K. Ehling u.a.: Kulturbegegnung in einem Brückenland

Cover
Titel
Kulturbegegnung in einem Brückenland. Gottheiten und Kulte als Indikatoren von Akkulturationsprozessen im Ebenen Kilikien. Herausgegeben von Marion Meyer und Ruprecht Ziegler


Autor(en)
Ehling, Kay; Pohl, Daniela; Sayar, Mustafa Hamdi
Reihe
Asia-Minor-Studien 53
Erschienen
Anzahl Seiten
XX, 272 S., 14 Tafeln, 1 Karte
Preis
€ 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tassilo Schmitt, Institut für Geschichte, Universität Bremen

Mit diesem Band werden die Ergebnisse eines im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogrammes "Formen und Wege der Akkulturation im östlichen Mittelmeerraum und Schwarzmeergebiet in der Antike" geförderten Projektes vorgelegt. Die Untersuchungen greifen die in der Forschung beliebte Kennzeichnung Kilikiens als Brückenland auf, richten ihre Aufmerksamkeit aber nicht darauf, wann und wie dort verschiedene auswärtige kulturelle oder politische Einheiten aufeinander treffen oder einander begegnen. Ziel ist es vielmehr, Veränderungen in der Region selbst am Beispiel der Verehrung von Gottheiten in Zeiten nachzuspüren, in denen die Gegend Teil hellenistischer Reiche oder des Imperium Romanum war. Bemerkenswert ist auch die Beschränkung auf die Schwemmlandebene von Kydnos, Saros und Pyramos; das (in der hellenistisch-römischen Begrifflichkeit so genannte) "Rauhe Kilikien" wird ausgeklammert.

Auf eine knappe Einleitung folgt ein "Historischer Überblick", der von den ältesten Zeiten bis zum Feldzug Šapurs I. 260 n. Chr. reicht. Die Eroberung durch Alexander und die Erneuerung der Provinz durch Vespasian markieren die wichtigsten Einschnitte. Für diese Synthese konnten einige parallel erschienene Arbeiten mit teilweise abweichenden Vorstellungen nicht mehr berücksichtigt werden.1 Das Hauptkapitel "Gottheiten und Kulte in Stadt und Land" (S. 35-203) ist chronologisch in einen Abschnitt zur "Hellenistischen Zeit" (S. 35-125) und einen zur "Kaiserzeit" (S. 126-203) gegliedert. Im Hellenismusteil werden zunächst Stadt für Stadt "die auf Münzen bezeugten Gottheiten und Kulte" vorgestellt, danach bestimmte wichtige Götter im Einzelnen behandelt. Das Unterkapitel zur Kaiserzeit umfasst Untersuchungen zur Münzprägung von Mallos (S. 126-130) und zur Götterwelt von Tarsos (S. 130-153) und widmet sich "Vorgriechischem" auf Münzen von Tarsos und Augusta (S. 153-157); außerdem werden die Titanen (S. 157-161), der Isis- und Sarapiskult (S. 161-174), Berg- und Wettergottheiten (S. 174-189), Flussgötter (S. 189-191), Fruchtbarkeitsgottheiten (S. 192-197) und "Übrige Gottheiten" (S. 197-203) besprochen.

Ein eigener Abschnitt präsentiert die "Zusammenfassung und Ergebnisse" (S. 205-219). Darauf folgt ein umfangreicher Appendix aller 84 Inschriften (S. 221-259), die sich auf Gottheiten oder Kulte beziehen; 24 davon werden hier erstmals publiziert. Ein Register "Gottheiten mit ihren Epiklesen und mythische Personen" (S. 261-265) sowie 14 Tafeln mit Abbildungen besprochener Inschriften und Münzen beschließen den Band. Die Karte auf S. 271 enthält nur elementare Informationen und ist in dieser Form unnötig.

Im Zentrum des Bandes stehen Untersuchungen vor allem von Münzen und Inschriften, die Aussagen über Götter und Kulte enthalten. Reflektieren die Münzbilder eher städtische Vorstellungen in den jeweiligen Prägeorten, vermag die Epigraphik auch die ländlichen Regionen zu erhellen. Die Konzentration auf die Quellen bedingt gleichermaßen die Stärken und die Schwächen der Publikation. Durch die Interpretation der Münzbilder gelingt es, die jeweils eigene Aufnahme und Umsetzung von hellenistischen und römischen "Angeboten" und die dadurch bewirkten Veränderungen detailliert nachzuzeichnen. So werden spezifische Entwicklungen in den einzelnen Städten deutlich: Sie verliefen durchaus nicht immer geradlinig oder führten auch nicht nur in eine Richtung. Ähnlich überzeugt die Analyse der durch die Inschriften reflektierten Götterverehrung. Allenthalben lassen sich Einsichten im Einzelnen gewinnen. Umgekehrt führt die Beschränkung auf Münzen und Inschriften dazu, dass die Interpretation der Ergebnisse als "Indikatoren von Akkulturationsprozessen" sehr vage bleibt.

In der Einleitung wird Akkulturation definiert als "Folgen des Prozesses der Auseinandersetzung mit Elementen unterschiedlicher Kulturkreise durch Einzelpersonen, Gruppen oder ganze Gesellschaften" (S. 2). Daraus ergibt sich die Fragestellung zu prüfen, welche Formen der Akkulturation im Spektrum von Persistenz, Akkomodation, Adaption, Assimilation und Modifikation bis zu Synthese sich zeigen. Um dies festzustellen, wäre es aber nötig gewesen, zu einem definierten Zeitpunkt die Eigenart des oder der kilikischen Rezeptoren zu beschreiben und von dort aus die Konfrontation mit den hellenistischen und römischen "Angeboten" zu beleuchten. Diese Ausgangskonstellation bleibt jedoch undeutlich: So ist etwa von einer "ursprünglich luwische[n] ,Kultlandschaft’" (S. VII) die Rede. Sie gilt wohl als wesentlicher Hinter- oder Untergrund. Nun ist "Luwisch" aber zunächst und vor allem eine Sprache. Die Verfasser setzen selbst nicht – und dann mit Recht nicht! – voraus, dass das Verbreitungsgebiet des Luwischen einen kulturell und religiös zugleich homogenen wie auch spezifischen Raum umfasst. Wenig später stellen sie nämlich "spezifisch kilikisch" anderen Kennzeichnungen wie "allgemein luwisch oder anatolisch" gegenüber, dies erstaunlicherweise aber gerade nicht, um die für die eigene Untersuchung doch notwendigen Spezifika zu verdeutlichen, sondern um alles zusammen als "eigene" oder "indigene" Kulturphänomene zu bezeichnen (S. 3). Deren "Eigenheit" hat dann aber einen gemeinsamen Nenner nur noch darin, weder griechisch, noch römisch zu sein. Selbst in den Kapiteln, in denen die vorhellenistische Prägepraxis erörtert wird, genügt im Allgemeinen die einfache Gegenüberstellung griechischer und nichtgriechischer Motive. Den komplexen und heterogenen Verhältnissen, die doch von teilweise jahrhundertealten Kontakten mit dem Zweistromland, mit Phönikern, mit der achaimenidischen Herrschaft und auch mit den Griechen nicht unberührt geblieben, davon aber gewiss nicht überall gleich betroffen gewesen sind, werden solche Vereinfachungen nicht gerecht: Die Kulturbegegnung findet im Nebel statt!

Obwohl im Untertitel ohne weiteres von "Gottheiten und Kulten" die Rede ist, geht es in der Studie selbst fast ausschließlich um solche "Gottheiten und Kulte", die entweder auf Münzen oder durch Inschriften bezeugt sind. Den Verfassern ist bewusst, dass damit eine wesentliche Beschränkung des Themas verbunden ist. Umso schmerzlicher vermisst man eine grundsätzliche Überlegung dazu, welche "Gottheiten und Kulte" wann und wie in diesen Quellen bezeugt sein können und welche nicht. Letztere sind ja durchaus zumindest teilweise archäologisch, durch namenskundliche Studien oder durch Legenden und Berichte über Konflikte mit Christen zu erschließen.

Auch wenn es anders genannt wird, ordnen sich die Beiträge also in die traditionellen Perspektiven von Hellenisierung und Romanisierung ein und gehören so in ein Forschungsfeld, auf dem nach wie vor großer Ertrag erwartet werden kann. Im vorliegenden Buch wird er durch die Ausklammerung der Spätantike gemindert: War der Forschung schon längst aufgefallen, dass epichore Traditionen und Sprachen in den Zeugnissen keineswegs absterben, sondern zum Teil sogar zunehmen, hat nun etwa Glen Bowersock den "Hellenismus" der späteren Kaiserzeit als Verständigungsmedium zwischen ursprünglich voneinander getrennten Kulturen gedeutet.2 Das reiche Material des Ebenen Kilikien könnte gewiss den Horizont erweitern und das Verständnis vertiefen. Diese Chance haben die Bearbeiterinnen und Bearbeiter leider nicht ergriffen: Der historische Überblick schließt mit dem Jahr 260. Gewiss haben in der Folge von Šapurs Feldzug viele Städte "für einige Jahre sehr an Bedeutung" verloren (S. 33), aber ein Kulturbruch lässt sich gerade nicht feststellen. Das Ende der städtischen Münzprägung ist nicht ohne Bedeutung, erscheint aber als Schlusspunkt einer Akkulturationsprozessen gewidmeten Studie als willkürlich.

Wer den Sammelband als informatives, Münzen und Inschriften des Ebenen Kilikien umfassendes präsentierendes und kommentierendes Quellenkompendium zu Gottheiten und Kulten heranzieht, wird daraus reichen Gewinn ziehen.

Anmerkungen:
1 Nollé, Johannes, Seleukeia am Issischen Golf, Chiron 33 (2003), S. 79-92; Mietke, Gabriele; Ristow, Sebastian; Schmitt, Tassilo; Brakmann, Heinzgerd, Art. "Kilikien", in: RAC 20 (2004), Sp. 803-864; Schmitt, Tassilo, Provincia Cilicia. Kilikien im Imperium Romanum von Caesar bis Vespasian, in: ders.; Schmitz, Winfried; Winterling, Aloys (Hgg.), Gegenwärtige Antike – antike Gegenwarten. Kolloquium zum 60. Geburtstag von Rolf Rilinger, München 2005, S. 189-222; Pilhofer, Susanne, Romanisierung in Kilikien? Das Zeugnis der Inschriften, München 2006.
2 Bowersock, Glen, Hellenism in late antiquity, Cambridge 1990.

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