B. Wolbring: Neuere Geschichte studieren

Titel
Neuere Geschichte studieren.


Autor(en)
Wolbring, Barbara
Reihe
UTB basics
Erschienen
Stuttgart 2006: UTB
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
€ 17,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Barbara Vogel, Arbeitsbereich Deutsche Geschichte, Historisches Seminar

Von einem Mangel an Einführungen in das Geschichtsstudium kann gewiss keine Rede mehr sein. Offenbar entspricht es dem Genre, regelmäßig neue Angebote auf den Markt zu schicken. Dem Aktualitätsbedürfnis bei immer neuen Studenten/innengenerationen wird dadurch womöglich entsprochen. Allerdings droht auch Unübersichtlichkeit. Denn die verschiedenen Einführungen setzen ihre je eigenen Akzente, so dass eine Vergleichbarkeit schwieriger wird. Höchste Aktualität beansprucht gegenwärtig die Umstellung auf die neuen Bachelor-Master-Studiengänge; für diese einschneidende Studienreform und ihre Auswirkungen auf das zukünftige Geschichtsstudium kommt Barbara Wolbrings Buch jedoch zu früh.

Die Reihe UTB basics versteht sich als „Studienbegleiter im Haupt- und Nebenfach“; demgegenüber spricht die vorliegende Einführung ausdrücklich Anfänger/innen im Geschichtsstudium an. Doch vermittelt Barbara Wolbring über die Einstiegsorientierung hinaus auch Basiskompetenzen für den gesamten Studienverlauf: Das Buch ist übersichtlich in sechs Kapitel gegliedert, die sich von den Lernzielen im Grundstudium leiten lassen: Was heißt studieren; was ist Geschichtswissenschaft; ein ausführliches, gründlich informierendes Kapitel über Quellen als Grundlage historischer Erkenntnis; über wissenschaftliche Literatur und wissenschaftlichen Diskurs; Informationen aus dem Internet; wissenschaftliches Arbeiten der Studierenden selbst. Das vorgegebene Design von UTB basics mit seinen Kontrollfragen, den Grafiken und Abbildungen, Worterklärungen und Informationskästen unterstützt im Großen und Ganzen diese Lernziele, wirkt manchmal allerdings etwas beliebig. Personen- und Sachregister erleichtern eine gezielte Lektüre. In allen Kapiteln finden sich zahlreiche nützliche Tipps für den studentischen Arbeitsalltag, außerdem anspruchsvolle Beobachtungen zu Arbeitsweisen und Erkenntnismöglichkeiten der Historie.

Auch wenn es nicht um eine inhaltliche Einführung in die Geschichte der Neuzeit geht, liegt eine konzeptionelle Schwäche darin, dass Neuere Geschichte nicht einmal ansatzweise in das Gesamtfach eingeordnet und arg selektiv verstanden wird. „Neuere Geschichte“ heißt hier deutsche Geschichte und zwar des 19. und 20. Jahrhunderts. Diese rigorose Beschränkung auf deutsche Geschichte steht im Kontrast zu den aktuellen Entwicklungstendenzen in der Geschichtswissenschaft. Ohne transnationale Perspektiven und Fragestellungen sollte Neuere deutsche Geschichte heute nicht mehr studiert werden.

Anhaltspunkte für die Bewertung einer fachwissenschaftlichen Propädeutik ergeben sich zum einen aus der Fülle relevanter Informationen, ihrer Validität und Zuverlässigkeit, zum anderen aus der Klarheit der Ausführungen und der Nachvollziehbarkeit angeführter Beispiele und schließlich aus der Anleitung zu eigenem Nachdenken. Gemessen an diesen Kriterien hinterlässt Barbara Wolbrings Buch einen etwas zwiespältigen Eindruck. Anzuerkennen ist, dass in großer Vollständigkeit alles drin ist, was an praktischer Handreichung und theoretischer Reflexion hinein gehört: Historische Methoden, unterschiedliche Herangehensweisen in der Politik-, Sozial- und Kulturgeschichte, Quellenkunde und der Aussagewert der verschiedenen Quellengattungen, Historische Hilfswissenschaften, Bibliografieren, Zitierkonventionen, Umgang mit der Fachliteratur und schließlich Formen wissenschaftlichen Arbeitens. In der praktischen Anleitung überwiegen die Vorteile, ob bei der Bekanntmachung mit dem ungewohnten Arbeitsort Universität (Kap. 1), bei den Ratschlägen für die Anfertigung von Hausarbeiten und Referaten (Kap. 6) oder den Empfehlungen für die allmähliche Anschaffung einer Handbibliothek (Kap.4).

Besonders hervorzuheben ist die Kompetenz, mit der Barbara Wolbring in die Benutzung des neuen Mediums Internet einführt (Kap. 4). Dieses 26seitige Kapitel wird sich zum unverzichtbaren Ratgeber für Studierende (und viele Lehrende) entwickeln. Die Informationsmöglichkeiten aus dem World Wide Web werden ausführlich erläutert und kritisch gewürdigt, so dass die schier unerschöpfliche Datenfülle, die fachwissenschaftlichen Portale und Mailinglisten mit Findungsfreude und kritischem Sachverstand benutzt werden können – einschließlich der nur allzu berechtigten „Warnung“ vor „Wikipedia“.

Daneben aber gibt es auch unzuverlässige Aussagen, Flüchtigkeitsfehler und Reden in Andeutungen. Unbefriedigend erscheint insbesondere das zweite Kapitel, in dem die Wissenschaftlichkeit der Geschichte Thema ist. Hier bleibt trotz oder wegen der verschiedenen zitierten Worte kluger Historiker/innen unklar, was denn nun Geschichte sein soll. Soll Geschichte tatsächlich für „die vom Historiker, vom Wissenschaftler erfolgende Betrachtung der Vergangenheit“ (S. 41, 47) reserviert sein? Begründet sich Geschichte tatsächlich als „Verbindungslinie zwischen [der] Vergangenheit und der eigenen Gegenwart“ (S. 44)? Erkenntnistheoretisch lässt sich Geschichte gewiss nicht durch die Exklusion der Vor- und Frühgeschichte definieren (S. 43)? Die Problematisierungen sind ambitioniert, werden aber Studienanfänger/innen vermutlich ratlos zurücklassen. Der entschuldigend klingende Satz: „In diesem Kapitel werden mehr Fragen aufgeworfen als geklärt“ (S. 42), wirkt in einer Einführung deplatziert.

Dieser Darstellungsstil demonstriert Belesenheit, aber er bleibt in eklektischer Aufzählung stecken. Das zeigt sich auch an den vielen Namen großer Männer der Geschichtswissenschaft. Muss Chladenius vorkommen oder lassen sich dessen „Sehepunkte“ (S. 56) nicht auch in moderner Sprache erklären? Ist der Ausdruck „Meistererzählung“ (S. 56) tatsächlich schon, seiner geistreichen Polemik entkleidet, zu einem Fachterminus mutiert? In einer Einführung sind auch kleinere Unstimmigkeiten peinlich: „Hermeneutik“, „Analytik“ und „Dichotomie“ werden auf derselben Seite sowohl aus dem Griechischen hergeleitet als auch „lateinische Fachbegriffen“ genannt (S. 62). Im Abschnitt über „Kulturgeschichte“ findet sich tatsächlich die schon oft karikierte Subsumierung von Frauen unter „Randgruppen, Minderheiten und Ausgeschlossenen“ (S. 77).

Das erste Kapitel (S. 11-40) beginnt ermunternd mit elementaren Erläuterungen, von „Campus“ über „Numerus clausus“ bis „c. t.“. Hilfreich und charmant sind die Tipps, wie Lehrkörpermitglieder passend angeredet und angeschrieben werden (S. 16). Eher nostalgisch mutet es an, im Jahre 2006 die Anreden Spectabilis und Magnifizenz hervorzukramen. Die Warnung davor, dass ein Geschichtsstudium für Menschen, die nicht gern und ausdauernd lesen, nicht richtig gewählt ist, verdient allemal die nachdrückliche Betonung; ebenso der Hinweis auf die Wichtigkeit von Fremdsprachenkenntnissen. Nicht oder zu wenig berücksichtigt werden die Unwägbarkeiten des Föderalismus, der im Hochschulwesen unterschiedliche Studienstrukturen etabliert hat: Was in Frankfurt am Main und Hessen üblich sein mag, ist anderswo durchaus anders! Außerdem verwirrt die suggerierte Einheitlichkeit der Studiengänge und Abschlüsse, denn in allen Bundesländern und an allen Universitäten gibt es eigene Geschwindigkeiten und eigene Vorstellungen bei der Umstellung des Hochschulstudiums auf Bachelor-Master-Studiengänge, die übrigens zu beiläufig als baldige Realität erwähnt werden (S. 24f.). Das Staatsexamen gehört als Abschluss für angehende Lehrer/innen keineswegs überall der Vergangenheit an (S. 23). Witzigerweise wird über die „Emeriti und Pensionäre“ (S. 33f.) ausführlicher gehandelt als über „Professoren“. Letztere werden vornehmlich dadurch charakterisiert, dass sie „an der Spitze der universitären Hierarchie“ stehen und ein „zweites Buch“ geschrieben haben (S. 30f.). Die Abqualifizierung der Juniorprofessoren/innen, über die behauptet wird, sie dürften „im Normalfall“ keine Vorlesungen halten (S. 26) und seien „eigentlich […] noch keine Professoren“ (S. 31), steht nicht im Einklang mit dem Hochschulrecht. Irreführend ist die Formulierung, „in Hessen z. B. [ist] das Abitur als Zugangsvoraussetzung zur Universität abgeschafft“ (S. 17).

Nicht immer vorbildlich für ihre Studierenden ist Barbara Wolbring bei den eingestreuten Beispielen. Unzulässige Verallgemeinerung von Einzelbelegen führt sie vor, wenn aus einer Briefstelle oder einem gehäkelten schwarz-rot-goldenen Pompadour-Beutel des Jahres 1848 auf wachsenden Unmut der, das heißt aller, Frauen über ihre politische Unmündigkeit (S. 87) geschlossen wird. Auch die Beispiele, die den eigenen historischen Aussagewert von Bildquellen belegen sollen, Kaiser Wilhelm auf dem Totenbett (S. 103) und die Begrüßung zwischen dem alten Bismarck und dem jungen Wilhelm II. (S. 106), interpretiert sie mit Hilfe von schriftlichen Zeugnissen, so dass die Bilder eben doch nur zur Veranschaulichung der intendierten Inszenierung dienen.

Die meisten Kritikpunkte wären bei einer sorgfältigen Überarbeitung vermeidbar gewesen. Schade, denn die Anlage des Buches sowie die Absicht und der Erfahrungsschatz der Autorin sprächen für die Nützlichkeit dieser Einführung.

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