J. Haas: Die Umweltkrise des 3. Jahrhunderts

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Titel
Die Umweltkrise des 3. Jahrhunderts n. Chr. im Nordwesten des Imperium Romanum. Interdisziplinäre Studien zu einem Aspekt der allgemeinen Reichskrise im Bereich der beiden Germaniae sowie der Belgica und der Raetia


Autor(en)
Haas, Jochen
Reihe
Geographica historica 22
Erschienen
Stuttgart 2006: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
322 S.
Preis
€ 52,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Körner, Historisches Institut, Universität Bern

Die 2003 an der Universität Stuttgart eingereichte Dissertation von Jochen Haas geht der Frage nach, inwieweit eine ökologische Krise im 3. Jahrhundert n. Chr. zu einer allfälligen Reichskrise beigetragen haben könnte. Auf der Basis von literarischen, epigrafischen, naturwissenschaftlichen und archäologischen Quellen versucht der Verfasser, eine Fallstudie anhand der siedlungsarchäologisch gut aufgearbeiteten Regionen im Nordwesten des Reichs vorzulegen. Grundsätzlich grenzt er sich methodisch von der Transdisziplinarität ab, das heißt der Vermengung von Fragestellungen, Methoden, Theorien und Interpretationen unterschiedlicher Disziplinen, um so auch der Gefahr von Zirkelschlüssen zu entgehen (S. 13). Seine Überlegungen zu den Möglichkeiten der Rekonstruktion von Mentalität anhand von literarischen Quellen zeugen von einem hohen Methodenbewusstsein - so müssen Hinweise auf Naturkatastrophen in der christlichen Parusieliteratur besonders vorsichtig analysiert werden, da deren Autoren natürlich Belege für die Endzeit suchten (S. 14 u. 18f.). Religionsgeschichtliche epigrafische Zeugnisse wiederum sind heikel, da in der Regel keine Sicherheit über einen kausalen Zusammenhang zwischen der Weihung eines Altars und einer ökologischen Krise gewonnen werden kann (S. 19). Der Fokus der Arbeit liegt auf der agronomisch-ökologischen Entwicklung, während der Einbezug von demografischen und anthropologischen Untersuchungen den Rahmen gesprengt hätte und daher bewusst außen vor bleibt (S. 17). Während der Begriff der Naturkatastrophe sorgfältig definiert wird (S. 18), fehlt eine Problematisierung des umstrittenen Begriffs der "Reichskrise": Es wird lediglich kurz auf Alföldys Aufsatz verwiesen, hingegen Strobels wichtige und sehr viel umfassendere Untersuchung nicht herangezogen.1

Ein erstes Kapitel (S. 23-46) befasst sich mit heidnischen Quellen, die Hinweise auf ökologische Phänomene und die Änderung der natürlichen Ordnung beinhalten. Man sah durchaus einen Zusammenhang zwischen Umwelt und Gesundheit, zwischen Klimaänderung und gesellschaftlicher Veränderung (S. 41f.). Ein interessanter Exkurs (S. 37ff.) ist der Kontroverse zwischen Symmachus und Ambrosius gewidmet, inwieweit die Vernachlässigung der Tempel ökologische Konsequenzen nach sich gezogen habe. Problematisch ist die wenig einsichtige Strukturierung des Textes: Die Quellen werden in der Regel nicht in ihren historischen Kontext eingeordnet; trotz der Kapitelüberschrift, die auf Quellen des 1. bis 3. Jahrhunderts fokussiert, werden ohne ausführlichere Begründung Zeugnisse aus der griechischen Antike (Platon, Hippokrates) oder mit Symmachus und Ambrosius aus dem 4. Jahrhundert herangezogen.

Bei christlichen Autoren finden sich immer wieder Hinweise auf Naturkrisen (S. 47-89), wobei natürlich angesichts der apokalyptischen Topoi (Naturkatastrophen als Zeichen der Auflösung der bestehenden Ordnung und der Parusie) methodisch äußerst behutsam vorgegangen werden muss. Ausführlich geht Haas auf Cyprians berühmten Brief an Demetrianus an (S. 60ff.), der allerdings die Verhältnisse in Nordafrika und nicht im Nordwesten des Römischen Reiches darstellt. Hier finden sich, so Haas, klare Anzeichen einer Agrarkrise, ausgelöst durch temporäre klimatische und damit verbundene hydrologische Veränderungen. Auch die Pest, die Orosius für die Zeit von Trebonianus Gallus und Volusian beschreibt, hält Haas für historisch (S. 85).

Bei der Untersuchung der Umwelt im Nordwesten des Imperium anhand von literarischen Quellen (S. 91-139) stellt sich ebenfalls das methodische Problem, Topoi von korrekten Beobachtungen zu unterscheiden. Sorgfältig stellt Haas die Quellen vor, die Hinweise auf Klimatologie und Hydrogeographie (S. 91ff.) und Witterungsnachrichten (S. 97ff.) enthalten. Die literarischen Quellen zur Landflucht werden ergänzt durch epigraphische Zeugnisse wie die Bittschrift von Skaptopara an Gordian III. (S. 102ff.). Methodisch problematisch ist hier allerdings, dass erneut der geographische Rahmen der nordwestlichen Provinzen verlassen wird, zudem hätte die Inschrift natürlich in das Kapitel zu den Inschriften (S. 135ff.) gehört, nicht zu den literarischen Quellen. Sofern der Fokus auf epigraphische Quellen dieser Art ausgeweitet wird, wäre wiederum unbedingt die Petition der Araguener an Philippus Arabs zu erwähnen gewesen.2 Insgesamt liefern die literarischen Quellen kein geschlossenes Bild einer Agrarkrise, lediglich vereinzelte Indizien, die auf einen Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion mit den nahe liegenden Konsequenzen von Versorgungsschwierigkeiten in den urbanen Zentren und Hungersnöten und damit letztlich einem Bevölkerungsrückgang hindeuten (S. 134). Auch die Inschriften enthalten nur Hinweise auf lokale Schadensereignisse, eine signifikante statistische Häufung ist nicht festzustellen (S. 135ff.).

Das umfangreichste Kapitel (S. 141-267) widmet sich den naturwissenschaftlichen und archäologischen Quellen. Methodisch handelt es sich hierbei um eine Literaturarbeit, das heißt dass Haas nicht eigene Untersuchungen durchgeführt hat, sondern die vorhandene Sekundärliteratur auswertet. Er versucht, anhand der Ergebnisse naturwissenschaftlicher Untersuchungen (Gletscherstandschwankungen, Ice-core-drilling, Pollenanalysen usw.) die klimatische Situation in den nordwestlichen Provinzen zu rekonstruieren, stößt dabei aber immer wieder auf die Schwierigkeit der genauen chronologischen Fixierung dieser Erscheinungen (S. 142-152, 214-227). Bei der Vorstellung der archäologischen Zeugnisse (S. 152-215) und Architekturbefunde (S. 227-259) wirft Haas einige interessante Fragen auf, so zum Beispiel, ob die Reduzierung von Thermenanlagen auf eine Holzknappheit zurückzuführen sei, was sich allerdings nicht nachweisen lässt (S. 244-252).

Nach einem Ausblick auf das freie Germanien (S. 269ff.) schließt die Arbeit mit einem übersichtlichen Fazit (S. 275f.), das die wesentlichen Ergebnisse zusammenfasst: Die antiken Quellen verraten kein Bewusstsein einer systematischen Kulturökologie, was angesichts des Fehlens moderner Methodik auch nicht zu erwarten ist. Hingegen ist durchaus ein Bewusstsein für außergewöhnliche Einzelereignisse, aber auch für langsame, prozessuale Veränderungen feststellbar; dass dabei, wie Haas vermutet, eine "modernen Angstbewältigungsverhaltenstherapien" vergleichbare Vorgehensweise durch Externalisierung von Problemen vorliegt, scheint mir allerdings allzu sehr von moderner Mentalität her gedacht zu sein. Eine spezifische ökologische Krise über einen größeren geografischen Raum lässt sich für die Mitte des 3. Jahrhunderts allerdings nicht nachweisen, vielmehr begannen bereits Ende des 2. Jahrhunderts Veränderungen im Landschafts- und Vegetationsbild, die wiederum durch demografische Veränderungen (Epidemien) und großräumige Siedlungsverlagerungen verursacht waren. Auch klimatische Veränderungen, hin zu einem feuchteren und kühleren Klima beginnen bereits im 2. Jahrhundert und führten im 3. Jahrhundert zu einer erhöhten klimatischen Instabilität. Die konkreten Auswirkungen sind allerdings schwierig abzuschätzen. Ein Glossar der naturwissenschaftlichen Terminologie (S. 279-281) erleichtert dem Geisteswissenschaftler die Arbeit mit der Untersuchung. Auch das umfangreiche Register ist von großer Hilfe (S. 301-322).

Leider gelingt es Haas in den meisten Kapiteln nicht, den Leitfaden seiner Arbeit im Auge zu behalten; zu viele Abschweifungen lenken immer wieder von der zentralen Thematik ab. So wird beispielsweise im Kapitel zu Laktanz (S. 87ff.) rasch auch Gregor von Nazianz eingebracht – dasselbe Problem ließe sich bei den meisten Kapiteln zu den Quellen aufzeigen. Weder chronologisch noch geografisch wird der Fokus der Arbeit (der Nordwesten des Imperium im 3. Jahrhundert) eingehalten: Von Herodot bis zu den byzantinischen Quellen werden die verschiedensten Aussagen herangezogen. Der Verfasser hat zwar eine beeindruckende Menge von Literatur verarbeitet, dennoch vermisst man grundlegende Arbeiten, wie beispielsweise das bereits erwähnte Werk von Strobel oder bei der Kritik an Herodians Quellenwert (S. 166) den Einbezug neuerer Forschungen wie die Untersuchung von Zimmermann. Zudem wird das Werk von Julia Sünskes Thompson konsequent falsch mit Sönskes Thompson wiedergegeben.3

Insgesamt ist die Arbeit von zwiespältigem Charakter: Während die eigentliche Quellenarbeit über weite Passagen von einer hohen Methodensorgfalt zeugt, wird die Lesbarkeit und Verständlichkeit durch die mangelnde Fokussierung auf die eigenen Leitfragen eingeschränkt. Schließlich krankt die naturwissenschaftliche Arbeit an der mangelnden Möglichkeit einer genauen chronologischen Fixierung, so dass der im Titel versprochene Fokus auf das 3. Jahrhundert auch nur schwierig einzuhalten ist. Ein interessanter Anstoß für weitere Forschungen ist immerhin das Ergebnis, dass bereits im späten 2. Jahrhundert ein klimatischer und ökologischer Wandel begonnen haben könnte.

Anmerkungen:
1 Alföldy, Géza, Historisches Bewusstsein während der Krise des 3. Jahrhunderts, in: ders.; Seibt, Ferdinand; Timm, Albrecht (Hrsg.), Krisen in der Antike. Geschichte und Gesellschaft, Düsseldorf 1975, S. 112-132; Strobel, Karl, Das Imperium Romanum im 3. Jahrhundert n. Chr. Modell einer historischen Krise?, Stuttgart 1993.
2 OGIS II 519 = IGR IV 598 = CIL III 14191 = AE 1898, 102.
3 Zimmermann, Martin, Kaiser und Ereignis. Studien zum Geschichtswerk Herodians, München 1999; Sünskes Thompson, Julia, Aufstände und Protestaktionen im Imperium Romanum. Die severischen Kaiser im Spannungsfeld innenpolitischer Konflikte, Bonn 1990.

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