A. Firme u.a. (Hrsg.): Von Schlachthymnen und Protestsongs

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Titel
Von Schlachthymnen und Protestsongs. Zur Kulturgeschichte des Verhältnisses von Musik und Krieg


Herausgeber
Firme, Annemarie; Hocker, Ramona
Anzahl Seiten
301 S.
Preis
€ 28,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dietmar Klenke, Historisches Institut, Universität Paderborn

Erfreulicherweise ziehen die im deutschsprachigen Raum lange Zeit vernachlässigten Bezüge zwischen Musikgeschichte und Gesellschaftsgeschichte seit den 1990er-Jahren mehr und mehr die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich. Für das wachsende Interesse an diesem interdisziplinären Arbeitsgebiet steht auch dieser lesenswerte Sammelband über die Kulturgeschichte des Verhältnisses von Musik und Krieg von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Hervorgegangen ist der Band aus einem vom Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Tübingen veranstalteten Symposium für Nachwuchswissenschaftler, die den Löwenanteil der Beiträge geliefert haben.

Eine erste Gruppe von Aufsätzen befasst sich mit Musik und Krieg in der Frühen Neuzeit am Beispiel von Lied und Gesang. Silke Wenzel und Ute Abele fragen nach der Funktion von „Landsknechtsliedern“ im Spannungsfeld zwischen aufsteigendem Bürgertum und Fürstenherrschaft. Die Form der „Chanson-Battaglia“, die Gregor Hermann untersucht, verdankte ihren Aufstieg dynastischen Rivalitäten, in deren Schlepptau diese Gattung der Vokalmusik während des 16. und frühen 17. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erlebte. Es schließt sich ein Beitrag von Darko Bunderla an, der eine Brücke zu Beethovens berühmter Schlachtenmusik „Wellingtons Sieg“ schlägt. Zum einen erfahren wir etwas über den bemerkenswerten Propagandaeffekt dieses 1813 während der Befreiungskriege in Wien uraufgeführten Werkes. Zum anderen nimmt die musikästhetische Debatte über den „Programm“-Charakter dieses umstrittenen Werkes breiten Raum ein. Offen bleibt, was sich sozialgeschichtlich hinter dem Streit zwischen den Anhängern der „absoluten“ und der „Programm-Musik“ verbarg.

Eine weitere Gruppe von Beiträgen befasst sich mit dem Zeitalter der beiden Weltkriege. Kaum verwunderlich ist, dass der Erste Weltkrieg deutliche Spuren im Musikbetrieb der beteiligten Nationen hinterließ. So hatte deutsche Musik, wie Miriam Wendling zeigt, in New York nach dem Kriegseintritt der USA einen schweren Stand. Die Anfeindungen fielen umso stärker ins Gewicht, als deutsche Musik bis zum Krieg in den New Yorker Spielplänen eine gewichtige bis beherrschende Stellung eingenommen hatte. Es ist nicht überraschend, dass auch im Deutschen Reich die Spielpläne der Konzerthäuser und Opernbühnen während des Krieges eine deutlich „vaterländische“ Schlagseite aufwiesen (Beitrag von Oliver Hebestreit). Allerdings stellt sich die Frage, warum der Anteil ausländischer Opern an der Berliner Hofoper gegenüber der Vorkriegszeit zunahm, Verdi sogar häufiger gespielt wurde als Wagner. Solch ein Befund regt zu weiteren Forschungen an, etwa mit Blick auf die identitätsstiftenden Funktionen der Musikkultur für den deutschen Nationalismus – ein Phänomen, das sich wie ein „roter Faden“ durch das „lange 19. Jahrhundert“ zog.1

Auf mediengeschichtlich innovative Weise setzt sich Stefan Strötgen mit dem Filmschaffen Leni Riefenstahls auseinander. Er rückt den bedeutsamen, aber in der Forschung zu wenig beachteten Einsatz musikalischer Gestaltungselemente ins Zentrum der filmwissenschaftlichen Analyse. Dabei wird Riefenstahls rückblickende Selbststilisierung als politisch desinteressierte Künstlerin am Beispiel des Films „Triumph des Willens“ schlüssig widerlegt. Von ihr in apologetischer Absicht als reiner „Dokumentarfilm“ bezeichnet, erweckt der Film einen gegenteiligen Eindruck, wenn man die Tonspur einer eingehenden Analyse unterzieht. Vor allem der Rückgriff auf nationalheroische Musik in der Tradition der Befreiungskriege unterstreicht, wie sehr diesem weit zurückreichenden Traditionsbestand des bürgerlichen Nationalismus integrierende Funktionen zugeschrieben wurden.

Es folgen kontrastiv angelegte Beiträge über zwei unter der NS-Diktatur arbeitende Komponisten. Der Vergleich macht deutlich, wie schmal das geduldete weltanschauliche Spektrum für politisch gefärbte Musik war. Der erste der beiden Aufsätze (von Reinhold Degenhart) erläutert die Zwangslage der „inneren Emigration“ am Beispiel der pazifistisch getönten Oper „Simplicius Simplicissimus“ von Karl Amadeus Hartmann aus den Jahren 1934/35. Im zweiten Betrag analysiert Gunnar Wiegand das „Deutsche Heldenrequiem“ des prominenten NS-Komponisten Gottfried Müller. Zahllose, dem Christentum einerseits und der vaterländischen Dichtung andererseits entlehnte Elemente kennzeichnen das Chorwerk als „pseudo-religiösen“ Schlachtgesang (S. 182). Allerdings zeigt die Verwendung der Kategorie „pseudo-religiös“, dass Wiegand die tief in das 19. Jahrhundert zurückreichenden nationalreligiösen Traditionen kaum zur Kenntnis genommen hat. Immerhin waren dies sozial tief verwurzelte und in breiten bürgerlichen Schichten lebendige Lebensorientierungen, die jenseits konfessioneller Kirchlichkeit ein breites vaterländisch-nationales Lager prägten.2

Mit Stefan Morents Beitrag über Benjamin Brittens „War Requiem“ springt der Sammelband in die Zeit des Kalten Krieges. Aus Anlass der Wiedererrichtung der von den Nationalsozialisten zerstörten Kathedrale von Coventry komponierte Britten dieses Chorwerk, mit dem er die Brüchigkeit des Friedens vor Augen führen wollte. Die weiteren Beiträge des Bandes wirken dann wie bunt zusammengewürfelt. Ein profunder Artikel über den Kino-Kassenschlager „Krieg der Sterne“ analysiert eingehend, mit welcher technischen Raffinesse der moderne Film Musik und andere akustische Elemente einsetzt, um die Zuschauer Krieg scheinbar hautnah erleben zu lassen. Sarah Chaker, die sich den Popmusikstilen „Black Metal“ und „Death Metal“ widmet, vertritt die überraschende These, dass diese aggressiv wirkenden Spielarten der Popkultur die Fangemeinde kaum zu Gewalttaten animierten, obwohl dort die Tugenden des rabiaten Kämpfers besungen würden. Belegen will Chaker dies mit Selbstaussagen von Betroffenen, deren Zuverlässigkeit aber zweifelhaft ist. Ein Beitrag von Lothar Heinle setzt sich mit der vorherrschenden Deutung des bekannten Stückes „The Star Spangled Banner“ von Jimmy Hendrix auseinander. Dass die Rezeption aus dieser Variation der US-amerikanischen Nationalhymne eine musiksatirische Geste des Protestes gegen den Vietnamkrieg gemacht hat, ist bekannt, wird aber dadurch relativiert, dass Hendrix als politisch eher wenig engagierter Musiker in Erscheinung trat, der die Nationalhymne seines Heimatlandes nicht verunglimpfen, sondern seinen Glauben an Amerika mit der Anti-Vietnamkriegs-Bewegung symbolisch konfrontieren wollte.

Die beiden letzten Aufsätze stehen unter dem gemeinsamen Titel „Musik und Krieg im Nahen Osten“. Im Beitrag von Tala Jarjour geht es um die Rolle der Musik als Medium der Identitätssicherung in der Syrisch-Orthodoxen Kirche, die auch der Musik ihr Überleben in einer fremdartigen Umwelt zu verdanken hatte. Till Knipper untersucht die avantgardistische Komposition „Guernica in Bagdad“ von Klaus Huber, die den Golfkrieg von 2003 mit Picassos Gemälde in Beziehung setzt, um auf die zu wenig beachteten humanitären Folgen dieses Krieges aufmerksam zu machen.

Eine tragfähige verklammernde Fragestellung für die immerhin 16 Beiträge wird man vergebens suchen. Angesichts des bislang recht bescheidenen Forschungsstandes auf diesem Gebiet ist eine nur locker verbundene Sammlung von Aufsätzen aber durchaus legitim. Allen Beiträgen gemeinsam ist die Annahme, dass sich Musik auf vielfältigere Weise zur Politik in Beziehung setzt, als es das Klischeebild vom unpolitischen Charakter der Musik erahnen lässt. Vor allem verdient Anerkennung, dass mehrere Beiträge mit Legenden aufräumen, die sich bis heute um einzelne Musikerpersönlichkeiten, Musikgattungen oder Musikwerke herumranken. Auch überzeugen die detaillierten Werkanalysen, die ein tragender Bestandteil fast aller Beiträge sind. Allerdings hätte man sich gewünscht, dass auch die interdisziplinären Bezüge in Richtung Geschichtswissenschaft stärker gewichtet worden wären. Trotz aller anregenden Ausblicke über den „Tellerrand“ einer traditionell musikwissenschaftlichen Perspektive bleiben die Stilanalysen der Dreh- und Angelpunkt des Bandes, während gesellschaftsgeschichtliche Perspektiven zu kurz kommen. In der zweiten Hälfte zerfasert der Sammelband in Richtung Buchbindersynthese.

Anmerkungen:
1 Vgl. stellvertretend für die neuere sozial- und politikgeschichtliche Musikforschung: Klenke, Dietmar, Der singende „deutsche Mann“. Gesangvereine und Nationalbewußtsein von Napoleon bis Hitler, Münster 1998; Boresch, Hans-Werner, Der „alte Traum vom alten Deutschland“. Musikfeste im 19. Jahrhundert als Nationalfeste, in: Die Musikforschung 52 (1999), Heft 1, S. 55-69.
2 Vgl. Klenke, Dietmar, Deutsche Nationalreligiosität zwischen Vormärz und Reichsgründung. Zur innen- und außenpolitischen Dynamik der deutschen Nationalbewegung, in: Historisches Jahrbuch 123 (2003), S. 389-447.

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