R. Schnell (Hrsg.): MedienRevolutionen

Cover
Titel
MedienRevolutionen. Beiträge zur Mediengeschichte der Wahrnehmung


Herausgeber
Schnell, Ralf
Anzahl Seiten
206 S.
Preis
€ 23,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Werner Faulstich, Institut für Angewandte Medienforschung, Universität Lüneburg

Das Buch ist ein Beispiel für die publish-or-perish-Zwänge des modernen, das heißt drittmittelgesteuerten Wissenschaftsbetriebs. Hier werden die Beiträge einer Jahrestagung aus dem Jahr 2004 veröffentlicht. Sie passen nicht zueinander, was in der Einleitung nur mühsam übertüncht wird. Sie bieten praktisch keine Anschlussmöglichkeiten, weil sie sich gegenüber dem Stand der Forschung immunisieren. Sie wiederholen längst Bekanntes. Sie breiten Meinungen und Standpunkte aus statt fundierte Ergebnisse innovativer Forschung. Der Band rechtfertigt den Vorwurf, den man Geisteswissenschaftlern häufig macht: Dass von Wissenschaft im Sinne methodengesteuerter Erarbeitung neuer Erkenntnisse keine Rede sein kann und dass hier die wissenschaftlichen Befunde der letzten zehn Jahre offenbar ungestraft übersehen werden dürfen.

Schon der sprachliche Gestus in der Einleitung des Herausgebers Ralf Schnell kündigt das an. Vom „koketten“ R in „MedienRevolutionen“ ist die Rede: „programmatisch geht es um eine triftige Evaluierung des Forschungsrahmens ,Medienumbrüche’...“ Programmatisch? Triftig? Evaluierung? Forschungsrahmen? Da strukturiert sich „in Phasen des Umbruchs [...] ein zuvor dominantes Medienensemble um“, da „verdichten“ „Mediendiffusion und -dynamik sich zu einem Prozess“, da „koppelt eine Mediengeschichte [...] die Evolution der [...] Wahrnehmungstechniken an ihre Revolutionen“. Allen Beiträgen sei gemeinsam, „dass eine Mediengeschichte ohne eine Theorie der Medien nicht zu entwerfen ist [...].“ (S. 7) Verhält es sich nicht umgekehrt: dass eine Theorie der Medien nicht ohne ihre Geschichte entwickelt werden kann? Ralf Schnell konzediert auch seinen Beiträgern großzügig „unterschiedliche Fragestellungen“, „unterschiedliche Antworten“, „verschiedenartige Gegenstände“ (S. 8f.) und widmet den Band dem Siegener Literatur- und Medienwissenschaftler Helmut Schanze – eine angesichts der Qualität eher zweifelhafte Ehre.

Der Mediävist Gerd Althoff schreibt über „Körper – Emotionen – Rituale“ (S. 13-35) und wiederholt damit wesentliche Thesen seines Buchs über Rituale. Aber was haben die mittelalterlichen Inszenierungstechniken mit „Medienumbrüchen“ zu tun? Einen Medienbegriff sucht man hier vergebens. Über die Medien des Mittelalters und ihr revolutionäres Potential, in zahlreichen Fachpublikationen unter anderem von Josef Benzinger, Heiner Boehncke, Linda Dégh, Herbert Grundmann, Peter Gülke (und vielen anderen) ausgebreitet – kein Wort.

Der Kunsthistoriker Gundolf Winter schreibt über „Bildersturm“ (S. 37-62) und bezieht sich dabei auf seine eigenen Publikationen. Auch hier fehlen die Anschlüsse etwa zur Skulptur als Medium in der archaisch-hochkulturellen Periode. Oder gilt gar das Bild als Medium? Die Medienrevolution beim Wandel von der Skulptur als Medium zur Skulptur als Kunstprodukt und bloß ästhetische Manifestation findet nicht einmal in einer Anmerkung Erwähnung.

Dann thematisiert Joseph Garncarz die „Struktur des Medienwandels um 1900“ (S. 63-83). Aber fast alles, was er sagt, wurde bereits vor ihm gesagt, meistens übrigens von ihm selber, wie er in den Verweisen auf seine Aufsätze über die Entstehung des Kinos, den Film im Kaiserreich, das Wanderkino und über „German Cinema of the 1920s“ herausstellt. Der Schlussbefund, dass sich der Wandel des Films „nicht durch radikale Brüche“, sondern durch „kontinuierlich verlaufende Prozesse“ vollzog – das stand schon bei Corinna Müller, Thomas Elsaesser, Martin Loiperdinger und vielen anderen.

Joachim Paech thematisiert den „Film am Ende der Kinematographie“ (S. 85-99) und mixt essayistisch den Film „Caché“ (2005) mit Bazin und Kracauer, die Filmsemiotik von Christian Metz mit den Vorläufern der Kinemathographie im 19. Jahrhundert, Hollywoodfilme der 1940er Jahre mit DVD und „Star Wars“-Sequals, das digitale Kino mit HDTV. Auch hier finden sich Verweise auf eigene Arbeiten, die aber nicht erkennbar weitergeführt werden. Nicht unbedingt atemberaubend ist seine Vision im Schlusssatz: „Auch das Kino wird sich verändern.“ (S. 99)

Lorenz Engel spricht unter anderem über „das digitale Konzept des Kontinuums“ (S. 108), Tom Holert über „Zuckungen eines tönenden Stummels“ (S. 12), Thomas Hoeren über das „Urheberrecht – Eine einführende Betrachtung“ (S. 167-183) – er findet heraus, dass „die digitale Kopie eines Werkes über das Internet weltweit ohne nennenswerte Kosten verbreitet werden“ kann (S. 183). Und Helmut Schanze wiederholt zum Schluss noch einmal viele seiner Irrtümer über Literaturgeschichte als Mediengeschichte, von Schiller bis McLuhan, auch hier ohne Bezug auf den neueren Forschungsstand, wohl aber mit Verweisen auf eigene Arbeiten.

Eigentlich ist nur ein Beitrag mit seinen Anregungen erwähnenswert: Andreas Käusers Aufsatz über „Historizität und Medialität“ (S. 147-166), über Methoden und Ansätze der Mediengeschichtsschreibung. Allerdings fehlen auch hier Anschlüsse an die neueren Arbeiten (mit Ausnahme von Jochen Hörisch) und selbst Standardwerke, wie sie als Presse-, Film- , Fernseh-, Radio und Buchgeschichte oder auch als umfassende Mediengeschichte (etwa von Jürgen Wilke) vorliegen.

Bilanz: Das Sammelsurium des vorliegenden Bandes, fürchte ich, ist nicht lesenswert (ganz im Gegensatz zu zahlreichen früheren Beiträgen etwa von Joseph Garncarz, Joachim Paech oder Helmut Schanze). Solche Bücher brauchen wir eigentlich nicht.

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