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Titel
Briefe 1927-1985. Herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort von Ina Schmidt und Stefan Breuer


Autor(en)
Jünger, Ernst; Hielscher, Friedrich
Erschienen
Stuttgart 2005: Klett-Cotta
Anzahl Seiten
556 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Berthold Petzinna, Berlin

Friedrich Hielscher war wohl der irritierendste zeitweilige Weggefährte Ernst Jüngers. Hielscher, Jahrgang 1902, war bereits als Jugendlicher stark religiös interessiert. Nach kurzer Freikorpszugehörigkeit studierte er Jura in Berlin; im Reichsklub der Deutschen Volkspartei und in der Deutschen Hochschule für Politik fand er Kontakt zur politischen Klasse. Die Bekanntschaft mit Theodor Heuss dauerte fort bis in dessen Zeit als Bundespräsident. August Winnig, ein aus der Sozialdemokratie stammender Unterstützer des Kapp-Putschs und Nationalist, prägte den jungen Hielscher politisch. Wie viele Intellektuelle der Weimarer Republik war auch Hielscher vom Werk Oswald Spenglers beeindruckt, Nietzsche war ein weiterer philosophischer Gewährsmann. Die Arbeit an einer an Spengler orientierten Dissertation führte Hielscher 1925/26 zum Staats- und Verwaltungsrechtler Otto Koellreutter nach Jena, wo er 1926 promovierte. Nach kurzer Tätigkeit im Staatsdienst führte er ab 1927 eine prekäre Existenz als Haupt eines um ihn gesammelten Kreises.

Über das Verhältnis Jüngers zu Hielscher ist nun Näheres aus dem edierten Briefwechsel zwischen ihnen zu erfahren.1 Die Korrespondenz setzt 1927 ein, kurz nach dem Zugang Hielschers zu neonationalistischen Kreisen – und erstreckt sich bis 1985. Mit aufgenommen wurden ergänzende Schreiben sowie Anlagen, die Hielscher seinen Briefpartnern häufig zukommen ließ. Hier musste ausgewählt werden, um den Textumfang akzeptabel zu halten und zugleich einen Einblick in die Hintergrundthematik der Schreiben zu ermöglichen.

Während Hielscher zu publizieren begann, hatte sich Jünger im gleichgesinnten Publikum – er war seit längerem in die rechtsoppositionelle Szene integriert – bereits einen Ruf erschrieben. Zunächst hatte er sich auf die Thematik des Ersten Weltkriegs beschränkt. Erst die Arbeit an „Das abenteuerliche Herz“, die 1927 begann, öffnete weitere Horizonte. Zugleich bildete jener Zeitraum einen Höhepunkt in Jüngers publizistischer Tätigkeit. Der Briefwechsel mit Hielscher trägt dazu bei, die literarische Produktion Jüngers und seine politische Publizistik weiter auszuleuchten.

Ein Schwerpunkt der Korrespondenz liegt auf den Interna der rechtsintellektuellen Szene, in der beide als Publizisten agierten. Durch diese Binnenperspektive ergänzt die Edition die von Sven Olaf Berggötz herausgegebene Publizistik Ernst Jüngers.2 Das Auserwähltheitspathos der Kleingruppe prägt oft den Ton der Schreiben. Deutlich wird auch die taktische Dimension politischer Positionen, so etwa Hielschers Ostorientierung: „Hier heißt es schwindeln, daß sich die Balken biegen, falls es der Zweck erfordert.“ (S. 41) Im Atmosphärischen wird das befremdliche Selbstvertrauen dieser Intellektuellengruppen greifbar.

Anschaulich wird auch die Rolle des Kapitäns Ehrhardt im neonationalistischen Netzwerk. Die ausführlichen Kommentare der Herausgeber/innen stützen sich auf eine detaillierte Kenntnis der zeitgenössischen Publizistik und des politischen Milieus. Kurzbiografien der erwähnten Personen erschließen oftmals erst den Kontext der Schreiben. Ein zureichendes Verständnis setzt gelegentlich die Kenntnis der Studie der Herausgeberin Ina Schmidt zu Hielscher voraus.3

„Wer sich die Mühe einer genauen Lektüre macht, wird unschwer die Spuren erkennen, die Hielschers Denken in Jüngers Arbeiten seit dem Sommer 1927 hinterlassen hat“, heißt es im Nachwort (S. 490). Damit ist der Bereich gekennzeichnet, der über das Biografische hinaus einen Wert der Edition ausmacht. Hielschers theologische Orientierung, die ihn zur Gründung einer politisch-religiösen Gruppe motivierte, traf bei Jünger auf ein Orientierungsbedürfnis, das mit seiner beginnenden Karriere als nicht mehr nur Weltkriegsautor verbunden war. Kurz nach seinem Umzug nach Berlin schrieb Ernst Jünger seinem Bruder Friedrich Georg: „Am meisten verkehre ich mit Friedrich Hielscher, über den ich mir noch nicht im Klaren bin. Ich halte ihn für den schärfsten Kopf unter den Nationalisten, freilich ist er bizarr. Seine Intelligenz hat etwas Antithetisches, scherenartig Schneidendes.“ (S. 488) Noch während des Zweiten Weltkriegs sollte sich Jünger über Hielscher nicht „im Klaren“ sein.

Gerade die enge Verbindung, die politischer Machtanspruch und religiöses Denken bei Hielscher damals eingingen, weckte Jüngers Interesse. Es bleibt zu überprüfen, inwieweit Anregungen Hielschers in die weitere Produktion Jüngers eingeflossen sind. Zehn Jahre nach Aufnahme der Korrespondenz resümierte Jünger das Verhältnis auf einen Brief Hielschers hin: „Ich studierte ihn wie alles, was schriftlich oder mündlich von Ihnen zu mir dringt, mit besonderer Aufmerksamkeit. Freilich wurde mir an ihm auch diesmal wieder die ungemeine Verschiedenartigkeit bewußt, mit welcher wir den Dingen wie der Welt überhaupt gegenüberstehn. Was mich betrifft, so stört mich diese Tatsache nicht.“ (S. 161) Bei allen Differenzen blieb die Ausrichtung auf eine metaphysisch begründete Ordnung verbindend.

Mit dem Auslaufen der politisch-publizistischen Tätigkeit endete die Zeit engerer Kooperation. Jüngers auf die literarische Öffentlichkeit orientierte Lebensform stand Hielschers Konzentration auf die Ausbildung einer religiös gebundenen Gruppe entgegen. Die Unterbrechung des Briefwechsels zwischen 1931 und 1934 markiert einen Einschnitt. Zwischenzeitlich waren von Jünger und Hielscher Arbeiten erschienen, die die unterschiedliche Orientierung beider hervortreten ließen. Der Briefwechsel gewinnt daher einen anderen Charakter; politische Bezüge geben sich oft nur indirekt zu erkennen. Ausführungen Hielschers zu seinen religiösen Studien nehmen viele Seiten ein. Bei ihnen ist der tiefe Eindruck sichtbar, den Spenglers Denkstil hinterließ.

Spärlich ist die Korrespondenz während des Zweiten Weltkriegs. Dass Jünger über die Widerstandstätigkeit von Hielschers Gruppe informiert war, ist den Briefen verständlicherweise nicht zu entnehmen. Jüngers Tagebücher sind in dieser Hinsicht ertragreicher. Der Fall Wolfram Sievers, eines Mitglieds des Hielscher-Kreises, das als Geschäftsführer des SS-Amtes „Ahnenerbe“ für Menschenversuche an KZ-Häftlingen mitverantwortlich war und zum Tode verurteilt wurde, sollte ein wiederkehrendes Thema in der Nachkriegskorrespondenz bilden.

Die in den 1930er-Jahren zu beobachtende Auseinanderentwicklung setzte sich nach 1945 fort. Während Jünger rege publizierte, ging Hielscher nahezu völlig in der Arbeit an seiner religiösen Gruppe auf. Lediglich mit seinen Memoiren trat er noch hervor.4 Die Korrespondenz wird nun zunehmend diskontinuierlicher; zwischen 1968 und 1981 erlischt sie ganz. Zusendungen Hielschers aus seinen religiös inspirierten Arbeiten lobte Jünger nur distanziert. Mit einem Schreiben Hielschers endet die Korrespondenz gut vier Jahre vor dessen Tod. Eine letzte Anlage, „Für Ernst Jünger zu Allerseelen 1985 von Friedrich Hielscher“, trägt den Titel „Der Schweigende“ (S. 298).

Durch den umfangreichen und äußerst informativen Anmerkungsapparat gewinnt die Edition den Charakter einer Studie. Insgesamt bietet sie ein Bild, das über das Verhältnis der Korrespondenzpartner hinausreicht. Jünger und Hielscher erweisen sich in ihren Berührungspunkten wie in ihrer Auseinanderentwicklung als beispielhaft für eine Orientierungskrise vieler deutscher Intellektueller in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts sowie für die Bearbeitungsmodi dieser Krise. Insofern bietet der Band einen zusätzlichen Einstieg in Aspekte der Intellektuellengeschichte des 20. Jahrhunderts, insbesondere in die Problematik des Fortwirkens religiöser Motive und Denkmuster.

Anmerkungen:
1 Siehe auch: Breuer, Stefan; Schmidt, Ina, Der Literat und der Theokrat: Ernst Jünger und Friedrich Hielscher, in: Figal, Günter; Knapp, Georg (Hgg.), Verwandtschaften. Jünger-Studien Bd. 2, Tübingen 2003, S. 92-115.
2 Vgl. Jünger, Ernst, Politische Publizistik 1919 bis 1933, herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort von Sven Olaf Berggötz, Stuttgart 2001.
3 Schmidt, Ina, Der Herr des Feuers. Friedrich Hielscher und sein Kreis zwischen Heidentum, neuem Nationalismus und Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Köln 2004 (siehe dazu meine Rezension: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-3-075).
4 Hielscher, Friedrich, Fünfzig Jahre unter Deutschen, Hamburg 1954.

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