J. Walter: Pagane Texte und Wertvorstellungen bei Lactanz

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Titel
Pagane Texte und Wertvorstellungen bei Lactanz.


Autor(en)
Walter, Jochen
Reihe
Hypomnemata 165
Erschienen
Göttingen 2006: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
382 S.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Henrike Maria Zilling, Institut für Geschichte und Kunstgeschichte, Technische Universität Berlin

Was unmittelbar für Jochen Walters Dissertation einnimmt, ist ihre außerordentliche Klarheit, sicher auch ein Grund, sie mit dem Ruprecht-Karls-Preis der Universität Heidelberg auszuzeichnen. Klarheit ist bekanntermaßen auch ein Merkmal des von ihm untersuchten Autors Lactanz – einem der wortmächtigsten afrikanischen Kirchenväter. Er wurde um 260 n. Chr. geboren und verstarb vermutlich am kaiserlichen Hofe im Konzilsjahr von Nikaia. Walter untersucht in seiner Arbeit, mit welcher Zielsetzung Lactanz heidnische Texte und Wertvorstellungen aufgreift und für sich verwertet. Die Forschung orientiert sich bislang weitgehend an dem von Kraft und Wlosok ausgegebenen Postulat der wunderbaren "Kommensurabilität römischen und biblischen Denkens" bei Lactanz.1 Diese dominierende Vorstellung einer konzilianten Synthese von Antike und Christentum (S. 320) hat gerade in den letzten Jahren neue Perspektiven eröffnet, deren zum Teil verblüffende Wertungen Lactanz regelrecht zum Visionär stilisieren. Walter hingegen fragt ganz nüchtern, ob diese Einschätzungen auch der systematischen Überprüfung standhalten.

Lactanz kommt durch seine Nähe zum Kaiser Constantin zweifellos eine wichtige Rolle in der Auseinandersetzung zwischen Heidentum und Christentum zu. Ob er dabei tatsächlich zum Vordenker der Wende und sogar zum Verfechter von Grundwerten wie der Toleranz avanciert, ist eine von Walters Leitfragen (S. 29ff.). Deren Beantwortung verlangt eine vollständige Analyse der von Lactanz zitierten paganen Textgruppen, welche er namentlich im ersten Buch der Divinae institutiones aufzählt: die Historiografie, die klassische Dichtung, die Philosophie, die Hermetik, die Oracula Sibyllina, die Apollo-Orakel und die Hystaspes-Orakel. Stringent im Aufbau und mit großer sprachlicher Prägnanz erläutert Walter zunächst die wichtigen hermeneutischen Schlüsselbegriffe und die methodologischen Selbstaussagen des Lactanz. Walter kann beweisen, dass Lactanz' Methodenreflexion eine vielfältig vereinnahmende Argumentationsstruktur aufweist, die es sogar ermöglicht, außerchristliche Offenbarungsliteratur als "göttliche Zeugnisse" aufzufassen. Somit findet sich bei Lactanz eine elaborierte rhetorische Strategie im Dienste der Christianisierung; Walter definiert in diesem Zusammenhang Christianisierung als "absichtsvolle Instrumentalisierung außerbiblischer Schriften" (S. 89). Mit diesem theoretischen Rüstzeug eruiert er dann die Relevanz der genannten heidnischen Schriften, so auch die heidnischen Prätexte mit Offenbarungsanspruch, die für das Verständnis des Lactanz von hervorgehobener Bedeutung sind.

Durchweg konstatiert Walter die Gleichzeitigkeit von Nähe und Ablehnung, ja eine prinzipiell "kategoriale Differenz" zwischen außerchristlichen Autoritäten und christlicher Offenbarung, die sich in den kleinen, aber wichtigen Wörtern wie quasi, tamquam, fere oder paene usw. bei Lactanz äußert (S. 104). Im Einzelnen lässt sich diese Ambivalenz in seiner Bewertung der Dichter nachweisen.2 Die Zitate heidnischer Dichter, besonders schätzte Lactanz Vergil, benutzt er jedoch ausschließlich in apologetischen Kontexten; denn Zitate und Anspielungen aus Werken bekannter Autoren erweisen sich in Hinblick auf die pagane Leserschaft, mit der viele Christen und ehemalige Heiden einen gemeinsamen Bildungshintergrund teilen, als nutzbringend für die Verteidigung und die Vermittlung des Christentums. Dabei sollten die christlichen Leser und Hörer m.E. stärker, als Walter dies tut, einbezogen werden: Christen mussten in einem heidnischen Umfeld beständig im Glauben bestärkt werden. Zudem erhalten sie durch eine apologetische Schrift Argumente, mit denen sie sich gegen Anfeindungen zur Wehr setzen oder auch für ihren Glauben werben können. Folglich dienen die Dichterzitate einer protreptisch-missionarischen Zielsetzung. Aussagen von Dichtern oder Philosophen haben allerdings für Lactanz weder normative Bedeutung, noch sind sie göttlich inspiriert; sie stehen somit keinesfalls mit den Autoren des Alten Testamentes auf einer Stufe (S. 100ff., 126ff.). Mit diesem Votum erteilt Walter den Verfechtern einer Inspirationsthese zu Recht eine klare Absage. So kann nach der lactanzischen Poetologie in der heidnischen Dichtung im Kern ein unbewusstes Gottesbekenntnis vorhanden sein, welches durch Überlieferung überlagert und entstellt sei. Dieses dient Lactanz jedoch in apologetischer Absicht als Beweis der christlichen Wahrheit. Währenddessen sei das Verständnis göttlicher Offenbarungsaussagen und biblischer Texte nur Christen vorbehalten.

Gleiches gilt trotz verblüffender theologischer und christologischer Konvergenzen auch für die philosophischen Hermetica, breit rezipierte pseudepigrafische Schriften, die Hermes Trismegistos zugeschrieben werden: Lactanz bescheinigt Trismegistos zwar, er habe "über Gott Vater alles, über den Sohn vieles gesagt, was zu den göttlichen Geheimlehren gehört", diskreditiert aber im gleichen Atemzug dessen Erkenntnisweg als nekromantisch (inst. 4,27,20). Mit der Analyse solcher Textstellen bei Lactanz widerlegt Walter das zentrale Synthese- oder Hermetisierungsparadigma. Überdies verweist er auf die Distanzierung neuplatonischer und hermetischer Konkurrenten zum Christentum, denen Lactanz durch christliche Vereinnahmung den Boden zu entziehen versucht (S. 160ff.). Die Oracula Sibyllina – gemeint ist die christliche Sammlung, obgleich Lactanz diese vielleicht mit gezielter Naivität, so Walter, zu den nichtchristlichen göttlichen Zeugnissen rechnet (S. 190) – benutzt Lactanz von allen christlichen Autoren am häufigsten. Zudem werden sie von ihm auch positiv konnotiert (S. 181ff.), was diese Sondergruppe unter den lactanzischen Testimonien als einzige für eine Konvergenzthese verwendbar erscheinen lässt. Dagegen stehen Apollo- und Hystaspes-Orakel als dämonisch inspirierte Texte für Lactanz auf einer Stufe, weshalb ihnen definitiv auch kein normativer Stellenwert zukommen kann (S. 212). Die Funktion, die die Orakel bei Lactanz haben, ist durch Vereinnahmung und Ausgrenzung im Dienste christlicher Selbstdarstellung gekennzeichnet.

In einem umfassenden Überblick untersucht Walter im letzten Teil des Buches außerchristliche Wertvorstellungen aus den Bereichen Philosophie, Religion, Politik und Gesellschaft hinsichtlich ihres Stellenwertes für Lactanz. Als roter Faden zieht sich die Diskussion des lactanzischen Verhältnisses zu paganen und heutigen Wertvorstellungen durch das vierte Kapitel. Erhellend sind Walters instruktive Ausführungen zur lactanzischen Verwendung des Schlüsselbegriffs ,Gerechtigkeit’, den Lactanz mit Christentum gleichsetzt. Daher ist nach ihm wahre Gerechtigkeit nur über ein christliches Verständnis erreichbar, nämlich über zwei christliche Exklusivtugenden: die theozentrische pietas (pflichtbewusste Frömmigkeit, die Lactanz der Gotteserkenntnis angleicht) und dieser nachgeordnet die anthropozentrische aequitas (Gleichheitsbewusstsein, die Basis der Gotteskindschaft). Diese beiden Tugenden werden bei Lactanz untrennbar mit der iustitia verbunden. Die hier geforderte christliche Monopolisierung und Identifizierung der Gerechtigkeit ist ein eindeutiges Zeugnis für die Umwidmungs- und Vereinnahmungsstrategie des Lactanz, womit die These eines inklusiven Christentums nicht länger haltbar ist (S. 230).3

Walter erörtert abschließend die Frage, ob man bei Lactanz die Ausformung einer christlichen Toleranzmaxime entdecken kann, die auffällig mit der antichristlichen Intoleranz der Christengegner, speziell des Neuplatonikers Porphyrios, kontrastieren würde (S. 312ff.). Mit dem Hinweis, dass inst. 5,18,16 eine reziproke Übersetzung einer möglicherweise porphyrischen Invektive bieten könnte4, in welcher Lactanz dann Nichtchristen in Hinblick auf das ewige Leben im Jenseits jegliches Existenzrecht entzieht, erscheint Toleranz gegenüber dem Heidentum dann mehr als fragwürdig. Damit wird auch Lactanz' Einfluss auf Constantins Religionspolitik kritisch bewertet. Bei der von Constantin propagierten kaiserlichen Toleranz und Gnade könnte es sich eher um politische Begriffe handeln, die Handlungsgrenzen staatlicher Durchsetzungsfähigkeit kaschieren sollten (S. 319). Lactanz’ frühe Schriften zeigen eine deutliche Staatsferne; oberhalb des pater familias scheint dieser keine menschliche Autorität anzuerkennen. Auf die Kaiserdedikationen und De mortibus persecutorum ist der Synthese Gedanke eher anwendbar; auch die späteren Schriften vollziehen eine Annäherung zwischen Christentum und römischem Staat, wobei der Primat des Religiösen gegenüber dem Politischen durchgängig ist (S. 285ff., 324f.).

Treffend resümiert Walter: "Lactanz hat sein Werk zum Zwecke der Leserlenkung mit einem Netz kunstvoller und komplexer intra- und intertextueller Referenzen überzogen, die teils expliziter, teils impliziter Natur sind. In diesem Netz soll der Leser sich verfangen und gleichzeitig für die allein heilsvermittelnde christliche Religion gefangen werden" (S. 327). Bei Lactanz findet sich mithin nur vordergründig die Vereinbarkeit von heidnischem mit christlichem Denken; entscheidend ist vielmehr die Darstellung eines überlegenen christlichen Wahrheitsanspruchs. Walters Untersuchung legt Lactanz' apologetische Strategie offen und zeigt dabei, wie dieser rhetorisch versiert und in protreptischer Absicht bewusst Grenzen zwischen Antike und Christentum verdeckt. Ernüchtern mag, dass dadurch die Synthese-Konzeption äußerst ungewiss wird. Der Umstand, dass aktuelle Untersuchungen gerade auf die Syntheseleistung des Lactanz abheben, belegt vor allem dessen rhetorische Wirkmächtigkeit. Dass man in der dahinterstehenden Intention eine absichtsvolle Instrumentalisierung im Dienste einer konsequenten Christianisierung sehen kann, hat Walter eindrucksvoll gezeigt.

Zum Schluss sei noch angesprochen, dass die Monografie zahlreiche anschauliche und didaktisch wertvolle Schaubilder, Übersichten und grafische Modelle enthält. Auch der überzeugende Lösungsvorschlag eines textkritischen Problems im Honigbechergleichnis (inst. 5,1,14) im Anhang, wofür Lactanz die lucrezische Vorlage benutzte, kann hier nur erwähnt werden.

Anmerkungen:
1 Kraft, H.; Wlosok, A. (Hrsg.), Vom Zorne Gottes, Darmstadt 1983, S. XXV.
2 Der ambivalente christliche Standort ist zentrales Thema in dem von Raban von Haehling 2000 bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt herausgegebenen Sammelband "Rom und das himmlische Jerusalem", der den bezeichnenden Untertitel "Die frühen Christen zwischen Anpassung und Ablehnung" trägt.
3 DePalma Digeser, E., The making of a Christian Empire. Lactantius & Rome, Ithaca 2000, S. 16, 84.
4 Porphyrios, Gegen die Christen (?) fr. 1 Harnack = Eus. pr. ev. 1,2,3.

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