D. Galas (Hrsg.): Solidarnosc 1830

Titel
Solidarnosc 1830. Niemcy i Polacy po Powstaniu Listopadowym. Polenbegeisterung. Deutsche und Polen nach dem Novemberaufstand 1830. Katalog wystawy w Zamku Królewskim w Warszawie, 29 listopada 2005 - 31 stycznia 2006


Herausgeber
Galas, Daniela
Erschienen
Warszawa 2005: Arx Regia
Anzahl Seiten
358 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gabriele Brudzynska-Nemec, Univerzita Jana Evangelisty Purkyne, Ústí nad Labem

Einen wesentlichen Beitrag zum Deutsch-Polnischen Jahr 2005/2006 leistete die Ausstellung „Solidarnosc 1830. Niemcy i Polacy po Powstaniu Listopadowym. Polenbegeisterung. Deutsche und Polen nach dem Novemberaufstand 1830“, die vom Königsschloss in Warschau und dem Museum Europäischer Kulturen – Staatliche Museen zu Berlin organisiert wurde. Die Ausstellung erinnert an den 175. Jahrestag des polnischen Novemberaufstands, der am 29. November 1830 ausgebrochen war.1 Sie wurde von einem zweisprachigen Katalog begleitet, der vollständige Informationen zu den präsentierten Werken und deren fotografische Dokumentation bietet.

Der sprechende Name „Solidarnosc“ im polnischen Titel der Ausstellung, der keine direkte Entsprechung zum Begriff „Polenbegeisterung“ darstellt, schafft eine gedankliche Verbindung mit den 1980er-Jahren und erfasst die polnische „Aufständigkeit“ des 19. Jahrhunderts als eine Konstante im europäischen Freiheitsdiskurs, die Klaus Zernack in seinem einführenden Essays behandelt. Eine Chance für die „Vollendung des revolutionären Prozesses der europäischen Geschichte“ (S. 25) im Sinne der vormärzlichen „Völkerdiplomatie“ (S. 22) sieht Zernack nicht in den nach 1848 betriebenen Revolution von oben, sondern erst in der „Epochenwende 1989“ (S. 26). Der Novemberaufstand von 1830 mit seinem europäischen Nachklang an der Schwelle des Völkerfrühlings wird dabei als ein wichtiges Erkennungszeichen der modernen europäischen Wertevorstellung betrachtet, das auch im Völkerherbst tragend ist: „Europa wächst [nach 1989] wieder in seine ungeteilten und unverstellten Dimensionen zurück“ und kann nach „gleichsam Hambacher Grundsätzen“ leben (S. 26).

Diese – wenn man so will – ideologische Kontur war in der Ausstellung und ist im Dokumentationsteil des Katalogs selbst nur als Schattierung zu erkennen. Im Unterschied zu Regina Mönch, die den „großen Atem“ und „die emotionale Spur“ vermisste2, könnte man darin aber eher eine Stärke der Präsentation sehen. Die Autoren der Ausstellung speisen den Beobachter und Leser nicht mit großen Gesten und zwanghaften Parallelen ab, was man früher schon mehr als genug getan hat, sondern zeigen eine Fülle von präzise erschlossenen Dokumenten. Diese zeigen eines klar und deutlich: der Novemberaufstand war ein Ereignis, das in allen seinen Facetten die Zeitgenossen beschäftigte, er traf in seiner politischen wie auch symbolischen Bedeutung eine der sensibelsten Saiten des Individuums und der Gesellschaft. Freiheitsbegeisterung, Freiheitssehnsucht, Freiheitssolidarität, die im Umfeld der Reaktionen auf den polnischen Novemberaufstand (wieder)entdeckt und erfahren wurden, hatten auf vielen Tätigkeitsfeldern des öffentlichen und privaten Bereichs eine aufrüttelnde und mobilisierende Funktion. Sie gingen aus der auf eigene politische Bedürfnisse ausgerichteten Wahrnehmung der Ereignisse in Polen hervor. Die vermittelte Erfahrung einer Revolution gegen die erste absolutistische Macht in Europa vermochte doch zugleich die politischen Bedürfnisse der Deutschen zu beeinflussen und brachte praktische Erfahrungen mit, vor allem in den zahlreichen Polenvereinen.

„Seine wohl nachhaltigste Wirkung hatte der Novemberaufstand in dem, was wir heute Medien nennen. Ihre damalige Phalanx, vornehmlich aus Poesie, Gelegenheitsdichtung und Journalistik, erreichte im Vormärz in Deutschland wie in Polen weitaus größere Adressatenkreise als die politisch organisierte Unabhängigkeitsbewegung im geteilten Land, die immer stärker dem Druck der behördlichen Repression ausgesetzt war“ (S. 23), urteilt Klaus Zernack sehr treffend im bereits erwähnten Essay. Der Ausstellungsband erfasst diese mediale Dynamik sorgfältig. Hervorzuheben sind vor allem die Bilder, die erstmals zu diesem Thema in solcher Quantität und Qualität präsentiert und besprochen werden. Hier wird nicht nur das „Kunstwerk durch kulturgeschichtliche und rezeptionsgeschichtliche Recherchen und Interpretationen um weitere Dimensionen vertieft“ (S. 59), sondern das Bild neben Presse- und Archivmaterial als eine wichtige historische Quelle präsentiert. So lässt sich der Katalog auch gut als Einstig in die historische Bildforschung und in interdisziplinäre Studien begreifen. Dass man die Resonanz des Novemberaufstands in Deutschland und in Europa auf mehreren Ebenen parallel zeigt, wirkt sehr adäquat, dem Zeitgeist der 1830er-Jahre gemäß, und ist dabei gewissermaßen ein Novum.

Auch die Essays über Deutsche und Polen nach dem Novemberaufstand von Piotr Majewski, über die polnische Kunst von 1830 von Agnieszka Morawinska und über Dietrich Montens Gemälde „Finis Poloniae 1831“ und seine Bedeutung für die Malerei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von Claude Keisch und Konrad Vanja, versuchen diesem Anspruch gerecht zu werden. Während Majewskis Text hierbei eine vielleicht weniger anregende faktorgraphische Beschreibung bietet, sind die beiden kunsthistorischen Beiträge aufschlussreicher. Vor allem der Beitrag von Keisch und Vanja hält, was er verspricht, denn er zeigt das zentrale Motiv der Ausstellung im Wechsel der Perspektiven: „Eine Zusammenschau verschiedenster kultureller Äußerungen der Zeit verdeutlicht Inhalt und ‚Sitz im Leben’ des Gemäldes [...] und kann zur Ergänzung und Erweiterung der kunst- und kulturgeschichtlichen Aspekte führen“ (S. 70).

Die Dokumentation der präsentierten Werke im Katalog wird mit der Vorgeschichte der deutschen Polenbegeisterung im Vormärz eingeleitet und beginnt nicht – wie bei dem Thema üblich – mit Polens Teilungen, sondern mit der Verabschiedung der polnischen Verfassung vom 3. Mai 1791. Dieser Ansatz ermöglicht es, den gewohnten Blickwinkel auf die konfliktreichen deutsch-polnischen Beziehungen zu variieren und sie in einem zwanglosen Kontext zu sehen, das heißt auch als eine Geschichte des Transfers der freiheitlichen Ideen, die Europa sehr nachhaltig prägten. Diese Perspektive wird in der Präsentation konsequent beibehalten: Ohne die Teilungen hätte es keine polnischen Aufstände gegeben, ohne die Maiverfassung, die große Aufmerksamkeit „in der ganzen zivilisierten Welt“ weckte und den Freiheitssinn der Polen erstmals in seiner konstruktiven Tatkraft bewies, wäre die freiheitliche Polenbegeisterung der 1830er-Jahre gar nicht denkbar gewesen.

Den Novemberaufstand selbst lässt man vor allem in vielen Bilddokumenten Revue passieren, wobei namentlich die zahlreichen Porträts den Geschehnissen das richtige oder eigentlich mehrere Gesichter geben. Frauengesichter werden dabei nicht vergessen. Der Informationsteil zum Porträt von Emilia Plater (Carl Mayer, Deutschland nach 1831) wird zu einem der aussagekräftigsten im ganzen Katalog (Anna Kusmidrowicz – Król, S. 176ff.). Das deutsche Interesse am polnischen Aufstand beweisen sowohl Zeugnisse der Hilfeleistung (S. 142) als auch das „Studium der Cholera im polnischen Feldlazarett“, das ein deutscher freiwilliger Arzt gleichzeitig mit seinem humanitären Einsatz betrieb (S. 141). Die Ausstellung dokumentiert das pragmatische und sachliche Interesse am Zeitgeschehen mit zahlreichen Karten und Stadtplänen zum Novemberaufstand und zur neuesten polnischen Geschichte. Zugleich werden emotionale Reaktionen und die sinnbildliche Deutung des polnischen Aufstandes geboten; dies vor allem im Finis Poloniae überschriebenen Kapitel.

Bei aller Ausführlichkeit scheint es doch, dass ein interessantes und sehr bezeichnendes Zeitdokument den Autoren entgangen ist: eine wichtige Brücke zwischen der polenfreundlich gesinnten deutschen Öffentlichkeit und den polnischen Aufständischen war die seit dem Januar 1831 in Warschau herausgegebene deutschsprachige „Warschauer Zeitung“. Die ursprünglich als Mitteilungsblatt für die deutschsprachigen Bewohner Polens gedachte Zeitung wandelte sich bald zu einem Propagandablatt der polnischen Regierung und erfuhr neben dem französischsprachigen „L`Echo de la Pologne“ (später „Le Messager Polonais“) Unterstützung von deren diplomatischen Abteilung.

Den Durchmarsch der polnischen Flüchtlinge durch Deutschland 1832, der den Hauptteil des Katalogs bestimmt, belegen außer mehreren Illustrationen viele Archivdokumente, die in ihrem zeitgenössischen örtlichen Kontext meist sehr gut erschlossen sind. Die Dokumente registrieren sowohl die Tätigkeit der bürgerlichen Polenvereine als auch die staatlichen Maßnahmen während der Durchzüge. Es wird auch auf selbstständige Aktionen von Frauen hingewiesen (S. 248). Die Darstellung der Frauen-Polenvereine kommt im Vergleich zu ihrem eigentlichen Einsatz bei der Polenhilfe dennoch zu kurz. Allein im Großherzogtum Baden riefen die Frauen vom Januar bis März 1832 in Heidelberg, Mannheim, Freiburg, Karlsruhe, Pforzheim, Konstanz und Lahr selbstständige Frauenvereine zur Unterstützung der durchreisenden Polen auf.3 Diese Dokumentationslücke der Ausstellung belegt einmal mehr das Fehlen einschlägiger Forschungen auf diesem Gebiet.

Das Hambacher Fest, das durch dauernde Stilisierung zu einem abgenutzten Symbol der deutsch-polnischen Verbrüderung geworden ist, bleibt hier im breiten Panorama der deutschen Polenbegeisterung ein Höhepunkt, ragt jedoch nicht übermäßig über alles andere hinaus. Man bekommt ansonsten einen Einblick in die deutsche polenfreundliche Publizistik, auch in Lokalblätter, und in das von den polnischen Ereignissen inspirierte Schrifttum. Zudem wird, und die sehr ausführlich, die Wirkung der Ereignisse auf die Musik behandelt. Das Orchesterwerk des enthusiastischen Leipziger Studenten Richard Wagners (Ouvertüre in C – Dur „Polonia“ S. 296) wird neben zahlreichen Märschen und Polonäsen à la „polnische Helden“ präsentiert; darunter kaum bekannte Stücke wie das Liederspiel „Der Pole und sein Kind“ von Albert Lortzing (S. 329ff.). Einige Musikstücke, vor allem Wagners Ouvertüre, waren im Rahmen der Ausstellung selbst zu hören, im Katalog werden sie gründlich besprochen. Alltagsgegenstände mit polnischen Motiven (Gebrauchsgeschirr, Tabakdosen, Pfeifen) ergänzten die Sammlung.

Die Ausstellung zur deutschen Solidarität mit den polnischen Freiheitskämpfern 1830 bot eine einzigartige Gelegenheit, die deutsche Polenbegeisterung in ihrer ganzen Breite – von der Kunst über die Politik bis zum Alltag – zu dokumentieren und überdies fachkundig sowie zugleich fächerübergreifend zu kommentieren. Die Autoren haben diese Gelegenheit sehr gewissenhaft wahrgenommen und ein einzigartiges Material zusammengebracht. Dass gerade in dieser Edition Heinrich Heine aus der polnischen Übersetzung ins Deutsche zurück übertragen wurde (S. 40), ist bedauerlich – die zweisprachigen Ausgaben haben offensichtlich ihre Tücken. Nichtsdestotrotz, die Quellensammlungen zur deutschen Polenbegeisterung, die längst zu Standardwerken geworden sind, bekommen mit dem Ausstellungskatalog eine durchaus erfrischende und editorisch auch sehr gepflegte Fortsetzung, die, wie man hofft, weiter inspirieren wird.

Anmerkungen:
1 Ausstellung in Warschau Königsschloss vom 29. November 2005 bis zum 31. Januar 2006, in Berlin Museum Europäischer Kulturen SMB vom 1. März bis zum 30. April 2006.
2 Mönch, Regina, Als erste schmolzen die Frauen dahin. Tragische Progressionen: Eine Berliner Ausstellung erinnert an die demokratische Polenbegeisterung der Deutschen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.4.2006, S. 36.
3 Vgl. Brudzynska-Nemec, Gabriela, Polenvereine in Baden. Hilfeleistung süddeutscher Liberaler für die polnischen Freiheitskämpfer 1831-1832, Heidelberg 2006, S. 221-256.

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