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Titel
Spying on Science. Western Intelligence in Divided Germany 1945-1961


Autor(en)
Maddrell, Paul
Erschienen
Anzahl Seiten
330 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Stöver, Historisches Institut, Universität Potsdam

Der Kalte Krieg war eine umfassende Angelegenheit. Bereits vor seinem offiziellen Start mit den gegenseitigen „Kriegserklärungen“ 1947 bereiteten sich die USA wie die UdSSR auf diesen Konflikt vor. Die geostrategische Sicherung von Räumen wurde 1944/45 von Maßnahmen zur Sicherung von technischen, wissenschaftlichen, aber auch personellen Ressourcen begleitet. Eines der bemerkenswertesten Phänomene der Endphase des Zweiten Weltkriegs war wohl, dass sowohl die Amerikaner als auch die Sowjets im Hinblick auf die möglicherweise nah bevorstehende Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Noch-Verbündeten begannen, nicht nur Interessenssphären abzustecken, sondern auch nach Technik, Spezialisten und militärisch oder politisch nutzbarem Wissen zu fahnden. Die Hintergründe dieser bis heute noch bei weitem nicht vollständig erforschten Geschichte aus dem Kalten Krieg zu erhellen, hat sich die 2006 vorgelegte Dissertation von Paul Maddrell „Spying on Science, Western Intelligence in Divided Germany 1945-1961“ vorgenommen. Der Autor arbeitet als Lecturer in International Politics an der University of Wales in Aberystwyth und hat in den letzten Jahren auch zahlreiche Aufsätze zum Thema in deutscher und englischer Sprache vorgelegt.

Die Forschung hat bereits herausgearbeitet, dass vor allem die Amerikaner bei der Vorbereitung auf den Konflikt mit der UdSSR vor einem besonderen Problem standen, weil sie 1945 ihren nur wenige Jahre zuvor entstandenen Geheimdienst OSS (Office of Strategic Studies) weitgehend aufgelöst hatten. Truman machte damals nicht zuletzt moralische Bedenken geltend. Die Gründung eines neuen Geheimdienstes, der CIA, 1947, war daher auch der Versuch, vor dem Hintergrund der als tendenziell „total“ verstandenen globalen Herausforderung diesen Fehler möglichst rasch zu beheben. Das Wissen über den neuen Gegner, aber auch über das nun sowjetisch kontrollierte Ostmitteleuropa, blieb trotzdem zunächst spärlich. Jahrelang hatten die amerikanischen und ebenso die britischen Stellen vor allem über die Deutschen Informationen gesammelt, während die sowjetischen Verbündeten nur wenig beachtet worden waren. Als man nun zunächst auf deutsche Informationen zurückgriff, die vor allem Reinhard Gehlen 1945 lieferte, waren auch diese nicht immer zuverlässig. Sie förderten aber intensiv die westlichen Sorgen vor einem – nicht zuletzt auch in der Geheimdienstarbeit – übermächtigen Gegner im Osten. Die Sowjets waren im Gegensatz zu den Amerikanern „alte Hasen“ im Spionage- und Abwehrgeschäft. Ihr Geheimdienst bestand damals seit fast dreißig Jahren unter verschiedenen Namen. Er war bereits in der Formationsphase des Kalten Krieges 1946 für die neuen Aufgaben umstrukturiert und schließlich 1954 zum „Komitee für Staatssicherheit“ (KGB) umorganisiert worden. Anders als westliche Dienste war das KGB, wie die nach seinem Vorbild aufgebauten Organisationen in den „Bruderstaaten“, nicht nur für Spionage, Gegenspionage und Abwehr, sondern auch für politische Strafsachen und vor allem für die innerstaatliche Überwachung der eigenen Bevölkerung zuständig. Mit dem Ende der Sowjetunion wurde 1991 auch das KGB aufgelöst. Parallel dazu bestanden in der UdSSR ebenfalls weitere Dienste, von denen für die Frühzeit des Kalten Krieges zum Beispiel das „Informationskomitee beim Ministerrat“ (KI) kurzzeitig bedeutsam wurde. Als armeeeigene Einrichtung blieb die 1918 gegründete „Hauptverwaltung Aufklärung“ (GRU) als Auslandsnachrichtendienst im Kalten Krieg bestehen. Ihre Schwerpunkte lagen in den USA und Westeuropa. Dort gelangen ihr zum Teil spektakuläre Erfolge.

Auch Maddrells Untersuchung beginnt an dieser Stelle, bei den Bemühungen beider Seiten im besetzten Deutschland möglichst viele Informationen zu erfassen, möglichst viele technische Innovationen sicherzustellen und, wo dies nicht möglich war, zumindest dem Gegner den Zugriff und damit eine bessere Ausgangsposition im Konflikt zu erschweren. Eine erste amerikanische Operation, die den Namen Overcast, dann Paperclip erhielt, ist in weiten Teilen erforscht. Weniger bekannt sind die nachfolgenden Operationen, die zum Beispiel als Project 63, Matchbox oder Top Hat in den Akten vermerkt wurden. Matchbox war etwa der Versuch, deutsche Techniker aus dem Zugriffsbereich der sowjetischen Behörden zu ziehen und in die Westzonen zu bringen. Sie sollten eben nicht nur den eigenen Bereich stärken, sondern den gegnerischen schwächen. Flankiert wurde dies von strategischen Embargos und Wirtschaftskrieg, wie Maddrell ausführlich darlegt.

Neue Erkenntnisse vermittelt die Untersuchung aber vor allem dort, wo sie zeigt, welche Quellen die Angloamerikaner nutzten, um „hinter dem Eisernen Vorhang“, hinter den die Sowjets rasch ihre besonders sicherheitsrelevanten Industrien verlagerten, auszukundschaften. Ausführlich wird gezeigt, welchen Nutzen zum Beispiel Flüchtlinge oder Überläufer aus den sowjetischen Satellitenstaaten, gerade auch aus der DDR, hatten. Besonders aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang das vierte Kapitel, in dem Maddrell ausführlich die Rückkehr und Befragung der deutschen Kriegsgefangenen aus der UdSSR untersucht. Tatsächlich ist der Anteil, den diese bei der geheimdienstlichen Aufklärung über den Gegner im Kalten Krieg einnahmen, bislang nur wenig berücksichtigt worden. Maddrell kann belegen, dass mit Befragungen, wie sie unter anderem unter dem Codenamen Wringer liefen, wesentliche Informationen über das sowjetischen Nuklearwaffen- und Aufrüstungsprogramm in den Westen gelangten. Riesige Anlagen wie die „geheime Stadt“ Tscheljabinsk-40 (später -65) bei Kyschtym waren ab 1946 durch Häftlinge aus dem Boden gestampft worden, und daran waren eben nicht zuletzt die deutschen Kriegsgefangenen beteiligt gewesen. Auch neu geschaffene Flugplätze gehörten damals zu den Geheimnissen, an denen der Westen massiv interessiert war und die vor der Erfindung der in großer Höhe fliegenden Spionageflugzeugen und -satelliten seit Mitte der 1950er-Jahre nur mit enormem Risiko für Spione ausgekundschaftet werden konnten. Nachdem die Kriegsgefangenen zurückgekehrt waren, gaben Überläufer aus dem sowjetischen Machtbereich die Informationen.

Inwieweit die immer mehr perfektionierte Abschottung des Ostblocks und schließlich der Bau der Mauer 1961 das Auskundschaften behinderte, ist das Thema des letzten Kapitels. Ausführlich geht Maddrell auf die Vorgeschichte des Mauerbaus ein, die langwierige Entscheidung Chruschtschows, das Drängeln Ulbrichts und die zurückhaltende Reaktion des Westens, als die Mauer schließlich stand. Aus geheimdienstlicher Perspektive war die Abriegelung zunächst vor allem ein Problem, die bisherige persönliche Kommunikation mit Kurieren etc. aufrechtzuerhalten. Agenten wurden in den ersten Jahren nach 1961 signifikant häufiger verhaftet. Zu Recht weist aber auch Maddrell darauf hin, dass der Mauerbau zwar vieles war, eines jedoch nicht: eine Verhinderung der Kommunikation. So wie Fernsehen und Radio nicht durch eine Mauer verhindert werden konnten, waren die Informationen, die Spione auf die jeweils andere Seite sendeten, nicht durch eine Mauer aufzuhalten.

Maddrell bietet ein hochinformatives Buch, das nicht nur viele neue und zum Teil überraschende Details verrät, sondern noch einmal deutlich die Erkenntnis unterstreicht, dass der Kalte Krieg eine umfassende Angelegenheit war, die mit vollem Einsatz gespielt wurde.

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