C. Clark: Rise and Downfall of Prussia

Titel
Iron Kingdom. The Rise and Downfall of Prussia, 1600-1947


Autor(en)
Clark, Christopher
Erschienen
London 2006: Penguin Books
Anzahl Seiten
784 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hartwin Spenkuch, Arbeitsstelle Protokolle, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Die erste Gesamtdarstellung Preußens in Buchlänge seit Jahrzehnten ist anzuzeigen. Zwar liegen diverse Arbeiten vor, etwa die Ehrenrettung des altkonservativen Preußen durch Hans-Joachim Schoeps (1966), die liberal akzentuierte Darstellung Edgar J. Feuchtwangers (1972) und der auf die Staatsspitze zentrierte, von Spott über die Massendemokratie durchzogene Band Gerd Heinrichs (1981). Aber erst Christopher Clark hat jene weit gespannte Synthese auf der Höhe des Forschungsstandes verfasst, die sich Otto Hintzes „Die Hohenzollern und ihr Werk“ (1915) an die Seite stellen lässt. In einer Manier, die an Thomas Nipperdeys „Deutsche Geschichte“ erinnert, kann er lebendig erzählen und zugleich strukturell sezieren, widerstreitende Argumente referieren und am Ende ausgewogene Gerechtigkeit anstreben. Diese höchst beachtliche wissenschaftliche Leistung eines australischen, in Cambridge lehrenden jüngeren Forschers verdient eine detaillierte Besprechung.

Clark interessieren besonders Kriegsgeschichte und Außenpolitik, die Dynastie und, seinem eigenen Forschungsfokus entsprechend, die Bedeutung des Faktors Religion für die Gesellschaftsentwicklung. Die politische Geschichte bildet den Schwerpunkt, aber immer wieder werden geschickt sozialgeschichtliche Teile eingefügt. Die Kriegsgräuel zwischen Dreißigjährigem Krieg und 1866 beschreibt Clark ausführlich, aber er erklärt Preußens Siege auch kompetent militärtechnisch und militärstrategisch. Von literarischem Ehrgeiz zeugen gelungene Übersetzungen, beispielsweise von Gedichten Heinrich Heines (S. 463ff.). Die Ausrichtung auf ein englischsprachiges Publikum bedingt, dass Clark die englischsprachige Literatur bevorzugt, aber ebenso penibel wie redlich die Werke aller konsultierten Autoren anmerkt. Clark will das im anglo-amerikanischen Bereich spätestens seit 1914 und im Auflösungsdekret 1947 manifeste schwarze Bild von der Untertanen-Gesellschaft Preußens im Lichte moderner Forschung nuancieren. Einbindung in die europäische Aufklärung, vergleichsweise frühe Rechtsstaatlichkeit, Bildungsexpansion, Sozialpolitik und diverse liberal-demokratische Bewegungen werden zu Recht angeführt. Er sei gleich weit entfernt „either to lament or to celebrate the Prussian record“ heißt es (S. XXI).

Clark widmet je etwa 45% des Textes der Zeit bis 1806 respektive nach 1806 und ca. 10% den Jahren 1918–45. Zahlreiche wichtige Aspekte preußischer Geschichte werden geschildert: Der Kampf der Monarchie mit den Ständen und die Zähmung der Städte, Heiratspolitik und die Prägekraft des Pietismus für Staat und Gesellschaft, zwei Typen preußischer Könige (prunkende „Selbstdarsteller“ bzw. sparsame „Arbeitstiere“, S. 84), die Beziehungen des Adel zur Landbevölkerung, die sich – gemäß den Forschungen W. Hagens – erfolgreich gegen Adelige behaupten konnte, die Grenzen des Absolutismus wie des Merkantilismus, die Rolle Berlins als Kulturhauptstadt um 1800, die Epochenscheide der Napoleonischen Zeit und die gespaltene Erinnerung an die Befreiungs- bzw. Freiheitskriege 1812–15, Preußens Weg zum und im Nationalstaat, schließlich das Wirken des Medienkaisers Wilhelm II. Wiewohl Clark die Monarchen vom Großen Kurfürsten bis zu Friedrich II., partiell inklusive Friedrich Wilhelm IV., als überdurchschnittlich einschätzt (S. 246, 483), verficht er nicht eine Hohenzollern-Legende, sondern betont die Bedeutung internationaler Konstellationen, struktureller Grundlagen und einiger Glücksfälle für Brandenburg-Preußens Aufstieg. Seine Darstellung krönt Clark zuweilen durch Skizzierung längerfristiger Entwicklungen oder resümierende Gedanken, die bedenkenswert sind. Die Zurückführung der Revolution 1789 auf Folgewirkungen des Weltkrieges 1756–63 (S. 211) ist hier zu nennen, die Betonung der Rolle Russlands als Schicksalsmacht für Preußen (S. 294, 398) oder (S. 466) der Aufweis der geringeren Opferzahlen Preußens im Vergleich mit den „hungry forties“ in England-Irland.

Bei einigen Sachfragen zumal des 19./20. Jahrhunderts bleibt der Leser verunsichert zurück, weil Clark fair ist, widerstreitende Argumentationsketten referiert, aber nicht eindeutig klärt, welchen er mehr Überzeugungskraft beimisst; vielleicht korrespondiert hier das janusköpfige Preußen mit zwei Seelen in der Brust seines Historiografen. Beispielsweise wird einerseits das „quasi-federal system“ Preußens im Vormärz (S. 428) konstatiert, andererseits erläutert, dass diese Regionalisierung via Provinziallandtage ein gewisses Einspruchsrecht primär für die grundbesitzenden Eliten bedeutete. Deren Privilegierung erboste jedoch die städtischen Liberalen und konterkarierte Integration. Vor allem: Jede Provinz im Sinne des divide et impera separat zu behandeln, war konservative Regierungs-Maxime; die Berliner Zentrale wies viele gesellschaftlich initiierten Provinziallandtags-Resolutionen per Landtagsabschied brüsk zurück. Betrachtet man die Historiografie genauer, ist der regionale Widerstand gegen die mit staatlichen Einspruchs- und Bestätigungsrechten durchsetzten vormärzlichen Kommunalordnungen charakteristisch, im Rheinland, in Westfalen, in Teilen Altpreußens. 1 Regionale Eigenheiten hatten Bestand, wenn sie in ein konservatives Berliner Konzept passten. Der Fortgang der Konflikte um liberalere Städte- und Landgemeindeordnungen im späteren 19. Jahrhundert kommt bei Clark gar nicht weiter vor.

An anderer Stelle (S. 500ff.) wird die – allerdings wissenschaftlich längst modifizierte – Legende der Folgenlosigkeit der Revolution 1848/49 erneut widerlegt und dazu unter anderem die Reorganisation der Verwaltung unter Manteuffel sowie die Versöhnung des ständischen Konservatismus mit dem konstitutionellen (Kammer-) System angeführt; sogar Artikel in liberalen Zeitungen hätten die oktroyierte Verfassung begrüßt. Demgegenüber ist daran zu erinnern, dass die breite demokratische Bewegung ab 1849 systematisch unterdrückt wurde, und selbst moderate Liberale jahrelang in hartem Kampf gegen Verfassungsrevision und gouvernementale Wahlmanipulation standen. Die Konstitutionalisierung des Gros der Konservativen ging nur soweit, dass sie ihnen vorteilhafte Bestimmungen zu nutzen wussten. Daneben existierte eine ständisch-hochkonservative Gruppe, die mit Billigung Friedrich Wilhelms IV. durch Innenminister v. Westphalen bis 1857 Reaktionspläne aufstellte, und mit dem Gros der Konservativen in vielerlei Punkten Verfassungsartikel und „Revolutions-Gesetze“ außer Kraft setzte. Insgesamt bildete die auch in Sachsen oder Bayern feststellbare defensive Modernisierung der 1850er-Jahre eine effiziente Strategie der Konservativen. Sie sollte den Konstitutionalismus zähmen, und ist weniger als Ausdruck progressiver Überzeugung zu interpretieren. Während so der Konservatismus überzeichnet verfassungstreu erscheint, erfährt die altliberale Neue Ära als Modernisierungsalternative keine Würdigung, sondern verschwindet hinter Italien-Krieg 1859 und Heereskonflikt.

Bei drei übergreifenden und seit langem kontrovers debattierten Sachkomplexen, wo Clarks Text mehrere Lesarten zulässt oder gleichsam schwebend unentschieden bleibt, sieht der Rezensent Kontinuitäten deutlicher und Kausalitäten kritischer. Erstens geht es um die Erklärungskraft der mehrfach (S. 27, 50, 71, 362, 555) angeführten geopolitischen Lage Preußens zwischen zwei oder drei Fronten und der damit einhergehenden Frage nach der preußischen Staatsidee und Identität. Bei gleicher geopolitischer Lage agierte Preußen bekanntlich unterschiedlich, brachte die sich anbahnende Kaunitzsche Anti-Preußen-Front erst durch den Überfall auf Sachsen 1756 zur kriegerischen Wirksamkeit, beobachtete zwischen 1795 und dem Krimkrieg mehrfach achtbare Neutralität, erschien 1885 saturiert, aber 1914 als Störenfried Europas. Trotz seiner geopolitischen Lage musste Preußen nicht zwangsläufig wachsen oder untergehen, sondern besaß Optionen, wie ja auch andere deutsche Mittelstaaten ihre Staatlichkeit bewahrten. Geopolitik kann für die gewaltsame europäische Geschichte des 17. bis 19. Jahrhunderts allenfalls ein Faktor neben gewichtigen anderen sein. Der starke Staat über den Ständen bzw. Parteien wird (S. 431) als einziges gemeinsames Band aller Preußen bezeichnet. Es gab aber zwischen Wilhelm v. Humboldt und Hugo Preuß durchaus alternative Denkweisen, zumal als die Integration neuer Schichten und neuer Provinzen anstand. Begrenzte Integrationskraft von Monarchie, Staatsidee und Leistungsbilanz der Berliner Zentrale darf vermutet werden, da am Rhein und in Hannover, in Oberschlesien und Teilen Hessens oder Sachsens bei den ersten realpolitischen Gelegenheiten Autonomie- und Separationswünsche laut wurden. Dass die 1945 von Vertreibung verschonten Provinzen mit partieller Ausnahme Brandenburgs keine preußische Regionalidentität pflegen (S. 683ff.) und alle „Preußen-Wellen“ nach 1945 bei der Mehrheit nicht zu mehr Begeisterung für Borussia führten, lag wohl gerade an einer verbissen konservierten, unzeitgemäß werdenden Staatsidee und zu geringen gesellschaftlichen Integrationsleistungen.

Zweitens überzeugt nicht Clarks Trennung zwischen dem normaleuropäischen, fast vorbildlichen wahren Preußen bis 1848/71 und dem seit und durch die Reichsgründung quasi verformten Preußen („Germany was Prussia’s undoing“, S. XXI; „Prussia … came to an end“, S. 556), dem die Übel der Folgezeit nicht anzulasten sind, da sie ja gemeindeutsch waren. Die unter anderem von Sebastian Haffner propagierte Argumentation zeigt ihre Brüchigkeit beim ansonsten kompetent sezierten Kulturkampf. Alte Konfessionsspannungen, Bismarcks Skrupellosigkeit, aber primär die neue Nationalstaatsgründung sind laut Clark dafür verantwortlich (S. 575f.). Es handelte sich jedoch um eine aus politischen Kalkül selbst gewählte und wenige Jahre später geänderte Strategie, es ging um Bekämpfung einer eigenwilligen Partei Preußens, nicht um den Bestand des Reichs an sich. Erst eine spezifische Vorstellung vom Nationalstaat führte zum in Preußen rabiat geführten Kulturkampf, nicht deutsche Zwangslagen.

Auch der von Clark (S. 561) selbst angeführte, von Lothar Gall formulierte Gedanke, dass Bismarck Preußen auf die Rolle als konservatives Widerlager im Reich festlegte, entschuldigt Preußens Eliten nicht. Denn sie haben daran gegen alle besseren Ratschläge verbissen festgehalten. Sie trugen den nationalistischen Kurs mit, angefangen bei Bismarck mit seiner Anti-Polenpolitik bis zur Verdammung der zu lauen Außenpolitik Bethmann Hollwegs; Reichskanzler Hohenlohe klagte 1898 über die hartleibigen Altpreußen im Kabinett. Und die Nachkommen der Größen der Reformzeit wurden gutenteils völkisch-nationalistisch und schon vor 1933 aktive Mitglieder der NSDAP. 77 von Wedel bis 1945 führt Clark (S. 640) selbst an; dass davon 35 vor dem 30.1.1933 eintraten und sich ähnliche Zahlen bei anderen Familien wie v. Arnim, v. d. Osten oder v. Winterfeldt feststellen lassen, kann man in der zu Recht zitierten großen Studie Stephan Malinowskis nachlesen.

Clark schreibt explizit (S. 652), beim Preußenschlag 1932 habe das alte Preußen das neue zerstört. Doch umgehend wird, ein Argument Gerd Heinrichs aufnehmend, erneut das eigentliche Preußen exkulpiert: Papen sei katholischer Westfale gewesen, v. Gayl Rheinländer – realiter: Ostpreuße und stolz auf vier Offiziersgenerationen in seiner Familie –, Schleicher müsse als untypischer schlesischer Offizier angesehen werden – dabei kannte gerade Preußen politisierende Generale zur Genüge –, und Hindenburg sei weniger Junker denn Produkt der politischen Verhältnisse des Weimarer Deutschland gewesen (S. 654). Unabweisbar bleibt: Hindenburg wie ein Gutteil der Eliten Altpreußens haben verblendet Preußen an den Nationalsozialismus ausgeliefert, denn Preußen sollte Stände-, Militär- und Machtstaat sein, nicht Demokratie, Sozialstaat und Kulturmoderne. Sogar Preußens Rechtsstaatsidee war schon im April 1933 perdu, als das Finanzministerium von Johannes Popitz dabei mitwirkte, altgedienten jüdischen und republikanischen Beamten die Pension zu kürzen. Die Totengräber Preußens sind genau zu lokalisieren – und ebenso wenig wie die kapitalen politischen Fehler nach 1871 primär im nichtpreußischen Deutschland zu verorten.

Richtiges sagt Clark über die Instrumentalisierung Preußens im Nationalsozialismus und die Verzerrung preußischer Tradition (S. 655ff.). Preußische Dienstethik habe nicht zur Mitwirkung bei der „Endlösung der Judenfrage“ prädestiniert (S. 667). Ja – aber eben auch nicht dagegen geschützt oder gar breit Widerstandspotential gefördert, was zeigt, daß Preußens Ethik nicht per se, sondern nur in engem Bezug auf humane Werte achtbar ist. Das Zitat Henning von Tresckows 1943, dass wahres Preußentum und Begriff der Freiheit zusammengehörten, da sonst Disziplin und Pflicht zu Kommiß-Denken und Rechthaberei ausarteten (S. 669) geht weiter: Preußens europäische Aufgabe sei die Synthese von Bindung/ Unterordnung und richtig verstandenem Herrentum. Mit solchen Denkfiguren wurde auch im sehr ehrenwerten Widerstand des 20. Juli 1944 westeuropäische Zivilisation gegenüber deutschen Kultur- und Staatsidealen abgelehnt. Die Berufung auf das vordemokratische Preußen im deutschen Widerstand verstörte englische Kontaktmänner wie Robert Vansittart mit Grund, zumal der großen Mehrheit der Eliten selbst dieses preußische Ethos abging. Die Konstruktion eines eigentlichen Preußen bis 1848/71 unterschätzt nach Rezensenten-Meinung grundsätzlich jene strukturellen und habituellen Kontinuitäten, die keine restlosen Erklärungen, aber notwendige Bedingungen bilden für den späteren Geschichtsverlauf. Denn Staatslastigkeit und Parlamentarismus-Feindschaft, Militärverehrung und Adelsmacht, Anti-Polenpolitik und die auch von Clark konstatierte Übernahme von gesellschaftlichem Antisemitismus in die Staatspolitik (S. 583) finden sich schon im eigentlichen Preußen. An der Umwertung des Staats- zum Volkstumsgedanken wirkten Repräsentanten Altpreußens vielfach mit. Wenn Preußentum und Nationalsozialismus den alliierten „exorcists“ (S. 670) bis zum Auflösungsbeschluss verquickt erschienen, und sie südwestdeutsche politische Kulturen positiver perzipierten (S. 680), lag das nicht zuletzt an Altpreußens Eliten selber.

Drittens kann die Rolle der preußischen Militärstaatstradition in der deutschen Geschichte kritischer gesehen werden. Gegen Teleologie führt Clark die Opfer-Rolle Brandenburgs im 30jährigen Krieg an, die gemeineuropäische Militärverfassung des 18. Jahrhunderts, quasi als Resümee (S. 510) das berühmte Diktum der „Times“ 1860, Preußen sei auf Kongressen, aber nicht Schlachtfeldern präsent, es schließe sich immer wirklichen Großmächten an, niemand fürchte es als Feind. Der staatsseitige Militäraufbau im 18. Jahrhundert sei nicht mit gesellschaftlicher Militarisierung zu verwechseln, heißt es (S. 215). Aber schon bei der Darstellung der schlesischen Kriege Friedrichs II. tut sich ein Zwiespalt auf. Sie werden zwar einerseits als „shocking initiative“ oder „misapprehension“ (S. 196, 199) gekennzeichnet, aber dann (S. 200) wird insinuiert, Friedrich habe die Existenz Preußens gegen die Feindkoalition präventiv retten müssen und sein Erfolg erklärt. Das um Verträge unbekümmerte opportunistische Machtstaatsdenken, die königliche Maxime „untergehen oder mit Ehre bestehen“ als hasardeurhafte Kombination von gewalttätigem Durchsetzungswillen und Fatalismus, diese in den Quellen präsente Mentalität Friedrichs II. präpariert Johannes Kunisch in seiner Friedrich-Biographie 2 klarer heraus. Auf Friedrichs Vorbild beriefen sich die Ultranationalisten dann unter anderem im Ersten Weltkrieg, und, horribile dictu, Goebbels bzw. Hitler hofften Anfang 1945 auf ein neues „Mirakel des Hauses Brandenburg“ (S. 662).

Die gesellschaftliche Militarisierung nach 1871 wird zwar konstatiert (S. 604), aber nicht etwa im Sinne von Friedrich Meineckes „Deutscher Katastrophe“ (1946) preußischem Siegestaumel und staatlicher Geschichtspolitik sowie der dadurch, aber auch endogen induzierten Militärverehrung vieler Bildungsbürger zugeschrieben, sondern im Gefolge einseitiger militärgeschichtlicher Arbeiten als gemeineuropäischer Folklore-Militarismus, Pendant zur englischen National Service League oder Unterschichten-Partizipation im Medium der Kriegervereine relativiert. Obwohl Clark auf den extrakonstitutionellen Status des Militärs und die unkoordinierte Kommandostruktur als fatale preußische Erbschaft explizit hinweist (S. 604, 609), bezeichnet er andererseits den Ersten Weltkrieg als deutschen Krieg (S. 607). Dass jedoch Schlieffen-Memorandum und die strategische Kriegführung der Ludendorff et alii ganz der preußischen Doktrin der Vernichtungsschlacht folgten, wie sie Isabel Hull 3 rekonstruierte, kommt nicht in Betracht. Und wer wollte den Krieg 1917 mit allen Mitteln fortsetzen, lehnte einen Frieden des Status quo ante ab, und fuhr mit der Offensive im März 1918 eine Alles-oder-Nichts-Strategie? Nach Aktenlage waren das nicht süddeutsche Regierungskreise, die, wie Rupprecht von Bayern oder gar Kaiser Karl von Österreich, ein Kampfende propagierten. In der Edition Holger Afflerbachs 4 kann man nachlesen, daß Altpreußen wie Hans Georg v. Plessen fanatisch an blutiger Hochrisiko-Politik festhielten – und beim Misslingen fatalistisch die Vorsehung verantwortlich machten. Nicht geopolitische Lage, Verformung durch die Reichsgründung oder Fehlperzeption durch die Sieger von 1918 und 1945 haben Preußens staatliche Existenz ruiniert, sondern der Verlust der Fähigkeit zur zeitgemäßen Selbst-Reform. Dem lagen eine mentale Radikalisierung, die alte Werthaltungen wie Nüchternheit in Zynismus der Macht oder Patriotismus in Militarismus umschlagen ließ, und politische Fehler der Eliten zugrunde, insgesamt mehr Schuld als Tragik.

Einige falsche Daten und unrichtige Details – z. B. haben die Hohenzollern die Mark nicht für 400.000 Gulden gekauft, sondern sind durch König Sigismund belehnt worden bei Option der Rücknahme gegen Entschädigung (S. 4) – fallen nicht ins Gewicht. Bedauerlich bleibt das Fehlen von Personen- und Sachregister sowie Bibliographie. Bei einer sehr wünschenswerten deutschen Übersetzung des anregenden Buches von Clark, das als mutiges, auch zum Widerspruch reizendes Pionierwerk hoch zu schätzen ist, sollte das ergänzt werden.

Anmerkungen
1 Vgl. unter anderem: Heffter, Heinrich, Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1969; Obenaus, Herbert, Anfänge des Parlamentarismus in Preußen bis 1848, Düsseldorf 1984, S. 516 ff.; Conrad, Horst, Kommunaler Konstitutionalismus und preußischer Parlamentarismus. Die revidierte Städteordnung in der Provinz Westfalen 1831–1850, in: Teppe, Karl (Hg.), Westfalen und Preußen, Paderborn 1991, S. 47–81; Gehrke, Roland, Das isolierte Parlament. Zur parlamentarischen Praxis der schlesischen Provinziallandtage zwischen Restauration und Revolution (1825–1845), in: ders. (Hg.), Aufbrüche in die Moderne, Köln 2005, S. 205–240.
2 Kunisch, Johannes, Friedrich der Große, München 2004, S. 171ff., 191ff.
3 Hull, Isabel, Absolute Destruction. Military Culture and the Practices of War in Imperial Germany, Ithaca 2005. Vgl. auch den Beitrag von Gerhard P. Groß in: Ehlert, Hans u.a. (Hgg.), Der Schlieffenplan, Paderborn 2006.
4 Afflerbach, Holger (Bearb.), Kaiser Wilhelm II. als Oberster Kriegsherr im Ersten Weltkrieg. Quellen aus der militärischen Umgebung des Kaisers 1914–1918, München 2005.