A. Luther (Hrsg.): Odyssee-Rezeptionen

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Titel
Odyssee-Rezeptionen.


Herausgeber
Luther, Andreas
Erschienen
Frankfurt am Main 2005: Verlag Antike
Anzahl Seiten
128 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernadette Descharmes, DFG-Graduiertenkolleg "Freunde, Gönner, Getreue", Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Dieser rezeptionsgeschichtlich ausgerichtete Sammelband vereinigt Beiträge zur Aufnahme und Verarbeitung des homerischen Epos und seiner Motive in der antiken und modernen Kunst und Kultur.1 Sein Verdienst liegt in erster Linie in der vielfältigen Weise, mit der sich dem Thema Odyssee-Rezeption genähert wird. Über die Grenzen der Klassischen Philologie hinaus wird der Frage nachgegangen, in welchen Formen welche Inhalte in welchen Kulturen aufgenommen wurden.

Lilian Balensiefen (Polyphern-Grotten und Skylla-Gewässer: Schauplätze der "Odyssee" in römischen Villen, S. 9-31) arbeitet nicht nur heraus, wie architektonische Fertigkeiten genutzt wurden, um römische Villenanlagen mit Polyphem-Grotten und Skylla-Gewässer in den geographischen Raum einzubetten, sondern auch wie dieser Fähigkeit eine referentielle Bedeutung zukam. Motive des Sagenkreises dienten nicht, wie man simplifizierend annehmen könnte, zur Verschönerung und Illustration. Nach der These Balensiefens war diese Architektur und die Verwendung der Bilder vielmehr Ausdruck einer politischen Idee, indem sie die eigene Kultur demonstrativ von der schauderhaften Vorgeschichte abgrenzte. Ulrich Schmitzer (Odysseus - ein griechischer Held im kaiserzeitlichen Rom, S. 33-53) bespricht die unterschiedliche Art und Weise, mit der die römische Literatur mit der Odysseus-Figur umging. Vergils Aeneis deutet er als "romanisierte und modernisierte Odyssee" (S. 37). Bei Ovids Ars Amatoria arbeitet er die Leitmotive, die an die Figur des Odysseus geknüpft sind, heraus. Auch weist Schmitzer darauf hin, wie ungleich Seneca mit der Odysseus-Figur im philosophischen Werk respektive der Tragödie umgeht. Schmitzer resümiert, dass in diesen Werken nicht immer Homers Odyssee selbst im Vordergrund steht, sondern die Instrumentalisierung, die "allegorisierenden, exemplifizierenden Deutungen" (S. 50), denen die Gestalt unterworfen wurde.

Den Austausch zwischen Ägyptern und Griechen auf literarischem Feld untersucht Joachim Friedrich Quack (Gibt es eine ägyptische Homer-Rezeption?, S. 55-72). Dabei geht es ihm vor allem um die Auswertung zahlreicher textlicher Nachweise über die Person Homers und ihre Verbindung zu Ägypten. Seine hellenistischen und kaiserzeitlichen Autoren aus Ägypten sind für die Rekonstruktion eines historischen Homers nicht ergiebig, dafür aber von mentalitäts- und sozialgeschichtlichem Interesse. Es ist nämlich – so lautet die These Quacks – für Ägypten ein intellektuelles Milieu erkennbar, das Homer nicht nur rezipierte, sondern auch aufgrund seiner großen Bedeutung auf einer gesellschaftlichen Ebene für sich beanspruchte. Eine Verknüpfung mit der indoeuropäischen Forschung unternimmt Angelika Malinar ("Blindheit" und "Sehen" in der Erzählung des Mahābhārata, S. 73-94). Sie untersucht, wie die Erzählung des altindischen Epos Mahābhhārata präsentiert wurde und wie in diesem Fall die literarischen Topoi "Sehen" und "Blindheit" verkettet sind. Diese Topoi fungieren erzähltechnisch, indem sie die Einbettung in einen Erzählrahmen ermöglichen. Malinar versäumt in ihrer Analyse auch nicht, die kulturellen und sozialen Konnotationen der Blindheit zu erörtern. Doch auch wenn Malinar auf Komplementarität und Differenzen dieser Topoi im Vergleich zum homerischen Epos hinweist, wäre eine deutlichere Bezugnahme zu (Nicht-)Entsprechung mit der Odyssee wertvoll gewesen.

Den rezeptionsgeschichtlichen Schritt in die Neuzeit wagt Stefan Kipf mit seinem Beitrag zur Figur Telemachs in der Kinder- und Jugendliteratur (Eine mythische Gestalt mit pädagogischer Kraft oder nur Odysseus' Sohn? Telemach in der neuzeitlichen Kinder- und Jugendliteratur, S. 95-108). Indem er die große Fruchtbarkeit der Odyssee auf diesem Feld gegenüber der Ilias betont, weist er auf den breiten kulturellen Einfluss der antiken Erzählung hin. Doch sein Focus ist nicht auf Odysseus gerichtet, er erläutert vielmehr, wie Telemach als Schablone für Bildungs- und Erziehungsromane und wie seine Geschichte als Medium zur Vermittlung bürgerlicher Werte diente. Andreas Goltz springt über vom textlichen Medium zum Medium Film (Odyssee-Rezeption im Film – Moralische Normen und Konflikte in Epos und Adaption, S. 109-124). Hier bemerkt er, in welcher Vielzahl allein der bloße Irrfahrt-Topos Filme beeinflusst hat. Goltz erläutert die Schwierigkeiten in dramaturgischer und technischer Hinsicht bei der Adaption des Homer-Stoffes; wie die Filmemacher konzeptionell mit dem Stoff verfahren, veranschaulichen die unterschiedliche Nuancierungen der Verfilmungen im Kontext ihres Entstehungszeitraums: Ersichtlich wird dies insbesondere in Bezug auf den Umgang mit den Themen Sexualität und Gewalt. Abschließend sucht Goltz die Rolle und die Aufgabe der Wissenschaften in diesem Feld zu bestimmen. Dabei sieht er Vorteile in der Breitenwirkung von Film und Fernsehen, die den Wissenschaftler/innen eine Öffentlichkeit schafft und ihm ermöglicht, auf "Geschichtsbilder zu reagieren und im Idealfall Einfluß auf dieses auszuüben" (S.122).

Die Leistung des Sammelbandes ist anerkennenswert, jedoch vermag die Zusammenstellung nicht über einen rudimentären Ansatz hinauszugreifen. Was hier geleistet wurde, ist ein Anfang oder zumindest ein Ausschnitt aus den reichhaltigen Möglichkeiten einer transdisziplinären Forschungsaufgabe, das Thema "Odyssee-Rezeption" zu behandeln. Die einzelnen Beiträge stehen ohne gegenseitigen Bezug nebeneinander. Es fehlt auch ein übergeordneter Verweis auf bisherige Leistungen der Rezeptionsgeschichte zu diesem Thema. Ausgeklammert blieben vor allem die Bildende Kunst der Neuzeit oder weitere kulturvergleichende Ansätze, die den Einfluss der homerischen Odyssee auf verschiedene Länder, Kulturen und Gesellschaften hätte beleuchten können. Dass diese Zielsetzung nicht der des vorliegenden Bändchens entspricht und entsprechen kann, braucht eigentlich nicht erwähnt werden; dass es aber ein lohnenswertes Unternehmen für die Zukunft sein kann, muss an dieser Stelle mit Nachdruck betont werden.

Anmerkung:
1 Im Oktober 2003 fand an der Freien Universität in Berlin die interdisziplinäre Tagung "Die Welten des Odysseus" statt, zu der auch der folgende Sammelband erschienen ist: Luther, Andreas (Hg.), Geschichte und Fiktion in der homerischen Odyssee, München 2006.

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