziehen von Entstehungszeitpunkten und Diskussionen um die Errichtung einiger markanter Denkmäler und Gedenkstätten vermittelt dabei Tendenzen der Gestaltung von Gedenkorten. Ein besonderes Augenmerk liegt auf deren Entstehung, d.h. auf dem Umgang mit den historischen Orten. Der Anspruch der kurzen Einführung ist es nicht, eine Gesamtanalyse des West- und Ost-Berliner Umgangs mit der NS-Zeit zu liefern, aber die Hinweise ermöglichen es, die in der Dokumentation vorgestellten Gedenkzeichen in einen zeitlichen und politischen Kontext einzuordnen.

Den Hauptteil bildet die Dokumentation für Berlin. Sie gliedert sich alphabetisch in die zwölf heutigen Stadtbezirke. Sofern vorhanden, werden zunächst jeweils die „aktiven“ Gedenkstätten vorgestellt, d.h. solche, die über Personal verfügen und pädagogische Angebote machen. Dies erfolgt in fünf Schritten: Geschichte des Ortes während der NS-Zeit, Entstehungsgeschichte des Gedenkortes, Beschreibung seines heutigen Zustandes mit möglicherweise noch vorhandenen baulichen Relikten, Vorstellung der pädagogischen Nutzungsmöglichkeiten sowie eine Literaturliste. Daran schließen sich zusammenhängende, thematische Darstellungen lokaler Ereignisse und ihrer Orte an – zum Beispiel zur Deportation der jüdischen Bewohner(innen), zu Widerstandsaktionen, zur Entstehung von KZ- und Zwangsarbeiter(innen)lagern oder zu Folterstätten der SA und Gestapo. Einen dritten Komplex bilden dann die ebenfalls alphabetisch geordneten Gedenktafeln für Einzelpersonen.

In allen drei Kategorien gibt es Querverweise zu anderen, thematisch verwandten historischen Ereignissen, Erinnerungsstätten oder -orten. Vereinzelt finden sich kurze Anmerkungen zur Sichtbarkeit, d.h. zur potenziellen Wirkung des Erinnerungszeichens in den städtischen Raum hinein. Dies ist ein Aspekt gestalteter Erinnerung, dem man mehr Aufmerksamkeit gewünscht hätte. Die Gegenüberstellung von zum Teil komplexen historischen Abläufen oder Biographien mit der Auswahl von markierten Orten und Gedenktafeltexten gibt dann erste Hinweise zu einer möglichen Diskrepanz zwischen stattgefundenem und erinnertem Ereignis. Abschließend werden jeweils die zum Teil sehr umfangreiche Literatur und die Adressen sowie Öffnungszeiten der lokalen Ausstellungen aufgeführt.

Der dritte Teil des Bandes folgt im Wesentlichen diesem Vorgehen. Ausgewählt wurden hier sieben Orte in Brandenburg. Für Oranienburg (Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen sowie Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten) und Brandenburg (Dokumentationsstelle Zuchthaus Brandenburg und „Euthanasie“-Gedenkstätte Brandenburg) werden die zentralen Gedenkstätten ausführlich vorgestellt und weitere städtische Gedenkorte erwähnt. Die anderen fünf Gedenkstätten – Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück (Fürstenberg), das „Museum des Todesmarsches“ im Belower Wald, die Dokumentationsstätte KZ-Außenlager Lieberose (Jamlitz) sowie die Gedenkstätte und Geschichtspark KZ-Außenlager Falkensee – sind umfangreich in ihrer Geschichte und Funktion erläutert.

Eine kommentierte Literaturübersicht mit einer Auswahl neuerer Veröffentlichungen zu Fragen einer Pädagogik in Gedenkstätten stellt zu Beginn des vierten Teils Wolf Kaiser vor, der Leiter der Pädagogischen Abteilung der Gedenk- und Bildungsstätte „Haus der Wannsee-Konferenz“. Eine dreiteiliges Register – ein Orts- und Straßenregister zu Berlin bzw. Brandenburg, ein Namensregister zur NS-Zeit und ein Namensregister zu Künstlern/Architekten/Gestaltern – vervollständigt den Band und ermöglicht eine gezielte Suche.

Die umfangreiche und vielschichtige Dokumentation gestattet es zum einen, eine ganze Bandbreite von Möglichkeiten gestalteter Erinnerung kennenzulernen. Zum anderen können die zum Teil sehr ausführlichen historischen Ausführungen und die zahlreichen Querverweise zu einzelnen Personen, politischen Gruppen oder ausgewählten Plätzen und Gebäuden dazu verhelfen, unterschiedliche, ineinandergreifende, parallel oder konträr verlaufende Ereignisse lokaler Geschichte zu begreifen. Die Dokumentation richtet sich dabei „insbesondere an Pädagoginnen und Pädagogen, die [...] Bildungs- und Vermittlungsarbeit zum Thema NS-Geschichte und Erinnerungskultur leisten“ (S. 9). Für ein darüber hinausgehendes wissenschaftliches Interesse ist der Band eine fundierte Grundlage und beinhaltet ausreichend Material, um eigene, weitergehende und analysierende Forschungsfragen zu entwickeln. So könnte nach den Unterschieden und Gemeinsamkeiten in der Auswahl und Entwicklung von Gedenkorten in Ost- und West-Berlin gefragt werden, nach dem Verhältnis von historischem Ereignis und Inhalt sowie den Mitteln seiner Darstellung oder nach den Phasen des Umgangs mit historischen Orten. Zu untersuchen wäre auch, welche künstlerischen Formen sich jeweils durchsetzen konnten.

Etwas bedauerlich ist, dass die Gedenkzeichen in Brandenburg nicht ähnlich vollständig erfasst wurden. Die Auswahl konzentriert sich mehrheitlich auf diejenigen Erinnerungsorte und Gedenkzeichen, die durch ihre Geschichte und Bedeutung bereits eine gewisse Aufmerksamkeit besitzen. Wünschenswert wäre es daher, die Dokumentation für Brandenburg noch zu vertiefen4 und auch die von der Bundeszentrale 1995/99 veröffentlichten Kapitel zu den anderen Bundesländern zu aktualisieren. Dies würde allerdings eine ungeheure Fleißarbeit erfordern, die nur von einem Team zu leisten wäre – und zum Zweck leichterer Aktualisierung auch im Internet zu veröffentlichen wäre.

Anmerkungen:
1 Ein Überblick zu Veröffentlichungen, besonders bezogen auf das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, findet sich unter: <http://www.zeitgeschichte-online.de/site/40208443/default.aspx>. Verschiedene europäische Gedenkorte werden vorgestellt in: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas; Schlusche, Günter (Hrsg.), Architektur der Erinnerung. NS-Verbrechen in der europäischen Gedenkkultur, Berlin 2006.
2 Endlich, Stefanie; Lutz, Thomas, Gedenken und Lernen am historischen Ort. Ein Wegweiser zu Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus in Berlin, hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, 3., durchgesehene und korrigierte Aufl. Berlin 1999.
3 Endlich, Stefanie u.a., Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation, Bd. 2, hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1999 (2003 zusammen mit Bd. 1 auch als CD-ROM erschienen).
4 Siehe als Spurensuche ohne enzyklopädischen Anspruch auch: Scheer, Regina, Der Umgang mit den Denkmälern. Eine Recherche in Brandenburg, hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung, Potsdam 2003.

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