D. Schiersner: Politik, Konfession und Kommunikation

: Politik, Konfession und Kommunikation. Studien zur katholischen Konfessionalisierung der Markgrafschaft Burgau 1550-1650. Berlin 2005 : Akademie Verlag, ISBN 3-05-004091-2 523 S. € 59,80

: Konfessionskampf und fremde Besatzung. Stadt und Hochstift Hildesheim im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreissigjährigen Krieges (ca. 1580-1660). Münster 2005 : Aschendorff Verlag, ISBN 3-402-03814-5 732 S. € 76,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lothar Vogel, Facoltà valdese di teologia, Rom

Die Diskussion über die „Konfessionalisierung“ in Deutschland zwischen dem Augsburger Religionsfrieden (1555) und dem Westfälischen Frieden (1648) hat in den letzten Jahren zu zahlreichen Detailstudien angeregt. Ihr heuristischer Ansatz besteht darin, die These vom Zusammenhang zwischen der Durchsetzung des landesherrlichen Bekenntnisses und der Verdichtung der Herrschaft zu moderner Staatlichkeit in einem begrenzten Feld zu veranschaulichen und zu überprüfen. Die beiden hier zu besprechenden Dissertationen fügen sich in diesen wissenschaftlichen Kontext ein. Gemeinsam ist ihnen darüber hinaus, dass sie mit der Markgrafschaft Burgau und dem Hochstift Hildesheim zwei Herrschaftsgebilde behandeln, die altgläubige Herrn hatten – den habsburgischen Erzherzog und den Hildesheimer Bischof –, eine Verdichtung zu einer einheitlichen Landesherrschaft jedoch kaum erkennen lassen. Aus diesem Grunde war in beiden Herrschaften die Umsetzung des Augsburger Religionsfriedens, der das ius reformandi an die Landesherrschaft band, mit spezifischen Schwierigkeiten verbunden, wie sie in ausgebildeten Territorialherrschaften wie in Bayern oder den wettinischen Landen nicht denkbar waren. Auch methodisch bestehen zwischen diesen Arbeiten Berührungspunkte. Zum einen gehen sie beide mikrohistorisch vor und bauen ihre Thesen auf der Auswertung von Archivalien auf, die einschlägige Einzelvorfälle belegen. Dass beide Arbeiten auf diese Weise regionalgeschichtlich eine wertvolle Quellenerschließung leisten, sei ausdrücklich hervorgehoben. Zum andern betonen sie übereinstimmend, dass der Konfessionalisierung ein interaktives Verhältnis von Obrigkeit und Untertanen zugrunde liegt. Sie überwinden damit eine Verengung der Perspektive auf den obrigkeitlichen Willen.

Die Markgrafschaft Burgau, mit der sich die Dissertation von Dietmar Schiersner befasst, zeichnete sich hinsichtlich ihrer Herrschaftsstruktur dadurch aus, dass in ihr zahlreiche „Insassen“ begütert waren, die ihrerseits die Reichsstandschaft besaßen (so etwa das Hochstift Augsburg und die Reichsstädte Augsburg und Ulm), ja in ihren burgauischen Besitzungen sogar über Elemente der Hochgerichtsbarkeit verfügten (S. 19ff.). In diesem komplexen machtpolitischen Kontext verfolgt Schiersner das Schicksal jener Ortschaften, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts – aufgrund der Hinwendung burgauischer Insassen zur Reformation – dem Augsburger Bekenntnis anhingen. Von ihnen war am Ende des Dreißigjährigen Krieges allein Burtenbach, das von der reichsritterlichen Familie Schertlin regiert wurde, noch evangelisch. Auf den ersten Blick gewinnt man so den Eindruck einer weitgehenden Konfessionalisierung trotz ungünstiger Voraussetzungen. Schiersners detaillierte Erörterung der zu diesem Ausgang führenden religionspolitischen Entwicklungen ergibt allerdings ein wesentlich komplexeres Bild.

Drei Beispiele seien erwähnt. 1.) In Lützelburg, wo das Augsburger Heilig-Geist-Spital Güter und Rechte bis in den Bereich der Hochgerichtsbarkeit hinein besaß, kam es in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts, nach Regierungsantritt von Erzherzog Maximilian III., zu einer „Rekatholisierung“ (S. 17). Der Zusammenhang zwischen diesem Vorgang und dem Anspruch auf Ausübung der Landesherrschaft bleibt aber ambivalent. So bemühte sich der katholisch dominierte Augsburger Rat durchaus, über die Unterstützung eines evangelischen Predigers seine Rechte zu demonstrieren; freilich vermied man zugleich, das Haus Habsburg in dieser Sache wirklich herauszufordern, indem man beispielsweise den Beistand anderer Reichsstände angerufen hätte (S. 89, 96). Der Erzherzog wiederum nutzte seinen Erfolg nicht, um die komplexe Rechtssituation in Lützelburg zu seinem Vorteil aufzulösen (S. 116f.). 2.) In Holzheim, das dem Ulmer Heilig-Geist-Spital unterstand, wurde in denselben Jahren ein gleichartiger Versuch vorläufig abgebrochen, als die Reichsstadt Ulm drohte, dafür ihrerseits in katholischen Dörfern ihrer Landesherrschaft die Reformation einzuführen. Die Entscheidung zum Abbruch fiel auf der Grundlage eines Gutachtens der Burgauer Amtleute, die darauf hinwiesen, dass in diesem Falle im Bereich der Ulmer Herrschaft mehr Seelen verloren gingen, als in Holzheim gewonnen würden.

Das – an die Konfession gebundene – Seelenheil von Untertanen einer fremden Obrigkeit erscheint hier als politisches Argument, das einer Arrondierung und Verdichtung von Herrschaftsansprüchen entgegensteht:. „Um es als Paradoxon zu formulieren: Konfession diente nicht, sondern ging zu Lasten der Konfessionalisierung, verstanden als Prinzip politischen Handelns, das die Konfessionsbildung für die Staatsbildung nutzbar zu machen bestrebt ist“ (S. 174). 3.) Im burgauischen Vorort Günzburg schließlich, in dem seit dem Schmalkaldischen Krieg keine nennenswerten reformatorischen Strömungen mehr auftraten, finden zur gleichen Zeit Bemühungen um eine Reform der kirchlichen Verhältnisse im Sinne des Tridentinums statt – ein Prozess, der freilich nicht allein vom Landesherrn getragen wurde, sondern in mindestens ebenso starkem Maße durch den Augsburger Bischof inspiriert und an die Mitwirkung des städtischen Rates und der gesamten Geistlichkeit gebunden war: „Konfessionspolitische Interaktion statt landesherrlicher Konfessionalisierung“ (S. 427). Für die Markgrafschaft insgesamt gelte schließlich der Satz: „Nur ohne Konfessionalisierung gelang die konfessionelle Konsolidierung der Markgrafschaft“ (S. 459).

Schiersners Arbeit besticht durch eine differenzierte Darstellung der Interessenlagen und Handlungsoptionen der beteiligten Kräfte. Minutiös zeichnet er die Antagonismen zwischen den verschiedenen Ebenen der habsburgischen Herrschaft – dem Kaiser, dem Erzherzog, der vorderösterreichischen Regierung in Innsbruck, den Amtleuten in Burgau nach. Wiederholt begegnet dabei Heinrich Richard Schmidts Motiv der „Selbstdisziplinierung“ als Gegenbild zur Vorstellung einer obrigkeitlich durchgesetzten „Sozialdisziplinierung“: „Das konfessionelle Erscheinungsbild der Markgrafschaft Burgau [...] war nicht Ergebnis des prädominanten Agierens eines einzelnen Herrschaftsträgers, sondern wird verständlich aus der konfessionellen Interaktion, die einer Vielzahl von Akteuren Freiheit und Raum ließ für die Gestaltung religiösen und kirchlichen Lebens“ (S. 461). Eine „Freiheit“ einzelner gab es in diesem Zusammenhang freilich nur innerhalb der Rahmenbedingungen, die durch die weltliche und geistliche Herrschaft gesetzt wurden.

Die Untersuchung von Christian Plath über das Hochstift Hildesheim handelt von einem Herrschaftskomplex mit katholischem Landesherrn und einer weitgehend lutherischen Bevölkerung. Ziel der Arbeit ist es, einen „Beitrag zur Wahrnehmungs- und Erfahrungsgeschichte“ (S. 9) in der Zeit der konfessionellen Konfrontation und des Dreißigjährigen Krieges zu leisten. Der Begriff rekurriert dabei auf den „Erfahrungs“-Begriff von Reinhardt Koselleck und bezeichnet die mentale Verknüpfung von Erleben, Deutung des Erlebten und daraus folgenden Handlungsweisen. In einem ersten Hauptteil schildert Plath die Erfahrungen verschiedener Personengruppen während des Dreißigjährigen Kriegs: der lutherischen Pfarrerschaft, des katholischen Klerus, der Klosterangehörigen, der Bürgerschaft in Hildesheim und in der Landstadt Peine, in der während des Kriegs der Versuch unternommen wurde, die katholische Konfession einzuführen. Im zweiten Hauptteil wird dann die Perspektive der obrigkeitlichen Amtsleute, der Soldaten und der Landbevölkerung eingenommen. Das Ergebnis der Darstellung ist , dass im Hochstift Hildesheim erst die Erfahrung des Krieges „aufgrund der Bedrohung der bestehenden Gewohnheiten zur Ausbildung eines Konfessionsbewusstseins“ geführt habe (S. 566). Konkret verweist Plath dabei für das Luthertum auf die Deutung des Kriegs als Gottesstrafe und die daraus abgeleitete Bußfrömmigkeit, für die katholische Kirche auf die Erneuerung des Ordenslebens sowie auf die verstärkte Durchsetzung einer kirchlichen Ordnung, die durch die Beschlüsse des Trienter Konzils inspiriert war (S. 375f.).

Hiermit wird ein Verständnis von gesellschaftlicher Konfessionalisierung vorgestellt, in dem das Wirken der Obrigkeit geradezu marginal erscheint. Freilich ist Plaths Untersuchung mit einigen Problemen belastet. So zwingt ihn die Logik seines Gedankengangs dazu, die Konfessionalisierung im Hochstift gemäß der gängigen Kategorien als eine sehr späte zu charakterisieren und eine bis dahin verbreitete „konfessionelle Indifferenz“ zu postulieren. Seine Belege dafür sind allerdings wenig aussagekräftig. Für die lutherische Seite führt er einen Beschluss des Hildesheimer Rates an, der das Orgelspiel und die lateinische Liturgiesprache als „Papstceremonien“ verbat (S. 335). Beide Elemente sind aber in der lutherischen Liturgik fest etabliert. Auf katholischer Seite erscheint ein Pfarrer, der ceremonias quasi catholicas (also wohl die Messe) feierte und seine Gemeinde zugleich in beiderlei Gestalt kommunizieren ließ, schon in der Visitation von 1608/09 lediglich als isolierter Einzelfall. Plath zufolge war die konfessionelle Zugehörigkeit vor dem Dreißigjährigen Krieg allein von den Pfarrern abhängig.Wenige Sätze später erklärt er aber, dass Versuche des Bischofs, in solchen Dörfern einen katholischen Pfarrer einzusetzen, regelmäßig auf „Widerstand der Bevölkerung“ gestoßen seien (S. 373; vgl. auch S. 578) – ein angesichts der angeblichen „konfessionellen Indifferenz“ schwer erklärbares Phänomen.

Auch die Begrifflichkeit der Untersuchung wirft einige Fragen auf. So unterscheidet Plath ausdrücklich zwischen der „katholischen Reform“ im Sinne der Umsetzung der Trienter Beschlüsse und der „Gegenreformation“ als politisch intendierter Zurückdrängung der Reformation und „Mittel zur Herrschaftsverdichtung“ (S. 63); als Instrument dafür führt er das Instrument der Visitation an (S. 102), das freilich gerade den Trienter Beschlüssen Folge leistete. Auch Begriffe wie „Frömmigkeitsbewusstsein“ (S. 308) und „Frömmigkeitsverhalten“ (S. 354) werden ohne Erläuterung wiederholt verwendet. Ferner staunt der Leser über den „Abt“ des „Zisterzienserinnenklosters“ Marienrode (S. 77, 210) – das heute von Frauen bewohnte Kloster gehörte damals dem männlichen Zweig des Ordens an. Schwerwiegender als dies sind jedoch Mängel bei der Wiedergabe von Zitaten aus archivalischen Quellen. Die Aussage, dass einige junge Männer zur Störung einer katholischen Messe „Insolvenz trieben“ (S. 160), lässt sich noch ohne nochmaligen Einblick in die Archivalie in „Insolenz“ emendieren. Zahlreiche lateinische Zitate allerdings – vor allem die aus der Chronik der Hildesheimer Jesuiten – sind durch Verlesungen verderbt. Da all diese Verderbnisse nicht als solche gekennzeichnet sind, ist davon auszugehen, dass sie nicht auf die Quelle, sondern auf die Bearbeitung zurückgehen. 1 Leider verliert damit die reiche Quellenerschließung, die Plath geleistet hat, einiges von ihrem Wert.

Festzuhalten bleibt, dass beide Untersuchungen – anhand von Fällen mit ganz spezifischen Rahmenbedingungen – die Vielfalt möglicher Entwicklungen erkennen lassen, die unter dem Dach des Begriffs „Konfessionalisierung“ zusammengefasst werden. Der mikrohistorische Ansatz erlaubt dabei eine angemessene Gewichtung persönlicher und kollektiver Handlungsoptionen. Dass Untertanen in der Zeit der Konfessionalisierung nicht nur unter Zwang standen, sondern auch über gewisse Spielräume verfügten, wird in beiden Arbeiten deutlich.

Anmerkung:
1 So etwa S. 146, Anm. 43: wohl disponendis statt dispondendis; S. 148: Libri suo sunt possessori restitui [!] [...] Stabuli similior quam domis [!] facies, nulla fere ianua, lectia [!], fenestra, reliqui [?] nulla integra; S. 149, Anm. 11: schola itorum [!] aperta fuerint [!]; S. 189: quod non sint legitime ordinatus [!] et consecrati; S. 252, Anm. 53: Fridericus Geddem se sperans in vulgus Hildesiense comitari noluit [?] ultra portam praetescuit [!] eum [...] Post mortem proptea [!] Lutherana perfidia accola [!] tantum in rabiem aut seditionem non [?] versi haud panta [wohl pauca] hancque [?] absurda mendavia [!] conspirerunt [!]; S. 262: wohl immiscerent statt inimiscerent. Andere Zitate sind in einer Weise gekürzt, dass die grammatikalische Struktur des Satzes zusammenbricht (z.B. S. 112, Anm. 11).

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Weitere Informationen
Politik, Konfession und Kommunikation
Sprache der Publikation
Konfessionskampf und fremde Besatzung
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension