M. do Mar Castro Varela u.a. (Hrsg.): Postkoloniale Theorie

Cover
Titel
Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung


Herausgeber
do Mar Castro Varela, María; Dhawan, Nikita
Reihe
Cultural Studies 12
Anzahl Seiten
162 S.
Preis
16,80 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Elberfeld, Schule für historische Forschung, Universität Bielefeld

In den letzten Jahren erfuhren postkoloniale Theorieansätze auch innerhalb der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft, allen voran im Bereich der transnationalen Kulturgeschichte, eine breite Resonanz. 1 Nichtsdestotrotz sind derartige Ansätze weder überall bekannt, noch unumstritten, wie die Kritik Hans-Ulrich Wehlers vor einigen Wochen belegt. 2 Umso mehr ist zu begrüßen, dass mit dem vorliegenden Buch von Maria do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan endlich auf Deutsch und für den Kontext der deutschsprachigen Kulturwissenschaften eine Einführung in die postkoloniale Theorie vorliegt.

Den beiden Autorinnen ist an einer „kritischen Einführung“ gelegen, weshalb die postkolonialen Theorien gewissermaßen auf sich selbst angewandt werden: Die Darstellung der zentralen theoretischen Konzepte wird umrahmt von einer Verortung des jeweiligen Wissens sowohl in der Entwicklung des (Post)Kolonialismus, als auch in den individuellen Erfahrungen der AutorInnen. Außerdem werden die zum Teil heftig geführten Debatten um die vorgestellten Konzepte skizziert, um so der Heterogenität und den Differenzen innerhalb des Feldes postkolonialer Theorie gerecht zu werden. Quer durch die Einführung zieht sich zudem eine Konzentration auf Fragen der Repräsentation, die Castro Varela und Dhawan als Kern des Postkolonialismus ausgemacht haben. Im Mittelpunkt der Einführung steht die „holy trinity“ des Postkolonialismus: Edward Said, Gayatri Chakravorty Spivak und Homi K. Bhabha.

Edward Saids „Orientalism“ aus dem Jahr 1978 gilt als das Gründungsdokument postkolonialer Theorie. Es regte nicht nur zu einer Vielzahl weiterer Studien an, sondern trat zudem eine erbitterte Diskussion los, die über den Tod Saids 2003 hinaus weiter anhält. Castro Varela/Dhawan charakterisieren Orientalismus als Konzept wie folgt: „Mit Hilfe der Foucault’schen Diskursanalyse zeichnet Said nach, wie der koloniale Diskurs die kolonisierten Subjekte und Kolonisatoren gleichermaßen produziert hat und wie der Orient durch die ‚Orientexperten’, die vorgaben den Orient zu kennen, erst hergestellt wurde. Darüber hinaus arbeitet er überzeugend heraus, wie der Diskurs dazu instrumentalisiert wurde, die europäische Kolonialherrschaft auf- und auszubauen.“ (S. 30) In den europäischen Wahrnehmungen und Beschreibungen „des Orients“ sah Said immer auch den Versuch, „den Orient“ als das Andere Europas zu konstruieren. Zwischen „Orient“ und „Okzident“ entstand so eine ontologische und epistemologische Differenz. Eine entscheidende Rolle spiele hierbei für Said die Kultur: Wissenschaft, Bildungssystem etc. wurden nicht nur instrumentalisiert oder zur Legitimation kolonialer Herrschaft herangezogen. Koloniale Herrschaft konnte sich für Said erst vor dem Hintergrund des Orientalismus-Diskurses konstituieren und entwickeln. Eben „Kultur als Imperialismus“ (S. 49)!

Der Kritik an Said und seinem Werk widmen die Autorinnen ein eigenes Kapitel, in dem die wichtigsten Einwände in fünf Problematisierungen zusammen gefasst werden, die teilweise auch in den Arbeiten Spivaks und Bhabhas Berücksichtigung finden. Unter anderem weisen Castro Varela und Dhawan auf einige Inkohärenzen in Saids Theorie-Gerüst hin: Während er einerseits mit Foucault argumentierend den „Orient“ als Produkt des Orientalismus-Diskurses analysiert, spricht er andererseits an vielen Stellen von einem „realen Orient“ hinter dem ideologischen Konstrukt des Orientalismus. Diese Art von Widersprüchlichkeit scheint auf Saids Verbindung von einer marxistischen, stark von Gramscis Hegemonie-Modell beeinflussten Literaturwissenschaft mit einer Diskursanalyse à la Foucault zu beruhen. Während erstere die „herrschende Ideologie“ bloßzulegen versucht, geht es letzterer um das Aufzeigen der produktiven Effekte von Diskursen.

Im Gegensatz zu Said versucht Gayatri C. Spivak den Blick stärker auf die Widersprüchlichkeiten im (Post)Kolonialismus zu richten, etwa indem sie die antikolonialen Befreiungsbewegungen in Indien ob ihrer nationalistisch-bürgerlich-männlichen Aspekte kritisiert. Auf theoretischer Ebene üben drei Ansätze Einfluss auf sie aus: Mit Hilfe dekonstruktiver Strategien im Sinne Derridas grenzt sie sich, erstens, u.a. von Said ab, da sein Konzept des „Orientalism“ auf binären Vorstellungen und opponierenden Begriffen beruhe und so, wenn auch ungewollt, die (post)koloniale Grenzziehung zwischen „the west and the rest“ wiederhole. Mittels des Feminismus versucht Spivak zweitens die zwei signifikanten Leerstellen von „Orientalism“ bzw. postkolonialer Theorie, Gender und Sexualität, offen zu legen. Dabei scheut sie auch nicht vor einer Auseinandersetzung mit dem vorrangig europäisch-nordamerikanischen Feminismus zurück, dem sie seine universalistischen, westlichen Konzepte vorwirft. Und schließlich bezieht sie sich drittens auf den Marxismus, insbesondere in seiner Gramsci-Version, um so die Sphäre des Ökonomischen in den postcolonial studies zu berücksichtigen.

Mit dem von Gramsci übernommenen Begriff der „Subalternen“ ist Spivak einem breiteren Publikum bekannt geworden. Obwohl Spivak um die Macht von Bezeichnungen weiß, die eben auch Erfahrungen und Kämpfe minorisierter Gruppen homogenisieren oder vereinnahmen können, sieht sie in den „Subalternen“ eine alternative Bezeichnung, die in der Lage ist, eine Reihe von Subjektpositionen zu beschreiben. Den strategischen Nutzen dieser „theoretischen Fiktion“ macht Spivak in der Möglichkeit aus, „(...) die dominante koloniale und national-bürgerliche Geschichtsschreibung einer fundamentalen Kritik zu unterwerfen.“ (S. 72) Insofern sind die Subalternen für sie zugleich „fiktional und handlungsmächtig“ (S. 71)! Wie aber geht Spivak diesbezüglich mit der Frage der (politischen) Repräsentation um? In ihrem berühmten Aufsatz „Can the Subaltern speak?“ kritisiert sie u.a. Foucault dafür, das Konzept der Repräsentation aufgegeben zu haben zu Gunsten einer „nativistischen Position“, in der die Unterdrückten selber für sich sprechen sollen. Letztlich verfiele eine solche „utopische Politik“ wieder dem Eurozentrismus. Mit Bezug auf Marx unterscheidet Spivak dagegen zwischen zwei Formen der Repräsentation: Zum einen meint Repräsentation hier Darstellung als ein ‚Sprechen von’, zum anderen Vertretung als ein ‚Sprechen für’. Während die erste Variante als politisch unbedenklich und notwendig angesehen wird, ist für Spivak einzig die zweite zu vermeiden.

Auch Homi K. Bhabha ist, ebenso wie Said und Spivak, stark vom Poststrukturalimus beeinflusst. Sein Hauptinteresse gilt den Repräsentationsformen kultureller Differenz, zu deren Untersuchung er auch die Lacansche Psychoanalyse heranzieht. Im Unterschied zu Said liegt für Bhabha die Autorität kolonialer Macht niemals ausschließlich in den Händen der Kolonisatoren, da der koloniale Diskurs eine widersprüchliche Struktur aufweise, die niemals völlig stabil und abgeschlossen sein könne. Gewendet auf die Ebene der kolonialen Subjektivierungsprozesse hat dies tiefgreifende Konsequenzen: „Beispielsweise stellen sich die Kolonisatoren immer als das dar, was sie nicht sind (nicht ‚schwarz’, nicht ‚wild’, nicht ‚primitiv’ etc.) Gerade diese Abhängigkeit von den Anderen ist es, welche die Identität der Kolonisatoren immer gleichzeitig stabilisiert und untergräbt.“ (S. 88) Aus der einseitigen, asymmetrischen Beziehung zwischen Kolonisator und Kolonisiertem bei Said wird eine wechselseitige und ambivalente Beziehung, die den Raum für agency immer auch öffnet, wie in Bhabhas Konzepten der „kolonialen Mimikry“ oder der „Hybridität“. Postkoloniale Handlungsmacht zeigt sich demzufolge in einer nicht-intentionalen Strategie der Infiltration des Anderen in die dominante symbolische Ordnung.

Insgesamt ist Castro Varela und Dhawan eine sehr informative, sprachlich präzise und verständliche Einführung in postkoloniale Theorie gelungen, die neben den Stärken der vorgestellten Konzepte auch deren Schwächen nicht übersieht. Allerdings könnte die „kritische“ Herangehensweise Neulinge auf diesem Feld gegebenenfalls überfordern, da die Autorinnen in dem Bemühen, auch ja keinen Debattenbeitrag zu vergessen, stellenweise den „roten Faden“ zu verlieren drohen. Überraschend ist auf der inhaltlichen Ebene nur das Festhalten am Begriff der Repräsentation. Castro Varela und Dhawan zeigen zwar an verschiedenen Stellen die Probleme dieses Konzepts auf, wie beispielsweise die Vorstellung etwas quasi hinter der Repräsentation liegendes. Warum sind sie dann aber nicht so konsequent und führen das Konzept der Performativität ein, das die produktiven Seiten der Diskurse hervorhebt? Alles in allem ist die Einführung jeder und jedem wärmstens empfohlen, der/die sich einen Überblick über die zentralen theoretischen Konzepte des Postkolonialismus machen wollen und bietet dabei auch erfahrenen LeserInnen neue Einsichten in eines der spannendsten Felder zeitgenössischer Theorieproduktion.

Anmerkungen:
1 Vgl. Conrad, Sebastian; Randeria, Shalini (Hg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt/M. u.a. 2002.
2 Vgl. Eckert, Andreas: Lebhafte Kampfzone. Wehlers Polemik gegen transnationale Geschichte, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.7.2006, S. N3.

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