F. Bösch u.a. (Hgg.): Die Massen bewegen

Cover
Titel
Die Massen bewegen. Medien und Emotionen in der Moderne


Herausgeber
Bösch, Frank; Borutta, Manuel
Erschienen
Frankfurt am Main 2006: Campus Verlag
Anzahl Seiten
411 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ute Frevert, History Department, Yale University

Der Sammelband, der auf eine Bochumer Tagung zurückgeht, verknüpft zwei relativ neue Forschungsfelder: Mediengeschichte und Emotionsgeschichte. Medien sind, im Gefolge des linguistic und pictorial turn der letzten beiden Jahrzehnte, auch unter Historikern/innen zu beliebten Untersuchungsobjekten geworden. Vor allem die Massenmedien des 20. Jahrhunderts – Zeitungen, Radio, Film, TV und jetzt Internet – finden zunehmend Aufmerksamkeit: als Gegenstand sui generis, aber auch im Kontext breiterer Fragestellungen. Medien und Konsum, Medien und Politik, Medien als Vermittler sozialer Normen und Orientierungen – der Referenzrahmen scheint unbegrenzt und beliebig erweiterbar zu sein.

Das Thema „Medien und Emotionen“ liegt auf der Hand, wohl jedem fällt etwas dazu ein. Wer hat nicht mit Scarlett O’Hara geweint, bei der Buchlektüre oder vor der Leinwand? Wer kennt nicht die aufrüttelnde, elektrisierende Wirkung einer Fußballreportage, sei es im Radio oder Fernsehen? Wer hat nicht vom geschickten Gefühlsmanagement der NS-Propaganda gehört, die sich des Rundfunks als wichtigstem Verbreitungsmedium bemächtigte? Dass Medien nicht nur der Übertragung und Übersetzung nüchterner Botschaften dienen, sondern auch auf der Klaviatur der Gefühle spielen, gehört zum Alltagswissen.

Vielleicht gerade deshalb ist dieses Gebiet bislang nicht oder nur sehr selten zum Thema wissenschaftlicher Analysen geworden. Das Selbstverständliche wird, wie wir wissen, als letztes fragwürdig. Das gilt auch für die Gefühle selber. Erst seit kurzem interessiert sich die Geschichtswissenschaft für sie, nachdem Psychologen/innen ausführlich auf ihre Existenz, ihre Verbindung zur Kognition, ihren Ausdruck und ihre Herkunft aufmerksam gemacht haben. Auch Literaturwissenschaftler/innen haben sich dem Sujet zugewandt, ebenso wie Soziologen/innen und Anthropologen/innen. Die Vielfalt der disziplinären Zugänge hat entscheidend dazu beigetragen, den anfänglichen Streit zu entschärfen, ob Gefühle zur Natur oder zur Kultur gehören. Gefühle sind, so der derzeitige Konsens, nicht ohne kulturelle Kodierung zu denken, zu erfahren und zu erörtern.

Diese Kodierung wird, das ist die Ausgangsthese des Sammelbandes, im Wesentlichen durch Medien erreicht. „Die Geschichte der Gefühle“, schreiben die Herausgeber Frank Bösch und Manuel Borutta, „wurde in der Moderne maßgeblich durch Medien beeinflusst: Medien repräsentierten und erzeugten Emotionen, sie veränderten die Ausdrucksformen und Intensität von Gefühlen, und sie produzierten Diskurse über Emotionen.“ (S. 9) Diese These wird in insgesamt 18 Beiträgen ausgeführt und illustriert. Die beiden Herausgeber beginnen den Reigen mit einem Einleitungstext, der Definitionen vorgibt, den historiografischen Forschungsstand vorstellt und Leitfragen formuliert. Dazu gehört die kritische Wendung gegen die Modernisierungsthese, die von einer zunehmenden Kontrolle der Gefühle und Affekte ausgeht. Beteiligten sich die Massenmedien des 20. Jahrhunderts – und nur um sie geht es in dem Band – an diesem großangelegten Disziplinierungsprojekt, oder unterliefen sie es? Schufen sie nicht im Gegenteil ein „spezifisch modernes Spektrum emotionaler Ausdrucksmöglichkeiten“ (S. 21), das manche Gefühle privilegiert, andere eher dementiert? Eine zweite Leitfrage ist diejenige nach der Rolle medial vermittelter Emotionen für soziale Gemeinschaftsbildung, und eine dritte Perspektive nimmt die spezifischen Genreregeln medialer Formate in den Blick, die gezielt Erwartungen und Emotionen herstellen und hervorrufen.

Auf diese dritte Fragestellung beziehen sich die meisten Artikel. Wie bestimmte Medien zu angebbaren Zwecken Emotionen auslösten oder bekämpften, steht im Mittelpunkt. Die Palette der Beispiele reicht von den Radiosendungen, die 1994 den Genozid an der rwandischen Tutsi-Bevölkerung anstachelten (Karen Krüger), über Werner Höfers „Internationalen Frühschoppen“ (Nina Verheyen) bis zur deutschen und ungarischen Rundfunkberichterstattung über die Fußballweltmeisterschaft 1954 (Rudolf Oswald). Das Radio des Nationalsozialismus (Oliver Jungen) wird ebenso auf seine „erregenden“ Mechanismen geprüft wie dasjenige der frühen DDR (Christoph Classen) und der frühen Bundesrepublik (Michael Stolle). Auch der Film kommt nicht zu kurz: Frank Bösch untersucht, wie das Kino im 20. Jahrhundert den Krieg dargestellt hat und welche Emotionen dabei zugelassen wurden. Astrid Pohl geht den Kontinuitäten im deutschen Arztmelodram nach, und Annette Vowinckel analysiert, welche Emotionen die Filme über Flugzeugentführungen seit den 1970er-Jahren inszenierten. Unter den Printmedien werden vor allem Zeitungen betrachtet, mit besonderem Augenmerk auf bildlichen Darstellungen wie Karikaturen (Manuel Borutta) und Fotografien (Habbo Knoch). Daniel Siemens erörtert den emotionalisierenden Effekt von Gerichtsreportagen der Zwischenkriegszeit, und Jan C. Behrends untersucht den gefühlstrunkenen „Propagandadiskurs“ (was immer das ist) im Stalinismus, ohne allerdings den je spezifischen Beitrag der beteiligten Medien – Zeitungen, Rundfunk, Transparente, Poster etc. – zu würdigen.

Wie bei Sammelbänden üblich, halten sich längst nicht alle Beiträger an die vorgegebenen Leitfragen. Auch die verschiedenen im konzeptionell-theoretischen Teil ausgebreiteten Zugänge spielen im Weiteren keine Rolle mehr. Was die Philosophin Christiane Voss, überaus anregend, zu den narrativen Strukturen von Emotionen zu sagen hat, wird in den „empirischen“ Texten nicht aufgenommen. Ebenso unverbunden im Raume stehen bleibt der Beitrag des Filmwissenschaftlers Hermann Kappelhoff. Er endet mit der ebenso provokanten wie sprachlich verunglückten Überlegung, dass „die Geschichte des Gefühls eine Geschichte der Wechselbeziehung von medientechnischen Konfigurationen, poetischen Verfahren, ästhetischen Praktiken und performativen Szenarien [sei], die gleichermaßen die Artefakte des ‚Gefühls’ generieren und zirkulieren lassen“ (S. 115). Was würde aus einer solchen These folgen, und wie ließe sie sich operationalisieren? Und welchen Status weist sie jenen Kontexten zu, die sich außerhalb von Medien, Poesie, Ästhetik und Performanz etablieren?

Die Herausgeber halten sich mit solchen Nachfragen sorgsam zurück. In ihrem vorweggenommenen Fazit (S. 41) betonen sie stattdessen das „breite Spektrum emotionaler Wirkungen von Medien“, das „von Gleichgültigkeit bis zu starker Erregung“ reichte. „Die in den Medien gezeigten Gefühle waren ebenso vielfältig wie die zeitgenössischen Diagnosen der Wechselwirkung von Medien und Emotionen“ – eine nicht gerade überraschende Konklusion. Der „Blick auf die Geschichte“, heißt es weiter, „belegt die Historizität von Medien und Emotionen“ – auch das war erwartbar. Woran die Geschichtlichkeit der Emotionen gebunden ist, bleibt ebenso unausgeführt wie die Rolle, die einzelne Medien dank ihrer je besonderen Ausdrucksmöglichkeiten bei der offenbar wechselnden kulturellen und sozialen Kodierung von Gefühlen spielen.

Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die zahlreichen Fallstudien ihren gemeinsamen Ziel- und Bezugspunkt nicht so sehr in einer Geschichte der Emotionen finden als in einer „emotionshistorischen Erweiterung der Mediengeschichte“ (S. 23). Sie vermitteln vornehmlich Einblicke in die Art und Weise, wie Medien mithilfe von Emotionen Botschaften verbreiten und Wirkungen anpeilen. Emotionen haben hier den Status von Kommunikationsträgern und -verstärkern. Für ihre Theorie und Geschichte ist das nicht unwichtig, aber doch nur eine Perspektive unter anderen. Diese Perspektive für das 20. Jahrhundert breit ausgeleuchtet und facettenreich zerlegt zu haben ist das Verdienst des Bandes.

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