T. Kockel: Deutsche Ölpolitik 1928-1938

Cover
Titel
Deutsche Ölpolitik 1928-1938.


Autor(en)
Kockel, Titus
Reihe
Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 7
Erschienen
Berlin 2005: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
393 S.
Preis
€ 79,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tim Schanetzky, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Friedrich-Schiller-Universität Jena

„Kein Blut für Öl“ – unter diesem Slogan sammelten sich schon im Winter 1990/91 die Gegner des ersten amerikanischen Golf-Krieges. Auch gegenwärtig bündelt sich in ihm das vermeintlich Selbstverständliche: Die geostrategischen Interessen der USA werden demnach in allererster Linie von einem unstillbaren Durst nach sicherer und preiswerter Energie bestimmt. Gleichzeitig steht eine ganze Branche am Pranger, und die Regierung Bush wird kurzerhand zur Marionette der Ölindustrie erklärt. All dies erinnert auf erstaunliche Weise an ältere Deutungen des Nationalsozialismus im Geiste vulgärmarxistischer Agententheorien: Hitler eine Marionette des Monopolkapitals, Göring mit seinem gesamten Vierjahresplan-Apparat eigentlich nur eine Figur auf dem Schachbrett der IG Farben, und alle industriellen Interessen zielten Richtung Krieg.

In dieser Parallelität liegt die besondere Aktualität der Studie von Titus Kockel, der sich eine Gesamtdarstellung zur deutschen „Ölpolitik“ zwischen 1928 und 1938 vorgenommen hat. Ihm geht es also nicht um die deutsche Ölversorgung im Zweiten Weltkrieg. Sein Thema sind vielmehr die rüstungswirtschaftlichen Weichenstellungen, die bis 1938 mit dem Ziel eines ausreichenden Ölnachschubs während des geplanten Krieges vorgenommen worden sind. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob es in dieser Phase überhaupt so etwas wie eine stringente „Ölpolitik“ gegeben habe. Kockel greift auf einen komplexen Untersuchungsansatz zurück: Er betrachtet Strukturen und Ereignisse der deutschen „Ölpolitik“ und bettet einzelne Projekte und wechselnde Allianzen in eine Matrix von Agenturen und Akteuren ein. Institutionen von Partei und Regierung stehen so neben Unternehmen der Öl-, Chemie- und Montanindustrie. Den eigentlichen empirischen Mittelpunkt bilden allerdings die Aktivitäten des Geologen Alfred Bentz. Als Leiter des Instituts für Erdölgeologie an der Preußischen Geologischen Landesanstalt gelang es Bentz, die Suche nach Öl zu systematisieren. Er fungierte zunächst als wissenschaftlicher Modernisierer, der den Anschluss an international längst erprobte Explorationsmethoden in deutschen Ölrevieren herstellte, in denen bis dato noch viel auf Wünschelrutengänger gegeben worden war und technisch antiquierte Methoden zum Einsatz kamen. Bentz schloss dazu pragmatisch Allianzen, und er bereitete einem groß angelegten, staatlich finanzierten Explorationsprogramm den Boden: Ihm gelang es, das nationalsozialistische Autarkie-Streben für eine umfassende geologische Durchleuchtung vermuteter deutscher Lagerstätten nutzbar zu machen.

Kockel zeigt sehr eindrücklich, dass zwischen 1933 und 1938 eine sprunghafte, von tiefen inneren Widersprüchen bestimmte „Ölpolitik“ verfolgt wurde. So lief das Bentzsche „Reichsbohrprogramm“ zeitgleich mit der Subventionierung der Kohlenwasserstoffsynthese an. Anfangs kosteten beide Programme gleichviel, und erst ab 1936 überflügelte der Ausstoß der Hydrierwerke die bescheidene heimische Ölförderung. Und obwohl die mit dem Vierjahresplan nochmals beschleunigten Autarkie-Projekte gigantische Ressourcen banden, drängte auf der anderen Seite das konkurrierende Reichswirtschaftsministerium dazu, vermeintlich „kriegssichere“ Importchancen zu nutzen (Irak, Mexiko, Ecuador). Doch es war nicht nur die typische Polykratie konkurrierender Ministerien und Dienststellen, die eine stringente „Ölpolitik“ verhinderte. Kockel betont, dass es im zersplitterten Metier von Ölimport, -förderung, -verarbeitung und -vertrieb an einem integrierten deutschen Konzern als Ordnungsfaktor mangelte. Und so trafen in der Kohlenwasserstoff-Frage eine Vielzahl von Unternehmen mit ganz unterschiedlichen wirtschaftlichen Zielsetzungen aufeinander. Während die IG Farbenindustrie durch gigantische Investitionen der zwanziger Jahre auf die Hochdrucksynthese festgelegt war, verfolgten die Montankonzerne des Ruhrgebiets eine doppelte Strategie. Einerseits traditionell an der Nebenproduktverwertung ihrer Kokereien interessiert, stiegen sie andererseits doch nur zögerlich in die Kraftstoffsynthese ein. Bewirkte der Anlagenbau ohnehin schon eine starke Nachfrage nach Stahl, kam noch hinzu, dass stark an Handel (Otto Wolff) oder Weiterverarbeitung (Gutehoffnungshütte) interessierte Unternehmen auch den Ölimport oder gar die heimische Förderung als Markt für Eisenbahnmaterial, Röhren oder Bohrausrüstung betrachteten und sich für entsprechende Projekte engagierten. Hinzu kamen amerikanische Kartellaußenseiter, die auf einem potentiellen Wachstumsmarkt Fuß fassen wollten, sowie die widerstreitenden Interessen vieler kleiner und mittelständischer deutscher Ölgesellschaften. Diese chaotische Phase der Nicht-Ordnung kam erst im Sommer 1938 zu einem Ende, als zumindest die einschlägigen politisch-administrativen Kompetenzen bei Carl Krauch (Generalbevollmächtigter für Sonderfragen der chemischen Erzeugung) und Alfred Bentz (Bevollmächtigter für die Erdölgewinnung) gebündelt wurden.

Titus Kockel macht es seinen Lesern allerdings nicht gerade leicht, zu derlei Einsichten zu gelangen. Seine umfassende Darstellung leidet unter der offen formulierten Fragestellung und wechselt immer wieder zwischen politik-, wissenschafts- und technikhistorischen Perspektiven. Was genau unter der in der Einleitung ausgerufenen deutschen „Ölpolitik“ 1928 bis 1938 „als Story“ (S. 18) zu verstehen sei, bleibt unklar. Dafür sind die Schwerpunkte der Darstellung schlicht zu disparat: So sinnvoll die Kontextualisierung der „Ölpolitik“ in allgemeiner gehaltenen Abschnitten über ihre „Agenturen“ auch ist – eigentlich geht es in diesen recht ausführlichen Passagen doch vor allem um die hinlänglich bekannten Machtkämpfe zwischen den Akteuren der nationalsozialistischen Wirtschafts- und Rüstungspolitik. Aus einem gehaltvollen Quellenfundus schöpft Kockel hingegen in jenen Abschnitten, welche die Bentzschen Aktivitäten verfolgen. Am Ende konzediert er dann selbst: Sein „breiter Ansatz“ habe dazu geführt, dass aus dem „wissenschaftsgeschichtlichen Teilunternehmen – der Leser möge es verzeihen – eine Arbeit über die Ölpolitik an sich“ geworden ist (S. 334).

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